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Wie Schnablinsky die Elisabeth spielte.
Original-Humoreske von Richard Schott

In einer anderen Geschichte erzählte ich von meinem lieben Freunde Schnablinsky, daß der brave Grenadier mit dem unvorschriftsmäßigen Fütterungsbedürfnis dadurch von seinem menschenfreundlichen Kompagniechef zu einem kleinen Nebenverdienste Gelegenheit erhalten hatte, daß er zur Statisterie in die Oper kommandiert worden war. Von dem, was ihm auf den weltbedeutenden Brettern Abenteuerliches begegnete, möchte ich jetzt ein Stücklein erzählen.

Der freundliche Leser muß wissen, daß Schnablinsky infolge seiner Teufelsfurcht einmal beinahe die ganze Vorstellung von Gounods Oper »Faust« gestört hätte, wenn er vom Gefreiten Semmelteig nicht noch rechtzeitig beim Rockzipfel gepackt und hinter die Kulissen befördert worden wäre. Dieser Vorfall hätte um ein Haar seine weitere Verwendung im Theaterdienst, die ihm doch jedesmal bare 50 Pfennig einbrachte, in Frage gestellt, wenn die Herren Vorgesetzten nicht Gnade für Recht hätten ergehen lassen. Da Schnablinsky aber sonst ein so tüchtiger Soldat war, und da ihm nun einmal ein kleiner Zuschuß zu seiner Löhnung verschafft werden sollte, so wurde er eines Tages doch wieder in die Oper kommandiert, als Wagners »Tannhäuser« gegeben werden sollte. Allerdings hatte der Herr Feldwebel Mampe ihn vorher gehörig ins Gebet genommen und ihm gesagt: »Sie werden heute abend einen thüringischen Ritter vorzustellen haben, Schnablinsky. Das ist eine Sache! Folgen Sie dieses Mal aber dem Gefreiten Semmelteig besser; denn wenn mir wieder etwas vorkommt, dann geht es Ihnen schlecht, das merken Sie sich. Die Kompagnie muß wie immer Ehre einlegen. Ob das nun in Kommiß- oder in Ritterstiefeln ist, das bleibt sich gleich; denn Soldat bleibt Soldat. Also, wie gesagt, halten Sie sich stets an den Gefreiten Semmelteig, lassen Sie sich von diesem gehörig instruieren und nehmen Sie sich zusammen. Haben Sie verstanden, Schnablinsky?«

Verstanden hatte Schnablinsky nun wohl; denn mit der Zeit war es ihm doch gelungen, wenigstens so tief in die Geheimnisse der deutschen Sprache einzudringen, daß er einen Rüffel von einer Anerkennung unterscheiden konnte. Aber damit war es in diesem Falle nun nicht getan, und als er pünktlich um 4 Uhr 45 Minuten nachmittags am Hauptportal anlangte, wo er sich bei dem Sergeanten Quabbe, der das Kommando über die Theaterspieler zuerteilt erhalten hatte, melden sollte, da schlug ihm doch das Herz ganz gewaltig vor banger Erwartung. Sein einziger Trost war der Gefreite Semmelteig. An den wollte er sich halten, den wollte er niemals aus den Augen verlieren. Die Instruktion, die Semmelteig ihm gegeben hatte, war allerdings wenig geeignet, seine Besorgnisse zu zerstreuen. Er wußte davon auch nur noch dunkel die Antwort des Gefreiten auf seine Frage, was denn eigentlich die »thüringischen Bittern«, von denen der Herr Feldwebel gesprochen hätte, für 'ne Sorte von Kümmel wären. – »Thüringische Rittern, nich' Bittern, du Tranflöte,« hatte Semmelteig gesagt, »na das sind so welche, siehste, mit lange Stiebeln und Blechtöppe uff 'em Kopp, so unjefähr wie die Kürassiere ihre. Na und denn wird jesungen, jehauen und Radau jemacht, was nämlich die Hauptsache is! Und wie jesagt, passe sonst man immer auf mir uff, und wenn du mir mal aus dem Besehwinkel verloren hast, dann rufste bloß »Semmelteig!« – dann werde ick das Weitere schonst inszenerieren.«

»Denn ruft sich Schnablinsky bloß: Semmelteig.« Diesen Satz wiederholte unser Freund wohl hundertmal in Gedanken, als er jetzt in Erwartung unter dem Hauptportal stand. Und nach diesem Satz wollte er auch handeln, das hatte er sich fest vorgenommen. Deshalb war er seelensfroh, als mit den anderen Mannschaften endlich auch der Gefreite Semmelteig, der sich vorher noch in der Kantine durch einige »Schnitts« auf seine künstlerische Wirksamkeit vorbereitet hatte, am Hauptportal anlangte, von wo aus die zukünftige thüringische Ritterschaft in Stärke von 25 Mann unter Führung des Sergeanten Quabbe mit dem Glockenschlage fünf nach dem Theater abrückte. – Eine halbe Stunde darauf hätte wohl niemand in den stolzen thüringischen Rittern die 25 braven Grenadiere wiedererkannt. Schnablinsky sperrte buchstäblich Mund und Nase auf. – Als er das erstemal hinter den Kulissen gestanden hatte, war er von all dem Neuen so betäubt gewesen, daß er weder zu sehen noch zu hören vermocht hatte. Heute aber gab ihm ja sein Vertrauen zu dem Gefreiten Semmelteig eine gewisse Sicherheit, und diese bewirkte es, daß er, wenigstens vorläufig noch, Herr über seine fünf Sinne blieb. Was war aus dem Gefreiten Semmelteig geworden und aus all den anderen Grenadieren! Und so »forsch« sollte auch er aussehen, er, der arme Ladislaus Schnablinsky aus Schmogulez? Ihm war, als wäre er auf einmal viel größer, viel vornehmer geworden, ihm war, als könnte das grimmige Wörtchen »Hunger«, mit dem er trotz aller Fürsorge seiner guten Vorgesetzten doch immer noch dann und wann in sehr peinliche Berührung kam, nun nie mehr in seinem Leben eine Rolle spielen; als brauche er jetzt nur einmal mit dem Finger zu winken, um einen ganzen Berg von belegten Stullen neben sich hervorzuzaubern. Diese prachtvollen gelben Stiefel mit den glänzenden Sporen, die so lang waren, daß man fast darüber stolperte! Solche hatte ja nicht einmal der Pan Amtmann in Schmogulez gehabt! Und dann der schöne himmelblaue Kittel mit der funkelnden Goldpaspelierung, der lange Schleppmantel, der breite Sammetgürtel mit den großen blitzenden blauen, roten, grünen und gelben Steinen, der gewaltige Säbel mit dem schönen goldenen Griff, und vor allem der glänzende silberne Helm mit den langen, wallenden blauen und weißen Federn! Ja, jetzt verstand er es, daß die thüringischen Bittern oder Rittern mit Kümmel nichts zu tun haben konnten!

Nachdem der kleine, bucklige Statistenoberst, der – unter uns gesagt – den Musen nur nach Feierabend diente, während er während des Tages einem Geschäfte vorstand, an dessen Pforten drei Messingbecken den Leuten mit allzu üppigem Bartwuchs Befreiung von ihrer unfreiwilligen Borstigkeit verhießen –, nachdem dieser würdige Herr den kühnen Rittersleuten mit einer alten Hasenpfote schöne rote Wangen gemalt hatte, wurden sie aus der Garderobe entlassen und zum Friseur geführt. Hier bekam jeder eine lange Lockenperücke aufgestülpt, Schnablinsky eine wundervolle rotblonde. Dann fuhr der Friseurgehilfe ihnen der Reihe nach, erst von rechts und dann von links, mit einem dicken von Gummiarabikum triefenden Pinsel unter der Nase vorbei, worauf der Oberfriseur jedem einzelnen einen mehr oder weniger haarigen Schnurrbart auf die Lippen drückte; eine etwas kitzlige Handhabung, bei der Schnablinsky nur mit Aufbietung aller seiner moralischen Kräfte des Niesens sich erwehren konnte.

Damit war die Verwandlung beendigt; aus den plumpen Kommißraupen waren die schmuckhaften Theaterschmetterlinge entstanden. Kurz, die thüringischen Ritter waren fertig, und mit der Miene stolzer Befriedigung führte der Sergeant Quabbe, der zur Aufsicht hinter den Kulissen bleiben mußte und als Vorgesetzter seine Uniform anbehalten hatte, seine Helden an den Platz, von dem aus sie im zweiten Akte unter den Klängen des Einzugsmarsches die edle Halle der Wartburg betreten sollten. Schnablinsky hatte sich dicht neben dem Gefreiten Semmelteig aufgestellt. Ihm war ganz wirr im Kopfe von all der Pracht und Herrlichkeit, die sich vor seinen Blicken entfaltete. Diese vielen Ritter mit ihren prachtvollen Rüstungen, diese lieblichen Mädchen und schönen Frauen mit ihren bunten, fremdartigen Kleidern und diese allerliebsten kleinen Pagen mit ihren zierlichen Federhütchen und den kostbaren, gestickten Wappenröcken! Ihm klopfte das Herz vor Aufregung unter seinem himmelblauen Kittel, und so vertieft war er in den Anblick dieser nie geschauten Wunder, daß er den Befehl zum Abmarschieren ganz überhörte und ruhig hinter den Kulissen stehen blieb, während die Kameraden schon mit stolzen Schritten die Wartburghalle durchmaßen, um dem auf dem Throne sitzenden Landgrafen ihre vorschriftsmäßigen Honneurs zu erweisen. Endlich machte ihn das Gelächter der in seiner Nähe stehenden Frauen und Pagen auf sein Versehen aufmerksam. Nun stürmte er mit solcher Heftigkeit auf die Bühne hinaus, den anderen Soldaten nach, daß sein silberner Helm dabei das Gleichgewicht verlor, ihm vom Kopfe fiel und über die ganze Szene fort bis dicht vor die Stufen des landgräflichen Thrones rollte, wo er vom Gefreiten Semmelteig, der mit einem Blick die gefährliche Lage überschaut hatte, noch gerade aufgefangen und mit einem kräftigen Fußtritt in den Hintergrund zurückbefördert wurde.

Man kann sich denken, wie Schnablinsky in diesem kritischen Augenblicke aussah. Er hatte nicht nur den Helm, sondern auch den Kopf verloren, und gewiß hätte er in seiner Verwirrung noch größeres Unheil angerichtet, wenn sich nicht die Choristen seiner erbarmt und ihn mit sanfter Gewalt nach hinten geschoben hätten, wo ein eindringliches Mahnwort Semmelteigs ihn endlich wieder zur Besinnung brachte, und wo er auch seinen Helm wiedererhielt. Der Akt ging nun ohne weiteren Unfall vorüber. Nur als Tannhäuser vom Venusberg zu singen angefangen hatte und sämtliche Ritter mit ungeheurem Lärm auf den frevelnden Sänger eindrangen, bekam Schnablinsky solchen Schreck, daß er über sein langes Schwert stolperte und beinahe lang hingefallen wäre. Aber in dem allgemeinen Wirrwarr bemerkte das niemand, und Schnablinsky war inzwischen doch auch schon so mutig geworden, daß er seine Fassung bald wiedergewann und in sehr ritterlicher Haltung an der weiteren Handlung sich beteiligte.

Dennoch war er recht froh, als, nachdem der Vorhang gefallen war, der Gefreite Semmelteig ihm mitteilte, daß die Soldaten nun eine gute Stunde Zeit hätten, bis sie wieder antreten und auf die Bühne gehen mußten. Durch die vielen ungewohnten Aufregungen war nämlich sein Magen in einen so gereizten Zustand versetzt worden, daß er alle anderen Organe in Schnablinskys Innern mit der an ihm ja bereits bekannten Rücksichtslosigkeit mundtot machte und in immer bedenklicher werdender Weise das große Wort führte. »Verschaffe mir ein Kommißbrot oder mindestens ein halbes Dutzend Salzkuchen, Ladislaus,« knurrte er ein über das andere Mal, »oder es geht dir schlecht. Oder denkst du vielleicht, du dürftest mich heute vernachlässigen, weil du eine so schöne rotblonde Perücke auf dem Kopfe und so prachtvolle gelbe Stiefel an den Füßen hast? Ja, da bist du aber sehr schief gewickelt. Sorge dafür, daß ich Arbeit bekomme, oder befürchte das Schlimmste.« Hierbei kniff er obendrein den armen Schnablinsky so jämmerlich in sämtliche Eingeweide, daß dieser eine Miene und eine Haltung annahm, die mit der Würde eines thüringischen Ritters in recht auffallendem Widerspruche stand. Aber was war da zu tun? Der Gefreite Semmelteig hatte sich, sofort, nachdem die Soldaten die Bühne verlassen hatten, auf die in einer Ecke hinter den Kulissen stehende Bahre hingestreckt, auf der in der Schlußszene die Leiche der Landgrafentochter Elisabeth, die übrigens an Stelle der Darstellerin der Rolle immer von einem mit einem weißen Tuche bedeckten Statisten markiert zu werden pflegt, auf die Bühne getragen werden sollte. Er kannte des Hauses Gelegenheit und schlief bereits den Schlaf des Gerechten, als Schnablinsky nach längerem Umherirren seiner endlich ansichtig wurde. Die anderen Mannschaften hatten es sich ebenfalls auf den zusammengerollt am Boden liegenden Dekorationen bequem gemacht. Niemand störte sie hier, und die ganze stolze thüringische Ritterschar fing denn auch bald sehr vernehmlich zu schnarchen an, während draußen auf der Szene der Pilgerchor seine feierlichen Weisen erklingen ließ. Nur Schnablinsky tappte ruhelos umher in den finsteren Gängen hinter den Kulissen. Wie hätte er an Schlaf denken können, während sein Magen ihn mit den schrecklichsten Vorwürfen überhäufte?

Plötzlich drang ein wonniger Duft wie von gekochtem Schinken an seine entzückt aufriechende Nase, und gleich darauf erblickte er auch eine offenstehende Tür, die zu einem Zimmer führte, in dem außer einigen Sofas und Stühlen auch ein riesiger, von der Decke bis zur Erde reichender Spiegel stand. Mit unwiderstehlicher Gewalt zog es Schnablinsky dahin. Noch einmal sah er sich nach dem Gefreiten Semmelteig um, der friedlich auf der Bahre der Elisabeth schnarchte, und zu dem er sich ja doch gewiß wieder zurückfinden würde, dann schlüpfte er in das Zimmer. Es war leer. Nur aus dem großen Stehspiegel stierte ihn ein prächtig geschmückter Ritter an, in dem unser Freund nur mit Mühe den armen Grenadier Schnablinsky wiedererkannte. Ach wie schön wäre es gewesen, wenn man diesen wundervollen Anblick so recht lange hätte genießen können! Aber ein hungriger Magen hat wenig Verständnis für geputzte Ritter, besonders wenn aus der Umgebung so köstliche Schinkendüfte auf ihn eindringen, wie hier. Dennoch wollte Schnablinsky es sich nicht nehmen lassen, wenigstens seinen Schnurrbart noch einmal im Spiegel zu bewundern, als er durch ein lautes Gelächter weiblichen Geschlechts aus seinen selbstgefälligen Betrachtungen gerissen wurde. In den Anblick seines Spiegelbildes vertieft, hatte er gar nicht bemerkt, daß er nicht mehr allein im Zimmer war. Überrascht blickte er sich um, aber ehe er noch dazu kommen konnte, sich von seinem Erstaunen zu erholen, hatte ihn schon eine ganze Schar reizender Venusberg-Nixen umringt. Er wollte sich losmachen und fliehen. Gleich nebenan schlief ja der Gefreite Semmelteig, und den durfte er unter keinen Umständen verlieren. Aber die Mädchen dachten gar nicht daran, ihn loszulassen. Sie hatten sich schon vorhin auf der Bühne über seine Unbeholfenheit belustigt und zogen ihn nun trotz seines Sträubens mit sich in einen großen Saal, in dem noch viele andere Mädchen waren, und wo er auch die reizenden Pagen wiederfand, die ihm schon vorher so sehr gefallen hatten. Und sie alle kamen jetzt auf ihn zu und lachten und scherzten mit ihm, daß es gewiß ganz herrlich gewesen wäre, wenn nicht sein bis aufs äußerste aufgebrachter Verdauungsapparat ihm jede Freude vergällt hätte. Was aber half es ihm unter diesen Umständen, daß die kleinen Ballettratten zum Anbeißen aussahen? Vom bloßen Sehen wurde er nicht satt. Sein einziger Trost war, daß der Schinkenduft hier noch kräftiger war, als im Vorzimmer, und daß er also hoffen durfte, endlich den Ort zu entdecken, von dem das so vielverheißende Aroma kam. Und diese Hoffnung betrog ihn nicht. Plötzlich erhellten sich seine vorher so angstvollen Züge. Wie elektrisiert, raffte er sich auf, und ehe die Damen noch wußten, was eigentlich mit ihrem Zwischenakts-Tannhäuser vorging, war Schnablinsky schon auf einen in der hintersten Ecke stehenden Tisch zugestürzt, auf dem ein halbes Dutzend Butterbrote mit gekochtem Schinken standen, die einige von den Balletteusen sich aus der Choristenkantine hatten heraufschicken lassen. Hier machte er halt, drehte sich zu den verwundert dreinschauenden Tänzerinnen um und rief in einem Ton, der Steine hätte zum Erweichen bringen können: »Hat sich Schnablinsky solchen Hunger, muß sich Schnablinsky essen oder umfallen!«

Die Mädchen brachen in ein schallendes Gelächter aus, eilten dann aber, als sie den Soldaten mit gar so sehnsüchtigen Blicken die Butterbrote verschlingen sahen, herbei, um Schnablinsky zum Essen einzuladen. Mit seligem Schmunzeln hatte unser Freund im nächsten Augenblicke eingehauen, daß es nur so eine Art hatte, und nicht eher hielten seine Kauwerkzeuge in ihrer rastlosen Arbeit inne, als bis die sechs Schinkenbrote vom Teller verschwunden waren. Dann atmete er – wie erleichtert – tief auf und sah seine Retterinnen mit so dankerfüllter, glückstrahlender Miene an, daß diesen nun erst so recht zum Bewußtsein kam, was für ein gutes Werk sie eben getan hatten, und daß sie alle sich um ihn drängten, ihn wegen der ausgestandenen Hungersqual bemitleideten und ihn ein über das andere Mal fragten, »ob Schnablinsky sich denn nun auch satt wäre«.

Schnablinsky strahlte! – Die ungewohnten Zärtlichkeiten flößten ihm anfangs zwar immer noch Angst ein. Bald aber begann er sich in der eigentümlichen und doch so netten Gesellschaft ganz wohlzufühlen, und nun blickte er sich auch im Zimmer um. Sah das hier bunt aus! Auf den langen Tischen blitzten lauter kleine Spiegel im Scheine brennender Lichter, und daneben standen Büchsen, Schachteln, Flaschen und Fläschchen. Der ganze Raum war mit feinem Staube angefüllt und mit einer Luft, so beklemmend und doch so angenehm! An den Wänden aber und auf den Stühlen hingen und lagen bunt durcheinander allerhand weibliche Kleidungsstücke: Hüte, Paletots, Röcke, Taillen usw. Schnablinsky schämte sich ordentlich, und wenn ihn der bucklige Statistenoberst nicht ohnehin so feuerrot angestrichen hätte, würde man gesehen haben, wie Ladislaus errötete. Aber das war nur zuerst, denn bald hatte er sich an den Anblick gewöhnt, und nun wendete er sich sogar mit schmunzelndem Lächeln daran. Wenn auch unter den Organen Schnablinskys der Magen die erste Violine spielte, so behauptete doch auch das Herz seinen Platz im Orchester, und in diesem Augenblicke schlug es sogar mit ungeheurer Kraftentfaltung die große Trommel.

Die Mädchen hatten ihn auf ein großes Sofa niedergedrückt, und zwei von den kleinen reizenden Pagen setzten sich sogar dicht neben ihn, so dicht, daß er gar nicht umhinkonnte, sie zu umarmen. Was für runde, weiche Schultern sie hatten, und was für Augen, was für Lippen, was für zierliche Händchen und Füßchen! Wahrhaftig, es waren gar keine Männer, sondern Fräuleins, allerliebste richtige Fräuleins! Wie wurde Schnablinsky ums Herz! – Das war ihm in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.

Zwar eine Liebschaft hatte er auch in Schmogulez schon gehabt, und auch in der Garnison wäre er beinahe schon einmal in nähere Beziehungen zu einer nahrhaften Küchenfee getreten, wenn diese sich nicht an seinem unerschwinglichen Futterungsbedürfnis gestoßen hätte – hier aber lachten ihm gleich zwanzig Rosenlippen entgegen! Das konnten nur die rotblonden Locken, der schneidige Schnurrbart und die prächtigen Kleider bewirkt haben, die er vorhin in dem großen Spiegel so gern selbst noch ein bißchen bewundert hätte; die hatten ihn so unwiderstehlich gemacht. Bald hatte Schnablinsky die ganze Theaterspielerei, den Sergeanten Quabbe und selbst den Gefreiten Semmelteig vergessen. Ihm war so wohl, so unbeschreiblich wohl! Die hübschen Pagen und die reizenden Mädchen mit den wundervollen kurzen Röckchen fragten ihn nach diesem und jenem; wo er und was er zu Hause wäre, wie es ihm in der Garnison gefalle, ob er nun öfter mit hinter die Kulissen kommen würde, und ob er auch schon eine Braut hätte. Und nun radebrechte Schnablinsky ein solches Zeug zusammen, daß sich die Balletteusen vor Lachen kaum zu halten wußten. Dann brachten sie ihm auch noch mehr zu essen, schöne fette Butterbrote mit Leberwurst und Schweizerkäse, und zu trinken, sehr viel zu trinken! Eine jede wollte einmal mit dem »appetitlichen Polonaiserich« anstoßen, und, ohne es zu wollen, mußte Schnablinsky ein Seidel nach dem anderen mit ihnen leeren. Wie gesagt, es war himmlisch! – Plötzlich unterbrach von der Tür aus eine rauhe Männerstimme das lustige Treiben: »Die Damen vom Ballett! Wo steckt denn das gottverlassene Weibervolk wieder? Die Venussen soll jeden Augenblick erscheinen, und – ›das‹ treibt Fisematenten!« – – – – Schnablinsky

fühlte nur noch, wie er mehrmals hintereinander von schwellenden Lippen geküßt wurde, dann raste die ganze tolle Schar unter Lachen davon. Verwundert schaute Schnablinsky ihnen nach. Was hatte denn das zu bedeuten? Warum liefen die Mädchen denn fort, gerade jetzt, wo es erst am schönsten werden sollte? – Wo war er denn überhaupt? – Was war denn eigentlich mit ihm vorgegangen? Dort, dicht vor ihm, lag ein zierliches rosaseidenes Kleidchen mit wundervollen Spitzen, wie kam das hierher – oder wie war er hierher gekommen? Träumte er oder war er behext?– – Er versuchte nachzudenken, aber die Sinne gehorchten ihm nicht, das viele Bier hatte sie eingeschläfert. Erst allmählich gelang es ihm, seine Erinnerungen bis auf den Gefreiten Semmelteig zurückzuführen, und nun fielen ihm plötzlich alle seine Sünden ein! – Wo war Semmelteig, wo war der Sergeant Quabbe, wo waren die Kameraden, wie war das mit dem Theaterspiele? Hatte er am Ende schon die ganze Geschichte verpaßt? – – – Erschreckt wollte er davonlaufen. Aber seine Beine zeigten sich so widerspenstig wie seine Gedanken, und erst, nachdem er sie durch wiederholtes energisches – »Knie beugt« – »Knie streckt« – etwas aufgemuntert hatte, führten sie ihn durch das kleine Zimmer mit dem großen Stehspiegel zum Bühnenraum zurück, wo rechts in der Ecke auf der Bahre der Gefreite Semmelteig liegen mußte. Vorsichtig tappte Schnablinsky sich bis dahin. Aber was war das? Die Bahre stand wohl noch da, aber Semmelteig lag nicht mehr darauf, und auch die anderen thüringischen Ritter, die hier vorhin so einmütig und seelenruhig geschnarcht hatten, waren verschwunden. – Eine schreckliche Ahnung durchzuckte Schnablinskys Heldenbrust: die ganze Theaterspielerei war schon vorbei. Er hatte den Dienst versäumt – die ganze Kompagnie war blamiert – durch ihn! »Wenn mir wieder etwas vorkommt, dann geht es Ihnen schlecht,« hat der Herr Feldwebel Mampe gesagt. – Jetzt war das Schlimmste vorgekommen. Jetzt war das Schrecklichste geschehen! – – Völlig geknickt sank Schnablinsky auf die Bahre der Elisabeth nieder. Ihm war so weh ums Herz, so weh, wie ihm noch wenige Minuten vorher wohl gewesen! Warum war er auch seinem Magen mehr gefolgt, als seinem guten Vorsatze, warum war er nicht bei dem Gefreiten Semmelteig geblieben! Wo sollte er den nun wiederfinden? Er rief einige Male: »Semmelteig! Semmelteig!« aber Semmelteig antwortete nicht. Auch sonst war nichts zu sehen und zu hören, als aus der Ferne eine leise Musik. Und dabei war es so finster rings umher, daß man kaum zwei Schritt vor sich hin sehen konnte. Lange überlegte Schnablinsky hin und her, was nun zu tun sei. Aber je länger er nachdachte, um so schwerer wurden seine Augenlider, und schließlich lehnte er sein müdes Haupt auf die Bahre zurück, während es sich seine Beine ganz von selbst auf der weichen Matratze bequem machten, die das Holzgestell des Tragwerkzeuges bedeckte. Wenige Augenblicke später lag Schnablinsky in tiefen, tiefen Träumen. Die ganzen seltsamen Vorgänge des Abends gaukelten nun in wirren Bildern noch einmal an seiner Seele vorüber: die Ritter, der verlorene Helm, die lachenden Mädchen, die reizenden Pagen, die Schinkenbrote, der Spiegel mit dem schönen rotblonden Ritter Ladislaus darin, das rosaseidene Spitzenkleidchen, der Gefreite Semmelteig, die Küsse, der Herr Feldwebel Mampe mit seinem »wenn wieder etwas vorkommt, dann geht es Ihnen schlecht«, die runden Schultern der hübschen Pagen, die kurzen Röckchen der Balletteusen, die vielen Seidel Bier – – –

Inzwischen hatte die Vorstellung ihren Fortgang genommen. Tannhäuser hatte Wolfram von Eschenbach seine Pilgerfahrt nach Rom erzählt. Im Hörselberg war Frau Venus mit ihren Bacchantinnen erschienen. Alles stellte sich zu der großen Schlußszene, zu Elisabeths Leichenzuge auf. Kein Mensch dachte an Schnablinsky. Die Soldaten waren viel zu verschlafen, um sein Fehlen zu bemerken, und der Gefreite Semmelteig unterhielt sich schon seit langem auf eigene Kosten mit einer hübschen Wartburgdame. So würde Schnablinsky wahrscheinlich bis zum Schluß der Vorstellung oder am Ende noch länger auf seiner Bahre geschlafen haben, wenn diese nicht endlich von vier Trägern abgeholt worden wäre, die mit Befriedigung bemerkten, daß die stellvertretende Elisabeth bereits darauf lag. Sie deckten unseren Freund also mit einem großen, weißen Tuche zu und trugen ihn hinaus auf die Bühne. – »Ein Engel bat für dich auf Erden, bald schwebt er segnend über dir,« sang Wolfram von Eschenbach. – »Elisabeth!« jammerte Tannhäuser in den höchsten Tönen. – Langsam, feierlich näherte sich der Zug. Eine ernste, bange Stimmung auf und vor der Bühne. Jetzt setzen sie die Bahre nieder. Kein Fältchen regt sich an dem weißen Tuch. So echt ist die tote Elisabeth noch niemals dargestellt worden! In gewaltigen, ergreifenden Akkorden singt der Chor. Kein Tannhäuser kann dabei unerschüttert bleiben. In Verzweiflung stürzt er auf die Bahre zu, jammernd sinkt er neben ihr nieder, um an Elisabeths Seite auch sein schuldbeladenes Leben auszuhauchen. – Da – was ist das? – Da bewegt sich das weiße Tuch – stärker, immer stärker. – – Spukt die Elisabeth bereits, oder ist sie am Ende gar nur scheintot gewesen? – – – Sie schlägt das Tuch zurück, sie fährt mit der Hand über das entsetzlich veränderte Gesicht – sie richtet sich langsam auf und schaut verwundert um sich. Alles prallt entsetzt zurück. Dann springt die falsche Elisabeth, die über Nacht einen Bart bekommen und Ritterkleidung angelegt hat, plötzlich auf und, sich angsterfüllt umblickend, ruft sie mit geisterhaft schrecklicher Stimme:. »Semmelteig! Semmelteig! Is sich Gefreiter Semmelteig nicht da?«

* * *

Was nun folgte, kann man sich vorstellen. Das Publikum johlte und rief Hurra, der Vorhang mußte fallen – die Oper war aus.

Und Schnablinsky? – – Ach du lieber Himmel! – – Schweigen wir von dem Empfang, den der Herr Feldwebel Mampe ihm bereitete, schweigen wir auch von der entsetzlichen Nacht, die der Ärmste in Erwartung der unausbleiblichen Strafe durchmachte! Er hatte die Kompagnie, er hatte das ganze Regiment blamiert; in solchem Falle kannte der Herr Hauptmann keine Nachsicht. Mindestens vierzehn Tage »stramm« hatte ihm der Herr Feldwebel Mampe angekündigt, und der Gefreite Semmelteig, der eigentlich doch die Ursache allen Übels war, weil er Schnablinsky gesagt hatte, er solle ihn nur rufen, sobald er ihn aus den Augen verloren hätte – der Gefreite Semmelteig sprach sogar von Festung und von Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes. – O fürchterlich, fürchterlich!

Glücklicherweise aber kam alles anders. Mit dem Herrn Regimentskommandeur und anderen hohen Vorgesetzten war auch der Herr Hauptmann zufällig in der Oper gewesen. Er hatte in der toten und wieder auferstandenen Elisabeth zu seinem größten Entsetzen seinen Schnablinsky erkannt und war anfangs schrecklich böse gewesen. Da aber die anderen Herren über den famosen »Mimiker« so außerordentlich herzlich lachten, hatte auch er schließlich mitgelacht, und so erhielt Schnablinsky nur »wegen Verschlafenheit und Zuspätkommens zum Dienst« zwei Stunden Nachexerzieren, zu dem auch der Gefreite Semmelteig kommandiert wurde, weil er auf den ihm zur Obhut anvertrauten thüringischen Ritter so schlecht aufgepaßt und dadurch verschuldet hatte, daß Schnablinsky die Elisabeth im »Tannhäuser« spielte.


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