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Die Insel Formosa und ihr weißer Herrscher

Wir segelten weiter nach Norden, der Insel Formosa entgegen. Es war die letzte Insel der Bissagosgruppe, die wir erforschen wollten. Eine drückende Hitze, begleitet von totaler Flaute, ließ unsere Segel erschlaffen. Es war begreiflich, daß meine Frau das heftige Verlangen verspürte, im Meer Abkühlung zu suchen. Über meinen Hinweis auf die Haifischgefahr ging sie hinweg, indem sie mir entgegenhielt, daß wir schon seit mehreren Tagen keinen derartigen Raubfisch gesichtet hätten. Bevor mir noch die entsprechende Erwiderung einfiel, verschwand sie mit einem Kopfsprung im Wasser und schwamm prustend und lachend neben der Binar dahin. Das Lachen aber fand rasch ein Ende, denn plötzlich sahen wir die mächtige Rückenflosse eines Haies in nicht allzu großer Entfernung vorüberziehen. Dieser Anblick versetzte meine Frau in einen derartigen Schrecken, daß sie, wie gelähmt, fast nicht imstande war, sich über Wasser zu halten, und es uns mit Aufbietung aller Kräfte gerade noch gelang, sie über Bord zu heben. Immerhin hatte dieses Abenteuer das Gute, daß ihr Glaube an mich für einige Zeit wiederhergestellt war!

Im Südosten der Insel Formosa liegt das Dorf Abu. In seiner Nähe sollte sich ein portugiesischer Fiskalsitz befinden, dem wir zuerst einen Besuch abzustatten beschlossen. Dies war aber »leichter gedacht als getan«. Dem flachen, sumpfigen Ufer fehlte es an jeder Hafenanlage. So kam es, daß wir weit draußen ankern mußten. Das seichte Wattmeer lag bei Tiefebbe kilometerweit als zäher Morast vor uns. Wir wollten uns aber dadurch nicht abhalten lassen, das Waten hatten wir ja bereits gelernt.

Professor Struck jedoch zog, eingedenk der Erlebnisse auf Urakan, eine abwartende Haltung vor. Lachend rühmte er, als er sah, daß meine Frau und ich uns die Füße an den scharfen Muscheln wund schnitten, unsere jugendliche Tatkraft, die es nicht abzuwarten erlaubt hatte, bis die auflaufende Flut eine günstigere Annäherung ermöglicht hätte.

Wir lernten in dem Fiskal einen älteren, sehr gebildeten Portugiesen aus bester Gesellschaft kennen, der uns gastfreundlich bewirtete. Im Verlauf unseres Zusammenseins wurde es uns klar, warum er als älterer Mann den untergeordneten Posten eines Fiskals bekleidete. Als Angehöriger einer alten, adeligen Familie war er überzeugter Monarchist und konnte sich mit dem republikanischen Regime nicht befreunden. Da er offensichtlich die Gewohnheit hatte, aus seiner Meinung keinen Hehl zu machen, zog er die Konsequenz und ging nach Afrika. Von seiner Frau getrennt, widmete er sich mit Aufopferung den Obliegenheiten seines Dienstes und gab sich die größte Mühe, diese mit dem Wohlergehen der Eingeborenen in Übereinstimmung zu bringen. So hatte er sich, ich möchte fast sagen, ein kleines Königreich eingerichtet, in dem aber ein geradezu patriarchalisches Verhältnis zwischen ihm und seinen Schützlingen herrschte. Die schwarzen Gendarmen, denen die Bewachung der Station oblag, hielt er energisch vor Übergriffen zurück und vermied nach bestem Können Handlungen, die der Mentalität der Bidyogo nicht entsprachen.

Im Verkehr mit diesem Manne kam die Sprache oft auf die Sitten der Eingeborenen, wobei mir einmal auffiel, daß eine seiner Beobachtungen mit der Feststellung, die ich gemacht hatte, in Widerspruch stand. Weder er noch ich wollten der Ansicht des anderen beistimmen, so daß wir beschlossen, unsere Gewährsleute zu konfrontieren. Ich ließ den Dorfhäuptling rufen, und er befahl einen Gendarmen vom Stamme der Fula zu sich, der seinen Angaben nach genau Bescheid wußte. Der Fula hatte behauptet, daß die Bidyogo nicht an eine Seele im Körper der Menschen glaubten, auch habe er nie etwas von einem auferstandenen Toten gehört, der imstande sei, sich zu rächen. Mir hatte aber der Häuptling berichtet, daß der Glaube der Bewohner von Formosa mit dem auf der Insel Karasch übereinstimme. Es war nun für mich sehr interessant zu beobachten, wie energisch der Häuptling an seiner Angabe festhielt und wie er sich auch nicht von den in drohendem Tone gestellten Suggestivfragen des Schwarzen beirren ließ. Ich konnte mir bei dieser Gelegenheit nicht nur von der Wahrheitsliebe der Bidyogo ein gutes Bild machen, sondern lernte auch die Berichte mancher Kolonialbeamten einschätzen, denen, obwohl sie jahrelang in Verbindung mit den Eingeborenen stehen, deren Lebensgewohnheiten verborgen bleiben. Hier freilich, bei unserem Freunde, handelte es sich nur um einen Einzelfall.

 

Während der nächsten Tage ging unsere Arbeit recht befriedigend vonstatten. Die Eingeborenen gaben uns willig Auskunft, und Professor Struck war es möglich, an einer ganzen Reihe von Männern anthropologische Messungen vorzunehmen, während meine Frau die Grundrisse der Hütten aufnahm. Obzwar die Verwaltung der Insel, wie gesagt, heute nichts zu wünschen übrigläßt, stehen doch die zahlreichen Dörfer zur Hälfte leer, und der Bauzustand der Häuser ist sehr schlecht. Offenbar hatte der größte Teil der Bewohner die fruchtbare, ehemals dicht bevölkerte Insel bereits vor dem Beginn dieses freundlichen Regimes verlassen.

Als wir eines Tages Akunu, ein Dorf nordwestlich der Station Abu, besuchten, wurde mir dort auf meine Frage nach dem Fetischtempel die ausweichende Antwort erteilt, er sei vor einigen Jahren einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen. So machte ich mich daran, die verfallenen Häuser der Reihe nach selbst zu untersuchen.

Ein kleines unscheinbares Haus wich in der Bauart ein wenig von den anderen ab. Die Tür war nur angelehnt, sie gab schon leichtem Druck nach. Es war tatsächlich das Fetischhaus, das ich hier gefunden hatte! Der erste Eindruck war außerordentlich stark. Zwei große, seltsame Fetische in der Mitte des Raumes zogen die Blicke auf sich. Der eine, in sitzender Stellung, war mitsamt seinem verzierten und rot bemalten Sitz aus einem Stück härtesten Holzes herausgeschnitzt. Die menschliche Gestalt des Fetisch trug auf dem Kopf, ebenfalls aus Holz geschnitzt, eine Kopfbedeckung in Form eines Zylinders. Der Fetisch war also vermutlich zu einer Zeit entstanden, da die schwarzen Könige und Häuptlinge europäische Zylinder, die ihnen von Europäern, wie ich wußte, in einer bestimmten Zeitperiode mit Vorliebe verehrt worden waren, als besonderes Zeichen ihrer Würde trugen. Das war vor etwa achtzig Jahren, und so alt dürfte auch dieser Fetisch gewesen sein. Nicht weniger interessant war aber die zweite Figur, ein Engelskopf, kunstvoll aus Eiche geschnitzt, der ehemals den Bug eines Kriegsschiffes geschmückt hatte und noch an seiner Vorderseite das alte portugiesische Wappen trug. Die Eingeborenen hatten dem Engel, ebenso wie ihrem eigenen Fetisch, einen durchbrochenen Halsschmuck aus Gelbguß angelegt und brachten nun dieser vermutlich vor langer Zeit erbeuteten Galionsfigur Palmwein und Hühner zum Opfer dar, wie wir aus den vielen Überresten, die auf dem Boden lagen, entnehmen konnten.

Wie kam wohl dieser Engelskopf in die Hütte? Hatten die Bidyogo tapfer und tollkühn das Schiff, dessen Bug er geziert hatte, im offenen Kampfe zu überwinden vermocht, oder war ihnen die alte Fregatte durch Überrumplung zum Opfer gefallen, oder – und das schien mir das wahrscheinlichste – war das schwer zu steuernde, bauchige Schiff auf die Riffe geraten und hatten seine Insassen den Tod in den Wellen gefunden? Waren hier etwa Zusammenhänge zu finden mit den Kanonenrohren, deren Verwendung als Ziersäulen im Hause der Königin Pampa auf der Insel Orango Grande mich so überrascht hatte? Es gibt keine Quelle, die darüber Aufschluß geben könnte.

Auch sonst bot das Innere des Tempels noch mancherlei Sehenswertes. Wir fanden dort neuartige Amulette, die nur in ihrer äußeren Form mit jenen im Fetischtempel von Bijante auf der Insel Bubaque übereinstimmten. Sie waren aus Flechtwerk verfertigt, trugen einen Kern aus Lehm in ihrem Innern und endigten in zwei kleinen Holzhörnchen. Da niemand in der Nähe war, konnte ich mich nicht nach der Bedeutung dieser Amulette erkundigen, doch liegt die Vermutung nahe, daß sie nicht anders als die auf Bubaque verwendet werden. Eine Reihe von alten Seelenfiguren war in der Hütte aufgestellt, einige aus ältester Zeit in Kegelform, wie wir sie auf der Insel Karasch gefunden hatten, lagen auf dem Boden. An Opfergefäßen und Speichern aus Lehm, für die Aufnahme von Getreide bestimmt, fehlte es nicht. Allerdings waren alle leer.

Ich machte einige Blitzlichtaufnahmen, bevor noch die Dorfbewohner mein Eindringen in den Tempel wahrgenommen hatten. Doch legten sie auch später diesem Umstand wenig Bedeutung bei.


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