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Die Erwartungen, die wir an den Besuch von Unyokum knüpften, waren groß. Lagen doch diese beiden Inseln weit draußen im Atlantik, besonders im Westen von mächtigen Riffen umgeben, die einen natürlichen Schutzwall bildeten, den zu durchqueren kein Dampfer imstande war. Daher konnten wir hoffen, ihre Bewohner noch unberührt von europäischer Zivilisation vorzufinden.
Ungeduldig verfolgten wir die Fahrt unseres Schiffes, das zwar bei guter Strömung, aber bei ungünstigem Wind einer Schnecke gleich an der Küste von Une dahinschlich. Endlich frischte der Wind auf, und unter fortwährendem Loten, um den zahlreichen Untiefen auszuweichen, näherten wir uns Unyokum. Man mußte unser Kommen schon, als wir noch fern waren, entdeckt haben, denn wir konnten mit Hilfe des Fernglases schwarze Gestalten wahrnehmen, die sich am Ufer hin und her bewegten. Als wir aber an der Südküste der größeren Insel vor Anker gingen, breitete sich diese still und menschenleer vor unseren neugierigen Blicken aus. Die Eingeborenen hatten offenbar die Flucht ergriffen.
So schlugen wir denn zunächst ein Standlager unmittelbar am Strande auf, der einen wundervollen Ausblick auf die mächtige Brandung und das offene Meer gewährte. Ein reges Vogelleben spielte sich vor unseren Augen ab. Pelikane, Reiher, vereinzelt auch Adler und schwarzweiß gefleckte Krähen tummelten sich auf den Klippen, während Regenpfeifer und Strandläufer von den verschiedensten Arten die sandigen Stellen nach Nahrung absuchten.
Obwohl die Klippen und Riffe im Westen den Anprall der Brandung abschwächten, stürzten doch, selbst bei schönstem Wetter, mächtige Wogen mit donnerndem Getöse unmittelbar vor unseren Zelten nieder. Eine so starke Brandung waren wir nicht gewohnt, sie störte während der ersten Tage unseres Aufenthalts unseren Schlaf. Dafür aber wurden wir durch die herrlichsten Sonnenaufgänge reichlich entschädigt.
Die Insel Unyokum ist bei weitem nicht so trocken wie Orango Grande. Der Boden, vielfach felsig, scheint das Versickern des Wassers, das in der Regenzeit vom Himmel herabstürzt, zu erschweren, was bei dem durchlässigen Sandboden der großen Nachbarinsel nicht der Fall ist. Kleine Palmengruppen verleihen der Landschaft ein malerisches Aussehen. Der Ostrand ist durchwegs von dichtem, niedrigem Busch bewachsen, im Süden jedoch steigt die Felsküste bis zu einer Höhe von etwa acht Metern steil aus dem Meere auf und ist schon von fern sichtbar. Diese Steilküste senkt sich gegen die Mitte der Insel und geht dann in den flachen Sandstrand über, auf dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten.
Zu unserer Überraschung stellten sich bald zahlreiche farbige Händler bei uns ein. Die an Zahl geringe Bevölkerung hatte ihnen, die hier meist im Gefolge schwarzer Truppen aufgetaucht waren, offenbar den geringsten Widerstand entgegengesetzt. Es waren durchwegs Christons aus der Hafenstadt, die sich schon vor vielen Jahren angesiedelt hatten. Nach ihrem gepflegten Äußeren zu schließen, schien es ihnen nicht schlecht zu gehen, nur schienen sie, besonders aber ihre zum Teil jungen und hübschen Frauen, unter Langeweile zu leiden. Für unsere Burschen bot sich da eine willkommene Gelegenheit, die Schönen in ihrer Einsamkeit zu trösten, was ihnen offenbar auch glückte, wie sich aus dem Lachen und Schäkern, das zu allen Tages- und Nachtzeiten zu uns herüberschallte, schließen ließ.
Für mich war es eine höchst merkwürdige Überraschung, daß keiner dieser Christons von dem Leben und den Sitten der Bidyogo, mit denen sie doch schon jahrelang beisammen lebten, auch nur eine Ahnung hatte. Die unsinnigsten Auskünfte wurden uns gegeben, wohl ein Beweis für die außerordentliche Verschlossenheit der Ureinwohner.
Die Ruhe des Lagers ließ viel zu wünschen übrig. Da wir kaum am ersten Tage unsere Feldbetten aufgesucht hatten, unterbrach ein eigenartiges Geräusch die nächtliche Stille; wir suchten die Umgebung des Lagers ab, und der Schein unserer Lampe beleuchtete viele Hunderte von großen Krabben, die ihre Löcher verlassen hatten und auf der Jagd nach Nahrung den Strand bevölkerten. Daß diese Tiere guten Grund hatten, das Tageslicht zu scheuen, konnte ich in der Frühe beobachten. Kaum begann das Dunkel der Nacht der Morgenröte zu weichen, als auch bereits Krähen blitzschnell auf die Nachzügler, die nicht beizeiten ihr schützendes Erdloch aufgesucht hatten, herabstießen, die Beute ergriffen und hoch in die Lüfte trugen. Von dort ließen sie die Schalentiere herabfallen, so daß sie mit zerschmettertem Panzer auf den Felsen liegen blieben. Flugs waren die Raubvögel ihrer Beute gefolgt und verzehrten mit Genuß die so zweckmäßig entschälten Krustentiere.
Auch ein verdächtiges Rascheln an unserer Zeltwand störte die Nachtruhe. Als alter Afrikaner, dem die Stimmen der Wildnis nicht mehr den Schlaf rauben, wenn es nicht gerade eine Elefantenherde ist, die auf das Lager zukommt, war ich selbst zwar für nächtliche Geräusche ganz unempfindlich. Anders meine Frau, die jeden Laut wahrnahm, besonders seit vor kurzer Zeit, unmittelbar neben unseren Feldbetten, ein Leopard die Hauskatze, die markerschütternde Schreie ausstieß, zerrissen hatte. Ich erklärte ihr damals zwar, daß die Zeltwand einen ebenso guten Schutz biete wie die dickste Steinmauer, da den Raubtieren die Zeltwand ja nicht als dünner Stoff erkennbar sei, sondern als unheimlicher Fremdkörper erscheine, dem man besser aus dem Wege gehe. Meine Frau antwortete mir aber stets: »Wenn sich die Leoparden das nur auch gewiß denken«, und blieb auf ihrer Hut. Dazu kam, daß sie eine ausgesprochene Abneigung gegen Schlangen empfand, im Gegensatz zu mir, der als Junge geradezu eine Schwäche für diese schönen Tiere gehabt und mit Vorliebe zum Zeitvertreib eine in der Rocktasche getragen hatte, natürlich nachdem ihr die Giftzähne ausgebrochen worden waren. Allerdings waren mir wirklich kaum je, auch in Afrika nicht, so viele Giftschlangen untergekommen, als gerade auf den Bissagosinseln und dem angrenzenden Festlande.
Als nun das raschelnde Schleichen in der Nacht nicht aufhören wollte, schlug ich gegen die Zeltwand, worauf das Geräusch augenblicklich verstummte. Kaum war ich wieder eingeschlafen, so setzte das Streichen wieder ein, und abermals weckte mich meine Frau, in der sicheren Überzeugung, daß es sich um eine Schlange handle, die den Eingang ins Zelt suche. Meine Versicherung, daß uns das dicht schließende Moskitonetz ausreichenden Schutz gewähre, hatte nicht den gewünschten Erfolg. So schüttelte ich denn unwillig nochmals die Zeltwand, worauf das Geräusch wieder aussetzte, um aber nach kurzer Pause von neuem wieder hörbar zu werden. Nun stand ich auf und machte Licht. Es war aber nichts zu entdecken. Ich öffnete das Moskitonetz und schritt die Umgebung des Zeltes ab. Vergebens. Kaum aber lag ich im Bett, als auch das feine Rauschen und Streichen wieder begann, das tatsächlich dem Kriechen eines Reptils glich, welches leise seinen Weg der Zeltbahn entlang sucht. Nun rief ich Professor Struck zu Hilfe, mit der Bitte, die Außenseite des Zeltes mit der Laterne abzuleuchten, während ich im Zelt blieb, um besser beobachten zu können, wo das Tier sich versteckt hielt. Auch Professor Struck aber blieb der unwillkommene Störenfried verborgen. Ich war nun selbst ganz wach geworden und mit mir meine Neugierde. Mit verdunkelter Blendlaterne stellte ich mich vor dem Zelte auf und ließ mir das Wiederertönen des Geräusches von meiner Frau melden. Fünf Minuten – zehn Minuten vergingen, die ich lautlos in abwartender Stellung verbrachte, und schon beschloß ich in mein Bett zurückzukehren und alle Schlangen Afrikas am Leben zu lassen, als der Ruf meiner Frau »Da ist es wieder« mich aufschreckte. Ein Lichtkegel überflutete die Zeltwand, und nun entdeckte ich auf ihr tatsächlich den Bösewicht: Ein winziges, grillenartiges Insekt lief zwischen dem Zeltdach und dem darübergespannten Sonnendach eilig hin und her und flüchtete bei jedem Geräusch in eine Falte. Sichtlich enttäuscht, doch sehr erleichtert, gab sich nun endlich auch meine Frau der wohlverdienten Ruhe hin.