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Die Sitten und Gebräuche der Mandyako auf Pecixe

Die nächsten Tage verbrachten wir in unserem Lager mit dem Ausarbeiten unserer Aufnahmen beschäftigt.

Viele Mandyako besuchten uns. Kokett tänzelten hübsche junge Mädchen ins Lager, setzten sich auf unsere Kisten und warfen unseren Burschen verführerische Blicke zu; nach Abus Klagen zu schließen, versprachen sie aber mehr, als sie hielten. Sie begnügten sich jedoch nicht damit, sich mit den Burschen zu unterhalten, sondern redeten auch uns lachend an, und lachten noch mehr, wenn wir sie nicht verstanden.

Die Oberkörper dieser lustigen Schönen waren meist kunstvoll tatauiert. Sie ließen, wie sie erzählten, diese Verschönerung von einem Manne aus dem Dorfe ausführen, der sich besonders gut darauf verstand und sich dafür reichlich bezahlen ließ. Mit der Operation allerdings, die mit Hilfe eines kleinen Messers ausgeführt wird, ist es nicht getan. Die offenen Schnittwunden werden dann mit Palmöl bestrichen und durch tägliches Massieren längere Zeit hindurch am Zuheilen verhindert. Der Erfolg dieser schmerzhaften Prozedur ist, daß sich die langsam vernarbenden Stellen weit vorwölben. Je erhabener die Narben sind, desto höher wertet man die Schönheit des Mädchens.

Ein Sohn des Königs, namens Nafon Kor, derselbe, der uns zum Bleiben bewogen hatte, wurde unser ständiger Begleiter. Er war uns bei den verschiedensten Dingen behilflich, verschaffte Professor Struck Leute für die anthropologischen Messungen, stellte sich auch für die linguistischen Arbeiten zur Verfügung und stand mir bereitwillig Rede und Antwort.

Gern erzählte der Königssohn von dem Kinderreichtum seines Volkes, und immer mehr verstärkte sich unser schon am ersten Tage gewonnener Eindruck, daß bei der Intelligenz und der Anpassungsfähigkeit des Volkes sein Aussterben keinesfalls zu befürchten war. Die alten Sitten allerdings gehen ebenso rasch verloren wie die malerische alte Kleidung.

Der Erwerb des Lebensunterhalts ist in vielem ähnlich wie bei dem benachbarten Inselvolk. Man baut Reis, Hirse und allerlei Gemüsepflanzen, außerdem mancherlei Obst, wie z. B. Bananen und Papaya, das bei den Bidyogo selten anzutreffen ist. Als Genußmittel kommen vor allem Palmwein und, von den weißen und farbigen Händlern eingeführt, Zuckerrohrschnaps und Tabak in Betracht.

Der Fischfang scheint auf Pecixe sehr ergiebig zu sein. Die Fischzäune sind kleiner als die der Bidyogo und haben auch eine andere Form. Sie enden nämlich in einer Art Reuse, in der sich die Fische fangen. Da diese Reusen auch zur Zeit der Tiefebbe nicht ganz trocken liegen, bleiben die gefangenen Fische am Leben und können je nach Bedarf herausgenommen werden. Das außerordentlich fischreiche Meer sorgt von selbst für abwechslungsreiche Mahlzeiten. Freigebig liefert es die besten Speisefische, ebenso Krevetten und Seespinnen, und auf den Felsen neben den Zäunen leben Austern und andere eßbare Muscheln in Menge.

Die Mandyako können sich also keinesfalls über die Ungunst der Verhältnisse beklagen.

Obgleich sie recht geschickte Gewerbetreibende sind und wir auch vereinzelt hübsche Zeremonialstäbe aus Holz vorfanden, reicht doch ihre künstlerische Begabung bei weitem nicht an die der Bidyogo heran. Dagegen sind sie, wie schon erwähnt, talentierte Weber, die es verstehen, die von ihnen kultivierte Baumwolle auf das beste zu verarbeiten. In ihre Tücher sind die verschiedensten Muster in allen Farben eingewebt, mit vollendeter Symmetrie und in überaus reichen Formen.

Vom Sohn des Königs erfuhr ich auch, daß die Insel Pecixe in zwei absolute Königreiche zerfällt. Der König, den wir in seinem Palast kennengelernt hatten, beherrscht zwei Drittel, ein anderer, dessen Residenz im Nordwesten der Insel liegt, den übrigen Teil des Eilandes.

Über das Leben und Lieben seines Volkes berichtete Nafon Kor das Folgende:

Jeder Mann hat in der Regel mehrere Frauen. Die Familie ist streng vaterrechtlich organisiert, die Frauen und Kinder werden zur Familie des Ehemannes gerechnet.

Die Frauen entbinden im Hause ihres Mannes auf ihrer Liegestatt. Das Kind erhält seinen Namen vom Vater, die Erziehung dagegen besorgt die Mutter. Wie fast alle primitiven Stämme, sind die Mandyako außerordentlich kinderlieb. Sie ziehen Zwillinge mit größter Freude auf und lassen auch kranken und verkrüppelten Kindern jegliche Sorgfalt und Pflege angedeihen, ohne den Versuch zu machen, sie etwa zu beseitigen. Kaum ist das Kleine einige Jahre alt geworden, wählen die Eltern für ihr Kind den zukünftigen Ehepartner. Der Vater erscheint als Brautwerber bei dem Manne, dessen Tochter er für seinen Knaben als Frau in Aussicht genommen hat. Nach eingehenden Verhandlungen wird die Verlobung der Kinder bei Palmwein und festlichem Essen gefeiert. Mit der Heirat hat es dann allerdings Zeit, denn erst müssen Braut und Bräutigam geschlechtsreif geworden sein. Bis dahin muß der Bräutigam für seinen zukünftigen Schwiegervater arbeiten. In dem Falle aber, daß ein älterer, oft schon mehrfacher Familienvater Sehnsucht nach einer neuen jungen Frau empfindet, tritt er als sein eigener Brautwerber auf.

Das Mädchen bleibt bis zu seiner Reife bei den Eltern, die dafür zu sorgen haben, daß es seine Unberührtheit bewahrt; denn die Jungfernschaft wird sehr hoch gehalten. Erfährt der Ehemann in der Hochzeitsnacht, daß ihm ein anderer zuvorgekommen ist, hat er das Recht, die Ungetreue mit Schimpf und Schande zu ihrem Vater zurückzuschicken. Erfährt er noch vor der Hochzeit, daß sich seine Braut einem anderen Manne hingegeben hat – in Afrika bleibt selten etwas geheim –, so löst er augenblicklich die Verlobung, und der Verführer hat an den Geschädigten, der jahrelang umsonst gearbeitet hat, eine hohe Buße an Schweinen und Rindern zu zahlen. Haben sich mehrere Burschen gleichzeitig der Gunst des Mädchens erfreut, so hat jeder einzelne seine Strafe zu zahlen. Bezeichnend ist, daß für die Schuld eines Burschen einzig und allein die Aussage des Mädchens maßgebend ist. Ein etwaiges Leugnen der Vaterschaft wird überhaupt nicht beachtet. Diese Sitte, die bei vielen Kulturvölkern geradezu katastrophale Folgen hätte, ist hier durchaus möglich. Denn die Mandyako sind von Natur aus absolut wahrheitsliebend, und selbst ein verführtes, der öffentlichen Verachtung anheimgefallenes Mädchen lügt niemals; auch ist jeder einzelne davon überzeugt, daß der König mit Hilfe seines »Tuma« stets die Wahrheit feststellen kann.

Nicht nur das Liebesleben der jungen Leute ist aus diesen Gründen nichts weniger als »frei«, auch die Verheirateten sind zu ehelicher Treue verpflichtet. Unter diesem Gebot haben allerdings die Männer kaum zu leiden, da sie es ja jederzeit in der Hand haben, die Anzahl ihrer Frauen zu erhöhen; um so mehr aber die Mädchen, die oft von ihren Eltern an alte Männer verheiratet werden und dennoch streng die Treue halten, da sie völlig davon überzeugt sind, andernfalls sterben zu müssen. Immerhin ist auch das Los solcher Frauen nicht unerträglich, da kein Mann das Recht hat, eine Frau gegen ihren Willen an sich zu ketten. Selbst dem König ist es nicht gestattet, einer seiner Frauen die Forderung nach Scheidung zu verweigern.

Da, wie gesagt, die Insel Pecixe wegen des Reichtums der Mandyako als gutes Absatzgebiet für die Waren der weißen und farbigen Kaufleute gilt, ankern trotz dem schlechten Hafen häufig Händlerschiffe am Strande. Auf diesen wandern dann oft hübsche Mädchen und junge Frauen, die mit ihrem Schicksal in der Heimat unzufrieden sind, in die Hafenstädte aus, wo sie in kürzester Zeit der Prostitution zum Opfer fallen. Krank an Körper und Geist kehren manche auf die Insel zurück. Es fiel uns auf, daß wir trotzdem hier niemals, wie bei anderen Stämmen des Festlandes, Kinder sahen, die mit dem Stempel tertiärer Lues gebrandmarkt waren. Ich erkundigte mich, wie man denn erführe, ob eine der Zurückgekehrten gesund geblieben oder krank geworden sei. »Das ist uns völlig gleichgültig, ob die krank sind oder nicht«, war die Antwort, »jedes Mädchen, das seine Heimat einmal verlassen hat, ist für uns verloren. Wir bestrafen es nicht, wir geben ihm zu essen, es steht ihm auch frei, im Hause eines Verwandten zu wohnen, doch kein Mann wird es jemals berühren. Wir wissen ja, wie viele aus der Fremde die todbringenden, unheilvollen Krankheiten der Weißen mitbringen. Es ist besser, daß die wenigen Zurückkehrenden unverheiratet sterben, als daß unsere Kinder siech werden.«

Lange noch, nachdem uns Nafon Kor verlassen hatte, sprachen wir über die weisen und einfachen Maßnahmen, durch die diese »Wilden« ihr Volkstum zu schützen verstehen. Wir verglichen ihre Sitten mit den Gesetzen unseres alten Europa, die es nicht verhindern, daß Verbrecher, Trinker, Geisteskranke und mit Syphilis infizierte Menschen Kinder in die Welt setzen, die der öffentlichen Fürsorge des Staates zur Last fallen, eines Staates, der heute nicht einmal in der Lage ist, den Kindern seiner besten Bürger ausreichenden Erwerb und Verdienst zu verschaffen.


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