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Eines Tages erschien ein alter Mann in unserem Lager. Es war Dschove Amangi, der König der Insel Karasch. Er hatte wohl schon erfahren, daß wir nicht feindlich gesinnt seien, und kam uns freundlich entgegen; was er uns in vertraulichem Tone berichtete, enthielt nicht viel Erfreuliches. Es war immer das gleiche traurige Lied. Er klagte über die schwarzen Postenkommandanten, deren zwei die Insel in grausamster Weise bedrückten. Daß seine Beschwerden begründet waren, fanden wir in der Folge nur allzuoft bestätigt.
König Amangi machte einen müden, niedergedrückten Eindruck. Die meisten seiner nächsten Angehörigen seien der schrecklichen Blatternepidemie zum Opfer gefallen. Der Gesundheitszustand auf Karasch lasse viel zu wünschen übrig, eine Tatsache, die auch uns nicht entgangen war. Hatten wir doch in allen Dörfern Eingeborene angetroffen, deren Leib oder Kopf mit grünen Blättern umwunden war. Da wir erfahren hatten, daß nur diejenigen solche Blätter trugen, die von einer Krankheit befallen waren, vermieden mir möglichst ein Zusammentreffen mit diesen Unglücklichen, da man stets die Übertragung einer bösartigen Tropenkrankheit befürchten mußte.
Durch das Entgegenkommen des Königs ermutigt, lenkte ich das Gespräch auch hier vorsichtig auf kultische Dinge.
Während die Gebräuche auf Karasch meist mit denen auf Orango Grande übereinstimmten, ergaben sich auf religiösem Gebiete Abweichungen. So ist es z. B. auf Karasch geboten, nach dem Tode eines jeden Menschen eine Seelenfigur neben dem Fetisch des Hauses aufzustellen. Die mächtigen Fetische der Dorfhäuptlinge, welche zugleich Priester sind, unterstehen alle dem Fetisch des Oberpriesters und Königs. Es finden sich jedoch auch in anderen Häusern sogenannte Fetischecken, in denen die Seelenfiguren aufgestellt werden und wo der Familienvater seinem Fetisch Opfer darbringt. Die Hüttengräber liegen zumeist in dieser Ecke des Wohnraumes.
Da die Bevölkerungszahl außerordentlich rasch abnimmt, sind zahlreiche Seelenfiguren vorhanden, die sich von Generation zu Generation weitervererben und wieder verwendet werden, sobald die Seele des früher Verschiedenen gestorben ist. Die Lebensdauer einer Seele sei verschieden, meinte der König; im allgemeinen könne man aber annehmen, daß sie so lange fortbestehe, als Menschen am Leben seien, die den betreffenden Toten noch gekannt hatten. Daß dieser Kult nur sichtbar zum Ausdruck bringt, was auch wir in unserem Innern empfinden, scheint mir unbezweifelbar. Denn auch für unser Gefühl stirbt der Mensch eines zweifachen Todes, einmal, wenn er zu Grabe getragen wird, und ein zweites Mal, und das ist für meine Vorstellung der schmerzlichere Tod, wenn auch die Menschen, die sich seiner in Liebe erinnerten, nicht mehr sind.
»Außer der Seele«, berichtete der König weiter, »lebt auch der Körper nach dem Tode fort.« Sobald der Grabhügel einfällt, ist das ein Zeichen dafür, daß auch der Körper das Grab verlassen hat und als Ojinja von nun an die Macht hat, sich an seinen Feinden zu rächen.
Wie die äußere Erscheinung eines solchen Ojinja sei und ob er einem Menschen ähnle, das wußte der König nicht anzugeben, er wiederholte nur mehrere Male, daß er äußerst gefährlich wäre und daß oft sein bloßer Anblick schon Menschen getötet habe. Man müsse sich ganz besonders davor hüten, ihm im Busch allein zu begegnen.
»Aber nicht nur dieser Ojinja ist gefährlich, auch die Seele kann, und sogar den Mitgliedern der eigenen Familie, Unheil bringen. Wir bieten ihr daher jeden Tag Palmwein als Opfer dar, den sie ja auch bei Lebzeiten so gern getrunken hat.« Ich erkundigte mich, aus welchem Anlaß wohl die Seele den eigenen Familienangehörigen Ungelegenheiten bereiten könne, und erfuhr, daß es z. B. von dieser sehr übel vermerkt werde, wenn man verabsäume, einen Sitz in der Nähe des Fetisch für sie bereitzustellen, da sie dann nicht wisse, wo sie sich aufzuhalten habe.
»Auch die Fetische verlangen natürlich ihre regelmäßigen Opfer, am meisten der Königsfetisch, dem man früher Schweine und Rinder opferte. Die Zeiten haben sich aber geändert. Schweine und Rinder haben uns die Soldaten genommen, da muß auch mein Fetisch einsehen, daß ich ihm nicht geben kann, was ich selbst nicht besitze. Und doch«, fügte der König seufzend hinzu, »sind solche Opfer der einzige Schutz, wenn man Grund hat, sich vor dem Ojinja des verstorbenen Feindes zu fürchten.«
Manchmal gab dieser Gewährsmann selbst lustige Geschichten zum besten. So besaßen nach seinen Erzählungen die Einwohner von Karisch und von Karavela auch in der Zeit vor der Besetzung durch die Portugiesen keine Schifffahrt. Eine kleine Erzählung sollte uns diesen Mangel aufklären, denn es war diesen Insulanern keineswegs verborgen geblieben, daß ihre Nachbarn auf den anderen Inseln mit Einbäumen das Meer recht gut befahren konnten.
Der König, der in Begleitung von zwei Leuten seines Gefolges in unserem Lager erschienen war, hatte sich in unserer Hütte niedergelassen, während ein strahlender Sonnenuntergang in den unwahrscheinlichsten Farben, wie man sie bei uns auf billigen Ansichtskarten zu sehen gewohnt ist, das ganze Firmament in gelb, blau und tiefviolett tauchte. Die Sonne erreichte eben den Horizont, als der König langsam seine Erzählung begann: »Vor langer, langer Zeit beschlossen die Männer meines Volkes, gemeinsam einen riesigen Einbaum aus dem Stamme eines mächtigen Baumwollbaumes zu schneiden. Sie arbeiteten ohne Unterlaß viele Tage. Sie behauten den Stamm und höhlten ihn aus. Der Tag kam heran, an dem das riesige Fahrzeug ins Wasser gebracht wurde, und groß war die Freude aller, als sie sahen, daß das Wasser das Fahrzeug trug und daß das wilde Meer tatsächlich damit bezwungen werden konnte. Voll bemannt, mit den auserlesensten Männern des Stammes, trat es seine erste Fahrt an. Doch als es mitten auf dem großen Wasser schwamm, verschlang die wilde Flut das Boot mit allen Insassen. Das war ein Wehklagen auf der Insel! Fast jeder betrauerte den Tod eines nahen Anverwandten. Nun beschlossen alle Hinterbliebenen, das tückische Element zu bestrafen. Wie anders aber konnte man dem Wasser beikommen, als mit Feuer? So schleppte denn groß und klein eine Unzahl von Feuerbränden herbei und bewarf damit das verräterische Meer. Als die Brände zischend erloschen, jubelten alle laut auf, denn sie glaubten den Klagelaut des schmerzbewegten Meeres mit eigenen Ohren vernommen zu haben.« Bei den letzten Worten umspielte ein feines Lächeln die Lippen des Erzählers, und als er nun noch hinzufügte, daß die Einwohner der beiden Inseln Karasch und Karavela sich gegenseitig diese Tat zuschrieben, konnte er sich nicht enthalten, laut aufzulachen.
Dann kam er auf die Nachbarinsel Karavela zu sprechen. Auch dort hatte ein König, Arima Tuguan mit Namen, in seiner Residenz Bote zur allgemeinen Zufriedenheit seiner Untertanen geherrscht, bis er eines Tages sich den schwarzen Soldaten unterwerfen mußte. Heute sei Bote sogar Sitz eines Fiskals, der die Rechte der Bidyogo stark beeinträchtige. Auf Karavela hat übrigens auch König Amangi Besitz an Grund und Boden, den er regelmäßig von seinen Leuten bearbeiten läßt.