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Schon in den Hafenstädten waren mir, im Besitz von Soldaten, Bidyogoplastiken vor Augen gekommen, die mich überraschten. Tatsächlich fanden wir nun Holzschnitzereien aus früherer Zeit, die sich mit den Erzeugnissen unseres modernsten Kunstgewerbes messen können.
Auch hier aber konnten wir die Beobachtung machen, daß der Zusammenbruch eines Volkes sich am schnellsten auf künstlerischem Gebiete auswirkt. Die hochentwickelte Kunstfertigkeit, mit der die Plastiken vor hundert Jahren aus termitensicherem Eichenholz geschnitzt worden sind, ist fast gänzlich verlorengegangen. Die Katastrophe, die über den Stamm hereinbrach, hat die künstlerische Entwicklung des Volkes in ihrer Blüte geknickt. Zur Ausübung jeder Kunst gehört vor allen Dingen Muße zu sorglosem Schaffen. Diese fehlt heute den armen gequälten Menschen, die alle Kraft daransetzen müssen, ihr dürftiges Leben zu fristen. Kunstvolle Schnitzereien zu rituellen Zwecken, etwa Seelenfiguren, werden fast nicht mehr geschaffen. Ja selbst zum Schnitzen der außerordentlich schönen Ziergeräte, mit denen die Männer ihre Frauen und Mädchen beschenkten, um deren Gunst zu erringen, fehlt heute die nötige Zeit und Ruhe. Die alten wundervollen Arbeiten aber sind fast alle während der Plünderungen durch die schwarzen Soldaten verschwunden oder den unzähligen Feuersbrünsten zum Opfer gefallen. Furchtbare Pockenepidemien, die die Bevölkerung der Bissagosinseln heimsuchten, rafften die alten Künstler dahin, bevor der junge Nachwuchs sich die überlieferte Arbeitsweise zu eigen machen konnte. Auch ein anderer Umstand wirkte sich aufs schädlichste aus. Die portugiesischen Beamten, die Gefallen an den Schnitzereien gefunden hatten, gaben den Eingeborenen den Auftrag, ihnen solche zu verschaffen. Die Auftraggeber hatten wenig Verständnis für den künstlerischen Wert der Dinge. Ihnen kam es darauf an, möglichst viel in kurzer Zeit zu erlangen. Auch überließen sie die Wahl der Motive nicht dem sicheren Gefühl der Eingeborenen, sondern verlangten die Ausführung von Gegenständen, die ihrer Meinung nach sich dazu eigneten, Schränke und Kamine der heimatlichen Wohnung zu zieren. Sie zogen es vor, von den Eingeborenen Dinge nachbilden zu lassen, die diese bei den Europäern gesehen hatten. So entstanden Männchen mit Tropenhelmen, kleine Dampfer aus Holz, Soldaten mit geschultertem Gewehr und ähnliches. Die roh geschnitzten Plastiken wurden mit Brandmalerei verziert, was das mühevolle Schnitzen der feinen Details ersparte, auf die die neuen Käufer kein Gewicht legten.
So kommt es, daß die Dinge, die heute als Bidyogoplastiken gelten, zum größten Teil völlig minderwertig sind. Nur schöne, mit alten Mustern und Darstellungen verzierte Kürbisschalen sind noch häufiger anzutreffen, da solche das Interesse der Europäer nicht erwecken. Die alte Zeit der Kunstblüte ist aber jedenfalls unwiederbringlich vorbei, und eine Volkskunst, die jener der meistgenannten afrikanischen Kulturen in keiner Weise nachstand, ist endgültig zerstört!
Auf die künstlerische Ausschmückung ihrer Häuser scheinen die Bidyogo auf Orango keinen großen Wert zu legen. Ob sie vielleicht in früheren Zeiten, wie noch heute die Bewohner mancher anderen Inseln, die Lehmmauern mit Malereien verzierten, konnte ich nicht feststellen. Jedenfalls sind die heutigen Häuser schmucklos und sehen recht vernachlässigt und verfallen aus.