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Das Leben an Bord

Unser Ziel war nun die westliche und größere der beiden Inseln Unyokum. Bei günstigem Winde von Osten wäre es am vorteilhaftesten gewesen, die Fahrt längs der Südküste von Une fortzusetzen. Im Westen donnerten zwar mächtige Brecher, weißen Gischt viele Meter hoch in die Luft schleudernd, was gefährliche Riffe unter Wasser anzeigte. Wir ließen uns aber dadurch nicht abschrecken. Schon waren wir ein gutes Stück vorwärts gekommen, als Takr, wie zufällig, die Bemerkung fallen ließ, daß er sich nicht vorstellen könne, daß ein so großes Segelboot, wie das unsrige, die außerordentlich schmale Schifffahrtsrinne zwischen den Klippen durchqueren könne, wozu doch im besten Falle nur kleine Einbäume der Bidyogo imstande seien.

Das war eine recht unangenehme Überraschung; ich hatte mich zu der Durchfahrt auf Grund von Angaben der Einwohner von Etikoka entschlossen. Solche Auskünfte sind wohl öfters unzuverlässig. Nicht, daß die Eingeborenen mit Absicht die Unwahrheit sprächen; es fehlt ihnen aber völlig das Vorstellungsvermögen für das, was weiße Menschen oder deren Erzeugnisse zu leisten imstande sind. Die Gewährsleute auf Orango Grande mögen der Überzeugung gewesen sein, daß dort, wo sie auf ihren kleinen schwankenden Booten zu fahren imstande sind, es gewiß ein leichtes sein müsse für ein Schiff, von dessen Seetüchtigkeit ihnen unsere Burschen gewiß in übertriebenen Ausdrücken berichtet hatten. Die Neigung zu solchen Trugschlüssen fand ich am häufigsten bei jenen Eingeborenen, die eine unbegrenzte Hochachtung vor den technischen Errungenschaften der Europäer hatten. Glücklicherweise aber hatte Takr im Verkehr mit den Weißen schon die Erfahrung gemacht, daß auch technische Erzeugnisse keine Wunder vollbringen können, und uns noch zur richtigen Zeit gewarnt. Wie berechtigt sein Mißtrauen war, erfuhren wir erst später.

Zunächst hieß es wenden, um den Versuch zu machen, die Insel Une auf der anderen Seite zu umfahren. Die brave »Binar« kreuzte zwar so gut, als man es nur von ihrer Nußschalenform erwarten konnte. Doch dies genügte leider nicht, sie war kaum am Wind zu halten und rollte mächtig über die hohen Wogen dahin. Als sich nun nach dem Gezeitenwechsel auch noch die Stromrichtung änderte, mußten wir feststellen, daß wir uns bei jedem Schlag mehr und mehr unserem Ausgangspunkt näherten. Da half auch der beste Wille nichts, wir waren gezwungen, vor Anker zu gehen und die Nacht an Bord zu verbringen, in der Hoffnung, daß sich im Verlauf des folgenden Tages Wind und Strömung bessern würden.

Übrigens kam mir dieser unfreiwillige Aufenthalt nicht ungelegen, denn ich fand Zeit, verschiedene Unzukömmlichkeiten in der Dienstverrichtung unserer Leute abzustellen. Die einzelnen Glieder unserer Schiffsmannschaft waren keineswegs als stammestreue Eingeborene zu betrachten. Es waren Leute der verschiedensten Stämme, die seit vielen Jahren im Dienste von Europäern standen und daher, wie die meisten ihrer Kameraden auf den Stationen, mit jeglicher Art von Gaunereien und Winkelzügen vertraut waren. Obwohl die Mannschaft bei der Abfahrt von Bissau sicher kein Geld in Händen hatte und von mir nur mit Nahrungsmitteln ausgerüstet worden war, fiel uns schon in Etikoka auf, daß die Leute ein Schwein einhandelten, ohne daß wir uns jedoch weiter mit der Frage beschäftigten, woher sie die dazu notwendigen Mittel wohl genommen hätten. Als ich aber nach der Abfahrt feststellte, daß die Hälfte unseres Zuckerrohrschnapses, der als Festtrunk für »große Könige« sorgsam aufbewahrt wurde, verschwunden und auch der Rest arg mit Wasser versetzt war, konnte ich mir den Schweinekauf bedeutend leichter erklären.

Eine andere ungehörige Handlung war dieser vorausgegangen. Bei unserer Abfahrt von Orango Grande hatte sich die Mannschaft auf einmal geweigert, mit Hand anzulegen, um unser Gepäck an Bord zu schaffen, und zwar mit der Begründung, das sei nicht ihre Arbeit. Dies war eine krasse Unverschämtheit, da die Schiffsmannschaft während der Dauer unserer Landaufenthalte ein geradezu paradiesisches Faulenzerleben führte, unsere drei Burschen dagegen vom Sonnenaufgang bis tief in die Nacht zu arbeiten hatten. Doch sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ich ruderte sofort selbst das Beiboot an die »Binar«, wo ich die streikende Bande versammelt fand, und wiederholte in strengem Ton meinen Befehl. Da meine völlig ruhige Art wohl Ernstes befürchten ließ, gehorchten die Leute murrend; der Steuermann aber warf mir die Bemerkung hin, daß sie nur ausnahmsweise helfen würden, um mir keine Ungelegenheiten zu machen. Ich überhörte geflissentlich diese Worte, um unsere Abfahrt nicht weiter zu verzögern.

Nun aber hatte ich Zeit! Ich ließ die ganze Mannschaft herbeirufen, machte ihr klar, was ich unter ihrem Dienst verstanden haben wollte, und drohte, sie bei nochmaliger Widersetzlichkeit drakonisch zu bestrafen. Dann kam ich auf den Zuckerrohrschnaps zu sprechen und trachtete herauszubekommen, wer der Anstifter dieses Streiches gewesen sei. Das mißlang mir aber vollständig. Alle hielten fest zusammen, obwohl ich jedem auch einzeln ins Gewissen redete. Ich kündigte also an, daß ich am Ende der Expedition den Gegenwert für den gestohlenen Alkohol von den Löhnen in Abzug bringen würde, und diese Worte verfehlten nicht, den nötigen Eindruck zu machen. Den Steuermann aber, der mir am verdächtigsten schien, nahm ich noch besonders ins Gebet und drohte, falls sich ein derartiger Vorfall wiederholen sollte, ihn schon in Bubaque einsperren zu lassen und die Reise ohne ihn fortzusetzen.

Da ich nun einmal im Zuge war, kam auch unser Koch Abu an die Reihe. »Ich habe gehört, daß du nicht für deine Kameraden kochen willst«, fing ich in liebenswürdigstem Tone an. »Ja«, meinte er, »das ist ihre Arbeit, und ich habe es bis jetzt nur aus Gefälligkeit getan. Doch sie waren undankbar, nun sollen sie selbst sehen, wie sie zu ihrem Essen kommen.« »Es tut mir aber wirklich leid, dich verlieren zu müssen, armer Freund«, erwiderte ich. »Du bist auch nicht sehr widerstandsfähig und kennst die Landessprache nicht. Die Bidyogo könnten glauben, daß du ein Spion der Fula seiest und dich im Meer ertränken, wie ihre Zauberer.« Abu, ein ausgesprochener Feigling, begann sich zu verfärben. Ich fuhr unbeirrt fort: »Ich muß dich leider entlassen. Wie wirst du jedoch nach Bissau zurückkommen? Europäische Schiffe trifft man hier kaum, und viele Einbäume haben wir auch noch nicht gesehen.« Ich machte eine Kunstpause, Abu blickte mich wortlos an. »Du bist doch ein gescheiter Bursche und kennst mich mindestens ebensogut wie ich dich; du glaubst doch nicht etwa, daß ich dich zu deinem Vergnügen an Bord genommen habe? Da kochte ich ja lieber selber, du weißt, ich verbrenne das Fleisch nicht, auch die Suppe pflege ich nicht zu versalzen, und mit einem schmutzigen Lendentuch trockne ich das Geschirr nie ab.« »Aber ich will ja ohnehin kochen«, stieß Abu hervor, »die andern sollen nur nicht so undankbar sein.« »Du hast ganz recht, Undankbarkeit ist eine schlechte Eigenschaft, ich werde ihnen das mitteilen.« So schloß unser Gespräch.

Von nun an ging alle Arbeit glatt und reibungslos vonstatten. Schiffsmannschaft, Burschen und vor allem der Steuermann überboten sich in Arbeitseifer und Liebenswürdigkeit.

Das Gehaben unserer Eingeborenen an Bord erinnerte mich oft an das Leben in einem Affenkäfig. Da war vor allem der Steuermann, der als der Älteste und Stärkste von allen anderen als bedingungslose Autorität anerkannt wurde. Dementsprechend arbeitete er am wenigsten und genoß, wenn wir Europäer nicht in der Nähe waren, in vollem Maße die Vorteile seiner Stellung. Sein Stellvertreter, ein Mandyako, hatte schon mehr zu tun und mußte vor allem stets das Ruder führen, wenn sein hoher Vorgesetzter beschlossen hatte, ein Schläfchen zu halten oder sich auszuruhen, das heißt, er war fast immer der Steuermann. Ganz schlecht dagegen erging es dem Jüngsten und Schwächsten, dem kleinen Fulup. Dieser hatte für die Mannschaft zu kochen und alle schwereren Arbeiten zu verrichten, denen die anderen aus dem Wege gingen. Doch schien der Kleine diese Weltordnung als ganz selbstverständlich hinzunehmen; niemals erlebten wir es, daß er aufbegehrt oder sich auch nur beklagt hätte. Im Gegenteil, er war immer heiter und freundlich und sang leise vor sich hin, ob er nun stinkende Fische briet oder das Deck reinigte.

Oft vergnügten sich die Eingeborenen mit Neckereien. Bald hatten sie in Erfahrung gebracht, daß Bubakr als gläubiger Mohammedaner sich den Genuß von Schweinefleisch versagte. Während es Abu, der sich ebenfalls für einen Mohammedaner ausgab, in materiellen Dingen, vor allem was Schweinefleisch und Alkohol betraf, nicht so genau nahm, hielt sich Bubakr, der ehemals die Absicht gehabt hatte, Marabu zu werden, stets streng an die Vorschriften des Koran. Nun hatten die Burschen von den Eingeborenen das Fleisch einer Seekuh eingehandelt. Da es bereits mehrere Tage alt war und Hunderte von Fliegenmaden sich darauf angesiedelt hatten, war es für europäische Augen und Nasen nicht begehrenswert. Den Koch freilich störte dies nicht im mindesten. Eifrig fischte er mit seinem kleinen Messer eine Made nach der anderen heraus und zerdrückte sie mit Genuß zwischen seinen Fingernägeln, worauf er das Fleisch in die Bratpfanne warf. Auch unsere Burschen freuten sich sichtlich auf den seltenen Braten. Gerade an diesem Tage aber war Bubakr stark beschäftigt, und so blieb ihm verborgen, daß »Seekuhsteak« auf der Speisekarte stand. Dies benützten die anderen und redeten ihm ein, es wäre Schweinefleisch; gierig und unter großer Heiterkeit aßen sie dann seinen Anteil weg. Zu spät bemerkte Bubakr den Schwindel.

Umgekehrt gaben sie das nächste Mal Schweinefleisch für Seekuh aus und freuten sich diebisch, daß es sich Bubakr gut schmecken ließ. Mit kindlicher Schadenfreude weideten sie sich an seinem Entsetzen, als er die Wahrheit erfuhr, und neckten ihn noch tagelang mit seinem Sündenfall.

Infolge des patriarchalischen Verhältnisses, das an Bord herrschte, erschienen mir immer alle als Kinder einer Familie, wenn sie abends wie die Heringe eng nebeneinander auf dem Deck lagen, ihre Baumwolldecken wegen der Abendkühle weit über den Kopf gezogen, die Beine aber der Nachtluft ausgesetzt.

Der Gesundheitszustand der Mannschaft ließ im allgemeinen nichts zu wünschen übrig, ich hatte nur geringfügige Krankheiten zu bekämpfen. Eine unangenehme Ausnahme machte der Steuermann. Es war mir schon aufgefallen, daß er eines seiner nackten Beine immer mit einem schmutzigen Lappen umwickelt hatte. Als er sah, daß ich andere mit Erfolg behandelte, kam auch er zu mir und bat um ein Heilmittel. Leider mußte ich feststellen, daß er an schweren Abszessen, vermutlich auf tuberkulöser Basis, litt. Nun ist das Behandeln von Eingeborenen eine mißliche Angelegenheit. Stirbt der Patient innerhalb der nächsten Wochen, so kann es sich ereignen, daß seine Verwandten überzeugt sind, man habe seinen Tod verschuldet. Ohne es zu ahnen, setzt man sich der Blutrache aus. Anderseits erreicht man, da die Eingeborenen sehr leicht zu beeinflussen sind, oft durch einfache Suggestion, besonders im Verein mit unschädlichen Medikamenten, die größten Erfolge. Ich lehnte es aber nach Möglichkeit ab, schwere Krankheiten zu behandeln, indem ich darauf hinwies, daß ich mich nicht mit den Dämonen verfeinden wolle. Diese Entschuldigung stößt bei den Eingeborenen immer auf vollstes Verständnis.

Bei unserem Steuermann machte ich nun eine Ausnahme, reinigte die Wunden und ließ sie von der Sonne bestrahlen. Der Erfolg bestand leider nur darin, daß er mit dem Eiter seiner offenen Wunden das Deck verunreinigte, auf dem wir uns zu sonnen pflegten. Die Krankheit saß wohl zu tief. Er lief noch nach Abschluß der Expedition mit dem verbundenen Bein herum.

Eine Krankheit aber, gegen die alle meine Medikamente wirkungslos blieben, war die Seekrankheit, die vor allem Abu und Ilere stets überfiel, sobald sich die Dünung nur etwas verstärkte. Da blieb nichts übrig, als alle Arbeit selbst zu erledigen, denn die Burschen lagen dann völlig teilnahmslos auf dem Deck und waren nicht imstande, sich zu rühren.


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