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Die Insel der »Wilden Männer«

Der Verkehr mit den wilden Burschen von der uns gegenüberliegenden großen Insel Kanyabak erweckte in uns den Wunsch, diese Insel kennenzulernen, deren Bewohner als einzige des ganzen Archipels den Weißen heute noch so heldenhaften Widerstand entgegenstellen. Man hatte uns allerdings vielfach vor einem solchen Besuch gewarnt. Die Kanyabakleute waren uns von Beamten und Händlern als falsch, heimtückisch und rachsüchtig geschildert worden; man müsse jederzeit darauf gefaßt sein, von ihnen überfallen zu werden. Angehörige des Militärs wiederum konnten nicht genug von der Grausamkeit berichten, mit der gefangene Soldaten dort ermordet zu werden pflegten. Da sich alle mit der Verwaltung unzufriedenen Elemente der Kolonie, deren die Polizei nicht habhaft werden konnte, nach Kanyabak flüchteten, schien es durchaus glaubhaft, daß dessen Bewohner zu allem fähig seien. Dazu kommt noch, daß die Leute von Kanyabak ihre schlechten Erfahrungen nicht nur mit schwarzen Soldaten gemacht hatten, sondern auch mit deportierten Schwerverbrechern, die die Portugiesen gerade in dieser Gegend anzusiedeln begannen. Sie hatten also keinesfalls die Elite der Europäer kennengelernt und waren daher auf Weiße von vornherein schlecht zu sprechen.

Professor Struck war es gelungen, mit den Burschen, die unser Lager besuchten, Sprachproben aufzunehmen und ihre Zugehörigkeit zum Stamm der Bidyogo eindeutig festzustellen. König Nákbè versicherte, daß er die Sitten der Bewohner von Kanyabak genau kenne und daß sie mit denen von Bubaque genau übereinstimmten. Ich hatte zwar keinen Grund, an der Wahrheit dieser Auskunft zu zweifeln, hielt es aber trotzdem für richtig, sie zu überprüfen und mich durch den Augenschein zu überzeugen.

Daß auf Kanyabak eine Königin namens Idiana geherrscht habe, wurde mir von den Portugiesen mitgeteilt. Als ich mich nach dieser Königin bei Nákbè erkundigte, wurde ich vor allem von diesem belehrt, daß ihr Name Idiana Ibop gelautet habe. Sie sei schon lange tot, und ihr Nachfolger, König Inerian Umpane, der im Dorf Dena residierte, sei gerade vor einigen Wochen gestorben. Über den Regierungsantritt der Königin berichtete Nákbè: Idiana Ibop war die Frau eines mächtigen Königs aus Kanyabak, ihr als Königin waren vor allem die Frauen untertan, denen sie eine sehr weise und gütige Herrscherin war. Als ihr Mann starb, hinterließ er keine Brüder, die Anspruch auf den Thron gehabt hätten. So waren die Ältesten längere Zeit im Zweifel, wer nun die Herrschaft übernehmen solle. Inzwischen hatten sich die Untertanen daran gewöhnt, bei den verschiedensten Anlässen den Rat der erfahrenen und klugen Frau einzuholen, und das bewog schließlich die Stammältesten dazu, ihr die Regierung gänzlich zu übertragen.

Königin Idiana Ibop hatte ihre Pläne stets mit Hartnäckigkeit und Zielbewußtsein verfolgt und war eine Todfeindin der Kolonisatoren gewesen. »Vor etwa drei Regenzeiten starb sie«, ergänzte der König seine Ausführungen.

Wir beschlossen, die Insel zu besuchen, in der Erwartung, wenigstens einige Proben ihrer materiellen Kultur zu ethnologischen Vergleichszwecken erwerben zu können.

Nach guter Fahrt ankerten wir an der Nordwestküste von Kanyabak, an einer Stelle, wo eine kleine vorgelagerte Insel einen schmalen Schiffahrtsweg eben noch offenließ. Gerade hier waren die Ufer versumpft und dicht mit Mangroven bewachsen. Ein kleiner Wasserlauf mündete unserem Ankerplatz gegenüber ins Meer.

Landeinwärts gingen die Mangrovenbestände in dichten niedrigen Buschwald über. Das Gelände war also völlig unübersichtlich und ganz besonders für unerwartete Überfälle geeignet. Hatten uns die Eingeborenen aus einem Hinterhalt bereits beobachtet, so konnte es nur schaden, wenn sie uns bewaffnet herankommen sahen. Im Nahkampf mußten wir unter allen Umständen gegen einen zahlenmäßig so viel stärkeren Feind unterliegen. Ich entschloß mich daher, allein, nur in Begleitung von Takr, den Besuch zu wagen, dabei aber alle Waffen zu Hause zu lassen.

Wir fuhren mit unserem Beiboot das Flüßchen hinauf. Mitten in der trockenen Jahreszeit aber, und zudem noch bei Tiefebbe, blieben wir bald stecken und waren zum Aussteigen gezwungen; unser Boot mußten wir mit Aufbietung aller Kräfte schieben. Da große Schwüle herrschte, die kleine vorgelagerte Insel aber jeden Lufthauch abhielt und wir stellenweise bis über den Bauch in den schmutzigen, zähen und stinkenden Morast einsanken, kamen wir nur mühselig und langsam vorwärts. Stellenweise hatten Flußpferde einen tiefen Wechsel in das weiche Flußbett eingegraben, dessen Überquerung besondere Mühe machte. Nach harter Arbeit erreichten wir eine Stelle des Flusses, die sich zu einer kleinen Bucht verbreiterte. Hier fielen uns kleine Einbäume auf, die vermutlich zu einem in der Nähe liegenden Dorf gehörten. Von der Anlegestelle führten ausgetretene Pfade nach verschiedenen Richtungen durch den Busch. Ich setzte mich auf einen Stein, um mich anzukleiden, denn die schwere Arbeit im schwülen Sumpf hatte uns veranlaßt, uns aller Kleider zu entledigen. Eben war ich mit dem Anziehen der Schuhe beschäftigt, als hinter meinem Rücken ein helles Lachen erscholl. Rasch drehte ich mich um und erblickte mehrere junge Mädchen, die uns beobachtet hatten und offenbar lustige Bemerkungen über uns austauschten. Unbedachterweise machte ich eine Bewegung auf sie zu, da waren sie sofort kreischend verschwunden. Nun blieb ich stehen und gebot Takr, ihnen zu folgen. Tatsächlich gelang es ihm durch einen Anruf in ihrer Muttersprache, die Mädchen zu einer zögernden Umkehr zu bewegen, doch waren sie sichtlich auf dem Sprung, sofort von neuem und dann wohl für immer im Busch zu verschwinden. Nun aber war Takr in seinem Element. Ich verstand seine Worte zwar nicht, aber aus seinem Mienenspiel, seinen strahlenden Augen, dem lässigen und doch kraftvollen Spiel seiner ebenmäßigen Glieder ließ sich viel erraten. Können junge Mädchen einem Manne widerstehen, zumal wenn männliche Schönheit mit Klugheit und Rednerbegabung vereinigt ist? Nun diese Kleinen konnten es jedenfalls nicht, ihre Bewegungen wurden freier, die Furcht vor mir, dem Weißen, verschwand, und immer öfter zauberte Takr ein reizendes Lächeln auf ihre schönen Gesichter. Schließlich gelang es ihm sogar, die Mädchen zu bewegen, uns den Weg in das nächstgelegene Dorf zu zeigen, das ihren Angaben nach den Namen Dena führte. Die Mädchen marschierten lustig plaudernd voran, Takr folgte ihnen fröhlich auf dem Fuße, und ich beschloß beobachtend den seltsamen Zug. So wanderten wir in Schlangenwindungen durch den dichten Busch, während ich in meinem Innern den glücklichen Zufall pries, der uns zu Hilfe gekommen war; denn daß wir bei der Gastfreundschaft, die allen Bidyogo als eines ihrer höchsten Gesetze gilt, nun nichts mehr zu befürchten hatten, stand jedenfalls fest.

Als wir unter so zahlreicher weiblicher Führung in Dena eintrafen, erregten wir natürlich nicht geringes Aufsehen, von allen Seiten eilten bewaffnete Männer herbei, die uns mit unverhohlenem Mißtrauen musterten. Doch Takr und die Mädchen taten ihre Schuldigkeit, es gelang ihnen, die Alten davon zu überzeugen, daß wir nichts mit den Portugiesen gemein hätten, ja, daß mein Volk sogar bis vor kurzem mit diesen Krieg geführt habe. Dieses letzte Argument wirkte entscheidend. Die besorgten Gesichter glätteten sich befriedigt, und sofort wurde Palmwein in Kalebassen herbeigebracht und mir ein Willkommenstrunk geboten, den ich natürlich nicht ausschlug. Dann führte man mich im Dorf umher.

Wie aber sah der einst so stolze und mächtige Königssitz aus, von dem uns Nákbè erzählt hatte! Im weiten Umkreis zeigten Lehmhügel und Mauerreste an, daß sich hier einmal Häuser befunden hatten. Es war leider wahr, hier war keine Mauer stehengeblieben. Jetzt allerdings waren schon überall wieder Bidyogo an der Arbeit und hatten begonnen, die von den Soldaten zerstörten Bauwerke neu aufzubauen.

Der größere Teil der Leute wohnte einstweilen in flüchtig zusammengestellten Laubhütten, einige Häuser waren aber bereits fertiggestellt, so daß ich feststellen konnte, daß die Bauweise mit der auf der Insel Bubaque völlig übereinstimmte. Auch die Art der Flächenmalereien, mit denen die Außenseite der Mauern überall verziert war, glich in Zeichnung und Ornamentik völlig derjenigen der Nachbarinsel. Auf meine Erkundigung nach altem Hausrat berichteten mir die Männer traurig, daß ihr ganzer Besitz im Kampf mit den Soldaten zugrunde gegangen sei und sie nicht das geringste vor den Plünderungen und den nachfolgenden Brandstiftungen hätten retten können. Es sei ihnen da nicht anders ergangen als den Bewohnern der anderen Dörfer auf Kanyabak, so daß sie gezwungen seien, sich die unentbehrlichsten Dinge auf den anderen Inseln, vornehmlich auf Bubaque, zu kaufen oder zu leihen. Sie bestätigten weiter die Angabe König Nákbès, den jeder Dorfbewohner zu kennen schien, daß sich ihr Leben ganz in der gleichen Weise abspiele wie bei dessen Untertanen. Unter diesen Umständen betrachtete ich meine Aufgabe als erledigt, auch ein längerer Aufenthalt hätte uns nichts Neues gebracht.

So machten wir uns auf den Rückweg, um noch vor Einbruch der Nacht die »Binar« zu erreichen. Mehrere alte Männer und junge Mädchen gaben uns das Geleit bis zu ihrem Landungsplatz, wo sie sich höflich von uns verabschiedeten.

Während wir im Beiboot das Flüßchen hinabruderten, dachte ich an die Gerüchte von den »wilden Leuten von Kanyabak«. War es so schwer, mit diesen Menschen in Frieden auszukommen, ohne ihre Dörfer niederzubrennen und ohne unsägliches Unheil über so viel kräftige und lebensfrohe Männer, Frauen und Kinder zu bringen?


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