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Mit Elly Beinhorn im Flugzeug über den Bissagosinseln

Der Motor surrt, und in eleganten Schwüngen hebt sich die kleine »Klemm« in die Lüfte. Eine Schleife zieht der Vogel über die vielen Menschen, die auf den Flugplatz in Bissau geeilt sind, um unseren Start mit anzusehen.

Als ich nun in der Maschine saß, tief in meinen Beobachtungssitz versenkt, vor mir Elly Beinhorn am Steuer, trachtete ich, mich in der Landschaft, die in sausendem Flug unter uns vorüberzog, zu orientieren. Streckte ich den Kopf aus dem schmalen Kokpit hervor, so verhinderte der Luftzug von 130 Stundenkilometern, der an meiner Brille zerrte, eine genaue Sicht. Der Boden des Flugzeugs aus dünnem Sperrholz verbot ein Aufstehen, und ich begriff, weshalb der portugiesische Sachverständige es als zum Photographieren unbrauchbar erklärt hatte, eine Ansicht, der ich übrigens die Erlaubnis zum Fliegen überhaupt verdankte, denn den Portugiesen steckt noch immer seit dem Kriege die Angst vor Spionage im Blut.

Unser Flug nahm die Richtung nach Südwesten. Die Küste des Festlandes, Felder der Eingeborenen vom Stamme der Pepel und lockerer Buschwald, der in der Ebene vereinzelt, wie kleine Maulwurfshügel, dalag, breiteten sich unter uns aus. Die strahlende afrikanische Sonne, die die Erde jetzt in der trockenen Jahreszeit mit ihrem Gluthauch versengte, schien ihre Kraft dem eilenden Flugzeug gegenüber verloren zu haben. Die kegelförmigen Hütten der Pepelweiler tief unter uns warfen lange Schatten – es war ja kaum einige Minuten her, daß wir um 8 Uhr 30 den Flugplatz von Bissau verlassen hatten.

In der Ferne vor uns dehnte sich grauviolett die ungeheure Weite des Atlantischen Ozeans aus. Mitten darin waren kleine schwarze Flecken wahrzunehmen; es waren die ersten Bissagosinseln. Bald verschwand das Festland hinter uns. Das Meer erglänzte in stahlblauem Licht, nur seine mächtigen Brecher zeichneten sich als kleine weiße Striche auf der tiefen Farbe des Wassers ab. Der mir unwillkürlich aufsteigende Gedanke, daß wir uns auf einem Landflugzeug befanden – zu einem Wasservogel hatten die Mittel nicht gereicht –, war nicht sehr beruhigend. Jede Notlandung bedeutete unter diesen Umständen ein Versacken des Flugzeuges und auch der Flieger, denn der Archipel wird kaum befahren.

Wir näherten uns Formosa, einer der größten Inseln des Archipels, so daß ich mit den ersten Aufnahmen beginnen konnte. Mit der Kleinbildkamera machte ich vorerst einige allgemeine Orientierungsbilder, dann aber hieß es, die schwere Spiegelreflexkamera um den Hals nehmen, die Anschnallgurte lösen und auf den Sitz steigen. Als ich mich auf dem Sitz vorsichtig hoch aufrichtete und der Wind sich in meinem Körper fing, statt über die glatte Kokpitverkleidung abzugleiten, schien der Vogel sich plötzlich aufzubäumen. Scheu warf ich einen Blick auf die Pilotin, die mit zusammengebissenen Zähnen damit beschäftigt war, die ungewohnte Lage mit dem Höhensteuer auszugleichen. So wagte ich es, mich nach der Seite zu neigen, und die erste Serie Aufnahmen war gelungen!

Das also mußte die Insel Formosa sein! Ich sah drei große Landmassen unter mir, die durch zwei mächtige Meeresarme voneinander getrennt waren. Mehrere kleine Wasserfurchen bildeten vorgelagerte Inselchen. Weite Wälder bedeckten im Norden das Land, ein breiter Mangrovengürtel umgab die Küste. Inmitten von Sümpfen und Palmenhainen aber lagen, weit voneinander entfernt, einzelne Dörfer in der Form von dunklen runden Flecken, in denen sich pilzartig die runden Strohdächer der Häuser zusammendrängten. Das konnten nur Haufendörfer der Bidyogo sein, die also nicht wie die Pepel in Weilersiedlungen lebten.

Rascher Kassettenwechsel, ein Blick auf die Karte vor mir, wieder Emporklettern. Die großen grauen Flecken im Nordwesten mußten Karasch und Karavela sein. Unter uns lag vermutlich die Insel Koti. Wo aber befanden sich Urakan und Eguba, die beiden Inseln, deren Namen so dick auf der Landkarte verzeichnet waren? Professor Struck hatte mir gerade diese besonders ans Herz gelegt. Urakan und Eguba entpuppten sich als ein schmaler Inselstrich, der von einem ganz dünnen, flußartigen Wasserlauf durchquert wurde. War es nicht merkwürdig, daß für die durch breite Meeresarme getrennten Landteile, die wir eben überflogen hatten, der Sammelname »Formosa« geprägt worden war und hier die Insel unter uns wegen des schmalen Wasserlaufes zwei Namen trug?

Meine Nerven waren durch den allzu raschen Wechsel der Landschaftsbilder, durch das blitzschnelle Versorgen der Bilder, das ohrenbetäubende Knattern des Motors aufs Äußerste gespannt. Von ferne gegen Westen winkten uns die große und die kleine Insel Unyokum, in weitem Bogen von den Riffen umschlossen, die die Seefahrer so sehr fürchten.

Dann überflogen wir das liebliche Une mit seinen riesigen Palmenwäldern und gepflegten Feldern. Es mußte besonders dicht besiedelt sein; denn die Zahl der großen und kleinen Dörfer war unübersehbar. Wie ausgestorben lagen sie aber unter uns. Alle Eingeborenen hatten sich, wohl aus Angst vor dem unheimlich lärmenden Vogel, in ihre Häuser geflüchtet.

Nun rauschte die See wieder unter uns. Im Südwesten näherte sich Land, und bald breitete sich, so weit das Auge reichte, die größte aller Bissagosinseln vor uns aus. Orango Grande war sie schon von alters her durch die Portugiesen getauft worden. Auf ihr sollte der sagenhafte Frauenstaat existieren, von dem uns wiederholt berichtet wurde, hier sollte die Residenz der greisen Königin Pampa liegen, ehemals die Hochburg der schwarzen Seeräuber. Wir gingen herunter, wie wir es vorher vereinbart hatten, und kreisten über der Residenz Etikoka, während ich, wie zuvor, den schweren Photoapparat in der Hand, auf dem Sitz balancierte. Deutlich konnte ich verschiedene Häuserformen auf dem großen, sandigen, wie Schnee glitzernden Gelände ausnehmen. Da waren vor allem die gewöhnlichen, ziemlich kleinen Rundhäuser, wie ich sie bereits von den übrigen Inseln her kannte, dazwischen aber auch einzelne Viereckhäuser, deren Herkunft ich mir ebensowenig erklären konnte wie die einiger riesig großer, niedriger Rundhäuser in der Mitte der Ortschaft. Ein breiter Weg führte von hier nach Norden zum Sandstrand, vorbei an einem großen freien Platz, in dessen Mitte ein einsames Häuschen ruhte. Ich bannte soviel als möglich auf die Platten und verschob es auf später, mich mit der Aufklärung der Fragen, die jetzt auf mich einstürmten, zu beschäftigen.

Nun nahm das Flugzeug in scharfem Bogen den Weg nach Osten. Die Landschaft hatte sich eigenartig verändert. Niedrige Büsche wuchsen auf sandigem Boden, einzelne Affenbrotbäume gaben dem Gelände sein besonderes Gepräge. Wir hatten angenommen, auf den Inseln eine tropisch üppige Vegetation anzutreffen, statt dessen sah das Land hier nach Trockenvegetation aus.

Mit einem Male hatte ich die Orientierung verloren! Kein Wunder, denn meilenweit dehnten sich unabsehbare Sümpfe aus; dichte Mangrovenbestände überwucherten die Ränder zahlloser kleiner Inselchen. War das nun der Osten von Orango Grande oder schon der Westen von Orango Zinyo? Die Karte gab keinen Aufschluß, auf ihr war das ganze Gelände punktiert, das heißt als unbekannt eingezeichnet. Wo waren wir? Das werde ich niemals erfahren, denn das Flugzeug steht nicht still, es rast fort, vom Rückenwind pfeilschnell getrieben. Ein Kreisen und Zurückfliegen aber war nicht ratsam, denn zu Beginn des Fluges hatte sich ein starker Gegenwind nur durch reichlicheren Benzinverbrauch meistern lassen, und nach Bissau war es weit!

Glücklicherweise erkannte ich bald die Insel Bubaque, da ihre Umrisse auf der Karte genau mit der Natur übereinstimmten. Ein hoher Rauchfang erhob sich plötzlich an ihrer Küste, die Palmölfabrik. Eine schnurgerade Straße führte ins Innere zu einem kleinen Pflanzerhäuschen. Ein regelmäßig angelegter Garten umgab es, und Fahnen flatterten auf hohen Masten. Neben den portugiesischen Fahnen wehte stolz die Flagge des Deutschen Reiches im Winde; und Europäer in Tropenhelmen winkten mit großen weißen Tüchern dem deutschen Flieger Willkommensgrüße zu. Der Anblick dieser europäischen Behausung wirkte überraschend in der fremden Umgebung. Im weiten Umkreis war der Platz vom Busch gesäubert, blank gefegt und mit Steinen oder Muschelschalen in regelmäßigen Ornamenten belegt. Das Haus selbst steht auf Betonpfeilern, um den zahlreichen Schlangen den Eintritt zu verwehren. Weithin aber ist es von herrlichen fruchtbaren Ölpalmenbeständen umgeben.

Vor der Station Bubaque lag gerade ein deutsches Frachtschiff vor Anker, ein Teil unserer fernen Heimat, den wir von Herzen grüßten. In der Höhe von kaum fünfzig Metern surrten wir darüber hinweg. Auf einem Segelflugzeug hätten wir gut die Worte verstanden, die uns Mannschaft und Passagiere zuriefen, in unserer Klemm erstickte der ratternde Motor jeden anderen Laut.

Ruban, nordöstlich von Bubaque, ließen wir rechts hinter uns liegen und wendeten uns nun nach Nordwesten der Insel Soga zu. Im Norden dieser Insel erweckten lange schwarze Striche, die kilometerweit ins Meer ragten, meine Aufmerksamkeit. Das waren die Fischzäune der Bidyogo, die bei abfließender Flut die zappelnden Fische gefangennehmen. Dann grüßte uns wieder die Ostküste von Formosa, und von unserer luftigen Höhe herab – wir waren inzwischen bis auf etwa tausend Meter gestiegen – konnten wir mehrere Bidyogodörfer auf einmal überblicken.

Wieder ging es über das schäumende Meer nach Bissau zurück. Aufatmend lehnte ich mich an meinen Sitz. Wieviel mehr wäre mit einem geeigneten Flugzeug und vor allem mit einem photogrammetrischen Apparat zu machen gewesen! Doch ich mußte froh sein, daß meine Mittel für einfache Expeditionen reichten, von deren Kostspieligkeit sich der Laie keinen Begriff macht! – Plötzlich fuhr ich erschreckt auf! Eine wohlbekannte Flüssigkeit spritzte mir ins Gesicht – Benzin! War die Leitung leck geworden, so könnten uns jetzt, mitten über dem schäumenden Meer, weder die festen Schuhe noch das Reservewasser herausreißen, Dinge, die ich für den Fall einer Notlandung im afrikanischen Busch vorsichtigerweise mitgenommen hatte. Unwillkürlich überkam mich die Erinnerung an einen ähnlichen Augenblick, da ich im Weltkrieg als Beobachter in einem Wasserflugzeug wegen Bruches der Benzinleitung eine verteufelt unangenehme Notlandung in einem seichten Sumpf mitgemacht hatte. Doch der Motor surrte weiter, und die Pilotin saß noch immer unbewegt am Steuer, statt sich den Hals nach einer Notlandungsmöglichkeit auszurecken. Es ging wohl alles in Ordnung. Mit Papier und Bleistift gelang die Verständigung. Der Betriebsstoff im Haupttank war ausgegangen. Die Pilotin hatte daher das Benzin des Reservetanks in den Haupttank gepumpt, hatte des Guten zuviel erwischt, der Überlauf – das Sicherheitsventil – hatte seine Schuldigkeit getan. Daß aber das Benzin über meine belichteten Negative gelaufen war, war nicht beabsichtigt gewesen. –

Ich kam mir geradezu lächerlich vor! Wie konnte ich nur auf den Gedanken eines Leitungsgebrechens bei einem gut instand gehaltenen Flugzeug kommen und gar ein Stehenbleiben des Motors befürchten! So mancher Flieger hatte mir doch auseinandergesetzt, daß so etwas schlimmstenfalls bei den alten Kriegsmaschinen, die ich gewohnt war, vorkommen könne, aber heutzutage, »ich bitte Sie, bei dem heutigen Stande unserer Flugtechnik!« – Da tauchte auch schon der wohlbekannte kleine Flugplatz von Bissau auf; der Hangar aus Palmenholzprügeln mit einem allzu losen Blätterdach war bereits deutlich sichtbar. Aber – auf einmal ein verräterisches Husten des Motors, im nächsten Augenblick vernahmen wir einen »Knacks«, und der Motor stand still! Zum Glück hatten wir starken Rückenwind, und so gelang es denn der Pilotin mit allerlei Kniffen, eben noch den Flugplatz im Gleitflug zu erreichen. Fast hätten die Räder des »Vogels« einen der hohen Bäume, die den Flugplatz umgeben, gestreift. Doch auch diese Gefahr ging glücklich vorüber! Ein Ölleitungsdefekt hatte den Motor zum Stillstand gebracht. Die ethnographischen Aufnahmen aber waren gelungen.


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