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Die Erzählung des alten Mannes über die Qualen der Bidyogo auf Orango Grande

Unendlich langsam ging die Annäherung vonstatten, hatten bereits die Hoffnung aufgegeben, näheres über das Leben dieser Eingeborenen zu erfahren, als es mir gelang, das Vertrauen eines Alten zu gewinnen. Dieser klärte mich über den Grund des außerordentlichen Mißtrauens, das uns die Eingeborenen entgegenbrachten, auf. Takr holte Tabak herbei, dann begann der Greis zu erzählen:

»Früher, als unsere alte Königin noch lebte, ist es uns recht gut gegangen, da hatte nicht nur unsere Königsfamilie im Überfluß zu essen, sondern jeder von uns konnte ebenfalls satt werden. Heute aber müssen wir Alten untätig zusehen, wie unsere Jugend zugrunde geht, wie unser ganzes Volk, von Hunger und Krankheit zermürbt, zu Sklaven der Portugiesen herabgedrückt wird.

Anfangs erschienen diese als Händler und tauschten ihre Waren gegen den Ertrag unserer Palmen aus. Doch bald beunruhigten uns Nachrichten, die von den Nachbarinseln zu uns herüberkamen.

Dort hatten sie Schwarze eines anderen Glaubens (der Alte meinte Mohammedaner) mit ihren Waffen ausgerüstet und ihnen reiche Beute versprochen, wenn sie unsere Brüder vernichteten. Dies gelang ihnen nur zu gut, obgleich die Bewohner von Une und Unyokum wohl zu kämpfen verstehen! In meiner Jugendzeit lieferten sie und wir vereint von unseren Kriegsbooten aus Treffen gegen eure großen Dampfer, an die sich die Bemannung eurer Schiffe wohl bis an ihr Lebensende erinnert haben wird!

Aber die Fula und Mandingo, diese schwarzen Verbündeten der Portugiesen, waren nicht zu besiegen. Sie hatten ganz furchtbare Waffen. Gewehre, die nicht aufhörten zu schießen, sobald sie angefangen hatten, Tod und Verderben zu verbreiten, und Pferde, die viel rascher waren als wir Inselbewohner zu Fuß. Sie warfen uns Kugeln entgegen, die alles in Stücke rissen, während die Geschosse aus unseren Steinschloßgewehren, die noch aus der Zeit des Königs Umpane stammten, unseren Feinden nichts anhaben konnten.

Unsere Insel wurde lange verschont, denn die Portugiesen achteten die Macht unserer großen Königin Pampa. Als diese aber starb, nützten sie unsere Verwirrung aus und unterwarfen auch uns, die wir kaum Widerstand leisteten. Wir sahen ja, daß die Feinde unverwundbar waren, wie sie von sich behaupteten, und die Macht ihres Gottes übertraf selbst die des Ramind unserer Königsfamilie.

Auf jenen Inseln aber, deren Häuptlinge dem Feinde nicht kampflos weichen wollten, auf denen die Schlitztrommeln unaufhörlich zum Kriege riefen, fanden hunderte der tapfersten Krieger den Tod. In den Gewässern zwischen den Inseln schwammen die eisernen Schiffe der Weißen und schossen auf die Fliehenden, die auf ihren Einbäumen einen schützenden Ort zu erreichen trachteten. Die Flucht wurde ihnen fast unmöglich gemacht, denn die Feinde verbrannten den größten Teil unserer Einbäume. Die Beute teilten die Sieger. Frauen, Kinder und das Vieh raubten die schwarzen fremden Krieger, das Land nahmen sich die Weißen.

Ich glaube, die Einwohner so mancher Insel wären völlig ausgerottet worden, wenn sie nicht am Meere einen Bundesgenossen gehabt hätten. Denn in der Nacht wagten die Weißen mit ihren plumpen Booten nicht zu fahren, die Riffe und Sandbänke hätten ihnen, vor allem während der Ebbe, allzuviel Unheil gebracht. Inzwischen aber konnten wir entweichen!«

Der Alte hielt eine Weile inne in seiner Erzählung. Seine finstere Miene verschwand fast hinter einer mächtigen Rauchwolke, die aus seiner Tabakspfeife quoll. Ich unterbrach ihn nicht, und seufzend berichtete er weiter:

»Ach, wie die Feinde unsere Heimat verwüsteten! Kennst du Kanyabak, die große Insel nahe dem Festlande? Dort steht heute kein Haus, alles wurde erst vor kurzem dem Erdboden gleichgemacht und die ganze Habe der Bewohner verbrannt.

Dann kamen die Weißen und versprachen uns Frieden und Recht, wenn wir ihnen gewisse Abgaben entrichteten. Um diese zu überwachen, ließen sie einige fremde bewaffnete Schwarze auf den Inseln zurück. Jetzt begann unser Elend von neuem. Denn diese Männer raubten unsere Frauen und Mädchen und vergewaltigten sie nach ihrem Belieben, sie stahlen uns Vieh und was ihnen sonst noch gefiel. Wehrten wir uns aber und erschlugen wir diese Verbrecher in gerechter Notwehr, so bekriegten uns die Soldaten von neuem, und Hunderte der Unseren mußten den Tod des einen grausamen Fremden mit dem Tode büßen.

Für jedes Haus sollten wir jährlich eine unerschwingliche Summe zahlen und ebenso einen beträchtlichen Betrag für das Recht, Palmwein von unseren eigenen Palmen zu zapfen. Kannst du es begreifen, mit welchem Recht man dies von uns verlangen konnte? Verlangen konnte, daß wir dafür zahlen, was unsere Urväter seit undenklichen Zeiten besessen und wohlgehütet hatten?

Wir wurden außerdem noch betrogen. Oft kam es vor, daß der schwarze Soldat die Steuer statt für ein Haus einfach für fünf oder zehn Häuser von uns verlangte.

Besser ging es unseren Brüdern auf den großen Inseln, wo oft Weiße als Kommandanten zurückgeblieben waren. Diese duldeten keine solchen Ungerechtigkeiten. Aber es blieb keiner lange an einem Ort, und wenn ein anderer hinkam, logen ihm die schwarzen Soldaten so viel vor, daß er unsere Not oft genug nicht erkannte.

Da wir kein Geld hatten, mußten wir Palmkerne liefern. Doch Körbe voll Palmkerne, die wir Tag und Nacht von unseren Palmen holten, reichten bald nicht mehr aus, die Steuern zu zahlen. (Tatsächlich sind die Preise für Palmkerne in den letzten Jahren sehr gefallen!) Immer mehr forderten die Weißen, so daß uns bald keine Zeit mehr zum Anbau unserer Feldfrüchte übrigblieb. Wir hatten soviel Reis und anderes Getreide, doch jetzt liegen die Felder brach. Die Männer können keine Fischzäune mehr bauen, kein Wild erbeuten, die Zahl unserer Rinder, Schweine und Hühner ist dahingeschmolzen, wir konnten nicht für sie sorgen, wer es nur vermochte, mußte auf die Palmen klettern und Früchte für die weißen Bedrücker einsammeln. So leben wir nun von Muscheln, Früchten und Wurzeln, die uns die Natur spendet, die aber keine ausreichende Nahrung sind. Weißt du, wie unsere Frauen diese giftigen Wurzeln genießbar machen? Mühsam sammeln sie sie im weitentlegenen Busch, dann graben sie die Wurzeln unter dem Meeresspiegel in das Watt ein, wo sie wochenlang liegenbleiben müssen. Die so angefaulten stinkenden Knollen werden dann an der Sonne getrocknet und zu Mehl gestampft. Erst aus diesem können verschiedene Speisen zubereitet werden. Auch die Palmkerne und das Öl, das wir aus ihnen pressen, sind unsere Nahrung. Doch waren wir anderes gewohnt, und unsere entkräfteten Körper fielen allerlei Krankheiten zum Opfer. Gerade bevor ihr zu uns kamt, hat auch hier auf Orango eine Krankheit gewütet, gegen die selbst die Macht unseres Ramind nichts vermochte.«

Müde und matt ließ der Alte seine Augen über unser Lager schweifen und stöhnte vor Erschöpfung und Trauer. Da fragte ich ihn, warum niemand von seinem Volke nach Bolama zu den Weißen gegangen sei, um diese Not zu schildern und Hilfe zu erbitten. Er antwortete:

»Einigemal schon wollten beherzte Männer dies unternehmen. Doch die schwarzen Soldaten zerstörten die wenigen Einbäume, die uns nach dem Kriege noch geblieben waren, und verhinderten jeden unserer Versuche, die Heimat zu retten, auf das grausamste.

In letzter Zeit wurden einige dieser Übeltäter von den Weißen selbst abberufen, da wir gelobten, uns ruhig zu verhalten. Hast du auf dem Wege vom Strand ins Dorf die einsame Hütte auf dem großen Platz gesehen? Da hausten sie, unsere schwarzen Feinde; jetzt sind sie aber, dem Ramind sei Dank, nicht mehr da.«

»Du sagst«, unterbrach ich dann den Alten, »daß ihr Hunger leidet. Wie kommt es aber, daß eure Frauen uns Lebensmittel zum Verkauf anbieten?«

Der Greis schüttelte den Kopf und sagte: »Da siehst du selbst, wie es mit uns steht. Wir sind froh, Geld für die Steuern von euch bekommen zu können und geben das wenige, was wir haben, dafür her. Denn sollen wir wieder einen unheilvollen Krieg mit den Weißen heraufbeschwören? Sollen wir noch erleben, wie sie unsere Heimat ganz zugrunde richten? Nein, lieber verhungern!«

Es lag ein bitterer, zäher Wille in diesen Worten. Ich erinnerte mich daran, daß schon die alten Sklavenjäger berichtet hatten, gerade die Bidyogo seien als Sklaven nicht zu gebrauchen. Lieber, als daß sie sich ergaben, endeten sie durch Selbstmord. Ein schneller Tod war ihnen willkommener als ein Leben in der Sklaverei.

Lange schwieg ich, im Innersten erschüttert durch diese traurigen Berichte des alten Mannes und gequält von dem Gedanken, daß ich nicht helfen konnte.

Die Zustände, die er geschildert hatte, klärten wohl das Verhalten der Eingeborenen auf und ließen ihr mißtrauisches Wesen verstehen, das uns im Gegensatz zu dem mancher Stämme des Festlandes aufgefallen war.

Nun begann ich von meiner Heimat zu erzählen, wie auch wir an den Folgen großer Kriege zu leiden hätten, daß bei uns die Menschen hungern müßten, weil sie keine Arbeit finden könnten, daß auch viele weiße Völker an ihre Feinde viel mehr Geld zu zahlen hätten, als sie selbst aufzutreiben imstande seien. Doch schien meinen Freund das geteilte Leid nicht wesentlich zu erleichtern. Er, der vom Schicksal so hart Betroffene, nahm sichtlich Anteil an dem Kummer seines weißen Leidensgefährten und verzweifelte nur um so mehr unter der Last der Ungerechtigkeiten und des unbegreiflichen Leides, die sich die Menschen zufügen.

Von nun ab suchten des öfteren alte Leute unser Lager auf, die bereitwilliger auf meine Fragen antworteten, und Professor Struck fand Gelegenheit, anthropologische Messungen vorzunehmen.

Eines Tages stellte sich sogar ein junger Mann bei uns ein und gab Auskunft über die Sprache der Insulaner. Er trug einen Schurz aus gegerbtem Ziegenfell, dessen Ende zwischen den Beinen durchgezogen war. Arme und Beine waren reich mit offenen Ringen aus Gelbguß verziert. Dazwischen lagen schmale Ketten aus aufgefädelten Kaurimuscheln. Es schmeichelte ihm wohl, daß wir die Sprache seines Volkes kennenlernen wollten, doch ermüdeten ihn die Fragen des Professors so, daß er nicht mehr wiederkam, obwohl er für seine Mühe reichlich belohnt worden war.

Bei meinen Erkundigungen nach den Sitten auf Orango Grande ergaben sich des öfteren Mißverständnisse: auch beim besten Willen aller Beteiligten war es nicht zu vermeiden, daß der Dolmetsch sich beim Übersetzen irrte oder daß er den Sinn der Antwort nicht richtig auffaßte. Ich versäumte daher nie, an die verschiedensten Personen, die keine Gelegenheit hatten, sich vorher miteinander zu verständigen, dieselben Fragen zu richten, und gab mich erst dann zufrieden, wenn ein Widerspruch völlig aufgeklärt war. Dabei ereignete es sich häufig, daß die Eingeborenen über Dinge Auskunft gaben, über die zu sprechen sie sich anfangs eindeutig geweigert hatten.

Wie scharf ich aber auch kontrollierte, ich konnte niemals einem Eingeborenen nachweisen, daß er wissentlich die Unwahrheit gesprochen habe. Alle Widersprüche ließen sich als Mißverständnisse aufklären. Diese Wahrheitsliebe ging so weit, daß sich die Männer auch durch von mir absichtlich vorgebrachte Suggestivfragen nicht irremachen ließen, was mir noch bei keinem der vielen Volksstämme, mit denen ich auf meinen Expeditionen zu tun hatte, vorgekommen war.

Recht lästig war hingegen die strenge Schweigepflicht, die es den Eingeborenen verbot, über gewisse Dinge mit einem Fremden zu sprechen. Da mußte ich manchmal zur List meine Zuflucht nehmen, was mir aber, wie ich noch berichten werde, stark verübelt wurde.

Ich will nun trachten, das Wichtigste wiederzugeben, was ich auf diese Weise von den Didyogo erfuhr.


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