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In Treuen fest.
Von L. Ewald

Zur allerältesten Zeit der germanischen Göttersage, als das kalte dunkle Niflheim im Norden und das heiße lichte Musplheim im Süden lag, entsprang in Niflheim ein Brunnen: »Hwergelmir« oder brausender Kessel genannt. Dieser Brunnen ward der Anfang zu dem großen Urmeer, das dazumal mit seinen Wogen, deren Hin- und Widerrollen donnerartiges Getöse erzeugte, das Weltall füllte. – Ein Teil dieser Wogen floß eines Tages über die Quelle nach Niflheim, erstarrte durch die Kälte und türmte sich zu zwei mächtigen Eisblöcken. Auf diese blickte das Feuerauge des ewigen Geistes und gab durch den belebend warmen Blick den erstarrten Wassern neues Leben. Es entstanden aus den gewaltigen Eisblöcken zwei ebenso gewaltige Eisriesen, die »Ymir« und »Ägir« genannt wurden.

Die teilten sich darauf in die Herrschaft des Alls, bis des ewigen Geistes Sein sich dreifach wandelte, und so die drei germanischen Götter zur Regierung gelangten, die man die Asen nennt. Sie hießen: Odin, Wile und We.

Odin, die beseelende Lebenskraft – tötete den Ymir und sein Geschlecht bis auf den Riesen Bergelmir, der zusammen mit Ägir auswanderte. – Als aber Odin die Beherrschung des Weltalls geordnet hatte, kehrte Ägir wieder, stellte sich unter den Schutz des Wile oder Hönir, der im Wasserreich herrschte, und ward von diesem als Stellvertreter für die nordischen Meere gewählt.

Gott Odin wählte zur Mitregentin die holdselige Göttin der Erde, »Herta« genannt. Herta nahm nur ungern dieses ehrenvolle Anerbieten an und zog hinan in die strahlende Himmelsburg Asgard.

Bald aber bedrückten sie diese glanzvollen Regierungssorgen dergestalt, daß sie Odin flehentlich bat: ihr die Rückkehr zur Erde zu gestatten. Odin konnte diese Bitte nicht verweigern, wollte aber ihrer Liebe für die Erde mit ihren Schätzen noch weitere Betätigung geben und gebot den Wassern, zurückzutreten. Herta aber stand in dankbarem Schauen auf dem Gipfel des Brockens, sah über das dunkle, herzynische Waldgebilde mit seinen Schluchten, Kuppen und Klippen auf die neue lichte Fläche, die vom Glanz der Sonne übergoldet war und sich wie ein Landmeer allgemach in blaues Gedämmer verlor. Die große nordische Ebene lag vor ihr, für die sie nun sorgen sollte. Ein Dankesblick belehrte Odin, wie groß die Freude gewesen war, die er ihr bereitet hatte, und er sagte nachdenklich: »Nun meine ich, fehlt der Göttin der Erde noch die Burg, von der aus sie ihr Land regieren kann!« Herta wollte in Bescheidenheit nichts von einer Göttinburg hören, aber Odin meinte: »Ich kenne ja deinen demütigen Sinn, doch die Burg, die ich dir schaffen will, wird auch dir recht sein!«

Ein Wink seiner Rechten ließ Herta emporschauen – und siehe da: mitten aus den Ostseewogen erhob sich ein Eiland von mannigfachem Reiz. Grünliche Fluten umspielten die vielgezackte Insel und bildeten sichere Golfe. Wie ein lieblicher Garten, von Buchen- und Eichenwäldern umgeben, lag der nördliche Teil des Eilandes, die heutige Insel Rügen, da! Wie auf einer Treppe konnte man von dem Kreidegebirge hinab zum Meere steigen, und hoch oben war ein gewaltiger Felsensitz wie ein rechter Königsstuhl anzuschauen! »Hier sollst du sitzen, wenn du dein Reich beschauen willst, du sorgende Erdgöttin,« sprach Odin, als er oben auf der Plattform stand und sah hinunter in die schauerliche Tiefe. »Noch einen zweiten Ruheplatz habe ich für dich auserwählt, der besser mit deinem Sein harmoniert. Dort in dem grüngoldenen Dämmerlicht der Buchenhallen ließ ich einen See entstehen, der deinem Wesen gleicht, der ist so unergründlich tief, wie deine Liebe zur Erde! Der ist so hoheitsvoll und so schlicht, wie dein Sinn; er soll Hertasee heißen.«

Herta blieb in ihrem Reiche, und wo sie hintrat, da herrschte die Freude, die Frieden und Ruhe allen Staubgeborenen bringt!

Ägir aber saß in seinem beengten Reich und grollte in seinem Riesenherzen über die Landverschwendung. Es fiel ihm Gott We oder Loki ein. Auch der war stets auf die Götterwirtschaft in Asgard schlecht zu sprechen. Der war allerdings nicht daheim, sondern hoch oben nach einer Insel gezogen, die heute den Namen »Island« trägt, in deren Erde er versuchsweise Feuer gesteckt hatte. Ihm kam der Wasserherrscher Ägir gerade recht. Aufmerksam lauschte er dem Bericht, erriet die noch unausgesprochene Bitte sofort, zwinkerte gar böse mit den schmalen, listigen Augen, strich sich langsam über den feuerroten Bart und sagte: »Da, wo die Waldungen Odins ihre rauschenden Wipfel gen Himmel heben, ist nichts zu machen, ebenso da, wo Gesteine den Küsten einen natürlichen Schutzwall geben; aber, mein Lieber, es gibt ja noch baumlose Strecken. Was hat denn Herta zu deren Schutz getan?«

»Zum Schutze – nichts! Aber zum Schmuck trotzdem!« brummte Ägir.

»Das sieht ihr ähnlich! Womit hat sie denn das Flachland geschmückt?«

»Mit allerhand blühenden Gesträuchen. An denen hängen verschiedenartig gestaltete Blüten in rötlichen, bläulichen, weißen Farben und grünen Blättern. Auch kleine Tannengesträuche und viele Sträucher mit wohlschmeckenden Früchten ziehen sich über den Sandboden, der von meinem Meere geblieben ist.«.

»Du hast wohl vergessen, Alter, daß in den Tiefen deines Reiches noch mehr Sand zu haben ist, und Schlamm von deinem verrotteten Grünzeug im Wasser dazu. – Laß den Neck und Nick ordentlich Sand und Schlamm emporheben und tanzend auf deinen bebauten Meersand schleudern. Dann sind die Blümlein und das andere Gewächs gewesen!« –

Als am anderen Morgen Neck und Nick nach vollbrachtem schweren Nachtwerk mit ihrem Gebieter schliefen, und das weite Meer wie ein sanftes Kind in seinem Bette friedlich zu schlummern schien, ging Herta durch ihr Reich – und weinte!

Als sie so ratlos sinnend stand, sah sie den Liebesgott Balder, den lichten Sohn der Freya, daherschweben. Der senkte sich sofort zu ihr hernieder, verstand ihr Leid alsobald und sagte: »Liebereiche Göttin, verzaget nicht! Seht, ich schreite mit Euch über die Flächen, der Eure Tränen eine leichte Erdschicht gegeben haben. Die verschütteten Pflänzlein werden durch meinen Gang zum neuen Leben emporsteigen, und Loki wird sehen: sie sind in Treuen fest! Allerdings können sie nach dem beschwerlichen Wege durch Sand und Schlamm nicht in Farbenpracht erstehen, aber dafür werden sie desto dauerhafter sein und dem schmucklosen Heideland nun durch ihre treue Liebe einen Schmuck verleihen, der den Menschen von dem Zauber der Natur erzählen wird. Sie werden noch nach Jahrtausenden von Eurer Liebe reden. Was ihnen bei dem beschwerlichen Werdegang, den sie jetzt zu machen haben, an Aussehen verloren geht, werden sie an innerer Süße gewinnen. So wie der Linde schlichte Blüten einen Saft bergen, der durch die Arbeit der fleißigen Biene zu wohlschmeckender, heilkräftiger Nahrung wird, also soll auch die nun schlicht ausschauende Heideblüte einen ähnlichen Saft besitzen, der die Bienen zur fleißigen Arbeit herbeirufen wird. Ihr werdet einst erfahren, liebliche Göttin, daß der Heidehonig gepriesen wird. Auch Eure Nadelbäume werden an das Tageslicht kommen, anders als vorher, doch entschlossen, hier weiter zu verweilen. Selbst eßbare Früchte werden, allerdings nicht in solcher Saftigkeit und Schönheit, zum Pflücken einladen. Die Heide wird gleichsam das hohe Lied von treuer, selbstloser Liebe singen, von der Liebe, zu der die Menschen ehrfurchtsvoll emporsehen, weil sie sich rein nur in der barmherzigen Gottesliebe findet, denn auf Erden finden wir sie nur annähernd in der mütterlichen Liebe oder in der Liebe seltener Menschen, die selbstlos für die Mitmenschen sorgen. Daher werden die Menschen später eine Vorliebe für die Heidestrecken empfinden, denn in ihnen allen schlummert bewußt oder unbewußt der Wunsch, auch die Fähigkeit zu einer solchen Liebe zu erringen.«

Balder schwieg und schritt über die verschlammten und versandeten Strecken. Herta blieb ihm zur Seite. Dann schieden beide mit einem festen Händedruck.

»In Treuen fest,« sprach Herta. »In Treuen fest,« antwortete Balder.

Loki hörte es, hinter einem Steinhaufen verborgen, und dachte: »Hm, die haben etwas ausgeheckt! Daß mir der Balder auch immer in die Quere kommen muß! Den kann ich nun einmal nicht leiden, der glättet alles mit seiner Liebe. Bin neugierig, wie er es aber hier anstellen will!«

Bald wurde seine Neugierde befriedigt – aber zu seinem Verdruß. Es reute ihn, dem Ägir zu Willen gewesen zu sein. Früher war es ja schöner im Flachland gewesen, das war richtig, aber die Schönheit hätte nicht so viel Eindruck hinterlassen. Schönheit allein verliert auf die Dauer eben ihren Reiz. Diese Neugestaltung aber, das sagte sich Loki, würde nie den eigenartigen Zauber verlieren. Sie besaß eine Wesensähnlichkeit mit dem Liebesgott, der den Heidegewächsen zugerufen hatte: »Scheuet keine Mühe, kommt hervor aus Nacht und Graus und helfet der Heide das Leid tragen, das die Bosheit über sie verhängt hat, bleibt in Treuen fest

Die Sandheide – Erica vulgaris – und die Moorheide – Erica tetralix – umschließen seitdem in gleichsam liebevoller Umarmung den durstigen Boden. Der spröde Oberstock entladet sich in einem Übermaß von Zweigen, die sich aber nicht zu einem kräftigen Stamme entwickeln. Sie schieben sich mit ihren vielen Blättchen, die wie Stengel aussehen, über den Erdboden hin, und lassen eine Fülle von Blütenglöckchen entstehen, die bald lila, bald zartrot über die Heide das warm schimmernde Mattrot des Abendhimmels verbreiten.

Auch der verkümmerte Nadelstrauch, der Wacholder, rollt sich über den Erdboden gleichfalls schützend weiter und macht mit seinem kaltblauen Metallschimmer den Eindruck, als stände er in Wehr und Waffen zur Verteidigung seines Mutterlandes. Die verdorrten Nadeln, die ihm abfallen, ermöglichen es, den Heidel- und Preiselbeeren, sich anzusiedeln, den Wanderer freigebig zu erquicken und die Menschen zu veranlassen, sich den Genuß der duftenden Beeren durch Sammeln und Kochen für den Winterbedarf sogar bis zum nächsten Blühen zu erhalten.

Wenn die Bienen im Sommer mit Gesumm auf diese süße Weide gehen, dann lauschen die Menschen ihrem aneifernden Arbeitsgesange mit Entzücken.

Der Mensch, der den Heidezauber in sich wirken läßt, geht reich von dannen. In ihm klingt das hohe Lied der selbstlosen Liebe. Das Zauberwort » in Treuen fest« wird ihm zum Talisman, daheim und im Getriebe des Lebens, es führt ihn sicher durch den Wechsel der Zeiten, denn es macht fröhlich und genügsam.


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