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Der Frauenstaat von Orango Grande

Wir besuchten häufig Etikoka und erreichten bereits nach einigen Tagen, daß die Eingeborenen nicht mehr vor uns flohen, ja sogar Frauen ins Lager kamen, um uns Lebensmittel zum Kauf anzubieten. Dabei war es auffallend, daß niemals der Versuch gemacht wurde, uns zu überhalten. Andererseits aber hatten wir auch nicht die Absicht, die Preise zu drücken. Erschien uns die verlangte Summe einmal zu hoch, so nahm die Frau ihre Kostbarkeit unter den Arm und verschwand ohne ein Wort der Erwiderung.

Sehr vertraut mit uns wurden bald die Kinder, mit denen sich meine Frau besonders anfreundete. Acht- bis zehnjährige, splitternackte Knaben brachten uns kleine Tiere, die sie, überraschend geschickt, selbst aus Lehm geformt hatten. Diesen kleinen Künstlern war die Gabe der Naturbeobachtung in hohem Maße eigen. Ihre Flußpferde oder Rinder unterschieden sich kaum von den Arbeiten unserer modernen Keramik. Nur bei einer Sorte von Tieren aber fand ich mich nicht sogleich zurecht. Der Körper schien der eines Hundes zu sein, die Ohren erinnerten an die einer Ratte, der Kopf war dem eines Pferdes nachgebildet. Ein rüsselartiger Fortsatz auf der Stirn aber löste das Rätsel: Es waren Elefanten gemeint! Ob nun die Vorfahren der Bewohner von Orango vor ihrer Einwanderung auf die Inseln solche Tiere kennengelernt hatten oder ob sich vielleicht vor einigen Jahrhunderten diese Dickhäuter noch auf einigen Bissagosinseln aufhielten, konnte ich nicht feststellen; sicher ist, daß die Einwohner von Orango seit vielen Generationen keine Elefanten mehr gesehen haben. Die Erinnerung an sie wurde nur mündlich überliefert. Daher statteten die Kinder diese Fabelwesen mit Merkmalen aus, die ihnen ihre Eltern als besonders auffallend geschildert hatten. Der Rüssel erschien natürlich als das wesentlichste, und da der Elefant mit diesem Organ dem Vernehmen nach greifen konnte, ließ der kleine Künstler es in eine Hand mit ausgeprägten Fingern ausgehen. An welcher Stelle des Kopfes der Ansatz des Rüssels war, wußten die Kleinen natürlich ebensowenig, als sie von der tatsächlichen Beschaffenheit von Ohren, Hals und Kopf des Dickhäuters eine Ahnung hatten.

Ein kleiner Spaßvogel hatte mich als Vorbild auserkoren, und richtig unterschied sich meine lange und spitze Nase unter einem winzigen Tropenhelm ganz wesentlich von der ausgeprägten Stumpfnase eines rinderreitenden Eingeborenen!

So viele lustige Kinder wie hier hatte ich noch nie beisammen gesehen. Diese Jungen waren so übermütig, ihre Körper so elastisch und biegsam, wenn sie sich im Sande balgten, um die Wette liefen oder sich auf die heranrollenden Wogen warfen, daß es ein Genuß war, ihnen zuzuschauen. Dabei schrien sie um die Wette, erfüllt von der Schönheit des Lebens und der sie umgebenden Natur.

Auch die Herzen der Frauen und Mädchen waren bald gewonnen. Hierfür sorgte vor allem die prächtige Erscheinung von Takr, der es sich angelegen sein ließ, ihnen sowohl während des Tages als auch nachts seine liebevollen Absichten zu beweisen. Der Zauber, den das schwache Geschlecht auf ihn ausübte, war leicht zu verstehen, denn die Frauen sind auf Orango gut geraten! Auf einem ebenmäßigen Körper ruht zumeist ein auch für europäische Begriffe wohlgeformter Kopf mit anziehenden Gesichtszügen. Ein quer über dem Gesäß getragener kurzer Fransenschurz läßt die Reize der koketten Trägerinnen sehr zur Geltung kommen, und die kunstvolle Frisur aus ins Haar gekneteten, mit Palmöl angefeuchteten roten Lehmknötchen paßt ausgezeichnet zu ihrer ganzen Erscheinung.

In den durchbohrten Ohrmuscheln tragen die Frauen große Schmuckringe aus verschiedenem Metall, Brust, Bauch und Rücken sind bei den meisten Mädchen mit kunstvollen Punkt- oder Strichtatauierungen verziert.

Die älteren Frauen verhüllen sich klugerweise. Außer dem Schurz, den auch sie wie ihre jüngeren Geschlechtsgenossinnen tragen, bedeckt ein zweiter Fransenschurz die welken Brüste, ein dritter wird bisweilen noch über die Hüfte geschlungen, wenn die Frauen nicht gerade mit einer Arbeit beschäftigt sind.

Hier und da sahen wir Mädchen, die eigenartig geschnitzte Holzpuppen mit gespreizten Beinen auf den Hüften trugen. Es war uns berichtet worden, daß junge Mütter, die den Verlust eines Kindes betrauern und sich nach einem anderen sehnen, solche Puppen trügen. Hier stimmte das anscheinend nicht, da die kleinen Mädchen, die diese Puppen zärtlich auf den Hüften wiegten, in den seltensten Fällen schon die Reifezeremonien mitgemacht hatten. Tatsächlich versicherten mir auch einige immer wieder, es seien ihre Spielpuppen, mit denen sie auch zu tanzen pflegten.

Der Ausdruck »schwaches Geschlecht« paßt übrigens auf die weiblichen Bewohner von Orango in keiner Weise. Ich erfuhr bald, daß hier weitgehend Mutterrecht herrscht. Hier wählt das Mädchen den Mann, es gibt keine Mauerblümchen, die unbeachtet vertrocknen müssen, wenn sie von den Herren der Schöpfung nicht für begehrenswert erachtet werden. Im Gegenteil! Kaum ist das junge Mädchen geschlechtsreif geworden und hat die Aufnahme in den Stamm, die alle zehn Jahre gefeiert wird, mitgemacht, kaum ist es also volljährig geworden, so stellt es vor das Haus seines Auserwählten eine Schüssel mit Reis. Nimmt dieser die auf solche Art vorgebrachte Werbung des Mädchens an, so bekundet er das auf die denkbar einfachste Art: Er verspeist den Reis und verbringt eine Probenacht mit dem Mädchen. Findet dieses nun weiter Gefallen an dem Gefährten, so wiederholt sich die Zeremonie mit der Reisschüssel. Dann erst zieht der Auserwählte in das Haus des Mädchens, das dieses in fürsorglicher Weise selbst erbaut hat, und das Paar gilt als verheiratet, bis – die Ehegattin eines Tages die Habseligkeiten ihres Mannes vor das Haus legt und damit eindeutig kundtut, daß sie nicht mehr gewillt sei, das Joch der ehelichen Gemeinschaft länger zu tragen. Die Kinder verbleiben in diesem Falle allerdings meist dem Manne.

Steht es also jederzeit im Belieben der Frau, sich von ihrem Manne zu trennen, so fehlt den Männern ein derartiges Recht völlig. Wehe aber dem Manne, der es wagt, die Werbung eines liebenden Mädchens auszuschlagen! Hier fühlt das weibliche Geschlecht der ganzen Insel solidarisch. Eine Zurückweisung wird wohl noch unmutig hingenommen; lehnt der Freche aber ein zweites Mal eine Werbung ab, so muß er auswandern, falls es ihn gelüsten sollte, zu heiraten, denn auf Orango Grande wird er keine Schöne mehr finden, die ihn eines Blickes würdigt!

Bis zu den Reifezeremonien haben sich die Mädchen des Geschlechtsverkehrs zu enthalten. Dieses Gebot übertreten sie nicht, denn sie sind überzeugt, daß sie sterben müssen, wenn sie es verletzen. Dafür sind sie nach der Heirat in keiner Weise an eheliche Treue gebunden. Kein Mann würde es wagen, seiner Frau einen Vorwurf zu machen, wenn sie es vorzieht, die Nacht mit einem Freunde zuzubringen, denn am nächsten Morgen schon fände er seine Habseligkeiten vor der Tür seines Hauses. Demselben Schicksal verfiele er auch unweigerlich, wenn die erzürnte Gemahlin ihn bei einer Untreue ertappen würde, denn der Mann ist zu ehelicher Treue verpflichtet.

Diese Rechte tragen bei den Frauen in hohem Maße zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit bei, während die Männer, soweit ich das beobachten konnte, zumeist eine geradezu kindliche Schüchternheit dem anderen Geschlecht gegenüber an den Tag legen.

Bei den meisten Eingeborenenstämmen konnten wir die Beobachtung machen, daß die Mädchen und die hübschen jungen Frauen solange versteckt gehalten wurden, bis die Männer sich von der Harmlosigkeit unserer Expedition überzeugt hatten. Ja man konnte sogar aus der Abwesenheit des weiblichen Teiles der Bevölkerung mit ziemlicher Sicherheit auf eine feindselige Absicht der Eingeborenen schließen. Von der Gegenwart meiner Frau in unserem Lager hatte ich daher bei den Eingeborenen die rasche Überwindung ihres Mißtrauens erwartet. Ich hatte damit gerechnet, daß die Eingeborenen umgekehrt aus der Anwesenheit einer weißen Frau auf unsere friedlichen Absichten schließen würden und mich bisher auch nicht getäuscht.

Doch auf Orango lagen die Dinge anders: Hier waren die Frauen der unternehmende Teil der Bevölkerung. Sie nahmen den Verkehr mit uns auf, indem sie uns Kleinigkeiten zum Kauf anboten. Sie stritten sich mit unseren Burschen herum, sie besuchten uns bald gemeinschaftlich in unserem Lager, betrachteten neugierig und belustigt uns Menschen einer fremden Welt und erkundigten sich nach unserem Tun und Lassen. Zu meinem Schmerz aber ließ sich nur selten die eine oder die andere herbei, mir Rede und Antwort zu stehen.

Obwohl es sich bald herausgestellt hatte, daß mehr Männer in Etikoka waren, als es am ersten Tag den Anschein hatte, hielten sich diese völlig abseits und vermieden es absichtlich, mit uns in Berührung zu kommen.

Forderte ich einen auf, bei uns Platz zu nehmen und einiges aus seinem Leben zu erzählen, so hatte er gewiß eben jetzt Dringendes zu tun und verschwand mit dem Versprechen, sofort wiederzukommen, an dessen Erfüllung er aber nicht im Entferntesten dachte. Hatte man aber einmal ein Gespräch glücklich in Gang gebracht und ließ sich verführen, einen Augenblick nur die Aufmerksamkeit von dem Partner abzuwenden, so war dieser regelmäßig wie vom Erdboden verschwunden. Da nützten weder schöne Worte noch Tabak oder Geld.

Behielt ich jedoch meinen Mann im Auge, so daß er nicht entwischen konnte, dann verweigerte er fast immer die Antwort. Das wurde auf eine Art gemacht, gegen die ich mich machtlos fühlte. Gelogen wurde niemals. Aber die jungen Burschen setzten mir treuherzig auseinander, daß sie noch zu jung seien, um meine Fragen beantworten zu können und daß sie alles erst in der Buschschule lernen würden. Die Alten wieder redeten sich auf ihre Stammesbrüder aus und behaupteten, sie seien zum Schweigen verpflichtet.

Daß unter diesen Umständen nicht daran zu denken war, anthropologische »Meßlinge« für Professor Struck zu finden, war leider nur zu offensichtlich. Weigerten sich doch oft selbst Eingeborene, mit denen wir auf vertrautestem Fuße standen, sich den Messungen zu unterziehen, da sie fürchteten, verzaubert zu werden.

Nicht besser erging es mir mit dem Photographieren. Kaum bemerkten die Frauen, daß ich sie beobachtete, oder gar, daß ich den gefürchteten Zauberkasten bei mir trug, so ergriffen sie augenblicklich die Flucht oder versteckten sich hinter ihren großen Körben. Da wußte ich mir allerdings zu helfen! Ich veranlaßte Takr, die Eingeborenen, die ich aufnehmen wollte, in ein angeregtes Gespräch zu verwickeln, während ich mit dem Teleobjektiv die Aufnahmen machte, ohne daß die Opfer auch nur eine Ahnung davon hatten, daß sie das Ziel meines Apparates gewesen waren.


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