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Eine Audienz bei König Amenophis II.
Von Pierre Loti

König Amenophis II. erteilt wieder Audienz. Seine Majestät war seines Todes wegen gezwungen, 3300 Jahre in völliger Zurückgezogenheit zu leben. Natürlich ist der Andrang um so größer. – Frack und Courschleppe sind nicht vorgeschrieben und die Formalitäten beim Oberzeremonienmeister bestehen darin, ihm ein Trinkgeld in die Hand zu drücken.

Der Audienzsaal liegt in den Tiefen eines Berges der Libyschen Wüste. Der Monarch ist nur in den Vormittagsstunden sichtbar, um 12 Uhr erlischt das elektrische Licht und der Herrscher wird gezwungen, sich nach der Anstrengung des Morgens der Ruhe hinzugeben. Glücklicher Amenophis! Wie viele Könige beneiden dich um dein sicheres Grab. Er ist der einzige, den man in seiner Ruhestätte ließ.

* * *

Weil man doch vor Mittag bei dem bejahrten Pharao sein muß, so verlasse ich an einem klaren Februarmorgen schon sehr früh Luxor. Meine Barke gleitet den Nil entlang, dem anderen Ufer zu. Hier ist die Stätte, die sich die thebanischen Könige des Mittelreiches errichteten, um nach dem Leben für die Ewigkeit untergebracht zu sein. – Ihre Mumien ruhen in den Bergen, die den Horizont wie eine rosige Mauer abschließen.

* * *

Wir verlassen die Barke, und tiefe Einsamkeit lagert auf den Gefilden, die vor vierzig Jahrhunderten gleichsam das Geschäftsviertel Thebens waren. – Denn hier wohnten die Einbalsamierer. Große Öfen erhoben sich, in denen Öl und Natron zum Präparieren der Mumien gekocht wurden. Sorgfältig wurden hier die Binden geschnitten, die alles Tote, Menschen und Tiere, einhüllten, und während diese kostbaren Pakete in dem nahen Berge aufbewahrt wurden, mußte der Nil die Eingeweide der Gestorbenen aufnehmen.

Äußerlich scheinen die rosig schimmernden Felsen jauchzendes Leben zu künden, innen beherbergen sie aber den düsteren Tod.

Um ganz nahe an die Berge zu gelangen, müssen wir eine weite Ebene durchschreiten. Getreidefelder wechseln mit Sandflächen, den Vorboten der Wüste, ab. Hinter uns bleiben der alte Nil und Luxor. Der Ort spiegelt sich in dem Fluß, und die riesenhaften Wandelgänge der Pharaonen erscheinen noch mächtiger auf der blanken Wasserfläche. Noch herrlicher würde der ewige Tempel und sein Spiegelbild in der blauen Flut, an diesem lachenden Morgen, in dem klaren Licht wirken, wenn nicht daneben ein anderes Gebäude sich erheben würde: das zweimal so hohe Winterpalasthotel, das seit einigen Jahren für feudale Touristen erbaut werden mußte. Es gibt Menschen, die glauben, daß es noch ein besonderes Verdienst ist, den geheiligten Boden Ägyptens mit solchen Mietskasernen zu verunstalten. Sie bilden sich ein, ebensoviel geleistet zu haben, wie der Künstler, der augenblicklich die alten Grabdenkmäler restauriert, oder wie die Pharaonen, die sie einst errichtet haben.

Wir schreiten weiter durch noch blühende Felder, immer näher der libyschen Bergkette zu, wo uns der König erwartet. Sperlinge zwitschern, Lerchen steigen jubelnd empor und preisen den vorzeitigen Frühling Ober-Ägyptens.

Mitten aus dem Grasteppich erheben sich zwei gewaltige Felsblöcke. In der klaren Luft zeichnen sich ihre Umrisse scharf ab ... die Memnonstatuen.

Die riesenhaften menschlichen Formen sitzen schwerfällig auf ihren Thronen, Sphinxhauben bedecken ihre Häupter.

Man erkennt sie sofort. Wie die Pyramiden sind sie durch Abbildungen bekannt.

Aber trotzdem stellt man sie sich ganz anders vor. Nicht so erhaben und einfach zugleich! Die jungen Getreidehalme schmiegen sich an sie und die Vögel setzen sich, ohne um Erlaubnis zu fragen, auf ihre Schultern. – Ja selbst die kleine Feldbahn, die eben, mit Zuckerrohr und Kürbissen beladen, rauchend an den Kolossen vorbeifährt, scheint sie gar nicht zu stören.

Schon seit einer Stunde wurde die libysche Bergkette größer und größer. Jetzt erhebt sie sich ganz nahe vor uns. Die glühende Vormittagssonne beleuchtet sie, und um die Felsen herum erkennen wir ein wüstes Durcheinander. Trümmer von Palästen, von Säulen, Treppen und Türmen, vermischt mit gesichtslosen Riesen, die wie tote Könige eingewickelt sind und kerzengerade stehend die Hände über ihrem steinernen Schweißtuche verschlungen halten: alle die Tempel und Bildsäulen waren für die Manen der Könige und Königinnen errichtet, deren Mumien seit drei- oder viertausend Jahren in diesem Berge schlafen. Wohlverwahrt ruhen sie in geheimen, vermauerten Gängen.

Hinter dem Trümmerfeld beginnt die wahre Wüste. Jede Vegetation hört auf, kein Grashalm unterbricht mehr das trostlose Einerlei des mit Sand und Asche bedeckten Bodens. Man glaubt, Nagetiere hätten ihn unterwühlt, wenn man die tiefen Gräben erblickt. Aber es waren Menschenhände. Seit fünfzig Jahrhunderten arbeiten sie in dieser Erde. Zuerst wurden hier Mumien versteckt, dann wieder ausgegraben. Jedes Loch birgt eine Leiche, und wenn man tief hineinsieht, erblickt man ein Gemisch von Knochen, Binden und Lumpen.

Einige magere Beduinen umkreisen die Totenstätte wie Schakale. Sie graben die Mumienreste aus und bieten uns Skarabäen, bunte Steine und Knochen als Andenken an.

Die erquickende Morgenfrische weicht einer Hitze, die mit jeder Minute drückender wird. – Ein von Steinen eingefaßter Fußpfad führt in den Berg hinein. Jetzt wird es düsterer, wir sind am »Tal der Könige«, der Stätte, an der diese vornehmen Mumien ihre letzte Zusammenkunft hielten.

Heißer Wind weht plötzlich über die Felsen. Die Landschaft scheint nicht mehr der Erde anzugehören, sondern auf einem Planeten zu liegen, der für immer Nebel und Wolken verloren hat. So zart und rosig die libysche Kette von weitem erschien, so schwer und düster ist sie jetzt, wenn wir vor ihrem Eingang stehen. Nun sieht sie so aus wie das, was sie in Wirklichkeit auch ist: ein gewaltiges Grab, eine Totenstadt, die nie wieder an Pracht und Grauen erreicht werden wird, ein Schwitzkasten für Leichen, die bis in die Ewigkeit dauern sollen. –

Die Kalkfelsen, in die nie ein Regentropfen dringt, nie eine Eidechse schlüpfen kann, scheinen von oben bis unten einen Block zu bilden: hier sind die Toten geschützt.

Dadurch, daß der heiße Wind beständig Sand über die Felsen fegte, haben sich mit der Zeit so große Massen abgestoßen, daß schon seit Jahrhunderten künstlich nachgeholfen wird. Die Ausbesserungen und die Originalmasse wirken eigentümlich zusammen. – Die glühende Sonne färbt den Block, und einige Felsenteile gleichen rot- und gelbgestreiften Röhren, andere blutig gefärbten Knochenhaufen.

Unter dem gleichmäßig blauen Himmel erscheinen die sonnenbestrahlten Gipfel noch greller. Wie glühende Asche heben sie sich von dem Indigo, das fast ins Schwarze spielt, ab.

Man glaubt sich in einem Tal der Apokalypse, das brennende Felsenmauern einschließen. Der Pfad führt weiter durch Schluchten, in denen die Hitze schier unerträglich wird. Aber statt der beängstigenden Stille, die wir in dem »Tal der Könige« zu finden erwarteten, was ist denn das? – – – Als der Weg eine Wendung macht, was für ein Gewimmel, was für Lärm ... Ist hier Jahrmarkt? ...

Gegen den Sonnenbrand geschützt, stehen unter einem Zelt etwa fünfzig Maultiere. In der Ecke ist eine elektrische Anlage, und aus der kleinen Werkstatt dringen Rauchwolken. – Zwischen den hohen, blutigrot schimmernden Felsen klettern und schwatzen Touristen, Herren und Damen, alles durcheinander. Alle wollen sie an der Audienz teilnehmen. Aus der ganzen Welt sind sie nach diesem Wüstenwinkel zusammengeströmt, um die arme Leiche, die in der Tiefe eines Berges vertrocknet, zu sehen.

Da und dort erblickt man an den Felsenmauern ein kleines Schild, die Namen der Könige, die hier ihren letzten Palast hatten, sind darauf gekratzt: Ramses IV., Sethos I., Thocetmosis III., Ramses IX. usw. Außer Amenophis haben alle Souveräne ihren Wohnsitz gewechselt. Sie sind in ein Museum nach Kairo in Unter-Ägypten gezogen. – Doch ihre verlassenen Schlösser üben auf die Besucher die alte Anziehungskraft aus. – Aber natürlich empfängt Amenophis die meisten Besuche. Aus der geöffneten Tür kommt eine Menschenmenge von der Audienz zurück. Hoffentlich werden wir noch empfangen und sind noch nicht zu spät gekommen.

Wenn man sich vorstellt, wie sorgfältig diese Eingänge vermauert und versteckt waren, wie viele Jahrhunderte sie für die Menschheit vollständig verloren waren, und welche Ausdauer, welche Beobachtung, wie viele Versuche und glückliche Zufälle notwendig waren, um dieses Versteck zu finden! Aber tatsächlich, man schließt das Grabgewölbe. Wir sind heute morgen zu lange um die Memnonsäulen herumgestrichen und haben die zertrümmerten Paläste zu genau betrachtet. Jetzt ist es fast Mittag. Eine geradezu verzehrende Glut fällt auf die Felsblöcke und dringt bis in die verstecktesten Winkel des Steintales.

Nun, vor der Pforte, die in das Grabgewölbe des Amenophis führt, müssen wir unsere ganze Redekunst aufbieten und darum betteln, daß wir noch hineindürfen. Durch ein ordentliches Trinkgeld läßt sich der Beduine, der Oberzeremonienmeister, erweichen. Schnell, schnell müssen wir mit ihm in das Königsgrab hinuntersteigen, denn das elektrische Licht wird gleich ausgelöscht. Es wird nur eine kurze Audienz werden, aber etwas ganz Besonderes, denn wir werden allein mit dem König sein.

Als die kleine Tür sich hinter uns schließt, müssen wir uns erst nach dem grellen Licht an die Finsternis gewöhnen. Die elektrischen Lämpchen erscheinen wie Glühwürmchen, so wenig Helle bieten sie uns vorläufig. – Aber statt der erfrischenden Kühle, wie man sie sonst in Kellergewölben findet, welche Höllenglut empfängt uns hier! Wenn auch draußen die Sonne schon überheiß war, so konnte man doch noch atmen, aber hier in der trockenen Luft der Toten fürchtet man zu ersticken.

Eilig steigen wir die steilen Treppen hinab. Die Tiefe und die Dunkelheit erwecken ein Angstgefühl in uns. Wir glauben ebensowenig zum Tageslicht zurückkehren zu können, wie die königliche Mumie ihre »ewige Kammer« verlassen kann.

Wir stehen plötzlich vor einem Brunnen. Er war wohl in der Absicht gegraben worden, Eindringlinge irrezuführen. Durch einen Zufall entdeckte man, daß ein Stein dahinter lag, der weggeschoben werden mußte, um zu den Königsgräbern zu gelangen.

Heute ist eine kleine Brücke über das Wasser geschlagen, um den Zugang zu erleichtern. Hinter dem Brunnen heißt es weiter Treppen hinuntersteigen! Mein Gott, wie tief wohnt dieser König, und bei jeder neuen Stufe fühlt man die Kraft, die Schwere der Felsen immer mehr!

Unsere Augen haben sich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt und wir können bei dem elektrischen Licht Tausende von Gestalten, die diese Mauern bedecken, erkennen. In gelblicher Farbe, wie altes Elfenbein, sind sie wohlgeordnet, nebeneinander gezeichnet. Immer in derselben Stellung, immer das gleiche darstellend, prägen sie sich unserem Gedächtnis ein.

Götter, Dämonen und Anubis. Diese letzteren haben schwarze Hundeköpfe mit abstehenden Ohren, und die langen Arme mit den dürren Fingern scheinen sich nach uns auszustrecken und uns zu bedrohen! »Seid ruhig, geht leise! Hier wohnen Mumien!«

Voll verwirrten Staunens betrachten wir die Malerei. Fast könnte man glauben, daß die Künstler soeben erst die Gruft verlassen haben, so klar sind die Pinselstriche, so frisch und leuchtend die Farben! Wie ein lockender Abgrund wirkt die Vergangenheit in diesen Mauern. Sie weiß uns so zu umgarnen und zu beherrschen, daß man sie mit der Gegenwart verwechselt.

Nachdem wir zahllose Gänge durchschritten haben, nachdem immer wieder sich neue, geheime Pfade aufgetan haben, weiten sich die engen Felsenmauern. Wir treten in einen großen Saal. Sechs in den Stein gehauene Pfeiler stützen die schwere Decke, die eine Nachbildung des Himmelszeltes sein soll. Auf blauem Grunde sind Sterne gesät. Mit Hilfe des elektrischen Lichtes können wir in die anstoßenden Räume blicken und sehen in einem von ihnen eine breite Krypta: die Ruhestätte des Amenophis. Was für unendliche Arbeit gehörte doch dazu, den Felsen auszuhöhlen! Ist doch die Abteilung, in der wir uns jetzt befinden, nur ein kleines Stückchen aus dem »Tal der Könige«. So wie eine kleine Tür zu dem Saal des Amenophis führt, sehen wir auf unserem Wege eine Menge Zugänge zu anderen Verstecken, deren Wände, wie in diesem Saale, mit Malereien bedeckt sind. Hier stellen die Fresken Szenen aus dem Hades dar. Auf die Pfeiler sind diejenigen Dämonen gezeichnet, die eine Seele auf ihrem Wege nach dem Schattenreich trifft. Die Worte, die sie als Lösegeld den bösen Geistern zuzurufen hat, sind in den Stein gemeißelt. Die Ägypter dachten sich folgendes:

Im Reiche der Toten erschienen Sonne und Mond, wenn sie auf Erden erloschen waren. Doch die Lebenden durften nie den Hades betreten. Hatten nun die Verstorbenen nach unendlichen Mühseligkeiten und Qualen ihr Ziel erreicht und sie waren würdig befunden, sich Osiris' Thron zu nahen, so mußten sie zu den Lebenden zurückkehren und dort bis zum Untergang der Welt verharren. Aber welches Dasein war das? Sie hatten doch aufgehört, eine Person zu sein, und in der Form einer Flamme mußten sie jeden Morgen von neuem bis zur Vernichtung alles Bestehenden fortdauern.

Was aber um jeden Preis erhalten werden mußte, war die Leiche. Denn in dem trockenen Fleische war ein Teil des Lebens zurückgeblieben, ein gewisses »Doppelsein« des Toten, und das Bewußtsein war in der starren Hülle nicht erloschen. Auf den Sargdeckel gemalte Augen ermöglichten es dem Toten, die Vorgänge um ihn her zu beobachten. Wenn die Verstorbenen ihre Särge verließen, um in der Gruft umherzuirren, so fanden sie große, ebenfalls von Binden eingehüllte Fleischhaufen, um sich zu ernähren, Natron und Öl hatte man ihnen hingestellt, damit sie sich frisch einbalsamieren konnten, wenn Würmer anfingen, an ihnen zu nagen. So sorgte man für das Fortbestehen des »Doppelseins« des im Grab Festgeschmiedeten. Er sollte keine Furcht haben, zu verderben, aber ausharren mußte er in erstickender Luft, Dunkelheit und tiefem Schweigen. Nichts zeigte ihm den Wechsel von Tag und Nacht an, er wußte nicht, wenn es Sommer und Winter war, Jahrhunderte, Jahrtausende zogen an ihm vorüber. Diese entsetzliche Todesvorstellung machten sich die Ägypter, und darum wurde mit so großer Sorgfalt die ewige Kammer hergerichtet.

Was aber war dem »Doppelsein« Amenophis II. geschehen?

Drei bis vier Jahrtausende hatte er selbst, von keinem Holzwurm gestört, mit einigen Familienmitgliedern zusammen in tiefem, schwerem Schlafe geruht. Da erklangen am Brunnen dumpfe Schläge. Der versteckte Eingang war entdeckt, der Stein wurde zur Seite geschoben, der Weg war frei!

Lebende drangen ein ...

Zweifellos, um die Gräber zu plündern, die Mumien auszuwickeln.

Nein, sie berührten die Könige nicht. Es waren Priester des Osiris, die voller Ehrfurcht als Leichenträger dahinschritten. Sie trugen neun große Särge, in denen wohl Söhne, Enkel oder andere Nachkommen des Amenophis ruhten. Neben seiner Totenkammer wurden sie versteckt. Die Priester entfernten sich schweigsam, nachdem sie den Zugang wieder sorgfältig vermauert hatten. In dem Gewölbe herrschte wie ehedem düsteres Schweigen. Jahrhunderte verflossen, wie viele mochten es sein, waren es zehn, waren es zwanzig? Nicht einmal das Nagen eines Wurmes war in den Gräbern zu hören, die fürchterliche Hitze hatte alles verzehrt.

Da, eines Tages erklangen wieder Axtschläge! Dieses Mal sind es Diebe! Mit Freudenschreien stürzen sie sich auf ihre Beute, und außer den neun Särgen, deren Versteck nicht aufgefunden wurde, plündern sie alles. Sie zerschnitten die Binden, rissen die goldenen Ketten vom Halse der Mumien, und in ihrer blinden Gier zerbrachen sie den Schmuck, zertrümmerten sie die Götter und ließen ein wüstes Durcheinander von Leichen und Binden zurück. Auch die Verbrecher schoben den Stein am Brunnen wieder vor, und die geschändeten Gräber lagen so einsam wie vorher.

Wieder gehen Jahrhunderte dahin.

Endlich, jetzt hören die Mumien zum dritten Male Axtschläge. Von neuem stören die Lebenden ihre Ruhe. Aber nie hatten sie solche Menschen gesehen, es war eine unbekannte Rasse, die sich ihren Gräbern näherte. Doch es schienen fromme Leute. Voller Behutsamkeit berührten sie das wüste Durcheinander. Und ihnen entgingen auch nicht die bisher unentdeckten neun Särge, alles fanden sie. Mit fast religiöser Sorgfalt betrachteten sie jedes Staubkörnchen, der kleinste Fetzen schien für sie Wert zu haben.

Den seiner Binden und seines Geschmeides beraubten König Amenophis ließen sie in seinem Sarkophag. Von diesem Tage an ist er verurteilt, ihm ganz merkwürdig erscheinende Menschen zu empfangen.

Allein bewohnt er den Totensaal, übrig geblieben als einziger seiner Zeit. Nein, wir haben uns geirrt, man hat ihm Gesellschaft gelassen, noch andere Tote ...

Auf Lumpen liegen drei Leichen, die damals die Diebe beraubt hatten.

Eine Frau – wahrscheinlich die Königin – ist in ihre Haare wie in einen Mantel gehüllt. Die klassische Linie des Profils deutet noch heute darauf, wie schön sie einst war.

Neben ihr ruht ein kleiner Junge, das graue Gesichtchen gleicht einem Puppenkopf. Über den sonst völlig abrasierten Schädel fällt von der rechten Seite eine lange Strähne herab, das Abzeichen der königlichen Prinzen.

Neben dem jungen Königssohn ruhte ein Mann. Grauenerregend ist sein Eindruck, die verzerrte Fratze findet wohl den Tod unglaublich komisch. Er stopft sich einen Zipfel des Leichentuches in den Mund, um sein Gelächter nicht laut werden zu lassen. Ach ... Himmel ... dunkle Nacht! – – vor Schrecken gelähmt, wagen wir keinen Finger zu rühren. Das elektrische Licht unter der Erde ist erloschen. Für die Menschen dort oben, die noch Licht und Zeit kennen, hat es Mittag geläutet. Damit man schnell wieder erleuchtet, stößt unser Beduine ein fürchterliches Geschrei aus, aber die Felsenmauern pflanzen den Schrei nicht fort, sondern dämpfen ihn, und übrigens ist es unmöglich, den Mann zu hören, wir sind zu tief unter der Erde.

Durch die fürchterliche Dunkelheit tastet er sich vorwärts, er kennt die Wege.

Als er die Treppen hinaufsteigt, hören wir das Aufschlagen seiner Sandalen, hören, wie der flatternde Burnus die Mauer berührt. Aber ebenso wie seine Rufe klingt dieses Geräusch ferner und ferner. Immer stehen wir noch wie gelähmt – wenn sich die Türen für ewig hinter uns geschlossen hätten? Durch die wahnsinnige Hitze erschöpft, werden wir von einem Angstgefühl gequält, als wenn uns im Traum Alpdrücken quält.

Endlich scheint man das Rufen unseres Führers gehört zu haben, es wird Licht!! Die drei Leichen haben die freien unbewachten Minuten nicht benutzt, um sich gegen uns zu erheben; sie liegen in derselben Stellung da, die Königin friedlich und hübsch; der Mann steckt noch immer sein zerrissenes Leichentuch in den Mund, um seinen Lachkrampf, der ihn seit 3300 Jahren schüttelt, zu unterdrücken.

Keuchend vom schnellen Laufen kommt unser Beduine zurück. Wir müssen uns beeilen, den König zu sehen, denn sofort erlischt das elektrische Licht, aber dann für immer. Wir nähern uns also der Krypta. Sie ist von ovaler Form. Auf der schwarzgrundigen Wölbung sind weiße und graue Fresken gezeichnet, wiederum Götter und Dämonen darstellend. Einige, schlank und zusammengepreßt, gleichen Mumien, andere, unförmig mit Riesenköpfen, Nilpferden. Auf dem Boden der Krypta steht, anscheinend von den Figuren oben bewacht, der mächtige Steinsarkophag. Er ist geöffnet, und undeutlich sieht man darin eine menschliche Form: der Pharao!

Gern hätten wir ihn besser gesehen. Unser Wunsch erfüllt sich. Der Beduine-Oberzeremonienmeister drückt auf einen elektrischen Knopf oberhalb der Stirn des Amenophis, und die geschlossenen Augen, das verzerrte Gesicht der traurigen Mumie werden grell beleuchtet.

Ihm, der einst in voller Pracht einbalsamiert worden war, haben die Räuber alles genommen, selbst seinen Schuppenpanzer. So ruht nun der Herrscher schon so lange Zeit auf einem Lumpenhaufen.

Einen kleinen Blumenstrauß haben sie ihm noch gelassen, die Blüten sind noch zu erkennen – Mimosen. Wer weiß, welche frommen Finger sie einst pflückten, oder vielleicht war es auch eine liebe Hand, die vor 3300 Jahren diese Blumen sammelte. Die Hitze legt sich jetzt so schwer auf uns, als ob uns der Felsen zerdrücken wollte. Die Figuren an den Wänden scheinen zu drohen: Hinaus, hinaus! Man glaubt, daß der tote König, der so unverschämt beleuchtet worden ist, das traurige Gesicht, dessen eine Hälfte zerfressen, die andere vertrocknet ist, sich erhebt und fleht: »Mein Grab ist geschändet worden, und ich zerfalle zu Staub. Aber jetzt habt ihr mich doch genug angestarrt, verlöscht das Licht, habt Mitleid mit meinem Nichts!« Wirklich, es ist eine Verhöhnung! Mit so viel List und Sorgfalt ist dieser Tote einst versteckt worden! Tausende haben daran gearbeitet, das unterirdische Gewölbe herzustellen, und der Schluß ist, daß er von elektrischem Licht beleuchtet wird und Touristen sich über ihn amüsieren. Mitleid packt mich, ich sage zu dem Beduinen: Drehe das Licht aus, wir haben genug. – Die Dunkelheit hüllt die königliche Stirn von neuem ein und verbreitet sich im Sarkophag. Das Phantom des Pharao verschwindet, es versinkt wieder in undurchdringliche Vergangenheit: die Audienz ist beendet.

Wir entschlüpfen dem Grauen der Totenstadt, schnell aufwärts zum Licht und den Lebenden! Wir wollen wieder frei atmen, die köstliche Luft einsaugen, auf die wir noch ein Anrecht haben. Wissen wir, für wie lange?


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