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Ein Tanz in Engaburo

Eines Tages erfuhren wir, daß in Engaburo ein Tanz stattfinden sollte, und machten uns auf, diesem beizuwohnen. Der Pfad führte durch herrliche Ölpalmenwälder nach Norden. Als wir in Engaburo eintrafen, fanden wir die Eingeborenen mit den Vorbereitungen zum Fest eifrig beschäftigt. Der Dorfhäuptling schritt uns entgegen und ließ uns Palmwein reichen. Ihm zur Seite ging ein stattlicher Eingeborener, den Takr sofort in einer Mundart, die nicht das Bidyogo war, freudig begrüßte. Es stellte sich heraus, daß dieser Mann sein Bruder war, also ein Pepel, welcher sich als Kaufmann auf der Insel Formosa niedergelassen hatte. Wie wir schon auf Orango erfahren hatten, standen die Pepel im Rufe großer Zauberkünste, und Takrs Bruder galt als ein besonderer Fachmann auf diesem Gebiete und war weit über die Grenzen der Insel Formosa hinaus bei den Bidyogo bekannt. Als nun auf Unyokum die Blattern wüteten und sich der Großhäuptling in seiner Eigenschaft als Oberpriester, dessen Aufgabe es gewesen wäre, die Epidemie zu bekämpfen, der Krankheit gegenüber machtlos fühlte, sandte er Boten nach Formosa, um den Pepel um seinen Beistand zu bitten. Der zauberkundige Kaufmann traf unverzüglich auf Unyokum ein. Zu seinem Glück flaute bald darauf die Epidemie ab, und die Bidyogo priesen und verehrten ihn als ihren Retter. Die Vorzüge seiner Stellung waren an seinem äußeren Gehaben ersichtlich. Wohlgefällig trug er einen gepflegten, gemästeten Körper zur Schau. Er bewohnte das schönste Haus des Dorfes, in welchem er auch seinen mächtigen Fetisch untergebracht hatte. Sechzehn wohlgefüllte Getreidespeicher, die die Außenwände seines Hauses umgaben, zeigten, daß die Bidyogo ihr Letztes geopfert hatten, um ihre erkrankten Familienmitglieder zu retten. Alle Gaben an den Zauberer aber hatten nicht vermocht, ein anderes Leiden, eine weitverbreitete Augenkrankheit, zu heilen. Schon Kinder waren mit ihr behaftet, und auf Schritt und Tritt begegneten wir Halberblindeten, die uns mit leeren, glanzlosen Blicken anstarrten, oder wir sahen die Ärmsten der Armen, die Ganzerblindeten, tastend um ihre Hütten kriechen.

Auch hier in Engaburo hatten alle Burschen und Männer, soweit sie noch bewegungsfähig waren, das Dorf verlassen, um auf irgendeine Weise die Mittel zur Bezahlung der rückständigen Steuern aufzutreiben. Es konnte daher nur ein Tanz von Mädchen und Frauen stattfinden.

Die Vorbereitungen waren noch nicht beendet, als plötzlich ein Tumult entstand. Eine weinende Frau, ein zwei- oder dreijähriges Kind auf den Armen, stürzte in großer Aufregung dem Häuptling entgegen. Die Augen des Kleinen waren verdreht, er schien in Agonie zu liegen. Der Häuptling nahm sich augenblicklich des Kindes an, drückte ihm den Unterkiefer herab und befreite die krampfhaft zwischen den Kiefern eingeklemmte Zunge, während der Pepelzauberer teilnahmslos danebenstand. Man trug das Kind in ein Haus und bettete es auf die Liegestatt, die von allen Seiten von Frauen umdrängt wurde. Eine uralte, zahnlose Greisin kauerte am Kopfende auf dem Boden und ließ im höchsten Diskant einen eigenartigen Gesang ertönen, während die anderen Frauen in lautes Jammern und Weinen ausbrachen. Als das Kind daraufhin nicht aus seiner schweren Bewußtlosigkeit erwachte, nahm es der Häuptling behutsam in seine Arme und verschwand in Begleitung dreier alter Frauen und des Zauberers in dem Fetischtempel. Allen übrigen wurde der Eintritt verwehrt. Wir erfuhren später, daß dem Kleinen im Angesicht des Fetisch eine besondere Medizin eingeflößt worden war; auch dies war vergeblich gewesen, das Kind war noch während der Handlung vom Tod ereilt worden. Das ganze Dorf stand sichtlich unter dem Eindruck des Unglücks, besonders aber die Frauen aus der Verwandtschaft des Kindes waren still und verstört.

So dauerte es geraume Zeit, bis sich die Frauen wieder versammelt hatten. Das hübscheste Mädchen eröffnete den Tanz. Sein nur mit einem kurzen Faserröckchen bekleideter Körper war reichlich mit Palmöl gesalbt, so daß er wie eine Bronzeplastik in der Sonne glänzte. Es fiel mir aber auf, daß der ganze Körper mit fürchterlichen Narben bedeckt war. Auf meine Fragen erfuhr ich, daß dies Spuren einer Nilpferdpeitsche und Erinnerungen an den letzten schwarzen Postenkommandanten seien, der das damals kaum den Kinderschuhen entwachsene arme Geschöpf auf diese Weise seinen Begierden gefügig gemacht hatte.

Das Mädchen trat vor, während die alten Frauen den Takt mit den Händen klatschten, und sang leise und traurig eine wehmütige Weise. Dabei legte es die Hände gefaltet an die rechte Wange und vollführte mit seinem Körper wiegende Tanzbewegungen. Der Gesang mußte einen sehr traurigen Inhalt haben, denn dem Mädchen liefen dabei Tränen über die Wangen herab. Sich langsam vorwärts bewegend, machte es die Runde um den ganzen Platz. Eine alte Frau kam ihm entgegen, und band ihm einen mit blauen und weißen Perlen bestickten Gürtel um die Hüften, während andere ihm mit Laubzweigen Kühlung zufächelten. Nach und nach wurden die Bewegungen der Tänzerin rascher und behender, sie warf die Beine nach allen Seiten und brach dann unvermittelt den Tanz ab, um sich an den Händen eines Mädchens die rinnende Nase zu trocknen und mit den Händen einer zweiten sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Schließlich trocknete eine alte Frau noch ihren Kopf mit einem Tuche ab. Ich hatte schon Palmwein vorbereitet und ließ ihr eine Schale von dem begehrten Getränk reichen. Sie leerte die große Kalebasse auf einen Zug und begann sofort von neuem zu tanzen.

In einer Pause erwarben wir mehrere ethnologische Gegenstände, die ich, als wir uns auf den Heimweg machten, einige Mädchen uns gegen besondere Bezahlung in unser Lager zu tragen bat. Die Mädchen gingen bereitwillig auf unseren Wunsch ein, verlangten aber, daß die Anzahl der Stücke vor mehreren Zeugen festgestellt werde, damit wir sie nicht hinterher ungerechterweise eines Diebstahls bezichtigen könnten. Auf meine erstaunten Fragen antwortete man, daß dergleichen durch die schwarzen Soldaten oftmals geschehen sei.


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