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Die Dame mit dem Nervenzucken.
Novellette von Rudolf Presber

Er saß mir im Eisenbahnkupee gegenüber auf einer Fahrt von Frankfurt a. M. nach Basel. Der kurzgeschnittene, gepflegte Vollbart verwirrte mich. Aber ich fand doch allerlei Züge in diesem Gesicht, die mir erst undeutliche, dann immer bestimmtere Erinnerungen weckten. Auch die pedantische Art, in der er seine Reiselektüre aufschnitt, jede Seite nachprüfend, ob er auch nicht das Buch lädiert, und die umständliche Behandlung seines Handgepäcks bestärkten mich in meiner Vermutung.

Wenn er nur den Handschuh ausgezogen hätte, den Handschuh der rechten Hand.

Zwischen Ysenburg und Sprendlingen zog er den Handschuh aus. Richtig – da war die breite, mattrote Narbe, von der Handwurzel laufend zum Zeigefinger, jenes Gedächtnismal an einen heißen Sommervormittag auf der Heidelberger »Hirschgasse«. Er hatte damals einem seiner Korpsbrüder sekundiert bei einer gewöhnlichen Bestimmungsmensur. Und just als er einen der berühmten Spicker des Gegenpaukanten herausfangen wollte, schlug ihm der Schläger den Handschuh durch. Und die schöne Schramme blieb. Sieben Nadeln waren's. Ich erinnerte mich noch gut. Und seinen Ärger und seinen Schmerz mit Humor unterdrückend, saß er leichenblaß im »Folterstuhl« und ließ sich einen Brief von zu Hause, den der Korpsdiener mit von der Kneipe gebracht, von seinem Vetter und Leibfuchs vorlesen, während der Paukdoktor die krummen Nadeln durch das Fleisch zog ...

»Erasmus –!«

»Verzeihung. Sie kennen mich?«

Der gute Junge, immer noch korrekt, wie ehedem, ließ das Buch, in dem er gelesen, einen schönen roten Engelhorn, in den Schoß gleiten und sah halbaufgerichtet nicht ohne Verwunderung zu mir hinüber.

»Aber natürlich. Ich bin doch der ›Jagdkönig‹;.«

Dies war mein Kneipname geblieben, seitdem ich auf meiner ersten Jagd hinter Neckarsteinach eine Hauskatze geschossen hatte.

Alles Korrekte wich aus seinen Zügen. Er war im selben Moment ganz Mensch. Ein Mensch, der sich freut, ein Mensch, den die Erinnerung frohester Jugendtage rüttelt und schüttelt. Und seine beiden Hände mir herüberreichend, wiederholte er mit dem guten offenen Lachen seiner Studententage immer wieder:

»Jagdkönig! Nein, aber so was, aber so was!«

Ich äußerte ähnlich Geistvolles, wie denn überhaupt die ersten fünf Minuten zwischen alten guten Bekannten in den Wogen des Gefühls selten Goldkörner der Weisheit an den Strand werfen.

Wir sprachen nach den ersten Interjektionen, deren Aufzeichnung ohne Interesse ist, von Heidelberg,, unserem Heidelberg, das wir gekannt hatten, auch von dem Alt-Heidelberg, das Meyer-Förster geschickt für Kulissenwirkung zurechtgeschnitten hat. Die vortreffliche Tante Felix, die nun schon der Rasen deckte, stieg auf. Muck, der dicke, weinfrohe Dienstmann, lachte uns in vergnügter Behäbigkeit an. Der Wilhelm im Café Häberlein, der die schwierige Reihenfolge der Schnäpse, die unser russischer Freund in seinen melancholischsten Stunden ersonnen, spielend auswendig gelernt hatte, schob seinen blonden, frischen Jungenkopf ins Kupee. Der Fahrt mit Fackeln und Musik von Neckargemünd herunter zum Schloß, das im bengalischen Feuer lichtgrün erglänzte, wurde mit Wehmut gedacht und jener Mittag oben im Karzer heraufbeschworen, da wir das Verbot für Studierende, »Eingespunnte« zu besuchen, dadurch zu umgehen wußten, daß wir als reisende Engländer, in karierte Mäntel gehüllt, diese sehenswerten Räume besuchten, nicht ohne zwei Flaschen Arrak-Punsch-Essenz für die dort eifrig an der Verschönerung der Wände arbeitenden »Schwerverbrecher« einzuschmuggeln.

Plötzlich ward ich aus all den lieben Träumen in die Wirklichkeit zurückversetzt. Ein goldiges Glitzern vom Ringfinger des wackeren Erasmus gab meinen Gedanken eine jähe Richtung in die Gegenwart.

»Erasmus, du – du bist verheiratet

»Ja. Das heißt – wieso? Seh' ich so aus?«

»Nicht ganz. Bloß dein Ringfinger.«

»Mein –? Ach so, ja.«

»Und das erzählst du mir gar nicht?«

»Aber wir haben doch die ganze Zeit von wichtigeren Dingen gesprochen. Von der Tante Felix und von dem Muck und von dem Wilhelm bei Häberlein und von – – du, weißt du, daß der kleine Mittelsbach zwei Semester, nachdem du weg warst, bei einer Säbelmensur ›gekniffen‹ hat?«

»Was du nicht sagst!«

Ich hatte an den kleinen Mittelsbach überhaupt nur eine einzige, nicht ganz ungetrübte Erinnerung. Nach einem Festkommers zu irgend jemandes Ehren, den wir beide nicht kannten, hatten wir uns »gegenseitig« nach Hause begleitet. Das heißt, wir waren zwei Stunden zwischen seiner Wohnung in der Plöck und meiner Wohnung in der Anlage, die etwa drei Minuten auseinanderlagen, hin und her gewandelt und hatten uns lebhaft besprochen, ob man den Kindern das Märchen vom Storch erhalten soll oder nicht. War er nun dagegen und ich dafür, oder war ich dagegen und er dafür – ich ahn' es nicht mehr. Ich weiß nur das: als wir etwa zum siebzehnten Male am Silbernen Hirschen vorbeikamen, ging oben ein Fenster auf, und es goß uns jemand, dem unser lauter Disput mißfiel, ein Glas schmutziges Wasser über den Kopf, Wasser, das offenbar zum Zahnputzen bestimmt war oder gedient hatte; denn eine alte Zahnbürste von geringer Appetitlichkeit fiel mit herunter ...

»Aber, lieber Erasmus, was interessiert mich nun der dämliche Mittelsbach. Von dir erzähl' mir, von deiner lieben Frau, ja? Hab' ich sie vielleicht gekannt? Ist es am Ende –?«

»I, wo denkst du hin!«

»Nein – wenn ich mir dich verheiratet denke! Du verzeihst doch, wenn ich lachen muß.«

»Bitte, bitte, tue deinen Gefühlen keinen Zwang an. Besonders nicht, wenn sie so munterer Natur sind.«

»Das letztemal, als ich dich sah, hieltest du mir einen kleinen Vortrag über die Ehe. Erinnerst du dich? Auf der Molkenkur hatten wir uns getroffen. Du warst empört über die vielen Hochzeitspärchen und eifertest gegen das unanständige Arm-in-Arm-Gehen und die Profanation diskretester Gefühle ...«

Er rutschte nervös auf seinem Polster hin und her und spielte mit der schmutzigen Fensterquaste.

»Ja, ja,« sagte er heftig. »Ich kam von einer Maibowle. Bowlen lösen seltsamerweise in mir immer frauenfeindliche Stimmungen aus. Das ist wissenschaftlich sehr merkwürdig.«

»Aha. Ist das immer noch dein drittes Wort: ›wissenschaftlich sehr merkwürdig?‹«

Er wurde etwas verlegen und sah anscheinend stark interessiert zum Fenster hinaus.

Wir fuhren gerade in Darmstadt ein.

Es ist schwer, ein starkes Interesse für den in nichts außergewöhnlichen Darmstädter Bahnhof längere Zeit zu heucheln. Und da sich absolut nichts Bemerkenswertes ereignen und niemand bei uns einsteigen wollte, so gab er seine Beobachtung des Perrons, auf dem ein übernächtig aussehender Kellner fünf Schinkenbrötchen auf einem Brett balancierte und zwei Burschen in Dragoneruniformen mit den Mänteln ihrer Offiziere überm Arm reglos wie zwei alte Kaminsimsfiguren standen, mit einem leichten Seufzer wieder auf.

Der Zug setzte sich in Bewegung.

Mich ärgerte diese Schweigsamkeit ein wenig.

»Na, und du bist natürlich sehr glücklich?« forschte ich, um etwas zu sagen. »Man sieht dir's an.«

»So. Sieht man's? Das freut mich. Käthe sagt's auch.«

»Käthe – das ist –?«

»Meine Frau. Ja.«

»Hast du ein Bild von ihr?«

»Nein. Sie – sie photographiert sich schlecht.«

»Ach – gewiß ein sehr lebhaftes Gesicht?«

Er streifte mich mit einem sonderbar mißtrauischen Blick. Dann sah er wieder zum Fenster hinaus nach den fernen Konturen der Bergstraße. Und nach einer Weile bestätigte er:

»Wie du sagst, ein sehr lebhaftes. Gesicht.«

Mich ärgerte diese Berichterstattung. So tropfenweis, so langweilig. Warum erzählte er nicht frisch von der Leber weg? Eine blödsinnige Mesalliance konnte dieser korrekte, reputierliche Junge doch unmöglich gemacht haben. Die Leidenschaft war in den unreifsten Jahren nie mit ihm durchgegangen. Das »Wissenschaftlich Merkwürdige« war ihm stets über alles gegangen. Und da er als gutsituierter junger Mann, früh verwaist und unabhängig, sich nicht mit einem Brotstudium zu quälen brauchte, so suchte er das »Wissenschaftlich Merkwürdige« bald in dieser, bald in jener Disziplin. Er blieb in allen Sätteln wohl ein Dilettant; aber er saß in keinem ohne Geist und Fleiß und ehrliche Begeisterung. Bis ein neues Interesse ihn zu einer anderen wissenschaftlichen Merkwürdigkeit entführte und mitriß.

Mich quälte es plötzlich, in dieser Sache klar zu sehen.

»Ist deine Frau auch –«

»Nein,« sagte er ruhig.

»Ja, aber ich habe ja noch gar nicht gesagt, was ich meinte.«

»Tut nichts. Alles, was du meinen kannst, ist sie nicht. Sie ist nicht aus unserer Gegend. Eine Schleswig-Holsteinerin. Sie ist nicht aus guter Familie und nicht aus schlechter. Eigentlich aus gar keiner. Ihr Vater war Stationsvorsteher oder so was und kam, als sie fünf Jahre alt war, zwischen die Puffer eines Rangierzuges. Unter uns: ich glaube, er trank. Die Mutter starb ein Jahr später. Ein kinderloses altes Ehepaar in Ratzeburg, das das hübsche, blonde Mädchen bei einem kurzen Ferienaufenthalt dort oben liebgewonnen, nahm die Kleine zu sich. Ihr Sprachtalent war stark; sie machte ihr Lehrerinnenexamen und war gerade damit fertig, als die beiden Alten kurz nacheinander starben. Sie war die Erbin.«

»Erbin – klingt erfreulich.«

»Es war nicht viel dahinter. Es reichte gerade, ihre Sehnsucht zu stillen, in Berlin einen Winter Vorlesungen zu hören, die literarischen Premieren zu besuchen und sich langsam einen Wirkungskreis als Sprachlehrerin zu schaffen.«

»Also eine reine Neigungspartie von deiner Seite?«

»Eine Nei-gungs-partie?« Er kaute das Wort. »Hm, ja und nein. Es war, wenn ich so sagen darf, mehr das Wissenschaftlich – –«

Er stockte und wurde rot. Ich hatte das Gefühl, daß ich mit offenem Munde dasaß, und klappte ihn rasch zu.

»Das Wissenschaftlich-Merkwürdige? Erasmus, auch hier –«

»Ja, meine Frau hat nämlich –«

»Eminentes Sprachtalent, du sagtest das schon.«

»Ja, das auch. Und dann hat sie –«

»Einen vorzüglichen Charakter, ich bin überzeugt.«

»Ja, ja, das auch. Aber das war nicht das Entscheidende. Sie hat –«

Er hielt wieder ein und betrachtete seine gutgewichsten Stiefelspitzen mit einem Interesse, als werde er ihrer zum ersten Male in diesem Leben ansichtig. Und dann, als ob er aus dieser gewissenhaften Betrachtung Mut und Kraft zu einem Geständnis gewinne, sagte er langsam und feierlich:

»Sie hat nämlich – Nervenzucken

Ich glaubte nicht recht gehört zu haben.

»Pardon, was hat sie?«

»Nervenzucken.«

Einen Augenblick hatte ich die Empfindung, als ob ich die Notleine ziehen müsse. In den Mienen meines Gegenübers dieser würdige Ernst, der so seltsam mit der wunderlichen Mitteilung kontrastierte, schien auf unheilbaren Irrsinn zu deuten, und in diesem einen Augenblick hätte ich lieber einem ausgewachsenen Gorilla gegenübergesessen, als diesem unheimlichen Menschen, der, in die Betrachtung seiner Stiefelspitzen versunken, als einzigen Grund zur Heirat – das Nervenzucken seiner Frau angab.

Er schien sich dessen bewußt zu werden, daß ich so etwas wie eine Erklärung erwarten könnte.

»An meinem ersten Abend in Berlin,« sagte er, »traf ich sie. In einem Philharmonischen Konzert. Ich saß an der Seitenwand. Gerade so, daß ich direkt auf sie schauen mußte. Ich hatte beim Nachhausegehen keine Ahnung, was eigentlich gespielt worden war. Du verstehst.«

»Gewiß, du warst hingerissen von ihrer Schönheit.«

»Aber nein. Ich sagte doch schon, sie hat Nervenzucken. Das zerstreute mich. Als Nikisch eben den Taktstock hochnahm, entdeckte ich's. Und nun konnte ich nicht mehr wegsehen. Konnte einfach nicht mehr. Das ist ein psychischer Zwang, verstehst du?

»Schon, schon. Ein psychischer Zwang zum Hinsehen – gut. Aber zum Heiraten – –«

»Ach, – du mußt dir unter dem Zucken nichts furchtbar Entstellendes vorstellen. Es ist wie ein sanftes Leuchten, wie ein huschendes Blitzen vom linken Augendeckel nach dem rechten Mundwinkel. In Zwischenräumen von 17 bis 35 Sekunden. Ich hab' es damals heimlich mit der Uhr in der Hand kontrolliert. Wenn sie sich erregt, kommt das Zucken am häufigsten. In der Stunde, als wir uns verlobten, hat sie sogar in Abständen von 13 bis 15 Sekunden gezuckt.«

»Ja, Mensch, hast du denn das auch kontrolliert.«

»Ich hatte unauffällig die Uhr in der Hand.«

Eine kleine Pause, in der Erasmus eine Fliege fing, tötete und aus dem Fenster warf. Nun sah ich auf die Stiefelspitzen. Allerdings ohne sehr viel Weisheit daraus zu ziehen.

»Seit jenem Konzert, auf dem sich mein Interesse für das Wissenschaftlich- Merkwürdige dieses Falles entwickelt, sah ich sie wöchentlich mehrfach. Wir hatten dieselben Neigungen, ich sagt' es schon. Theater, Konzerte, wissenschaftliche Vorträge und immer das Beste, was an dem betreffenden Abend geboten wurde. Oft placierte mich der Zufall in ihre Nähe. Saß sie entfernter, so mußte ich mit dem Opernglas so lange suchen im Saal, bis ich sie gefunden hatte. Ich sah manchmal über solche Parkettreihen hin und hatte das Gefühl, daß ich da lauter tote Holzgesichter mit meinem Blicke streifte, bis ich ihr Köpfchen vor dem Glas hatte. Da war Leben darin, ein unheimliches Leben, das seine Funken in meine Seele warf. Das Wissenschaftlich-Merkwürdige hat mich zunächst angezogen. Dann war's ein dämonischer Zwang, schließlich eine Gewohnheit. Es fehlte mir etwas im Theater, im Konzertsaal, wenn ich nicht dieses unruhige Gesichtchen entdeckte. Es war dann, als wären die Lampen noch nicht angezündet, als könnte unmöglich da vorn etwas beginnen. Einmal wollte es der Zufall, daß ich neben sie zu sitzen kam, direkt neben sie. Das machte mich unruhig. Denn nun konnte ich nicht nach ihr sehen, ohne ihr aufzufallen, was bis jetzt nicht geschehen war; ohne ihr zudringlich zu erscheinen. Aber ohne hinzusehen, fühlte ich ganz genau im Abstand von etwa 20 Sekunden: jetzt zuckt sie. In der Pause ging ihr eine kleine, schlecht schließende Bonbonniere auf, und die Hustenbonbons überstreuten sie und mich und den Boden. Das brachte uns in ein kurzes Gespräch über Husten und Hustenbonbons. In der folgenden Pause sprachen wir schon von Kunst. Zwei Abende später brachte ich sie aus einem Konzert nach Hause. In jenen Tagen las ich sehr viel über die Nerven, über ihre elektromotorische Eigenschaft, über die Neigungen der Nervenfasern und ihre Beziehungen zum Zentralorgan. Ich fing wieder an, mich wissenschaftlich zu beschäftigen, und war mir bewußt, das ihr zu verdanken. Diese Dankbarkeit vermählte sich mit dem Interesse, und allmählich trat an die Stelle des quälenden direkten Zwanges, der mich immer wieder in ihre Nähe geführt, eine Zuneigung edlerer Art. Ich empfand erst ein Ruhegefühl, wenn ich sie zucken sah; und der Gedanke, daß dieses Zucken aufhören könnte, machte mich nervös. Ich wußte wochenlang nichts von ihr, als daß sie Nervenzucken hatte – und begann sie zu lieben. Schließlich heiratete ich sie. Als wir am Altar standen, war sie so erregt, daß sie mit ihrem Gesichtszucken – in Abständen von sieben bis neun Sekunden – den Pastor aus dem Konzept brachte. Er kam plötzlich in eine Kindtaufrede, die er für den Nachmittag präpariert hatte. Und dann fing er auch an zu zucken und endigte schnell. Als wir am Abend nach dem Bahnhof fuhren, um die Hochzeitsreise anzutreten, lachte meine Frau plötzlich laut auf. Aber, Kindchen, was hast du? fragte ich. – Ach, ich muß Lu den Pfarrer denken. Er war zu komisch. Man soll ja über so was nicht lachen, eigentlich. Aber hast du's bemerkt, der gute Mann hat offenbar das Nervenzucken. – Ich hatte es bemerkt.«

Erasmus schwieg eine Weile und knipste imaginäre Pünktchen von seinen Hosenbeinen. Dann sagte er:

»Siehst du, ich habe Bekannte, die haben nach Geld geheiratet – sie sind nicht glücklich geworden. Ich habe andere Freunde, die haben aus Leidenschaft geheiratet – sie sind heute sehr unglücklich. Ich hüte mich, fremden Leuten zu erzählen, wie ich zu meiner Frau kam. Sie würden's doch nicht verstehen. Aber, siehst du, ich bin recht glücklich geworden ...«

In Zwingenberg verließ ich den Zug, wichtige Geschäfte vorschützend. Der Mann war mir unheimlich mit seinem häuslichen Glück.

Im Gasthaus traf ich unter den Sommerfrischlern einen Universitätslehrer, zu dessen Füßen ich einst gesessen. Er war sehr lieb und herzlich und sichtlich erfreut, den alten Schüler wiederzusehen. Plötzlich aber legte er mir die Hand schwer auf die Schulter:

»Hören Sie, lieber junger Freund, mir kommt vor, sie überarbeiten sich. Sie haben da solche Nervenzuckungen im Gesicht. Das hatten Sie doch früher nicht ...?«

Aus »Von Leutchen, die ich lieb, gewann«, Verlag Deutsche Verlags-Anstalt.


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