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Die schöne Barbara.
Novelle von Anton v. Perfall

I.

Die Nacht war drückend schwül, feiner roter Staub drang durch alle Fugen des Schlafwagens und brannte, eingeatmet, wie Feuer in der trockenen Kehle. Ich gab wiederholte Schlafversuche auf, zog mich an und schlüpfte aus den staubgetränkten Vorhängen heraus, die links und rechts, in der Mitte einen schmalen Gang lassend, die Betten verhüllten. Dunstiger Geruch erfüllte den Raum. Durch die Spalten eines schlecht geschlossenen Vorhanges erblickte ich ein schlafendes Frauenantlitz, auf der anderen Seite lag schnarchend ein staubbedeckter Bursche, gestiefelt und gespornt, den Lasso noch um die Schulter, einen Revolver im Gürtel, sein sonnverbranntes Gesicht war zur Hälfte von einem großen, hellgrauen Sombrero bedeckt; ich nahm mich in acht, ihn nicht zu berühren, er wäre imstande gewesen, mir eine Kugel nachzuschicken – ein Nigger in weißer Jacke schnarchte im Rauchzimmer.

Ich eilte hinaus auf die Plattform. Ein heißer Wind begleitete den dahinsausenden Zug; ich zündete mir eine Zigarette an, setzte mich auf die Stufen und träumte in die Landschaft. Das ist etwas zum Träumen!

Ich verließ gegen Abend Casagrande und fuhr jetzt mit einer Zweigbahn der Southern Pacific gegen Norden – Maricopa im fruchtbaren Santa Cruztal war mein nächstes Ziel.

Der Mond stand im letzten Viertel, gerade im Zenit, und warf ein gleichmäßiges, schattenloses Licht auf das Rio Gilatal, das der Zug eben durchschnitt; eine grenzenlose, geröllerfüllte Ebene, kein Baum, kein Strauch, nur hie und da tauchte riesenhaft, schwarz in das Mondlicht hineinragend, das grell zurückgeworfen wurde, der Kandelaberkaktus auf, Harsee von den Indianern genannt, oft sechzig Fuß hoch und sieben Fuß im Durchmesser; auch er dünkte mich in seiner kalten, strengen, symmetrischen Form eher aus Stein gemeißelt, tot, als ein lebender Organismus. Dann huschten Trümmerstätten vorüber, eingestürzte mächtige Portale, zerborstene Säulen, massige, verwitterte Mauern, Überreste uralter mexikanischer Kultur, die bis hier heraufgedrungen in grauer Vorzeit. Weiter – das Tal verengte sich, groteske Bergumrisse tauchten links und rechts auf, riesige Berge mit glatt, abfallenden Wänden und hohen Türmen, wie man sie im Schwabenland erblickt oder am sagenumrauschten Rhein; dann wieder endlose Plateaus, wie mit dem Meißel abgeglättet; dazwischen große Täler von dunkelblau erscheinenden Bergen bekränzt. An dichtgedrängten niederen Lehmhütten vorüber – hie und da brannte ein Licht; das Geheul der Coyoten drang kläglich durch die Nacht.

Immer pflanzenreicher wurde die Landschaft, die Agave erschien bereits wieder auf den Höhen, dichtes Gestrüpp, hie und da rauschte es wie von Wassern, die Nähe fruchtbaren Landes kündete sich an; Maricopa konnte nicht mehr weit sein. Ich mußte mich an der Eisenstange festhalten, um nicht von den Schwingungen des in rasender Eile dahinbrausenden Zuges herabgeschleudert zu werden.

Dieses brausende, funkenumsprühte Dahinfliegen durch die nächtliche Wildnis – und da spricht man der Eisenbahn alle Poesie ab!

Jetzt rückten die Berge näher, ein spärlicher Fluß zwängte sich träge durch ein geröllerfülltes Bett, an den Ufern trug der dankbare Boden üppigen Wuchs: mächtige Blattpflanzen, schirmförmige Agaven, den überall wuchernden Kaktus, saftiges Wiesengras. Wie erfreut das sprossende Leben nach stundenlangem Tode, wie fühlen wir da erst tief unsere innige Verwandtschaft mit jedem Baum, jedem Halm, und sehen durch seine starre Hülle das auf- und absteigende, rastlose Leben!

»Da kann eine menschliche Niederlassung nicht fehlen,« dachte ich. Der Zug machte eine Kurve, dem Tale folgend. Ein Schuß schlug gegen die Felsenwände. – Ich bog mich vor. – Ein weißes Adobehaus drückte sich in den Winkel eines Felsens; um die von innen grell beschienene Türöffnung bewegten sich dunkle Gestalten – Reiter glaubte ich – verworrener Lärm drang herüber. Der Zug schoß vorbei.

Ich spannte Aug' und Gehirn an, um die wie ein Phantom aufblitzende und verschwindende Szene zu fassen. Aus der geöffneten Türe zerrten wilde Gestalten mit großen Hüten und im Feuerschein blitzenden Waffen einen graubärtigen, halb angekleideten, sich sträubenden Mann – Flüche – Scheltworte – helles Gelächter!

Ein junges Mädchen mit gelöstem schwarzem Haar umklammerte einen langen Menschen mit einem Revolver in der Hand, ohne Hut, mit flatterndem Haar, seine auffallend mageren Beine umschloß die befranste mexikanische Lederhose. Die beiden standen gerade im Licht und im Mittelpunkt der Handlung. Als die Erscheinung vorüber war wie ein aufgeblitzter Schuß, hatte ich trotz allem Schauen eigentlich nichts gesehen als die Gesichter des Paares, diese aber so deutlich, daß ich sie unter Tausenden hätte herausfinden wollen.

Sie, ein dunkelbraunes Mädchen – spanisch Blut – flehte offenbar den jungen Mann um Rettung des Alten, ihres Vaters, und ich glaubte bemerkt zu haben, wie er ihr etwas in das Ohr flüsterte, etwas Beruhigendes, dem Ausdruck seines bartlosen, ebenfalls dunklen Antlitzes nach, der gar nicht zu der dramatischen Handlung paßte. Ich konnte mich ja auch getäuscht haben, der Augenblick war zu kurz.

Wer die Leute waren? Da war nur zweierlei möglich. Desperados, die einen ernsten Überfall wagten, oder umgekehrt ein Vigilanzkomitee, das einen Verbrecher – den Alten – zur blutigen Rechenschaft zog. Beides hierzulande gleich häufige,, nicht ungewöhnliche Vorgänge. Der ganze Charakter des Wandelbildes, das ich mir wiederholt vergegenwärtigte, ließ mich mehr an das letztere glauben. Der rücksichtslose Lärm, das Herauszerren des Alten – Räuber pflegen das geräuschloser abzumachen.

Lange saß ich und dachte darüber nach. Ungesehen zog jetzt die zerklüftete Landschaft an mir vorbei, meine Seele war im Adobehaus, im Felsenwinkel bei dem flehenden Mädchen, das wohl jetzt um den Vater weinte; oder hatten sie ihr Flehen erhört und ihn freigelassen? Ich rief mir des Alten Gesicht zurück – ob es etwas Bösartiges, Verbrecherisches habe, ich brachte es nicht recht mehr zusammen, ich erinnerte mich nur noch an einen weißen Bart.

Im Waggon schlief noch alles, und doch mußte ich wissen, wo wir waren.

Ich trat den schnarchenden Nigger absichtlich auf den Fuß, mit einem schmerzlichen Seufzer erwachte er und glotzte mich an.

»Wo sind wir jetzt?« rief ich, den Lärm des Zuges überschreiend.

Er blickte zum Waggonfenster hinaus.

»I don't know, Sir!« klang es gequetscht, dann machte er es sich wieder bequem, die Füße gegen die gegenüberliegende Wand stemmend.

Ich sah auf die Uhr.

»Dreiviertel auf vier. Wann kommen wir nach Gila Bend?« fragte ich weiter.

» Four o'clock, Sir.«. Er schloß die Augen und kehrte mir mit einem schläfrigen Grunzen den Rücken.

»Ein größerer Platz?«

» Only water place for engine.« »Nur ein Wasserplatz für die Maschine,« lautete die kurze Antwort.

»Kennst du nicht ein Adobehaus, an einen Felsen angebaut, an dem man eine Stunde von Gila Bend vorüberkommt?«

Keine Antwort mehr, der Nigger schnarchte schon wieder.

Er fuhr wohl jeden Tag diese Strecke und wußte gewiß, wer dort wohne. Meine Neugierde wurde immer lebhafter. Ich hatte nichts zu versäumen in Maricopa und abends konnte ich ja am Ende doch dort sein; ich beschloß, in Gila Bend auszusteigen, es konnte höchstens zehn Meilen entfernt sein von dem fraglichen Platze, der Bahnentfernung nach.

Ein heiserer Pfiff, der Zug hielt, nach hiesiger Sitte mit einem heftigen Rückstoß plötzlich anhaltend. Der staubige, gespornte Bursche kugelte auf den Boden herab; ich mußte über ihn steigen.

»Gila Bend?« fragte er verschlafen, mit seinem Revolver herumfuchtelnd, daß ich rasch vorwärts sprang, » Yes, Sir!« ihm zurufend.

Der Morgen dämmerte herauf hinter den den Hintergrund abschließenden grotesk geformten Bergen. Ein braun angestrichenes Stationshaus aus Holz, eine breite Straße von Bretterbuden, wie wir sie acht Tage vor Eröffnung eines Jahrmarktes roh gezimmert zu sehen gewohnt sind, eine Reihe mit Leinwand gedeckter Wagen, »Prärieschiffe«, wie sie im Osten genannt werden, hie und da ein im Morgenwinde flatterndes Zelt – das war Gila Bend!

Daran vorbei rieselte der Rio Gila, immer noch spärlich; das in einem Bassin gesammelte Wasser diente zur Speisung der Maschine.

Ein kalter Wind blies jetzt von den Bergen her. Ich sah mich nach einer Kneipe um – einen Dollar für ein Glas Whisky, ein Täßchen warmen Kaffees!

Hinter mir stieg der junge Mann aus mit dem Revolver – ein Vaquero seinem Äußern nach; ich brauchte ihm nur zu folgen, dann kam ich gewiß zum Whisky. Aber es war noch ziemlich dunkel – wir beiden die einzigen, die den Zug verließen, das ganze Nest noch im Schlaf – ich überlegte mir's – in Gila Bend hätte man wenig darnach gefragt, wenn man des Morgens einen toten Mann gefunden hätte, das kam wohl öfters vor.

Er sprach mich selbst an.

»Ein › drink‹ gefällig, Sir?«

Sein Gesicht war schön und hatte etwas Gutmütiges, ich ärgerte mich selbst über mein Mißtrauen.

»Wenn Sie hier Bescheid wissen, mit Vergnügen, Sennor,« erwiderte ich.

Wir gingen zusammen dem Orte zu, der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Es wird plötzlich hell hier zu Land, in dunkelroter Glut brannten die Felsen, die Schluchten im Hintergründe.

Mein Begleiter hielt vor einem Gebäude mit einer Veranda, zwei verschlafene, gesattelte Mustangs waren an der hölzernen Säule angebunden, sie hatten wohl die Nacht hier zugebracht. Er pochte an die verschlossenen Läden.

»Hallo, Tom, Faultier!«

Die Türe wurde geöffnet, ein Mann mit grauem Bart trat heraus, sich die Augen schützend vor dem jetzt blendenden Lichte.

»Hallo, Garcia, woher so früh? Hat ein bißchen lange gedauert gestern abend mit den Jungens! Zwei liegen noch drinnen.«

»Und die anderen?« fragte mein Begleiter.

»Fort, mitten in der Nacht; die beiden sollten auch mit, aber es ging nicht mehr, sie waren stockbetrunken – vielleicht besser für sie! Gefiel mir nicht recht, die Geschichte – haben sonst kein Geheimnis vor Tom – aber gestern –«

»Nun – was war gestern?«

»Wenn ich's wüßte! Sie sprachen nur immer Miguel Pacheco – kennst ihn ja, den alten Geier. Es war nichts Gutes, Was sie von ihm sprachen: Du weißt es ja auch – und die hitzigen Köpfe und das Gefluch! Per Dios, ich bin keine Sennorita, aber mir wurde angst, sie kämen selbst darüber in's Streiten, dann weißt du ja, wie sie es machen; sie steckten die Köpfe zusammen und drohten mir mit den Revolvern, wenn ich zuhörte.«

»Und du hörtest doch zu, wie ich dich kenne!« sagte lachend mein Begleiter.

Der Kleine lachte hinterlistig.

»Weil sie in ihrem Eifer schrien, daß ich es durch die Wand durch hörte!« »Und was hörtest du?« fragte Garcia weiter.

»Dummes Zeug – glaub' ja nicht daran. Nun, ihr wißt ja, was man über ihn sagt! Mit was kann ich dem Caballero dienen – wollen Sie nicht eintreten?« wandte er sich an mich.

Wir folgten ihm beide in das Haus, in den Bar-Room. Auf den Roden lagen zwei Vaqueros. die Besitzer der beiden Mustangs wohl vor dem Hause. Die aufgedunsenen Gesichter, der schwere Atem verrieten den bleiernen Schlaf der Trunkenheit.

Garcia nahm einen drink mit mir und dem Wirt.

»Wohl wieder die Pferdegeschichte?« begann er, an das vorige Gespräch anknüpfend, er war offenbar neugierig, und auch ich dachte, ohne eigentlichen Grund, an einen Zusammenhang mit dem nächtlichen Vorgange, den ich beobachtete.

»Was sonst!« entgegnete der Wirt. »Glaubst du es, Garcia?«

Der zuckte die Achseln.

»War Rafaele dabei?«

»Rafaele Sunol von Florence?« Der Alte besann sich einen Augenblick. »Ja, der war auch dabei. Dem traue ich's zu.«

»Und der schrie auch mit?« fragte 'Garcia.

»Er war auffallend ruhig, erst als sie der schönen Barbara alle Schuld gaben, sie verleite den Alten zum Stehlen und sollte eigentlich –« mit einem Blick auf mich brach er den Satz ab – »da wurde er hitzig – man weiß ja, warum – und schön ist sie, die Barbara – mir wurde angst dabei – jeden Augenblick dachte ich – jetzt wird's krachen. Um Mitternacht endlich brachen sie auf wie ein Heer von Teufeln – wie gesagt, es gefiel mir nicht, die Geschichte – es würde mich nicht wundern, wenn wir heute noch von Pacheco hören. Rafaele wollten sie nicht mitlassen, er ritt ihnen aber doch nach – die beiden da konnten sich nicht zu Pferde halten und blieben zurück.«

Garcia hörte gespannt zu, eine sichtliche Unruhe befiel ihn.

»Und der Barbara drohten sie auch?« fragte er.

»Der geschieht nichts, wenn Rafaele dabei ist,« meinte der Wirt.

Garcias Stirne zog sich in Falten, er trank rasch den Whisky aus.

»Wohnt dieser Miguel Pacheco nicht in einem halbzerfallenen Adobehaus, das sich an einen Felsen lehnt, etwa zehn Meilen von hier, an der Bahnstrecke?« unterbrach ich das Gespräch.

»Ganz richtig, Sennor,« bekräftigte Tom, mich erstaunt ansehend, auch Garcia war verblüfft.

Mir schnürte es die Kehle zusammen – meine Ahnung, sie haben Lynchjustiz geübt an Miguel Pacheco, dem Pferdedieb – armes Mädchen!

»Zu dem will ich eben,« platzte ich heraus.

»Zu Miguel Pacheco – Sie?« kam es von beiden Lippen.

Sie sahen mich mißtrauisch an, und es kam mir vor, als ob sie die Gläser wegrückten.

»Wenn Sie nur nicht zu spät kommen,« meinte Tom spöttisch, »die Jungens arbeiten rascher als die Herren vom Gericht.«

Er hielt mich offenbar für einen Scherif oder einen Geheimpolizisten, abgesandt, den Dieb zu verhaften, gegen den wohl eine Anzeige vorlag. Schon wollte ich mich dagegen verwahren, da fiel mir ein, welche Vorteile aus dieser Annahme für mich erwachsen, und nahm eine pfiffige Amtsmiene an.

»Wäre sehr bedauerlich,« erwiderte ich, ihre Meinung bestärkend.

»Hallo, Boys, Felipe, Jose, auf!«

Garcia stieß die Burschen mit dem Fuß. Sie fuhren jäh auf und griffen konvulsivisch nach den Revolvern. Dann sahen sie mit dem Erstaunen aus tiefem Schlaf plötzlich Erweckter im Raum umher.

»Ihr sollt den Sennor hier zum alten Miguel führen nach Pacheco Ranch!« rief er ihnen zu.

Der Name machte sie munter, ich beobachtete deutlich, wie die Erinnerung an den gestrigen Vorgang ihnen zurück kam. Sie sahen mich starr an, dann wieder Garcia. Ich wollte diesem Zeit geben, die Burschen in seinem Sinn aufzuklären, deren Begleitung mir sehr erwünscht war, und fing, ihnen den Rücken kehrend, ein Gespräch mit Tom, dem Wirt, an. Garcia trat zu den Vaqueros. Ich beobachtete ihn durch den fliegenbeschmutzten Spiegel hinter der Bar, innerlich lachend. Er flüsterte ihnen etwas in das Ohr, worauf die beiden Kerle sichtlich zusammenschraken und mich mit einer unbegrenztes Erstaunen, Furcht, einen gewissen Respekt ausdrückenden Miene betrachteten. Sie wußten genug.

Ich wendete mich plötzlich zu ihnen mit einer entschlossenen Miene, die hier zu Lande immer gut angebracht ist.

»Ihr begleitet mich also zu Pachecos Ranch?«

Sie sahen einander fragend an, dann verbeugten sie sich wie auf Kommando höflich und schlugen die großen Radsporen zusammen wie preußische Dragoner.

»Wenn Sie befehlen, Sennor!«

»Ihr wißt wohl den Weg, seid wohl bekannt mit dem Alten?« fuhr ich mit einer Inquisitormiene fort.

Wieder das gegenseitige Ansehen zweier Schuldigen, die sich durch Blicke verständigen wollen.

»Ja, wir kennen ihn, Sennor,« erwiderten sie abermals zusammen.

»Habt gestern über ihn gestritten, wie ich höre, mit euren Kameraden; warum sind sie denn so plötzlich aufgebrochen und haben euch zurückgelassen?«

»Weil wir betrunken waren, Sennor,« war die offene Antwort. »Wir können uns auch nicht mehr erinnern, worüber gestritten wurde, Sennor.« Sie beugten schlau meiner gefürchteten Frage vor.

»Und auch nicht, wohin sie ritten?« fragte ich weiter.

Sie besannen sich einen Augenblick.

»Zu Hause wohl, Sennor, auf die Ranches, zu denen sie gehören,« erwiderte dann zaghaft der eine.

Ich brach das Verhör ab, unterwegs dachte ich es fortzusetzen. Tom und Garcia besprachen sich unterdessen auch über mich und warfen mir keine freundlichen Blicke zu. Ich bemerkte, daß man hier auch unter ehrlichen Leuten – ich rechnete die beiden dazu – dieselbe Voreingenommenheit gegen alle Polizeiorgane habe wie in meiner Heimat.

Ich bestellte einen › drink all around‹;, um die üble Stimmung zu verbessern, und sprach kein Wort mehr über diesen Gegenstand. Ich war jetzt meiner Sache sicher und fest entschlossen, die Entwicklung eines Dramas kennen zu lernen, dessen Augenzeuge ich durch einen absonderlichen Zufall war.

Die beiden Vaqueros gingen mit Garcia, um ein Pferd zu besorgen.

»Glaubst du wirklich, daß Pacheco heute nacht ein Unglück passierte?« fragte ich Tom.

Er sah sich vorsichtig um.

»Ich glaube es sicher, Sennor,« flüsterte er, »nach dem, was ich gehört. Er soll es zu bunt getrieben haben in der letzten Zeit.«

»Und der schönen Barbara auch? Seine Tochter wohl?«

»Der Barbara? Nein! Rafaele war ja dabei.«

»Ihr Verlobter wohl?«

Der Alte nickte.

»Wer ist dieser Rafaele?«

»Wer er ist? Ein Mexikaner, der Pferdehandel treibt.«

»Und wenn keine zu handeln sind, selbst Pferde stiehlt,« erwiderte ich.

Tom lachte verschmitzt und gab keine Antwort darauf.

»Und die Barbara, weiß sie wirklich von den Streichen des Alten?« fragte ich weiter.

»Wissen?!« erwiderte er. »Sie führt sie schon selbst aus. Ein Teufelsweib, die Barbara! Sie behext Pferde und Männer, sagt man, daß sie ihr willenlos folgen.«

»Männer!? Rafaele wohl, ihren Geliebten. Das ist kein Wunder, wenn sie so schön ist!«

»Rafaele nur, meint Ihr?« Der Alte machte jetzt ein betrübtes Gesicht. »Alle, alle, weit und breit! Meine guten Jungens, sie macht sie zu Dieben und Mördern, dem Galgen laufen sie zu, wenn sie es will. Der Garcia da, ein seelenguter, fleißiger Junge! – ich wette, er hat seinen Platz aufgegeben im Süden, nur um in ihrer Nähe zu sein, und hat sie nur einmal gesehen bei einem Fest im vorigen Monat, das die Rancher ihren Leuten gaben.«

»Und doch drohten sie ihr gestern, wie Ihr sagtet, mit dem Tod, ich verstand Euch wohl. Das stimmt nicht recht.«

»Doch stimmt es, Sennor! Das macht die wilde Eifersucht. Rafaele ist jetzt der Begünstigte.«

Garcia trat ein; ich wußte genug. Die Pferde waren bereit, vier anstatt drei.

»Wenn Sie erlauben, Sennor, reite ich mit,« sagte Garcia.

Tom blinzelte mir verständnisinnig zu. Ich willigte ein. Die Zauberkraft der schönen Barbara, deren neues Opfer eben vor mir stand, wirkte aus der Ferne schon auf mich, ich sah ihr vom Feuerschein getroffenes, flehendes Antlitz und dachte nur noch an sie.

»Nehmen Sie sich in acht, Sennor,« flüsterte Tom, der mir den Bügel hielt, zu, »sie macht das Schwarze weiß mit ihrem Blick.«

Fort ging's in kurzem Galopp durch den fußhohen rötlichen Staub der einzigen Straße von Gila Bend.

Die qualvolle Hitze des Tages begann. Wir ritten am Ufer des Gila zwischen steilen rötlichen Felswänden und seinem steinigen Bett, in dessen Mitte er dürftig sich dahinschlängelte; doch schon die leise, kaum merkliche Kühle, die aufstieg vom Gewässer, ja, das Geriesel, der Anblick selbst wirkte erfrischend in der lechzenden Dürre rings umher. Oft ging es auf schwindeligem, hartem Felsweg aufwärts, dann sprach ich mit Garcia – die Vaqueros ritten voraus – mich interessierte der von der schönen Barbara behexte Jüngling – vielleicht waren wir Leidensgenossen in einigen Stunden.

Er hegte noch immer den Glauben an meine Amtswürde, das nahm ihm alle Offenheit, und ich hätte so gern über Barbara mit ihm gesprochen.

»Kennst du die Leute, die gestern abend in Toms Salon waren?« begann ich.

Er war peinlich berührt von der Frage.

»Glaubst du, daß es dieselben waren,« fuhr ich fort, ohne seine Antwort abzuwarten, »die heute nacht den alten Pacheco aus dem Hause geholt?«

Er wäre bald vom Pferde gestürzt, so warf es ihn zurück.

» Per Dios, Sennor, woher wissen Sie, daß sie ihn geholt? Wir fuhren doch zusammen diese Nacht –«

Es war ihm unheimlich vor meinen Scherifaugen.

»Eben weil ich mit dir gefahren, weiß ich es,« fuhr ich fort, »und weil ich nicht geschlafen habe wie du. Der Zug geht doch dicht an Pachecos Ranch vorbei, nicht?«

Er drängte sein Pferd dicht an meines, die höchste Erregung malte sich in seinen Zügen.

»Wenn ich nun die Geschichte vom Zug aus mit angesehen hätte?«

Sein dunkles Antlitz ward grau, der Mund stand ihm offen, er hielt mit einem Ruck sein Pferd an und fiel mir in die Zügel.

»Was haben Sie mit angesehen? Haben Sie Erbarmen mit Garcia! Was haben Sie mit angesehen?«

Ich wußte, für wen ihm der Angstschweiß auf der Stirne stand, mich dauerte das arme Opfer.

»Wie sie einen alten Mann aus der Hütte zerrten und ein junges Mädchen einen jungen Mann auf den Knien anflehte, um die Rettung wohl des alten Mannes.«

»Und dem jungen Mädchen taten sie nichts? Nicht wahr, Sennor, dem taten sie nichts?«

Garcia hing an meinem Munde.

»Soviel ich in dem kurzen Augenblicke sah, nicht, und ich glaube überhaupt nicht. Der junge Mann den sie anflehte, schien ihr gut gesinnt, er hatte den Arm um ihre Hüften geschlagen.«

Der freudige Ausdruck, den meine ersten Worte auf Garcias Antlitz hervorriefen, verschwand und machte einem düstern Platz.

»Wie sah er aus, der junge Mann?« fragte er.

»Ein großer, magerer Mann, bartlos, mit langem schwarzem Haupthaar.«

»Rafaele Sunol, ich wußte es zuvor,« murmelte er niedergeschlagen. »So ein Hund,« fuhr er plötzlich zornig auf, »er ist schlimmer als der Alte selbst!«

»Er und die Barbara,« wandte ich ein, die Ansicht Toms wiederholend. »Sie hat den Alten wohl ganz in der Hand?«

»Die Barbara? Nein, Sennor, das ist eine ganz verdammte Lüge! Verzeihung, Sennor – eine verdammte Lüge, die der Neid erfunden, der Haß!«

»Der Haß? Haßt man die Barbara?«

»Verschmähte Liebe wird zum Haß hierzulande.«

Wir schwiegen beide eine Strecke lang.

»Ist sie denn wirklich so schön?« begann ich wieder.

»Ob sie Euch gefällt – für uns ist sie die Schönste weit und breit, wenn sie auf ihrem schwarzen Pferde dahergejagt kommt – die zierlichen Zähne, wenn sie lacht – und das Auge –«

Er war ganz in seiner Phantasie versunken – sie stand vor ihm in ihrer verführerischen Pracht. »Nun, Sie werden sie ja bald sehen.«

»Wenn sie noch lebt.«

Garcia lachte bitter.

»Seid versichert, sie lebt! Die weiß sich zu helfen, auch ohne Rafaele. Mit einem Blick, einem Wort gehört ihr die ganze Bande.«

»Die gekommen ist, sie aufzuknüpfen!« sagte ich ungläubig.

»Man knüpft eine Barbara nicht auf – wir nicht!« entgegnete er, melancholisch lächelnd. »Den Alten – das ist ja möglich –, obwohl ich auch nicht daran glaube, da sie dabei war.«

Ich glaubte selbst bald an die Zaubermacht dieses Mädchens nach dem, was ich von ihr hörte.

II.

Wir ritten jetzt bergab und holten die Vaqueros vor uns ein. Sie hatten schlechtes Gewissen und gaben sich alle Mühe, im Gespräche mir begreiflich zu machen, daß sie mit der gestrigen Gesellschaft und ihren Äußerungen nichts zu tun haben wollten, sie seien nur zufällig mit den Leuten zusammengetroffen. Ich tat, als ob ich ihnen Glauben schenkte. Die Gegend kam mir jetzt bekannt vor. Der Schienenstrang auf der anderen Seite des Flusses war sichtbar, auch ritten wir schon über zwei Stunden, unser Ziel konnte nicht mehr fern sein. Ich bemerkte es auch an der immer größer werdenden Unruhe meiner Begleitung. Der Grund dazu lag bei den beiden Vaqueros in der Ungewißheit der Ereignisse der gestrigen Nacht, bei Garcia, wohl hauptsächlich in dem halb gefürchteten, halb heißersehnten Wiedersehen Barbaras.

Wir ritten eine steile Höhe hinauf, der Weg bog nun im rechten Winkel scharf ab. Zu unseren Füßen lag das Adobehaus, Pachecos Ranch, am Felsen hingelehnt, wir sahen kerzengerade darauf hinab, und was wir sahen, machte uns alle wie auf ein Kommandowort halten.

Auf einem Felsen neben dem Hause saß der Alte, den ich aus dem Hause zerren sah, ich erkannte sofort den weißen Bart – Don Miguel Pacheco – und flickte einen mexikanischen Sattel, das heißt, er wollte ihn flicken; ein großer, magerer Mann, der neben ihm stand, die Hände auf den Sattelknopf seines Pferdes gelegt, als wolle er eben aufsitzen, einen breiten Sombrero auf dunklen Locken, ließ ihn nicht dazu kommen. In heftigen Worten drang er auf den Alten ein, der ebenso erregt, mit beiden Armen in der Luft fuchtelnd, ihm entgegnete – Rafaele Sunol – sein Gesicht war mir am besten im Gedächtnis.

Unter der Türe stand ein großes, für die spanische Rasse, der sie offenbar angehörte, auffallend stark gebautes Mädchen. Ein rotes Tuch, dessen Fransen in die braune Stirne hereinhingen, bedeckte zum Teil das schwarze Haar, dessen üppiger Wuchs sich jedoch überall hervordrängte, durch das schneeweiße, zerrissene Hemd blickten die braunen, vollen Achseln, die edelgeformten, in die Seite gestemmten Arme; ein von Dornen und Gestrüpp zerfetzter bunter Rock reichte an die Knöchel und ließ bespornte, zierliche Halbstiefel aus hellem Leder sehen. Die schöne Barbara ohne Zweifel! Ich las es in Garcias Blicken, die sie verschlangen. Die ganze Erscheinung machte den Eindruck wilder Zügellosigkeit, und ich war einigermaßen enttäuscht. Dieses zerlumpte, derbknochige Mädchen soll Männer verzaubern? Ihr Gesicht war von oben nicht gut sichtbar. Ich bemerkte nur, daß sie lebhaften Anteil nahm an dem Streit der Männer, der, in spanisch geführt, bei dieser Entfernung nur zum Teil für mich verständlich war.

Garcia und die beiden Burschen horchten angestrengt.

»Das lügst du, alter Schuft!« schrie er jetzt so laut Don Miguel zu, daß wir jede Silbe vernahmen. »Gehängt hätten sie dich trotz aller seidenen Bänder deiner Barbara!«

Helles Lachen ertönte unter der Tür.

»Vergiß nur nicht blau und Silberfaden – ich muß Wort halten den guten Jungens!«

Barbara schritt zu ihm über den Platz vor dem Hause, ihr Gang war zierlich, die Last des starken Körpers ruhte auf feinen Gelenken, um die jetzt der zerfetzte Rock gaukelte; der kräftig edelgewölbte Nacken trug stolz das kleine Haupt; trotz der Lumpen lag etwas Vornehmes in der Erscheinung. Die angeborene Grandezza ihrer Rasse sprach aus jeder Bewegung.

»Also dein letztes Wort, Miguel,« sagte der junge Mann, ohne auf Barbara zu sehen.

Der Angeredete schlug wütend glänzende Nägel in den Sattel und gab keine Antwort. Barbara legte ihre kleine braune Hand auf die Schulter Rafaeles. »Vergiß nur die Bänder nicht,« sagte sie.

Ärgerlich schüttelte er sie ab, sie lachte wieder hell auf, dann sprach er heftig zu ihr, seine Stimme klang wie von Tränen der Wut erstickt, man verstand kein Wort davon. Plötzlich schlang sie die Arme um seinen Nacken, küßte ihn und näherte ihren Mund seinem Ohr.

Der Alte schlug wütend mit dem Hammer auf das Sattelholz, sprang auf, riß Barbara aus dem Arm des jungen Mannes und wies sie scheltend in das Haus zurück, doch diese nahm eine trotzige Haltung an und wich nicht. Der junge Mann schwang sich offenbar befriedigt in den Sattel.

»Komm nur bald wieder, Rafaele,« rief sie ihm unbekümmert um den die Fäuste gegen sie ballenden Vater zu, »es geht doch nach meinem Kopf!«

Er gab dem kleinen, struppigen Pferd die Sporen und schwenkte den Sombrero.

»Adio, Barbara!« schallte es gell gegen die Wände, dem Alten zum Trotz.

»Vergiß die Bänder nicht!« rief sie ihm noch lachend nach.

Rafaele sprengte uns entgegen den Berg herauf, und ich erwachte aus meinem traumhaften Beobachten des Bildes unter mir, das ich mir ganz anders wiederzusehen gedacht. Er mußte an uns vorüber, es führte kein anderer Weg den Felsen entlang.

Plötzlich hinter einem Vorsprung hervorreitend, bemerkte er uns. Er hielt sein Pferd an, obwohl er keine Ahnung haben konnte, daß wir ihn schon seit einer Viertelstunde beobachteten, schien ihm die Begegnung doch unangenehm. Zuerst traf er mit den beiden Vaqueros zusammen, die etwa fünfzig Schritt vor uns ritten. Er sprach rasch und leise mit ihnen im Vorüberreiten, mir entging es nicht. Er erkundigte sich wohl, wer ich sei, dann wich er auf der Bergseite aus, höflich den Sombrero ziehend.

» Buenos tardes, Sennor! Du hier, Garcia?« sagte er dann in etwas spöttischem Tone, wie mir vorkam. Dieser konnte die Flamme des Hasses nicht verbergen, die ihm aus den Augen drang.

»Ich begleite den Sennor zu Don Miguel,« erwiderte Garcia.

Ein mißtrauischer Blick traf mich aus dem verschlagenen, auf mich einen unangenehmen Eindruck machenden Gesicht Rafaeles. »Das wird dem guten Alten eine rechte Freude machen. Don Miguel ist gastfreundlich gegen Fremde – ein braver Mann, was auch über ihn gesprochen wird –«

»Das letztere ist allerdings nicht gut,« erwiderte ich, »noch weniger, was gegen ihn getan wurde heute nacht!«

Rafaele erschrak heftig, fragend blickte er auf Garcia, der nun seinerseits spöttisch lachte.

»Schon bekannt in Gila Bend?«

»Wie du hörst,« meinte Garcia.

»Dann ist es auch bekannt, wer ihn gerettet?«

»Die seidenen Bänder Barbaras,« erwiderte lachend Garcia.

Rafaele wurde dunkelrot.

»Ich hab' es getan, er muß es selbst zugeben.«

»Und bekommst wohl dafür auch ein neues seidenes Band von ihr. Hast es auch nötig.«

Garcia zeigte auf seinen Sombrero, den ein verwittertes blaues Seidenband mit Silberstickerei schmückte.

»Das überlaß ich dir, Garcia,« rief Rafaele höhnisch, sein Pferd antreibend, »ich nehme sie selbst. Buenos Dios, Sennor!« Grüßend verschwand er hinter den Felsen.

Garcia murmelte ein böses Wort, das schon viel Blut gekostet hierzulande, zwischen den Zähnen.

Jetzt vernahm Don Miguel den Hufschlag unserer Pferde. Er blickte, die Augen gegen die Sonne schützend, herauf. Es war ihm nicht recht heimlich, wie ein gestellter Fuchs blickte er einen Augenblick prüfend nach allen Seiten umher, dann tat er wieder, als sei er emsig bei der Arbeit.

Barbara zog sich in die Hütte zurück. Erst als wir vor ihm standen, erhob er sich scheinbar überrascht, mit einem kurzen, scharfen Blick mich von oben bis unten musternd; der Anblick Garcias, den er kannte, schien ihn zu beruhigen. Auf ihn machte ich offenbar nicht den Eindruck eines Scherifs und war dessen froh – ich verhinderte deshalb auch eine Annäherung mit den Vaqueros, welche ich, jedem einen Dollar in die Hand drückend, mit einem Gruß an Tom entließ. Ungern entfernten sie sich, sie wollten zu gerne Näheres über den nächtlichen Streich vernehmen und wie es zugegangen. Endlich ritten sie ab.

Don Miguel lud uns mit echt spanischer Gastfreundlichkeit in sein Haus, hinter meinem Rücken Garcia fragliche Zeichen über mich machend. Ich kam diesem zuvor – Pacheco sollte keine Furcht vor mir haben.

»Habt Ihr heute morgen um drei Uhr den Zug von Casagranda nach Maricopa nicht passieren sehen?« fragte ich.

Er drehte einen alten, zerrissenen Strohhut in der zitternden Hand und sah mich entsetzt an.

»Heute nacht – Sennor« – seine Stimme war unsicher – »gerade heute nacht –«

»Schliefst du wohl recht gut – besonders um drei Uhr, nicht wahr?« warf ich lachend ein.

Er verlor alle Fassung und würgte an unverstandenen Worten.

»Don Miguel Pacheco,« sagte ich, »mich treibt nur die Neugierde hierher, keine böse Absicht gegen dich. Ich war auf dem Zug um drei Uhr, sah alles, was sich zu dieser Zeit zutrug in deinem Hause; freue mich, dich trotzdem wohl und munter zu sehen, und möchte gern erfahren, wie das so gekommen und wie du dir durchgeholfen hast. Tat es wirklich dieser Mann allein, dem wir eben begegnet? Er behauptete es Sennor Garcia gegenüber.«

»Dieser windige Schuft, der Rafaele! Behauptete er es wirklich, Garcia? Dieses Großmaul – dieser –«

Ich tat seiner Schimpfrede Einhalt und bat ihn um eine ruhige Entwicklung der ganzen Angelegenheit.

»Vorerst aber ein Glas Wein, unsere Kehlen sind trocken.« Ich rechnete, daß er sich unterdessen fassen und beim Wein offenherziger sein werde.

Er machte eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und trat voraus in das Haus. Garcia tat mir förmlich Abbitte, daß er mich für einen Scherif gehalten, der einen Haftbefehl gegen Don Miguel in der Tasche habe, mußte aber doch, da er mich ja selbst auf dem Zuge sah und die Zeit der Tat genau stimmte, an meine Aussage glauben.

In eine niedere, rußgeschwärzte Stube, spanisch schmutzig und verkommen, führte uns Pacheco. In einer Mauerhöhle, die oben ein Gesims, vollgestellt mit Heiligenbildern und geweihten Kerzen, krönte, brannte knisternd Feuer, über welchem eine riesige Pfanne auf einem eisernen Dreifuß stand.

Barbara stand davor, von feinem Schein umflossen, sie wandte sich nach uns. Aus einem bronzefarbigen, edelgeformten Antlitz brannten zwei große schwarze Augen, die in einer bernsteingelben Flüssigkeit zu schwimmen schienen, hinter den roten Lippen blitzten schneeweiße Zähne. Es lag wirklich Dämonisches in der dunklen, in bunte Fetzen gehüllten, vom Feuerschein umflossenen Erscheinung.

» Buenos, Dios, Caballero!« grüßte sie, die Melodie ihrer Sprache mit einer klangvollen Stimme verbindend; Garcia, dessen Antlitz jetzt noch dunkler erschien, erkennend, reichte sie ihm lachend die kleine, von Fett glänzende Hand. Am Tische stand Mexikaner in einer Korbflasche, schwarz wie Tinte, lagen frisch gewickelte Zigaretten.

Don Miguel hatte sich etwas erholt von seinem Erstaunen.

»Sie müssen sich Schönes denken von mir,« begann er, die Gläser füllend, »nach dem, was Sie gesehen!« Sein kleines graues Auge sah mich durchdringend an, als wolle er in meinem Innern lesen. Er hatte ein ausgemachtes Spitzbubengesicht. »Nun, ich werde es den Burschen schon heimzahlen! Hätten mich bei Gott aufgeknüpft wie einen Dieb, wenn mein Mädchen da nicht wäre, meine Barbara.«

Die wandte sich dem Feuer zu und kehrte die prasselnden Tortillas um.

»Und da behauptet der Rafaele – mit mir hätten sie ihn aufgeknüpft, sage ich dir, Garcia, in ihrer Tollheit, wenn er noch ein Wort gesprochen, und am Ende – nun, ich will schweigen. – So hören Sie, wie die Geschichte eigentlich war.« Er zündete sich eine Zigarette an, nachdem er uns welche geboten, schlug die dürren Beine übereinander und begann: »Es handelt sich um einen Pferdediebstahl. Es gibt ja nichts anderes zu stehlen hier in unserer armen Gegend, und allerdings, er nimmt in der letzten Zeit wieder sehr überhand, habe selbst darunter zu leiden. Es ist ja auch keine Kunst, Pferde zu stehlen, die monatelang frei in den Bergen weiden, und darum ist es ganz in der Ordnung, daß so etwas streng gestraft wird, ganz in der Ordnung, Sennor – aber mir das vorwerfen, dem Don Miguel Pacheco, der aus einem alten spanischen Geschlechte stammt, ein Caballero wie irgendeiner in der Gegend ist – doch ich greife vor! Gehen da einem Farmer in der Nähe, einem gewissen Jim Bridger, einige Pferde ab – er hat Rassepferde, das ist wahr, eine wahre Freude, seine Pferde, viel Geld wert! Er läßt in der ganzen Gegend bis an die mexikanische Grenze von seinen Leuten alles absuchen, alles abfragen. Da fand einer seiner Vaqueros eines der Pferde – ich kannte es genau – ein herrlicher Falbe war's – auf der Weide eines Mexikaners. Er fragte, von wem und wo er es gekauft habe. ›In Cojeta am Pferdemarkt,‹ erklärte dieser, ›von einem alten Mann mit grauem Bart, einem Spanier.‹ Der Vaquero brachte Jim die Meldung nach Hause.

»Alter Mann mit grauem Bart, Spanier – das ist der Pacheco! Als ob es nicht mehr alte Männer mit grauem Bart im County gäbe – aber natürlich Don Miguel Pacheco ist arm, darum muß er stehlen. Was gäbe es sonst für einen Anhaltspunkt? Was tut er?! Ladet den Mexikaner, einen reichen Gutsbesitzer, zu sich und erklärt ihm seinen Verdacht – die Reichen halten ja immer zusammen gegen uns Arme auf der ganzen Erde. Der Mexikaner kommt, Jim reitet eines Tages hier mit ihm vorbei, absichtlich natürlich, und der schuftige Mexikaner will in mir den Verkäufer des Falben erkannt haben, obwohl ich schwören kann, daß ich nie Cojeta und nie den Mexikaner gesehen habe. Reitet ruhig weiter und grüßt mich noch freundlich. Das wunderte mich schon, er hat einen Haß auf mich, dieser Jim Bridger, wegen einer alten Geschichte in den Minen. Das Gericht hätte natürlich genau untersucht und auf die zweifelhafte Aussage eines Mexikaners kein Urteil gesprochen. Das wußte Jim sehr wohl, darum hetzte er mir gestern seine sämtlichen Vaqueros über den Hals, die hätten die Sache kürzer machen sollen, und sie hätten sie auch verdammt kurz gemacht, wenn nicht die Teufelskatze dort wäre, die Barbara. Auf die hat Jim Bridger nicht gerechnet – im Gegenteil, er wählte gerade die verschmähten Liebhaber. Sie glauben es nicht, wie sie mit den Burschen umspringt! Bei Gott, ich hätte es mir auch nicht gefallen lassen, wie ich jung gewesen war – die werden rasch zugreifen und ihr Mütchen kühlen, glaubte Jim – aber es kam anders. Erzähle es dem Sennor selbst, wie du es gemacht hast.«

»Nichts habe ich gemacht! Rafaele hat es gemacht!« herrschte sie den Vater an. »Er machte es den Jungen klar, daß sie einen Mord begehen und selbst hängen müssen dafür. Ihr habt allen Grund, ihm dankbar zu sein.«

»Caramba!« fuhr jetzt der Alte mit zornfunkelnden Augen auf, »das lügst du und er, um mich zu etwas zu zwingen, was ich doch nie tue!«

Barbara zuckte die Achseln und lachte höhnisch.

»Jetzt müßt ihr's erst recht erfahren, wie es war, dann sagt selbst, ob Rafaele etwas dafür kann. Rafaele! Es ist zu toll! Garcia, sag' selbst, du kennst den Schuft ja auch – ein Mensch, den sie hassen alle zusammen« – er zwinkerte mit den Augen auf Barbara – »du weißt ja, warum – dem sie selbst keine Legua weit trauen – doch was red' ich – hört also! Sie zerren mich heraus aus dem Bett, die lieben Jungens, stockbetrunken natürlich, wie immer bei solchen Gelegenheiten, stellen mich unter die Augen da draußen, werfen mir einen Strick um den Hals und beginnen, sinnlos vor Rausch, gierig nach einem aufregenden Schauspiel, die Verhandlung, das heißt, sie klagen mich an, schwätzen verwirrtes Zeug, halten mit lallender Zunge große Reden, schießen mit Revolvern, schreien und brüllen durcheinander wie das liebe Vieh und lassen mich nicht zu Worte kommen. Ich kenne die Geschichte, war in jungen Jahren selbst oft dabei – ich machte mich bereit zur großen Reise. ›Wo nur die Barbara ist?‹ dachte ich mir, ich hatte sie in dem Gedränge aus den Augen verloren. Da drängt sich ein Mann vor in den Kreis, Rafaele Sunol – ich will sagen, was wahr ist – er gab sich alle Mühe, den Leuten Vernunft beizubringen, er erklärte ihnen, daß er mich zur fraglichen Zeit in Gila Bend gesehen – alles wahr! Aber da hätten Sie sehen sollen, die Revolver hielten sie ihm vor die Nase, er sei wohl mein Mitschuldiger bei dem Falbendiebstahl und das nächste Mal kämen sie zu ihm. Kurz, er durfte kein Wort mehr sprechen, sonst wäre er ein toter Mann gewesen; die Leute wollten sich ihren Spaß nicht nehmen lassen.

»Ich war gefaßt, ich habe den Tod nie gefürchtet, nur rasch sollte es gehen, und es hatte allen Anschein dazu. Da mit einem Male erschien Barbara unter den Jungens und riß ein paar davon, die sich schon an mir zu schaffen machten, beiseite.

»›Ihr seid Caballeros‹, begann sie, den ganzen Lärm überschreiend, ›und keine Mörder! Ihr werdet einen armen Kameraden nicht auf das lügenhafte Zeugnis einiger reicher Männer richten, die euch aussaugen und betrügen.‹

»Eine heftige Bewegung entstand unter den Leuten. Sie waren bei der rechten Seite gepackt, das merkte ich gleich, laute, beifällige Zurufe wurden laut. Barbara immer weiter:

»›Laßt den Mexikaner seine Aussage bei Gericht auf einen Eid wiederholen. Wie leicht kann er sich getäuscht haben, und er hat sich getäuscht, sag' ich euch! Glaubt doch eurer Barbara, die mitten unter euch aufgewachsen, die ein Vaquero ist wie ihr, die euch alle lieb hat – mehr als so einen Ausländer!‹

»›Hurra, Hurra, Donna Barbara!‹ brüllten sie jetzt und drängten sich um sie.

»›Du, Luis‹ – sie packte einen blutjungen Menschen, der sich kaum auf den Beinen halten konnte vor Trunkenheit – ›auch hier? Und du, Felipe? Habt ihr mein Versprechen schon vergessen im Fandangohaus zu Pima?‹

»›Welches Versprechen? Welches Versprechen?‹ schrie die Meute durcheinander, auf sie eindringend, eifersüchtig auf die zwei Begünstigten. Ich war gerettet, das wußte ich.

»›Ein Versprechen, das ich hiermit allen gebe, wenn ihr ruhig nach Hause kehrt und die dumme Geschichte sein laßt!‹ rief sie laut. ›Ein neues seidenes Band für jeden von euch um den Hut und meinen Namen darin gestickt, »Barbara« –‹

»› Hurra, hurra, e bella Barbara!‹ brüllten sie jetzt. Da hätten Sie sie sehen sollen, wie toll waren sie. Sie küßten ihr schwarzes Haar, ihre Hände, sie hoben sie plötzlich auf ihre Schultern und trugen sie in das Haus, ich hinterher mit dem Strick um den Hals, ich hatte vergessen, ihn herunterzutun, in der Aufregung. Dann drückten sie mir die Hand, baten mich um Verzeihung. Ich ließ ein Fäßchen Whisky öffnen, in einer Stunde war es leer, und die guten Jungens – ich mußte selbst darüber lachen – ritten davon unter lauten Hurras auf Barbara, die jedem einzelnen noch das Versprechen wegen des Bandes erneuern mußte. Es ist nämlich für einen Vaquero das Höchste, so ein gesticktes Band auf den Hut von meiner Barbara.«

Er sah mit einem seligen Schmunzeln auf das Mädchen, das sich die Seiten hielt vor Lachen über den gelungenen Streich.

Garcia stierte schwermütig zu Boden. Diese Buben bekommen ein Band von ihr, Rafaele noch mehr – und er? Nichts!

»Und da will der Rafaele Sunol sich als meinen Retter aufspielen und zum Dank dafür den andern Tag mein Kind fordern!«

»Da fordert er nur etwas, worauf er schon lange ein Anrecht hat,« mischte sich Barbara mit rücksichtsloser Offenheit in das Gespräch.

»Und das schämst du dich nicht zu sagen vor den Sennors hier?« schrie der Alte außer sich.

»Durchaus nicht. Rafaele ist mein Verlobter, ich mache kein Geheimnis daraus.«

»Aber dein Mann wird er nicht, solange ich lebe!«

»Und warum nicht?« fragte, energisch vor ihn hintretend, Barbara. Eine heftige Erregung belebte die starken Züge, das Auge glimmte im gelblichen Naß, die volle Brust hob sich mächtig unter dem faltigen Hemd – jetzt war sie wirklich die schöne Barbara.

»Weil – weil er ein falscher Schurke ist,« stieß Miguel heftig heraus, »weil du zu gut für ihn bist, weil du elend wirst mit ihm« – seine Stimme klang jetzt weinerlich – »weil ich Dinge weiß von ihm –«

»Was für Dinge denn, die dich so schrecken?« Sie sagte das mit einem eigentümlichen, höhnischen Akzent auf dem »dich«, der mich stutzig machte. Der Alte wagte sichtlich nicht mehr weiter zu gehen. »So sag' doch, welche Dinge denn?« drang sie immer höhnischer in ihn.

»Dinge, welche ihn denselben Weg führen werden, den sie mich gestern schuldlos geführt unter die Agave – da werden dir dann die seidenen Bänder nicht mehr helfen –«

Er vergaß in seiner Entrüstung, daß er Zuhörer hatte.

»Und doch war er bis jetzt dein bester Freund, der Rafaele,« fuhr Barbara fort, »und konntest ihn keinen Tag entbehren. Er ist jung und du bist alt, das ist der ganze Unterschied – sonst« – sie machte eine Bewegung mit der Hand, die »alles gleich!« bedeutete – »Er gefällt mir einmal, und – so genau darf ich es auch nicht nehmen.«

»Aber ich nehme es genau,« schrie der Alte, auf sie losspringend, »und jage ihn aus dem Hause, den Spitzbuben, wenn er sich noch einmal blicken läßt!«

»Das werdet Ihr nicht tun!« Barbara sprach das drohend, mit blitzenden Augen.

»Und warum nicht?«

»Weil Ihr es nicht wagt!«

»Mädchen, willst du mir noch drohen?!« Er riß eine schwere Lederpeitsche von der Wand und drang auf sie ein. Sie wich keinen Schritt und sah ihn verdächtig an. Garcia sprang dazwischen und entriß ihm die Peitsche. Der Alte verbarg sein Gesicht in den Händen und fing zu weinen an vor innerer Wut.

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»Dank deinem Schöpfer, Garcia, daß sie dich nicht will. Es ist ein Unglück, das Mädchen – Verzeihen Sie, Sennor, einem armen alten Mann – ich könnte Ihnen Dinge erzählen –, Sie würden Mitleid haben mit mir.«

Ich sah ein, daß es Zeit war, mich zu entfernen, die Szene war unerquicklich.

Garcia sprach leise mit Barbara, er schien sie zu beruhigen. Ich wußte, daß er viel auf dem Herzen hatte, und verließ mit Don Miguel die Kammer. Er flehte mich an, doch der zweideutigen Rede seiner Tochter kein Gehör zu schenken, sie sei ganz toll aus Liebe zu dem Rafaele; das Kind sei verloren in seinen Händen.

Lange wartete ich, endlich trat Garcia heraus.

Er hielt die Hand Barbaras in der seinen und sah recht niedergeschlagen aus, auch sie wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen. Ihr Gesicht hatte jetzt einen unendlich sanften, gutmütigen Ausdruck, dessen ich es früher nicht fähig gehalten hätte. – Wir bestiegen die Pferde.

»Nichts?« fragte Don Miguel betrübt Garcia.

»Nichts,« klang es hoffnungslos; »sie kann nicht anders.«

Barbara trat weinend in das Haus. Wir ritten wieder den Bergpfad hinauf.

»Hast du alles versucht?« fragte ich Garcia nach einer Weile.

»Alles! Es ist so bei uns – sie kann nicht anders!« erwiderte er.

Dann ritten wir stumm im glühenden Sonnenbrand nach Gila Bend.

III.

Ich saß in der Vorhalle des Grand Hotel im lieblichen kleinen Städtchen Phönix, der Hauptstadt vom Maricopa County, in Arizona. Das Grand Hotel war eine kleine, weißgetünchte, einstöckige Bretterbude – die Hauptstadt zählte damals achthundert Einwohner, zum großen Teil eingewanderte Mexikaner. Es war eben ein echtes amerikanisches Städtekind, das, mit den Gliedmaßen eines Erwachsenen auf die Welt kommend, sich damit drollig genug gebärdet. Aber trotzdem ein blühendes, kraftstrotzendes, zu den schönsten Hoffnungen berechtigtes Kind, das in dem fruchtbaren Salt Rivertal sich recht wohlbefand.

Ich kam vor einer Stunde von Denver, Colorado. Ein originelles Völkchen stand an der Bar, lag, die Füße in der Luft, an die Mauer gestemmt, rauchend, spuckend, in den Rockingchairs, derbe revolvergespickte Cowboys, kokette mexikanische Vaqueros mit riesigen Sporen in der putzsüchtigen Tracht ihrer Nation, Viehhändler, Farmer mit bartlosen Lippen, mit Kornähren sich die Zähne stochernd, Miner, müßiges, zweideutiges Volk, dazwischen herumschleichend kleine, struppige Indianerweiber in Lumpen, ihre Papuses (Kinder) auf dem Rücken, auch der bezopfte Sohn des himmlischen Reiches fehlte nicht, der aus der Küche ab und zu huschende, springende, in weißes Leinen gekleidete, ewig lachende »John«. Spanisch und englisch tönten wirr durcheinander. Getreideproben wurden herumgereicht; Specimens aus den Minen, Pferde- und Viehhändel abgeschlossen, drinks allround genommen.

Ich las eben in einer alten Nummer des »Newyorker Herald«, die sich bis hierher verirrt, und dampfte eine pechschwarze Mexikana. Da erhob sich plötzlich wildes Geschrei von der Straße; eine Schar halbnackter, schmutziger Jungens unternahm einen Wettlauf, von einer Wolke Staubes umgeben, gegen das Grand Hotel, große rote Zettel schwingend.

» Great excitement in Maricopa, bella Barbara captivated, longe Rafaele killed!« klang es wie ein Schlachtruf aus heiseren Kehlen. Alles stutzte, die Gespräche verstummten, im Nu hatte jeder der Anwesenden einen roten Zettel von den kleinen Kobolden in die Hand gedrückt, die sich kaum Zeit nahmen, die zehn Cents einzukassieren, um weiterzurasen die Straße hinab, um jeder etwaigen Konkurrenz zuvorzukommen.

Es gab damals noch keine Zeitung in Phönix, und nur ganz besondere Ereignisse wurden auf diese Weise bekanntgegeben.

Auch ich hatte einen Zettel in der Hand und starrte auf die großen schwarzen Buchstaben. Es waren zwei Jahre vergangen seit meinem Abenteuer bei Gila Bend, später hatte ich noch vernommen, daß die Barbara eines schönen Tages mit Rafaele Sunol verschwunden, da der Vater unbeugsam war. Ich hatte die ganze Sache vergessen im Drang eines bewegten, ruhelosen Lebens, jetzt stand die nächtliche Szene wieder lebendig vor meinen Augen; kein Zweifel, es war dieselbe Barbara, derselbe Rafaele.

Warum wurde sie gefangen, er getötet? Was hatten sie verbrochen? »Sie ist verloren in seiner Hand,« sagte damals der Alte. Dann dachte ich an den armen Garcia – wenn der das erfährt!

In diese Gedanken versunken, achtete ich nicht auf meine Umgebung. Der tolle Lärm, die fieberhafte Aufregung in den Gruppen, die unzählige Male genannten und gerufenen Namen Barbara und Rafaele ließen mich erst aufblicken von dem verhängnisvollen Blatte. Jetzt fiel es mir auf: bella Barbara – longe Rafaele. Diese feststehenden Attribute, ohne Familiennamen – und alles sprach ringsum wie von weltbekannten Personen – in Phönix – fünfzig Meilen von Maricopa – von einem einfachen Vaquero und seiner Geliebten! Woher kam diese Volkstümlichkeit? Ich fragte den nächsten besten, einen biedern Farmer dem Aussehen nach, der sich besonders erfreut zeigte über die Nachricht.

»Kennen Sie denn diese beiden?«

Er sah mich groß an.

»Wohl fremd hier, Sir?« erwiderte er. »Sonst müßten Sie doch von der Landplage im Maricopa County gehört haben, den verwegensten Desperados seit Jahren. Das will was heißen hierzulande, Sir! Keine Post, kein Stück Vieh, kein Pferd, kein Mensch auf der Straße war ja sicher vor dem Gesindel! Na, das gibt ein Fest, wenn die aufgeknüpft wird! Das müssen Sie abwarten, das geht rasch bei uns in einem solchen Falle.«

»Aber sie war doch nur seine Geliebte?« fragte ich weiter.

»Sie? Die Barbara? Ich danke! Sie war ja die Seele des Ganzen, der helle Teufel, sage ich Ihnen! Man war ja keines Burschen mehr sicher, ob sie ihn nicht in ihre Netze zog. Die besten, bravsten Leute hat sie zu dem saubern Handwerk verführt, es sollen ihrer dreißig sein, und sie war die Anführerin. Der Rafaele ist ein einfacher Lump, ein Pferdedieb, ein feiger Tropf, aber sie – man muß Respekt haben, vor ihrer Entschlossenheit, sie tat es mehr aus Leidenschaft, aus Freude an dem wilden, waghalsigen Leben. Sie soll nichts gegeben haben um Geld und Gut, alles verschenkt unter ihre Leute. Sie gingen auch durchs Feuer für sie – sollen nur aufpassen, daß sie sie nicht wieder holen – oft schon dagewesen. Wie sie nur in diese Falle gehen konnten!«

Ich hörte gespannt der abgebrochenen Rede zu – die letzten Worte des Mannes ließen mich erst den Bericht genauer ansehen.

»Gestern gelang es Scheriff Edvards von Maricopa County, die schöne Barbara und den langen Rafaele, den Schrecken des County, in der Hütte ihres erkrankten Vaters Miguel Pacheco bei Gila Bend gefangen zu nehmen. Rafaele wurde nach heftiger Gegenwehr erschossen, Barbara gefangen genommen. Sie wird in den nächsten Tagen vor der Supreme Court in Phönix gerichtet werden.«

Mein Farmer wurde unterdessen von Bekannten umdrängt, überall bildeten sich erregte Gruppen, den Vorfall besprechend.

»Wäre mir lieber, für die Barbara die Kugel und für den Rafaele den Strick, als umgekehrt,« meinte ein Vaquero. »Nun, verraten tut sie nichts. Die Blaubänder können ruhig auseinandergehen –«

»Wenn sie Schurken sind und sie hängen lassen,« meinte ein mexikanisch gekleideter Vaquero.

»Was wollen sie denn tun?« erwiderte ein Cowboy schlecht englisch.

Der Mexikaner sah ihn spöttisch an, seine Zigarette zerknäuend.

»Du weißt es freilich nicht!« Er spuckte verächtlich aus.

Von einem kunstgerechten Faustschlag unter das Kinn getroffen, rollte er zu Boden; der Cowboy hatte die Beleidigung wohl verstanden; andere warfen sich dazwischen – ein dichter Knäuel von Menschen entstand. Ich erwartete, jeden Augenblick einen Schuß aufblitzen zu sehen. Dann flogen beide, der Mexikaner und der Cowboy, plötzlich weit in die Straße hinaus unter dem Gelächter der Menge, und von neuem sprach man, als ob nichts geschehen, über die sensationelle Nachricht.

Ein Miner wollte sie vor mehreren Monaten in einem Fandangohause zu Pima selbst gesehen haben, das sie furchtlos mit einigen ihrer Leute betrat; er wurde von allen Seiten umdrängt um Auskunft, jeder wollte näheres erfahren von der bella Barbara.

Mir war der Ausdruck »Blaubänder« aufgefallen, den jener Cowboy gebraucht.

»Warum heißt man denn ihre Anhänger Blaubänder?« fragte ich.

»Weil sie alle blaue Bänder um die Hüte tragen sollen mit ›Barbara‹ in Silber drin gestickt,« erwiderte man mir von allen Seiten.

Auch das schien eine allbekannte Tatsache, welche die Romantik des Ganzen noch erhöhte. Es war gleichsam ein Geheimbund, den dieses tolle Mädchen gestiftet. Von weit und breit zogen junge Leute der schönen Zauberin zu, die das Gerücht bald mit einem phantastischen Nimbus umgab, nur um das blaue Band um den Hut geschlungen zu bekommen.

»Sie behext Menschen und Pferde,« sagte damals der alte Tom in Gila Bend, und er hatte recht.

Bei den jungen Leuten umher hatte daher auch die Nachricht sehr geteilte Gefühle erweckt. Es fehlte der schönen Barbara nicht an jugendlichen Verteidigern, welche die allbekannte spanische Desperadogroßmut an ihr hervorhoben, rührende Züge von ihr zu erzählen wußten, die in keinem Räuberleben fehlen dürfen. Man befürchtete allgemein, daß es in der Nacht in den Spiel- und Fandangohäusern unter dem Einfluß des Whisky zu blutigem Streite kommen werde um die schöne Barbara.

Ich war fest entschlossen, abends nach Gila Bend zu fahren, um vom alten Tom das Nähere zu erfahren; vielleicht traf ich auch Garcia dort. Ich hatte ihn seit jenem Tag nicht mehr gesehen, und zwei Jahre waren darüber verflossen – er kannte jedenfalls am besten den Weg, den Barbara seitdem gezogen.

Unzählige Male las ich den roten Zettel: »Wurde bei ihrem auf den Tod erkrankten Vater Miguel Tacheco gefangen genommen,« den sie noch einmal sehen wollte, von dem sie Vergebung erflehen wollte für den vielen Kummer, den sie ihm bereitet. Ich erinnerte mich ihres wehmütigen Blickes, der tiefen Trauer um ein verlorenes oder nie besessenes Glück und der unbewußten Sehnsucht danach, die daraus sprach, der heißen Tränen, die sie vergoß beim Abschied von Garcia. Dieser gefahrvolle Besuch beim sterbenden Vater verstärkte das vorteilhafte Bild des Mädchens in meiner Phantasie. Welche dunkle, unbändige Gewalten mögen diese Brust aufgewühlt haben!

»Sie kann nicht anders,« sagte Garcia, »es ist so bei uns!«

Ich sehnte mich nach dem schwarzlockigen, schwermütigen Burschen. Eben wollte ich den Weg zum Depot einschlagen, es ging schon gegen Abend, da ertönte das dumpfe Brausen einer erregten Volksmasse, die mit Gummibäumen eingefaßte Avenue herauf, die zum Bahnhofe führte. Ich kannte diese drohenden, tierischen Laute aus unzähligen Anlässen und ihre verschiedenartigen Nuancen. Wenn mich nicht alles täuschte, galten sie diesmal einem Opfer der Volkswut, dem dumpfen Tone nach, nur hie und da mischten sich hohe, helle Laute der Freude, begeisterter Begrüßung, wie sie die Masse seinem Liebling zujauchzt, hinein, die mich ganz irremachten.

Immer näher kam es. Eine dichte Staubwolke wälzte sich voraus, Pferdegetrappel, Wagengerassel, wüster Lärm entquoll ihr – jetzt wurde sie lichter. Eine johlende, hüteschwenkende Menge, die sich um eine Schar Berittener drängte, ob aus Begeisterung oder einem andern Motiv war nicht mehr erkennbar, wurde sichtbar auf beiden Seiten, mitten im Menschenknäuel sich tummelnde Reiter, sie umwirbelnde Quasten, flatternde Bänder, auf und ab schwenkende Sombreros, in der Luft weite Kreise beschreibende Peitschen, wiehernde Pferdeköpfe mit flatternden Mähnen und aufgesperrten Nüstern. Die Berittenen in der Mitte trugen die Uniform der amerikanischen Armee. Das Rasseln eines Fuhrwerkes, das noch nicht sichtbar war, drang aus ihrer Mitte. Jetzt waren einzelne Rufe unterscheidbar – spanische, englische Flüche unter sinnlosem Geschrei. Plötzlich sprengte eine Schar junger Männer zwischen den Gummibäumen hindurch, dicht an das Militär heran – ein jeder einzelne erhob sich, den Sombrero schwenkend, in dem Steigbügel, ja, ein gewandter Reiter stieg auf den Sattel und » Hurra, hurra, e bella Barbara!« tönte es durch den Lärm.

Ein englisches Kommandowort – die Soldaten machten Front gegen die verwegene Schar, die im Nu lachend und scherzend im Staube verschwand.

Ich stand wie angewurzelt, die Menge trug mich mit, vergebens strengte ich mich an, die Unglückliche zu erblicken – nur einen Augenblick blitzte zwischen den Uniformen etwas Rotes auf – ihr Kopftuch wohl. Ein Maultier zog den zweirädrigen Karren.

Einige Minuten darauf schloß sich das hölzerne Tor der City Hall hinter der Eskorte, und der Mob schlug mit den Fäusten dagegen – sie zitterte bedenklich darunter; überhaupt machte das hölzerne Gebäude durchaus nicht den Eindruck besonderer Sicherheit, und – offen gesagt – ich machte mir abenteuerliche Gedanken darüber.

Zwei Tage darauf sollte die Verhandlung sein, das geht rasch hierzulande in solchen offenkundigen Fällen. Da war in Phönix mehr zu erfahren als in Gila Bend, und so blieb ich.

Es herrschte eine Gewitterschwüle während dieser zwei Tage in dem kleinen Städtchen. Man glaubte einen gefährlichen Gast zu haben in der City Hall, die jetzt sorgfältig bewacht war, und in der ersten Nacht horchte manches Ohr in die stille Nacht hinaus, ob sich nicht Hufschlag vernehmen ließ oder der Schlachtruf der Blaubänder, die für ihre Herrin in den Tod reiten. Aber nichts rührte sich – ich glaubte bestimmt, daß die meisten enttäuscht waren. Den Tag über war Barbara der Mittelpunkt jedes Gespräches. Sie wurde die Heldin jeder kühnen Tat, jeder großsprecherischen Lüge, man wettete für und gegen ihre Verurteilung zum Tode, man sprach von der morgigen Gerichtsverhandlung wie in Paris von irgendeiner begierig erwarteten Theaternovität.

Auch die zweite Nacht verging ohne jedes Ereignis.

Zur Gerichtsverhandlung war außerdem ein neues Piket Reiter eingetroffen aus einem benachbarten Fort, das die jetzt zu einer ungeheuren Zahl angewachsene Schar von Vaqueros und Volk aller Art aus der Umgegend nicht mehr gefährlich erscheinen ließ.

Das war eine bunte Versammlung in dem schmucklosen, bretterverschlagenen Saale der City Hall, die da schon zwei Stunden vor Eröffnung der Sitzung durcheinanderwogte, und wenn man sie näher betrachtete, stiegen einem Zweifel auf, ob es einem Richter hier möglich sein würde, ein von der Volksstimmung vollständig unbeeinflußtes Urteil zu fällen, denn es fehlte nicht an Mitteln, derselben am Ende energisch Geltung zu verschaffen. Alle Arten von Waffen staken in den Gürteln. Büchsen lehnten in den Ecken, waren über die Schultern geworfen. Miner, Vaqueros, Halbindianer, theatralisch gekleidete Abenteurer in mit bunten Fransen besetzten Lederhosen, dazwischen behäbige Farmer, Kaufleute, Soldaten, das alles drängte sich, heftig gestikulierend, höchste Erregung in Wort und Blick, durcheinander. Durch die geöffnete Türe, durch welche immer neue Massen hereindrängten, blickte man in die goldige, im grellen Sonnenlicht glitzernde »Plaza«, von der aus über unzählige Köpfe eine dunstige, staubgetränkte, glühende Atmosphäre hereinwehte und sich mit dem dichten Zigarettenqualm zu einer grauen und heißen Wolke verdichtete, die über allem lagerte.

Ich hatte durch eine Bekanntschaft mit dem Citymayor einen guten Platz neben dem Gerichtstisch erhalten, unter den staubbedeckten, fliegenbeschmutzten Bildern Washingtons und Lincolns. Die Justiz in den Territorien war damals, wenn auch in den Händen des Staates und von Washington aus gewissermaßen kontrolliert, doch noch mehr oder minder Volksjustiz und unterschied sich davon eigentlich nur in der äußeren Form, welche streng aufrecht erhalten wurde. Das County wählte seinen Richter, gewöhnlich einen der meistbegüterten, volkstümlichsten Grundbesitzer, von dem weiter keine juristischen Kenntnisse verlangt wurden als langjährige Praxis und gesunder Menschenverstand, während die Geschworenen aus allen Schichten der Bevölkerung sich zusammensetzten.

Ein Advokat aus Prescotte war telegraphisch berufen worden, um die Verteidigung Barbaras zu übernehmen, die ja, wie dieser mir selbst auf meine erstaunte Frage, wie er nur imstande sei, in zwei Tagen das ganze Material zu bewältigen, allein in der geschickt geweckten, genährten und zuletzt entflammten Sympathie der größtenteils aus Landsleuten bestehenden Jury und noch mehr des anwesenden Publikums bestehen konnte, durchaus nicht in Verdrehung und Bemäntelung der Tatsachen, wie es in zivilisierten Ländern Sitte sei. Darauf ließe sich dieses Volk nicht ein, wenn es einmal von einer Schuld überzeugt sei wie hier, das verschlimmere nur die Sache. Er trat eben, schwarz gekleidet, als verteidige er in einem New Yorker Gerichtssaal, ein, musterte prüfend die Anwesenden. Die Zusammenstellung schien ihm wohl sehr wichtig zu sein.

»Haben Sie Hoffnung?« fragte ich ihn.

Er zuckte mit den Achseln.

»Verdammt viel Militär hier,« sagte er, auf die Fenster deutend, hinter denen die auf und ab gehenden Patrouillen sichtbar waren. »Das ist schlimm in solchen Fällen – sonst – das Publikum wäre gut, viele junge Leute, größtenteils Mexikaner, heißes Blut – keinen Dunst von Gerechtigkeit – na, will sehen, wer die Geschworenen sind – nur nicht viel Cattle-Ranchers, hoffe ich, sonst ist sie verloren, die haben ihr den Tod geschworen.«

Die Zeugen saßen in der ersten Bank, es waren nur wenige. Farmer, Vaqueros, die von Barbaras Leuten bestohlen wurden; der Treiber einer Postkutsche, der geschworen, sie bei einem Überfall erkannt zu haben; ein Fandangohausbesitzer von Pima, in dessen Haus Rafaele einen über den Haufen schoß, der einen Streit mit seinem Gefährten anfing, dieser Gefährte soll Barbara gewesen sein.

Im großen ganzen waren ja alle diese Räubereien und verwegenen Unternehmungen, durch welche die Schar der Blaubänder die ganze Gegend in Schrecken versetzten, im Schutze der Nacht und in sorgfältiger Vermummung geschehen, und die Urheberherrschaft durch Barbara und Rafaele größtenteils so wenig nachweisbar, daß dieselben in einem zivilisierten Lande dafür kaum hätten verurteilt werden können – hier aber genügten einige bewiesene Fälle vollständig, den beiden auch alles übrige zur Last zu legen, und nicht mit Unrecht, nach der nie fehlenden Erfahrung, die man hierzulande gemacht, daß eine Konkurrenz im Räuberwesen nie stattfindet, und sich alle Ritter von der Straße, wenigstens einer Landschaft, unter einer bewährten Führung einigen.

Der Richter trat ein mit seinen Beisitzern und den Geschworenen. Ein bejahrter Mann von so reiner Yankeerasse, wie man sie in diesem Staate selten antrifft. Die ausgeschorene Oberlippe gab seinem ohnehin scharfen, ernsten Gesicht etwas auffallend Hartes. Er warf keinen Blick auf das Publikum, zog unter dem schwarzen Talar, den er nach amerikanischer, aus England importierter Gerichtssitte über einem hirschledernen Anzug trug, der vorne an der Brust sichtbar war, einen Revolver, legte ihn vor sich auf das Pult, wartete einen Augenblick, bis die Geschworenen, welche, wie ich zu meinem Schrecken sah – auch der Advokat machte ein bedenkliches Gesicht zu mir herüber – größtenteils aus amerikanischen Farmern und Grundbesitzern bestand, Platz genommen hatten, und drückte auf eine Metallglocke.

Der wirre Lärm verstummte. Lautlose Stille. Das wogende Meer von Köpfen war erstarrt; man hörte nur das Gebrumm unzähliger Fliegen, jeder Blick hing an einer kleinen Türe rechts von der Richtertribüne.

Mir schlug das Herz bis in den Hals hinauf.

Der Richter mit der nackten Oberlippe stocherte sich die Zähne – das entsetzte mich.

Jetzt öffnete sich die Türe. Zwei Soldaten traten heraus, unter ihnen erblickte ich eine männliche Gestalt, gefesselt, sie traten beiseite – Barbara in männlicher Kleidung, wohl wie sie zum sterbenden Vater geschlichen war, in der Tracht der Vaqueros, nur das üppige Schwarzhaar fiel von dem unbedeckten Haupt offen über die Schultern herab und verriet ihr Geschlecht. Sie erhob den Kopf – ich fuhr zusammen – eine häßliche, schwarz unterlaufene, offenbar frische Wunde auf der Stirn und der linken Wange gab dem blassen, trotzigen Gesicht etwas dämonisch Entsetzliches. Es rührte nicht, es schreckte nur, auch kam ihre hohe Gestalt in der männlichen Kleidung nicht so zur Geltung.

Ein unheimliches Tosen ging durch die Menge, und eine brausende Woge wälzte sich ihr zu, der Sympathie oder des Hasses, war schwer zu enträtseln.

Der Richter verlangte energisch Ruhe, indem er mit dem Revolver auf das Pult klopfte. Dann begannen die Formalitäten, die streng aufrecht gehalten wurden. Die Anklage lautete auf Pferdediebstahl und Raub in Gemeinschaft mit Rafaele Sunol, den der Tod der sühnenden Gerechtigkeit entzogen.

»Was hast du darauf zu erwidern, Barbara Pacheco?« fragte der Richter, den Advokaten ganz übersehend.

Als dieser für sie das Wort ergreifen wollte, winkte er ihm mit unerschütterlicher Ruhe ab.

»Wir wollen sie selbst hören,« sagte er in einem echten Yankeetone. »Spreche offen, Barbara Pacheco, leugnen wird dir wenig nützen. Du und Rafaele waren die Anführer der gefürchteten › bluebands‹, nicht so?«

»Ja, das waren wir!« erwiderte sie fest.

Eine heftige Bewegung ging durch die Versammlung; man wußte es ja schon lange, aber dieses unumwundene Geständnis überraschte doch.

Der Advokat rückte ungeduldig auf seinem Sessel und war immer auf dem Sprung, das Wort zu ergreifen, doch der Richter ließ ihn nicht dazu kommen.

»Und wer sind die bluebands? Kennst du ihre Namen?« fragte er weiter.

Barbara lachte höhnisch auf und senkte dann wieder, ohne zu antworten, das Haupt. Auch im Zuschauerraum lachte man, sogar einige Bravos wurden laut.

Der Richter schien das alles nicht zu sehen und zu hören, mit unerschütterlicher Ruhe fragte er weiter:

»Du nennst also keinen? All right! Du verließest vor zwei Jahren deinen Vater, um Rafaele Sunol zu folgen, und dieser verführte dich zum Verbrechen, nicht wahr?«

»Ich folgte ihm, unbekümmert, was er trieb, weil ich ihn liebte, weil ich ihm folgen mußte –«

»Und fandest du Gefallen an seinem Räuberleben?«

»Ich freute mich, mich rächen zu können an den Reichen. Jim Bridger wollte meinen Vater hängen lassen vor zwei Jahren auf den bloßen Verdacht hin, daß er ihm ein Pferd gestohlen. An ihn dachte ich zuerst, und er hat es auch bitter büßen müssen, dann – ja, Ihr habt recht, dann fand ich selbst Gefallen daran – am Pferdestehlen, Sennor; bei einem Straßenraube, von dem Ihr sprecht, war ich nie dabei – das tat Rafaele. Was liegt mir am Geld! Ich besitze ja nichts –«

»Und doch hast du viele junge Leute zu dem Handwerk verführt.«

»Ich verführte keinen! Sie kamen alle selbst und bettelten, daß ich sie bei mir behalte, daß sie ein Band tragen dürfen mit meinem Namen um den Hut. Es waren Leute dabei, die nie einen Peso gestohlen – zuletzt war ich stolz auf die Jungens, die für mich alles taten, und ich mußte doch auch für sie sorgen. Wir lebten schlecht, aber leben mußten wir, und zu Hause wollte keiner mehr – ich am wenigsten.«

»Da wurdet ihr zu Räubern.«

Barbara zuckte die Achseln und nickte mit dem Haupte.

»Wir mußten es werden,« sagte sie in eigentümlicher Schlußfolgerung.

Die Erregung des Publikums während ihrer Erzählung war eine gewaltige; die jungen Leute, mexikanisches Blut, drängten sich gewaltsam vor, Partei nehmend für Barbara. Der mystische Zug, der, wie sie selbst sagte, manchen ehrlichen Kameraden ihr folgen hieß, wirkte, nur erzählt, auf diese leicht erregten Gemüter. Die Pferdediebin, die sie unzählige Male überlistet, die ihnen manche schlaflose Nacht gekostet, der sie den Tod geschworen, verschwand immer mehr, und an ihre Stelle trat die phantastische, kühne Abenteuerin, die, von Rache erfüllt für erlittenes Unrecht, dem Geliebten rücksichtslos in die Wildnis folgte und dort, umringt von einer Schar junger Männer, die ein verlockender, wilder Zauber an sie band, ein waghalsiges, wenn auch aller Ordnung Hohn sprechendes, so doch kühnes, jede Gefahr verachtendes Leben führten.

Der Advokat lachte sich in die Faust, er saß jetzt ganz ruhig. Das hätte er selbst nicht besser machen können. Er lauschte sorgfältig auf die anschwellende Brandung hinter ihm, die sich jetzt gegen den Richter heraufzuwälzen schien. Der spielte ohne die geringste Bewegung in den eisernen Zügen mit dem Revolver.

»Was hattest du bei deinem Vater zu suchen, der dir sein Haus verboten und mit dir und deinem Geliebten nichts mehr zu tun haben wollte?« fragte er weiter.

Barbara sah ihn groß an.

»Er lag auf dem Totenbett, Sennor,« sagte sie kurz, in einem Tone, der selbst den trockenen Richter über seine ungeschickte Frage erröten, machte. Höhnisches Gelächter, drohendes Gemurmel ertönte; er wollte sich sichtlich verbessern.

»Aber du mußtest doch befürchten, gefangen zu werden. Warum kamst du. nur mit Rafaele? Wo blieben deine Leute?«

»Ich hatte nichts zu fürchten, Sennor. Es gab einen Ausgang aus Pachecos Haus, den niemand wußte außer ich und Rafaele. Ihr hättet das ganze Haus umschließen können und hättet uns doch nie gefangen, deshalb kamen wir allein.«

»Und warum benutztet ihr diesen geheimen Ausgang nicht?«

Barbara schien nur auf diese Frage gewartet zu haben. Ihre Ruhe verließ sie, sie wandte sich drohend gegen den Richter:

»Weil ich meinen sterbenden Vater nicht verbrennen lassen konnte in dem Feuer, das die elenden Buben angezündet, ohne um den unschuldig Sterbenden sich zu kümmern. Der Ausgang war nicht mehr zu erreichen, bis wir ihn aus dem Bette brachten, da nahm ich ihn in die Arme, Rafaele ging voraus zur Haustüre hinaus, mitten unter unsere Feinde. Sie erschossen ihn, weil sie zu feig waren, ihn zu fangen, und fielen über mich her – der Vater war gestorben in meinen Armen. So wurde die Barbara gefangen.«

Ein höllischer Lärm erhob sich auf die lautlose Stille, in der sie sprach. Ausrufe entfesselter Leidenschaft, der Wut, der Begeisterung.

»Hurra, Barbara!«

»Schurken!

»Feigheit!«

»Ins Feuer mit dem ganzen Gezücht!«

»Nur Mut, Richter, Geschworene!« Das prasselte alles durcheinander.

Die ganze Masse war in wilder Gärung, Hände fuchtelten in der Luft, die Köpfe wogten auf und ab, Augen blitzten wie Funken dazwischen, darüber eine dicke Staub- und Rauchwolke, die jeden Augenblick lichterloh sich zu entzünden drohte von der aus Hunderten von Leibern aufsteigenden Gluthitze.

Die Geschworenen machten ängstliche Gesichter; der Advokat sah mit vor Freude glänzenden Augen zu. Der Richter verzog keine Miene, der Zug um den Mund wurde noch herber, nicht die leiseste Röte zeigte sich auf den gelben, lederartigen Wangen. Er winkte nur einem Diener mit den Augenbrauen, der verschwand eilig, und gleich darauf vernahm man das Rasseln von Gewehren, taktmäßige Schritte, die amerikanischen Uniformen erschienen an den bis zum Boden reichenden Fenstern, das ganze Haus war umstellt.

»Wenn nicht sofort Ruhe eintritt und jede Einmischung des Publikums in der Versammlung unterbleibt, bin ich gezwungen, den Saal räumen zu lassen!« schnarrte der Richter.

Ich bewunderte den Mann, der mit stoischer Ruhe diese Worte im Angesicht dieser zügellosen, wohlbewaffneten Menge sprach; die Wahl der Landschaft war unbedingt auf den richtigen Mann gefallen, das mußte ich zugeben, so wenig günstig dieselbe auch für Barbara war, für die ich jetzt nach Anhörung des heroischen Schlusses ihrer Laufbahn wieder die alten, lebhaften Sympathien fühlte. Die Zeugen wurden vorgerufen. Sie machten unter dem Druck der Volksmassen hinter sich insgesamt sehr unbestimmte, zweifelhafte Aussagen und beriefen sich mehr auf das allgemeine Gerücht, das Barbara als Täterin bezeichnete, als auf ihre eigene Überzeugung.

Dann bat der Advokat um das Wort, seine Zeit war gekommen. Mit theatralischem Pathos sich in die Brust werfend, begann er, unter lauten Hurras und Zurufen, bei der angeborenen Ritterlichkeit der spanischen Nation, die leider nur zu leicht in Abenteuersucht ausarte und solche Erscheinungen erzeuge wie die schöne Barbara, und schloß nach einer Reihe von geschickt angebrachten volkstümlichen Erzählungen über diesen weiblichen Desperado, den treue Liebe in die Wildnis getrieben, die Not auf diese schlimme Bahn geführt, mit einem gefühlswarmen Appell an die Geschworenen, in dem er die tragische Szene, wie die verratene Barbara, den sterbenden Vater im Arme, sich freimütig opfert in der ganzen ihr innewohnenden Seelengröße, in lebhaften Farben schilderte. Die Wirkung war und mußte eine durchschlagende sein. Die jungen Vaqueros sprangen über die Balustrade, die den Zuschauerraum vom Gerichtshof trennt, und hätten ihn auf ihre Schultern gehoben, wenn die Soldaten sie nicht zurückgedrängt.

Trotz alledem hielt der Richter in einer sachlichen Rede, die jedem seiner Kollegen in der alten Welt alle Ehre gemacht hätte, ohne sich verblüffen oder einschüchtern zu lassen, seine Anklage aufrecht. Die Geschworenen zogen sich zurück, nicht ohne einige ihnen aus dem Publikum zugerufenen Drohworte.

Der Advokat trat zu mir, wischte sich den Schweiß von der Stirn und lachte mir hinter dem Taschentuch vergnügt zu. »Vortrefflich gegangen – was? Höchstens drei Jahre Gefängnis!«

Im Zuschauerraum war eine verhältnismäßige Ruhe eingetreten. Man besprach in Gruppen die zu erwartende Entscheidung, und feurige Blicke schossen hinüber zu Barbara, die stumpfsinnig, offenbar von heftigem Seelenschmerz gepeinigt, in sich versunken dasaß. Wäre sie aufgestanden und hätte eine zündende Rede gehalten wie damals, als sie ihren Vater vom Tode rettete unter der Agave auf Pachecos Ranch, weiß Gott, was geschehen wäre. Sie trug jetzt einen Verband über der wunden Stirne und machte den Eindruck einer schwer Leidenden, körperlich und geistig Gebrochenen. – Die Beratung währte kurz, die Geschworenen kehrten zurück.

»Wie lautet euer Spruch?« fragte der Richter.

»Schuldig des Diebstahls, nicht schuldig des Raubes. Drei Jahre Gefängnis,« sprach der Obmann.

Barbara hörte gleichgültig den Urteilsspruch. Die Stirne schmerzte sie wohl heftig, sie hielt die Hand daran, und ihr totenbleiches Gesicht verzog sich schmerzlich.

Die Wände erzitterten von dem Beifallsjubel der Menge; man ließ die Geschworenen leben, Barbara, den Richter sogar, man schwenkte Tücher, Revolver, Messer.

Es war höchste Zeit, daß die Soldaten Barbara in ihre Mitte nahmen und mit ihr verschwanden, sonst hätte man sie auf den Schultern zum Saale hinausgetragen. Ich sah sie mit Wehmut scheiden – welche trübe Zukunft lag vor ihr – drei Jahre Gefängnis! Es war ja ein mildes Urteil, aber für sie, die Freiheitsliebende, Ungezügelte, war es wohl der Tod, und wenn nicht – was dann? Entstellt durch die Wunde, fremd und heimatlos? Dann wäre die Zeit für Garcia, seine Liebe zu ihr zu beweisen; sollte er sie denn ganz vergessen haben? Wenn ich ihn nur zu finden wüßte, ich würde ihm schon in das Gewissen reden, dachte ich.

Nach der Verhandlung entwickelte sich bei der Ansammlung so vieler Leute ein kleines Volksfest. Alte Bekannte, die sich jahrelang nicht gesehen, trafen sich; Geschäfte wurden abgewickelt; die Bar-Rooms, 'die Spielhäuser waren überfüllt.

Die Soldaten, bis auf einige, welche den Bewachungsdienst im Courthouse versahen, mischten sich ebenfalls unter das Volk und vermehrten so die Gefahr gegenseitiger Reibungen, die bei dieser erregten Masse leicht zu einer allgemeinen Explosion führen konnte. Phönix sah dem Abend und der Nacht mit Besorgnis entgegen. Der Whisky floß in Strömen und schürte die Glut des Tages; kein wildes Tier, keine Natter, kein giftiges Insekt ist gefährlicher als ein bewaffneter Mann unter dem Einfluß des Whisky, er ist nicht mehr sein Herr, die Waffen in seinem Gürtel gehören nicht mehr ihm, der Whisky zieht sie, er verzerrt ihm die Züge seines Freundes, daß er seinen Feind zu erblicken glaubt, er macht ihn zur mordlustigen Bestie. Gelangt er zur Herrschaft, so springen die lose geknüpften Bande der Gesittung, welche diese zusammengewürfelten Massen im nüchternen Zustand zur Not im Zaume halten.

Ich trieb mich lang in den Kneipen herum. Überall das gleiche Bild! Ausgelassene Fröhlichkeit, mexikanische Renommisterei, grenzenlose Spielwut, hie und da ein improvisierter Fandango bei großem Mangel an jungen Mädchen; Mandolinen, Guitarrengeklimper, aber keinerlei Anzeichen ausbrechender Bestialität.

In einer spanischen Fonda ging es besonders lebhaft zu. Der wüste Lärm, der herausdrang, lockte mich an. Etwa ein Dutzend amerikanischer Soldaten spielte »Keno« mit jungen Männern, ihren Anzügen nach Miners. Es waren Gesichter darunter, von denen ich gewiß wußte, daß ich sie heute nicht in der Verhandlung gesehen. Ich sah eine Zeit lang zu. Die Soldaten gewannen fast jeden Aufschlag und wurden immer ausgelassener in ihrer Gewinnlust, während die anderen mit auffallender Ruhe ihren Verlust hinnahmen.

»Wenn es überall so vernünftig zuginge,« dachte ich, »sind die Befürchtungen wirklich nutzlos,« und ging weiter, einem Fandangohaus zu; der leidenschaftliche, in jeder Figur tadellos schöne spanische Fandango hatte es mir schon oft angetan. Es waren nur wenige Sennoritas da, größtenteils aus der Küche geholte Schöne; aber die Grazie der Bewegung ist nun einmal dieser Rasse angeboren. Ich konnte mich nicht trennen von dieser das Blut entzündenden Musik, diesen in wohligem Rhythmus sich schwingenden, drehenden Leibern.

Es war schon Mitternacht, die sanft anschwellenden Hügel, die das Santa-Cruztal einschließen, lösten sich schon in ihren Konturen von der schwarzen Nacht; da erscholl wüstes Geschrei, der Lärm Streitender, die Straße hinab. Die Töne waren nicht zu verkennen, irgendwo hatte sich das drohende Gewitter doch entladen. Alles eilte auf die Straße.

»In der Fonda des Felipe liegen sich Grauröcke mit den Boys in den Haaren!« riefen befrackte Vorübereilende. Der Lärm wuchs. Es war die Fonda, in welcher ich noch vor kurzem die Ruhe der Spieler bewunderte.

Ein Kavallerist sprengte die Straße herauf mit gezogenem Säbel, wohl, um Verstärkung zu holen. Vor der Fonda hing ein dichter Menschenknäuel. Was mir damals auffiel, war die zahme Art des Streites, man stritt nur mit Worten, man drängte sich ohne ernstliche Tätigkeit hin und her. Das ist hierzulande sonst nicht Sitte.

»Bohrst du mir einen Esel?«

»Ja, ich bohre dir einen Esel!«

»Klinge heraus – und los!«

Ganz shakespearisch dramatisch, kein langes, modernes Geflunker, das war ich hier sonst gewohnt.

Ich hatte den Eindruck, als ob der Streit absichtlich hervorgerufen, absichtlich in die Länge gezogen würde, ohne einen stichhaltigen Grund dafür zu wissen.

Jetzt rasselte es die Straße herab – eine dunkle Reiterwolke, aus der es hie und da drohend aufblitzte. Der Knäuel zerstob – die streitsüchtigen Boys waren in der Dunkelheit verschwunden. Die herbeigeholte Patrouille machte sich lustig über die halb betrunkenen, von solchen Burschen in die Enge getriebenen Kameraden, dann trank man zusammen auf den lustigen Zwischenfall – trank noch eines – die Patrouille kehrte nicht mehr zurück zum Courthouse, woher sie zu Hilfe geeilt war, nur wenige Posten zurücklassend. Da – war das nicht ein Schuß? Die Gläser blieben an den Lippen – noch einer! – Die Soldaten springen in die Bügel – jetzt kracht eine ganze Salve – vorwärts zum Courthouse – dort knallte es.

Schon war wieder alles still. Einen Augenblick glaubte ich ein Brausen und Rauschen im Dunkeln zu vernehmen, wie von einer Schar großer Zugvögel, die über Wipfel streichen. Ein unbeschreiblicher Aufruhr herrschte. Aus allen Kneipen strömte es heraus, aus allen Fenstern rief es, fragte es, Halbnackte standen mit Lichtern schreckensbleich unter den Türen.

»Nach dem Courthouse!« war die Losung, der Name Barbara auf allen Lippen.

Es war nicht möglich, näher zu kommen. Reiter mit Fackeln, deren Flackerlicht den Holzbau beleuchtete, irrten scheinbar umher, dann plötzlich sich zu einem Klumpen vereinigend, stürmten sie dröhnenden Hufschlages davon in den jetzt schon dämmernden Morgen hinaus. Aus der Masse Gelächter, Gefluche, der Name Barbara in allen Tonarten.

Ich wußte alles! Die Blaubänder hatten sie geholt. Der Streit in der Fonda des Felipe war ein künstlicher, wie ich damals schon geahnt, um die Wache zu vermindern. Es war nicht möglich, etwas Bestimmtes zu erfahren. Die widersprechendsten Gerüchte gingen umher.

Alles blieb am Platze, den Morgen und Nachricht zu erwarten. Ein einzelner Reiter kam zurück. Die Menge hing sich wie eine Schar wilder Hummeln an Roß und Mann, er mußte Auskunft geben. Eine Schar Berittener, die Blaubänder jedenfalls, hatte das Courthouse überrumpelt in dem Augenblick, wo die Hauptpatrouille nach der Fonda des Felipe abgeritten war. Eine Wache wurde erschossen, Barbara auf bis jetzt unerklärliche Weise aus ihrem wohlverwahrten Gefängnisse befreit und mit fortgenommen; einer der Soldaten will selbst einen großen Mann mit dem Mädchen im Arme zu einem Fenster des Gerichtssaales herausspringen gesehen und darauf Feuer gegeben haben. In einem Nu sei alles vorbei gewesen, und die Salve der zu spät sich sammelnden Wache sei nur ins Leere getan worden dem Lärm der Entfliehenden nach, doch nicht ohne Wirkung, ein erschossenes Pferd sei bereits gefunden und verschiedene Blutspuren. Das alles unzusammenhängend, unwahrscheinlich, sich widersprechend erzählt, war mir ein Beweis von der vollständig geglückten, kühn ausgeführten Überrumpelung.

Der Morgen brachte auch keine Klarheit. Die Soldaten, um ihre Nachlässigkeit zu rechtfertigen, logen das Unglaublichste. Es ging nach ihrer Meinung nicht mit rechten Dingen zu. Die von der vergeblichen Verfolgung zurückkehrenden Reiter brachten einen blutigen Sombrero mit dem gefürchteten blauen Bande, und die Nachricht, daß die Spuren nach allen Windrichtungen auseinandergingen. Nur der eine Soldat, der angab, auf einen mit einer weiblichen Gestalt im Arm aus dem Fenster springenden Mann Feuer gegeben zu haben, schien die Wahrheit gesprochen zu haben, man fand blutige Fingerabdrücke an der weißen Brüstung des Fensters. Wäre Barbara zum Hängen verurteilt worden, so wäre die Menge sicherlich sehr erbittert gewesen über das eingebüßte, prickelnde Schauspiel der Hinrichtung. Drei Jahre Gefängnis – da war nichts zu sehen – da war diese aufregende Lösung noch besser. Man betrachtete noch stundenlang die Blutspuren am Fenster, die zertrümmerte Scheibe und die dahinter sichtbare, in einen Mantel gehüllte Soldatenleiche.

Dann verlor sich alles zu Fuß und zu Pferde – und der friedlichste, sonnigste Morgen lachte über das blütenstrotzende Phönix.

Und ich – so sehr ich mich ärgerte über den Mangel an Rechtsgefühl – ich empfand eine helle Freude. Um das Brandmal auf der Stirne verdiente sie die Freiheit, redete ich mir ein – und sie wird nimmer rauben, befreit von ihrem Dämon Rafaele Sunol. Ich malte mir ihren Befreier in meiner erregten Phantasie, wie er sie auf sein Pferd hebt, ein willenloser Getreuer, zitternd vor dem Glück, das ihm unerwartet geworden, sie an seine Brust drückt und hinausstürmt in die rettende Nacht.

»O, Garcia – warum bist du es nicht – warum kommst du immer zu spät? Du verdienst keine heiße Liebe!«

IV.

Mehrere Jahre waren vergangen. Mich trieben stürmische Schicksalswogen hinüber in das alte Vaterland, wieder herüber in die mir zum zweiten Vaterlande gewordene neue Welt.

Der schönen Barbara entstelltes Antlitz ging mir nicht aus dem Sinn, und oft erschien mir wie eine Vision das böse Brandmal auf einer reinen Mädchenstirne. Wieder fuhr ich eines Tages im brausenden, klappernden Zuge vorüber an Pachecos Ranch, diesmal war es Tag. Das grelle, heiße Sonnenlicht beschien eine Ruine, die schwarzen Trümmer ragten nur noch hie und da aus den üppig wachsenden Schlinggewächsen und Kakteen hervor, deren dunkelrote Blütenkelche wie frisches Flammengeloder aus allen Ritzen züngelte, das geschwärzte Mauerwerk und die in die blaue Luft melancholisch starrenden, verkohlten Sparren erinnerten mich an das Drama, das sich hier vollzogen.

Seitwärts an dem Felsen lehnte sich jetzt ein Bretterschuppen, verschiedenartiges Gerät, das umherlag, eine feine, in die reine Luft sich erhebende Rauchsäule, ein Mustang, der an dem Ufer des Gila weidete, deuteten an, daß sie bewohnt war. Über der Brandstätte, auf einem kleinen Plateau, das der Felsen bildete, stand ein Kreuz. Ich erinnerte mich, daß damals ein kleiner Gemüsegarten sich dort befand mit schweren Kürbissen und Melonen. Ich sah das alles mit einem Blick vom vorübersausenden Zug aus.

Wohl der Erbe des Pacheco, der jetzt hier wohnt, da oben unter dem Kreuze wohl sein Grab.

In Gila Bend stieg ich aus. Ich hatte das schon früher beschlossen, sobald ich in die Nähe kommen sollte, der Anblick der Ruine stärkte den Entschluß. Es hatte sich nicht viel verändert für eine amerikanische Stadt in Gila Bend in diesen zwei Jahren. Noch immer die eine Straße mit den Holzbuden, Toms Salon die erste Kneipe und angefüllt mit trinkendem, spielendem Volk. Der alte Tom betrachtete mich mit in seinem Gedächtnis suchendem Blick.

»Was weißt du von Garcia?« war meine erste Frage.

Tom sah mich groß an, das Volk an der Bar wandte erstaunt den Kopf nach mir – dieselbe Geschichte wie damals, als ich nach Don Miguel Pacheco fragte.

»Wir waren vor Jahren zusammen hier und ritten von da nach Pachecos Ranch. Erinnerst du dich nicht mehr?«

Sein Gedächtnis erholte sich wohl an meinen Zügen, die er durchforschte.

»An dem Tage nach der Geschichte mit Jim Bridgers Jungen? O ja, Sennor, ich erinnere mich wohl. Ja, damals – der arme Bursche! Aber er kann nicht anders, Sennor – sie hext noch über das Grab hinaus – er kann nicht anders!«

Das Wort traf mich. Ich glaubte es wieder aus seinem Munde zu hören, in dem melancholischen, fatalistischen Tone.

»Es ist so bei uns – sie kann nicht anders!« Und über das Grab hinaus? Natürlich sprach er von Barbara.

»Ist sie denn tot? Ich war abwesend zwei Jahre, seit der Verhandlung in Phönix. Hat man sie wieder gefangen? Ist sie im Gefängnis gestorben? Oder hat sie von neuem –«

»Verschwunden ist sie, einfach verschwunden nach ihrer Befreiung in Phönix – spurlos, sagt man,« brach Tom meine Frage ab.

»Und die Blaubänder, die sie befreit?«

»Auch verschwunden. Man hörte nichts mehr von ihnen. Das ist ja sehr einfach, niemand kannte die Leute; sie haben ihr Handwerk aufgegeben und sind wieder in Dienst gegangen – man sah manches Gesicht, was man lange nicht gesehen in der Gegend – nach ihrem Tode –«

»Nach ihrem Tode – wenn sie spurlos verschwunden?«

»Das ist es eben. Die Jungens konnten spurlos verschwinden, Barbara nicht. Jeder kannte sie, in Phönix sahen sie Tausende, noch dazu mit dem Brandmal auf der Stirne. Die umfassendsten Nachsuchungen sind angestellt worden – umsonst! Da kam man auf die Blutspuren zurück – Sie erinnern sich vielleicht – die man an dem Fenster fand, zu dem ihr Befreier mit ihr hinaussprang – ein Soldat wollte auf ihn geschossen haben – die Blutspuren gingen weiter – man sagt, es sei Barbaras Blut gewesen – der Unbekannte habe eine Leiche mit fortgetragen –«

»Und was hat das mit Garcia zu tun? Du sagtest doch vorhin –«

Ich zitterte der Aufklärung entgegen, die ich ahnte. Tom zog mich beiseite, von den anderen Leuten weg, und sprach im Flüstertone:

»Warum sollen Sie es nicht wissen – es geht ja überall umher, und niemand will ihm was darum, der Unbekannte war – Garcia! – war? Esel, der ich bin – soll es gewesen –«

»Wie kommt man auf die Vermutung? Der ehrliche Bursche und die Blaubänder!«

Tom lachte.

»Was hat die Ehrlichkeit damit zu tun! Sie glauben eben nicht an Hexerei – ich aber. Garcia war ein ganzes Jahr verschwunden aus der Gegend vor der Gefangennahme Barbaras und Rafaeles, schon damals gingen verschiedene Gerüchte – er sei unter die Blaubänder gegangen – ich glaubte es auch nicht. Einen Monat nach der Befreiung Barbaras wurde er plötzlich wieder gesehen. Er baute eine Hütte neben der Brandstätte des alten Pacheco – Sie sind wohl vorbeigefahren heute. Das Land ist ja nichts wert dort, magere Weide. Was wollte er dort? Man war neugierig darauf nach den Gerüchten, die über ihn gegangen. Sie kannten ja den alten Pacheco, glauben Sie, daß Garcia ihn so innig liebte und verehrte wie einen Vater, daß er eine Veranlassung dazu hatte? Einfache Bekannte waren sie – nicht?«

Ich mußte ihm recht geben.

»Gut. Glauben Sie,« fuhr er fort, »daß ein Mann wie Garcia das Grab eines guten Bekannten jahraus, jahrein mit Blumen schmückt und pflegt und davor wie ein halber Narr stundenlang sitzt und seine Zeit vertrauert? Das tut er aber am Grabe – des alten Pacheco, wie er sagt, den sie damals gleich eingescharrt haben unter dem Felsen –«

»Wie er sagt? Du sagst ja selbst, daß Pacheco dort begraben wurde.«

»Damals, ja! Seitdem kann er ja noch Gesellschaft bekommen haben, der alte Spitzbube.«

»Das heißt, du glaubst, daß – die schöne Barbara –«

»Sein Kind, bei ihm liegt, die der Garcia dort eingegraben nach der mißlungenen Befreiung in Phönix,« vollendete der alte Tom. »Darum die Blumen, das Kreuz mit dem Heiligenbild, das blöde Träumen – und jetzt frage ich Sie, ob Sie nicht auch an Hexerei glauben? Solange eine lebt, lasse ich mir's gefallen, da mag man's natürlich erklären – wir haben viel heißes, verlangendes Blut in den Adern und verlieren den Verstand über eine schöne Dirne – aber eine Tote, seit Jahren Begrabene –« er schüttelte den Kopf. »Ein armer Teufel, der Garcia,« fügte er hinzu, »er hat nicht einmal sein Glück genossen. Neben dem übermütigen Rafaele lief er mit, nur um in ihrer Nähe zu sein, und als dieser glücklich tot und seine Zeit gekommen war – trug er eine Leiche mit sich fort – und darum ein Leben hinträumen an einem Grabe – das soll mit natürlichen Dingen zugehen?«

Ich war ebenso tief wie Tom überzeugt, wen dieser Grabhügel barg; gegen die Hexerei sträubte ich mich, ich nannte es Liebeswahnsinn, geheimnisvolle Sympathie, schwärmerische, krankhafte Idee, alles mögliche – und am Ende fand ich das alles ebenso unerklärlich, ebenso mystisch wie den Hexen- und Zauberglauben des alten Tom.

Eine Viertelstunde darauf ritt ich den Rio Gila entlang Pachecos Ranch zu – wie wohl jeder getan hätte. Als ob es gestern gewesen wäre, dieselbe um die roten Felsen zitternde, glühende Luft, derselbe kräftig blaue, wolkenlose Himmel über der grellfarbigen, großartigen Landschaft. Die erhabene, wandellose Ruhe in dem Antlitz der Natur, die nichts ahnen läßt von den Titanenkräften, von dem tausendfältigen, in ihrem Innern ringenden, kämpfenden, vernichtenden und erzeugenden Lebensschwall, drückte auf mich; wie erbärmlich, wie klein der Organismus »Mensch«, wo jede kleine Wallung im Innern sich auf der Oberfläche zeigt, jede zu kräftige Lebensäußerung auf ihr einen verheerenden Sturm erzeugt, der das Ganze vernichtet oder wenigstens in seinen schwächlichen Gefügen zerrüttet.

Die Ruine lag jetzt unter mir, ich sah durch das eingestürzte Dach, durch das emporstehende, geschwärzte Gebälk gerade hinab auf die steinerne Feuerstelle, wo Barbara damals die Tortillas backte.

Die Mustangs weideten herrenlos wie jetzt, die Türe zur Hütte stand offen – kein Garcia.

Ich bog um die Ecke des Felsenvorsprunges. Vor mir, etwas unterhalb des Reitsteigs, den ich ritt, lag auf einem kleinen Vorsprung ein mit bunten, mannshohen Blumen, wie sie diese glühende Sonne erzeugt, bewachsener Hügel, den ein einfaches Holzkreuz schmückte. Pachecos Grab. Ich stieg ab und kletterte den Felsen hinab. Um das Holzkreuz war ein Band gewunden; ich bog die üppigen Blüten auseinander – es war ein verblichenes blaues Band, wie die Vaqueros auf den Hüten zu tragen pflegen als Liebespfand – »Barbara« stand darauf in Silber. Ich betrachtete es lange, tiefbewegt; eine erschütternde Menschengeschichte lag für mich in der verblichenen Schrift. Dann schlugen die duftigen Blütenkelche wieder darüber zusammen, nur der obere Teil des Kreuzes war noch sichtbar. Ich sah Barbaras bleiches Totenantlitz mit dem brandigen Mal auf der Stirne durch die Blüten hindurch.

So ungern offenbar hier ein Fremder gesehen wurde, ich wollte nicht umkehren, ohne Garcia zu sprechen, und ritt hinab zur Hütte – am Ende war ich ihm ja kein Fremder.

Die Hütte war leer, das Feuer brannte noch auf dem Herd, er sah mich wohl kommen und entfloh, der Menschenscheue. Auf dem Tisch lag ein grauer Sombrero – ohne Band – ein dunkler Streifen verriet, daß man es abgetrennt. Ich rief nach allen Windrichtungen seinen Namen – nur das Echo antwortete.

Da ritt ich wieder hinauf zum Grabhügel unter dem Kreuz, der wie ein Blumenmärchen dalag inmitten der gewaltigen, öden Steinwildnis Arizonas, sprach etwas wie ein Gebet und nahm Abschied – für immer von der schönen Barbara und ihrem verzauberten Freunde, den sie, sterbend, noch in ihrer letzten Umarmung betört mit geheimnisvoller Liebeskraft.

»Barbaras Tomb« wird jetzt die einsame Schlucht genannt am Rio Gila.


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