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Der Großhäuptling von Unyokum

Eines Tages lernten wir den greisen Großhäuptling von Unyokum kennen. War ich schon, was die Zugänglichkeit der Bidyogo anlangte, von Orango her nicht verwöhnt, so übertraf die Verschlossenheit dieses Greises meine schlimmsten Befürchtungen. Vor allem weigerte er sich, ohne die Vermittlung seines eigenen Dolmetsches mit uns zu reden. Dieser Dolmetsch, ein seltsamer Zwerg, verstand kaum Kreol. Trotzdem mußte Takr, der auch die Bidyogosprache dieser Insel völlig beherrschte, meine Rede ins Kreol übersetzen und ruhig mitanhören, wie der Dolmetsch den Sinn verdrehte, wenn er meine Worte dem Großhäuptling verständlich zu machen suchte. Wiederholt ließ er sich nicht davon abhalten, die Übersetzung zu verbessern. Zu guter Letzt stellte sich noch heraus, daß der Großhäuptling selbst wesentlich besser Kreol sprach als sein Dolmetsch, daß er aber der Ansicht war, es sei der Würde eines großen Häuptlings angemessen, mit Fremden durch einen Dolmetsch zu verkehren.

Alle meine Bemühungen schienen schon an der geradezu steinernen Ablehnung des alten Mannes zu scheitern, da kam mir plötzlich ein rettender Gedanke: Ich hatte einmal zufällig in der Heimat vernommen, daß das deutsche Unterseeboot, das im Weltkriege die Liberianer zwang, ihre Funkanlage zu demontieren, irgendwo an der westafrikanischen Küste von Eingeborenen verproviantiert worden sei. Der Ort, wo sich dies abgespielt hatte, war mir freilich unbekannt geblieben. In meiner Verzweiflung versuchte ich es nun, durch die Erwähnung dieser Beziehungen zwischen Menschen meiner Sprache und seinem Volke die eisige Kälte des Eingeborenen zu überwinden. »Ich begreife eigentlich nicht, warum ihr uns so feindlich entgegenkommt«, ließ ich dem Großhäuptling durch Takr sagen. »Vor etwa fünfzehn Regenzeiten haben euch Männer meines Volkes besucht. Ihr habt sie gut aufgenommen und ihnen sogar Lebensmittel verkauft. Meine Landsleute haben mir später so viel von eurer großen Gastfreundschaft erzählt, daß ich mich daraufhin entschlossen habe, euch aufzusuchen. Nun bin ich hier, und ihr verweigert mir jede Antwort auf die belanglosesten Fragen!« Kaum waren diese Worte dem Munde Takrs entwichen, als sich plötzlich die teilnahmslos am Boden hockende Gestalt des Greises straffte und er mit leuchtenden Augen, diesmal ohne die Vermittlung seines Dolmetsches, antwortete: »Was sagst du? Das waren Männer deines Volkes? Die kamen nicht in einem gewöhnlichen Schiff zu uns, ihr Boot tauchte aus dem Meere auf und verschwand wieder unter dem Wasser.« Mit überraschender Lebhaftigkeit bestürmte mich nun der Alte mit Fragen. »Warum brauchten die Männer deines Volkes so viel Lebensmittel? Wächst in eurem Lande denn kein Reis? Ist es wahr, daß die Kühe bei euch so viel Milch geben?« Ich konnte kaum rasch genug die Wißbegierde des alten Mannes befriedigen. Von seinem Dolmetsch war überhaupt nicht mehr die Rede. – Das Eis war gebrochen, und von nun ab war auch für meine ethnographischen Aufnahmen der Weg offen.

Abends nahm ich unsere Seekarten zur Hand. Die bündigen Worte »Riffe und Klippen, jede Annäherung gefährlich« umgaben in weitem Halbkreis die Westküste der Bissagosinseln. Ich sah von der Karte auf und gegen Westen. So weit das Auge reichte, jagten haushohe Brecher donnernd über verborgene Riffe dahin. Es mußten Männer mit Nerven aus Stahl gewesen sein, die es verstanden hatten, mit einem Unterseeboot diese todbringenden Klippen zu durchqueren.

Aus dem Munde des Großhäuptlings erfuhren wir, daß die Inseln Unyokum und Etjinar, wie die Bidyogo die kleinere Insel Unyokum nennen, ursprünglich im Besitz von Orango Grande gewesen seien. Anfangs hatten nur wenig Menschen die Insel bewohnt. Dann seien von Orango Grande Leute gekommen, um hier Früchte und Palmkerne zu sammeln. Ein Teil dieser Leute fand Gefallen an der kleinen Insel, blieb zurück und vermischte sich mit den Ansässigen. Diese mußten aber den Herrschern von Orango Grande alljährlich einen bestimmten Tribut in Lebensmitteln zahlen.

Bis auf wenige kleine Unterschiede stimmen daher die Sitten auf Unyokum mit denen auf Orango Grande überein. Der Großhäuptling besitzt aber ein Recht, das sogar den Königen der Stamminsel verwehrt ist: Ihm ist die freie Wahl seiner Frauen gestattet. Von diesem Vorrecht machen die Häuptlinge auch eifrig Gebrauch; der Greis berichtete, daß er sich im Verlauf seines Lebens fünf Frauen als Gattinnen erwählt habe.

Das Verhalten der Mädchen unterscheidet sich gleichfalls etwas von dem der Mädchen auf Orango. Sobald sie die Jugendweihe mitgemacht haben, dürfen sie sich bis zur Geburt ihres ersten Kindes schrankenlos der Liebe hingeben. Sobald aber das Wochenbett überstanden ist, beginnen sie mit dem Bau eines eigenen Hauses, das sie in Gemeinschaft mit dem Vater des Kindes bewohnen, und werden von nun an als verheiratet angesehen.

Wir konnten auf Unyokum Grande das Vorhandensein von drei Dörfern feststellen. Der Großhäuptling erzählte uns, daß auf Etjinar ein gleichnamiges Dorf liege, das im Gegensatz zu den Dörfern der Nachbarinsel keiner fremden Oberhoheit unterstehe, sondern von einem selbständigen Häuptling, einem seiner Verwandten, beherrscht werde. Die Einwohnerzahl aller Dörfer ist sehr zusammengeschmolzen. Ehemals war Etinakpe, im Westen der Insel, das größte Dorf. Heute sind dort alle Einwohner bis auf die Bewohner eines einzigen Hauses ausgestorben. Egara, das Dorf in der Nähe unseres Lagers, und Engaburo, das im Norden der Insel gelegen ist, sind noch stärker bevölkert. Doch machen auch hier die Eingeborenen einen kranken, verhungerten und verwahrlosten Eindruck, der uns, die wir von der Küste des Festlandes kamen und gewohnt waren, blühende Stämme zu sehen, besonders zu Herzen ging. Von größtem Nachteil für die Einwohner von Unyokum ist es, daß sie infolge der mächtigen Brandung und der Felsküste nicht in der Lage sind, Fischzäune zu errichten und daher auf die kräftige und beliebte Fischnahrung verzichten müssen. Bösartige Blatternepidemien forderten noch vor kurzem viele Opfer. Fast immer, wenn im Gespräch Leute erwähnt wurden, die sich auf kunstvolles Schnitzen verstanden oder sich sonstwie hervorgetan hatten, erhielten wir die Auskunft: »Der ist gestorben, als uns das letztemal die böse Krankheit (es waren die schwarzen Blattern gemeint) heimsuchte.« Überdies schien der schwarze Postenkommandant, der schon längere Zeit vor unserem Eintreffen strafweise seines Amtes enthoben worden war, ein arges Schreckensregiment geführt und den Eingeborenen ihr letztes Vieh geraubt zu haben. Unter diesen Umständen war es wohl erklärlich, daß die armen Teufel uns nicht mit strahlender Liebenswürdigkeit entgegenkamen. Lag doch die Vermutung nahe, daß wir im Auftrage der Kolonialregierung gekommen seien, um rückständige Steuern einzutreiben.


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