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IX.

Eines Abends saß die Mutter mit mir vor unserer Haustür, wie man sich das wohl früher auf den Nebengassen erlauben durfte. Es war schwül und am Himmel zuckte es wie Wetterleuchten. Da kam die Gasse herunter eine große Frauensperson, und wie uns dünkte, winkte sie uns mit beiden Armen; blieb aber auch wieder stehen, als wäre ihr der Atem ausgegangen, worauf sie mit seltsamen Gebärden weitersegelte.

Weil ich nun eine Spötterin gewesen – wie ich dir nur gestehen will, Gundel – sagte ich: »Das ist ja die Königinmutter.« – Denn also betitelte ich die Langin seit dem Virgatumgehen.

»Ich will hoffen, daß die arme Frau nichts Schlimmes betroffen hat.« – Die Mutter erhob sich und ging ihr entgegen.

Kaum aber stand sie vor der Frau, da lag die auch in der Mutter Arm und jammerte: »Sie sind geraubt worden! Mein Mann und mein Achilles auch! Und nimmer kann ich sie einlösen!«

Da meine Mutter aus ihren verwirrten Reden nicht klug wurde, sendete sie nach der Geschlechterstube, wo mein Vater mit andern Herren zu sitzen pflegte, und als man auch den Langeschen Kutscher herbeigeschafft hatte, kam der Bericht zustande.

Herr Lukas Lang war, da es mit seiner Gesundheit übel stand, nach dem Zeller-Bad geschickt worden und sein Sohn wurde ihm zur Begleitung mitgegeben.

Auf einer Heide nun, wo weit und breit kein Haus zu sehen war, sprengte der Junker Rosenberg heran und befahl dem Kutscher, zu halten. Wie man sagt, wird den adligen Straßenräubern von ihren Helfershelfern zugetragen, wenn einer mit gefülltem Beutel sich ihrem Raubnest naht, und um einen Vorwand sind die Herren nimmer verlegen.

Kaum hatte nun der Kutscher gehalten, da guckte nach einer Seite Herr Lukas, nach der andern Achilles aus dem Wagen und sie erhoben ein so klägliches Geschrei, daß dem Rosenberg vor Lachen die Tränen über die Backen gelaufen sind. Er hat dann zu Herrn Lukas gesagt, daß, wie dieser wohl wissen werde, er in Fehde mit dessen Vetter sei. Sintemalen Herr Lukas keinen Vetter besaß, hat er erkannt, daß der Rosenberg nur nach einem Vorwand suchte, ihm sein Geld abzunehmen. Darauf hat der Rosenberg dem Kutscher befohlen, der Frau Langin seinen Respekt zu versichern und ihr zu melden, so ihr an den beiden Weibern in Mannskleidern was gelegen wäre, solle sie ihm mit sicherm Geleit sechstausend Gulden senden.

Die große Summe dünkte der armen Langin ganz unmöglich aufzubringen; denn in einer Handlung steckt das Geld, wie du wissen mußt, in der Ware, und nicht im Kasten. Mein Vater nahm sich der Frau an und verlangte, daß die Stadt sie in diesem bösen Handel unterstütze. Man schlug es ihm aber ab. In einer Zeit, wo allerwegen die Köpfe brannten und die Bilderstürmerei begann, bedurfte man der eignen Söldner, und es fehlte an Leuten, den frechen Räuber zu züchtigen. Schließlich wurde der Rosenberg mit einem Teil der Summe befriedigt, und die geplagte Langin kriegte Mann und Sohn wieder ins Haus.

Nun erschien eines Tages, um eine Staatsvisite zu machen und sich für des Vaters Unterstützung zu bedanken, Achilles Lang in unserm Hause. Er mochte, nach meinem Alter berechnet, wohl achtzehn bis neunzehn Jahre sein, mit dünn sprossendem Bärtlein, daran er sorglich zog und drehte. Seine Kleidung war nach der neuesten Mode: das Barett mit langer Feder, seitlich gesetzt, ein zerschlitztes Wams mit rotem Atlasfutter und einen kurzen Mantel, mit dem er sich viel zu schaffen machte; denn weil er ihm stets von der Schulter rutschte, war er genötigt, ihn wieder überzuwerfen, was er mit einer geckenhaften Gebärde ausführte.

Meine gute Freundin Evchen, des Herrn Xistus Birk Tochter, saß just mit mir im Erker, als Achilles Lang eintrat und sich zu uns gesellte. Nach Art junger Leute wollte er uns nicht nur gefallen, sondern wünschte, daß wir ihn für einen Helden halten möchten; darum berichtete er das Abenteuer mit dem Rosenberg, so wie er wohl wünschen mochte, es erlebt zu haben: »Es war eine gruselige Nacht. Es pfiff und sauste über die Heide, wo böse Geister ihr Wesen treiben. Da steht unser Wagen auf einmal unbeweglich. Ich rufe furios dem Kutscher zu: ›Was gehet vor?‹ – denn ich sehe eine schwarze Mauer; die Mauer aber waren lauter Reiter; und der Herr Vater schaut nach seiner Seite auch eine schwarze Mauer, und das waren auch lauter Reiter.«

»Jesus«, rief Evchen, und trat mir dabei auf den Fuß. Ich mühte mich, erschreckt auszusehen, der Höflichkeit zu Gefallen.

»›Herr Vater‹, sagte ich, ›wir sind umzingelt; aber getröstet Euch, es soll Euch nichts geschehen, denn ich stehe meinen Mann.‹ – Also sprang ich aus dem Wagen und gleich drauf los. Stieß einen vom Pferde, dann noch einen; da aber packten sie mich im Rücken und warfen mich zu Boden. ›Sie werden dich töten!‹ rief der Herr Vater, und es wurde ihm schlecht. Meine Tapferkeit hatte ihm fast den Garaus gemacht.«

»O je! O je!« rief das boshafte Evchen, und stieß mich, daß ich meinte, nun wäre es mit meiner Fassung vorbei; aber ich hielt mich noch: »Das ist ja eine grausame Geschichte. Wie viel Räuber haben Euch so heimtückisch überfallen?«

»Zählt man mit der Faust die Feinde, Jungfer Barbara? Oder glaubt Ihr, daß ich wie eine Katze im Dunkeln sehen kann? – Aber, wie meint Ihr wohl, daß sie mich traktierten? Sie banden mich, warfen mich zum Vater in den Wagen, und dann ging's fort. Erschreckt euch nur nicht, Jungfern; aber ich habe dabei gotteslästerlich geflucht.«

»Und ist's Euch auf des Rosenbergs Burg schlimm ergangen?« brachte ich mit unterdrücktem Lachen noch glücklich heraus.

»Wollt Ihr von einem Straßenräuber Gastfreundschaft erwarten, Jungfer Barbara? In das unterste Verlies, wo es von Kröten, Molchen und giftigen Schlangen wimmelte, hat er uns geworfen.«

»Und die Schlangen haben Euch nicht gestochen?«

»Würde mir sonst das Glück geworden sein, Euch wiederzusehen, Jungfer Barbara?« – Er machte eine Verbeugung, und da der Mantel ihm dabei wieder von der Schulter fiel, warf er ihn mit großer Würde über.

Nun aber war's mit unserem Ernst vorbei; es wollte nicht mehr helfen, daß ich hinter der Hand hustete, und Evchen das Fazilletlein gar zwischen die Zähne preßte. Wir glucksten, husteten und auf einmal platzten wir mit Lachen aus.

»Wollen die Jungfern meiner spotten?« – Achilles mochte so etwas nur ungern glauben und guckte uns mehr verwundert als beleidigt an.

»Wir mußten bei Eurer Tapferkeit eines feigen Gesellen denken, der bei gleichem Überfall nichts getan hat als gar kläglich nach Hilfe geschrien«, entschuldigte ich uns.

Ob er die Wahrheit erriet? Fast möchte ich's bezweifeln, da sein Kopf nicht sonderlich hell gewesen ist. »Meinen die Jungfern, daß es heutzutage nicht mehr tapfre Männer gäbe?« fragte er.

»Freilich habe ich gehört, daß die Tapferkeit geringer geworden sei, seit das Schießzeug aufgekommen ist«, sagte ich weise. »Doch möchte ich's nicht glauben. Ich denke, daß es noch genug tapfre Männer gibt, die ihres Lebens gering achten, und mit so einem Manne zur Seite hätten wir Jungfern uns nicht vor dem Rosenberg gefürchtet. – Eure Tapferkeit, Herr Achilles, hat uns fast Lust nach solchen Abenteuern gemacht. – Gelt, Evchen?«

Da lächelte er befriedigt und steckte den Spott so fröhlich ein, als hätten wir ihm mit echter Münze gelohnt.


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