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In Belgien ist das.
Ein Land, verstimmend wie graue Empfindungen, die Schlote ragen. Die Männer schleichen mit bleichen Gesichtern, die schmalbrüstigen Männer, die unter der Erde schaffen und ächzen und nicht singen und scherzen. Aber fluchen. Wild wie ein Borin in den Kohlenbergwerken da bei Brüssel weit im Gau in dem »Borinage« fluchen kann.
Also dort geschah das.
Es begann mit der Madame Orphise Blaque, die heute noch eine dicke und ansehnliche Frau ist und einen Mann geheiratet hat, der ihre Kinder erzieht. Madame Orphise kann ihre Kinder nicht erziehen, denn sie erzieht anderer Leute Kinder, sie ist Gemeindelehrerin. Wenn man von ihrem Manne spricht, so sagt man: der Mann der Frau Lehrerin. Aber sie liest das Journal aller guten Hausfrauen, die ›bonne menagère‹.
Die ›bonne menagère‹, die von Madame Rachel Hique redigiert wird.
Sie dichtet Küchenrezepte, in Hexametern dichtet sie. Ihr Mann sagt, danach könne er nicht kochen.
Doch sagt Madame Lilique de Coq, die Metrik sei auf jeden Fall richtig.
So kommt es denn, wenn man in Courcelles-Centre und Courcelles-Motte von drei hervorragenden Frauen redet, man gewiß Madame Orphise, Rachel und Lilique meint.
Von Madame Lilique wäre noch zu sagen, daß sie nicht nur den adligen Namen, sondern auch das noble Herz dazu hat. Sie beschäftigt sich mit geistlichen Dingen, z. B. den Kollekten zum Tempelbau.
Aber da nun jetzt Madame Lilique an den kahlen Häuserchen mit der Sammelbüchse vorspricht, fallen unfreundliche Worte. Man sagt, das sei nun die Zeit nicht, Silberlinge in den Tempel zu werfen, man nage an magern Knochen. Und als Madame Lilique noch verwundert steht, – denn sie hat nie an magern Knochen genagt – fangen sie an, vom Kalbfleisch zu schwatzen, es koste nun 1½ Frank parbleu! Und verdammt sei der Metzger Marmotte! Ach Gott ja, sie verdammten gleich und setzten für ein Pfund Kalbfleisch die Hölle in Bewegung.
Da begriff Madame Lilique, daß ein entsetzliches Mißgeschick im Borinage war, nämlich die Teuerung.
Von solchen Worten und Dingen gesteinigt kehrte sie bei Rachel ein und beide begaben sich zu Orphise. Sie fingen an fürchterlich zu reden und tranken Kaffee, und von der Küche aus hörte der Mann, daß sie sehr böse wurden und sagten: Wir bonnes menagères, wir machen das nun!
Sie versammelten sich und andere und schlossen den »Bund der guten Hausfrauen«. Madame Orphise redete eine lange Stunde, trank einige Glas Wasser und schleuderte am Schlusse den gotwerdammten Namen des Metzgers Marmotte in die Versammlung, da begann schon eine große Erregung, aber sie stieg, als Orphise erzählte dieser Mann habe eine Kuh geschlachtet und glattweg 240 Frank daran verdient. Der Metzger Marmotte, der im Auto fährt, und die Borins, die armen Ratten hungern läßt.
Der Teufel stehle ihm seine Knöpfe, er soll sich zum Sankt Jakobus nach Galizien scheren, des Teufels Großmutter soll ihm als Schwiegermutter kommen! Und redeten viel vom Teufel, und wenn der Wallone vom Teufel redet, dann reist der schon gewiß von Brüssel her.
Da wurde es schrecklich vor dem Hause des Metzgers Marmotte, denn es wurde eine Revolution. Die »guten Hausfrauen« mit schiefgerutschten Hüten, die guten Hausfrauen, die es, wie gesagt, jetzt machen mußten, machten es so: sie nahmen das Fleisch wie Pflastersteine in die Hände, und schwupp! und schwapp! flog es dahin, dorthin, hierhin, überallhin, am meisten auf die Straße hinaus. Haïe, Marmotte, mit dem dicken, frechen Bauch, haïe, so machen's jetzt die guten Hausfrauen, jeden Tag, alle Tage. Sie werden ihm so viel Kühe hinauswerfen, als er schlachtet, prompt, unerbittlich. Belgische Frauen machen das; Vive Madame Orphise! Vive Madame Rachel! Vive Madame Lilique! Sie schwenken die Taschentücher, die Arme, die Schirme und singen, oh was singen sie? Die Marseillaise, ja guter Gott!
Nun weiß man endgültig, daß in Courcelles-Centre und Courcelles-Motte der Teufel los ist. Und weiter, weiter zum langen Markt. Die Gesichter glühen; der Ruf gellt: »O'reint les l'yards! (= das Wallonisch der Borinage und heißt: »Raus 'mit dem Geld.«)«
Da horchen sie auf am langen Markte. Der Wind flattert um die vielen, vielen Buden, das Zeug daran flaggt auf, die türkischen Schals, die Decken, die Schleier ganz kunterbunt, und die Pelze, die ihre Schwänze in den Lüften schlenkern. Ah Madame! winkt der Händler, sehen Sie, ich bin ein Taugenichts, ein Verschwender, ich verschenke meine Ware, eh sacredieu, und ich habe recht, denn morgen ist meine Hochzeit, und ich will mich ausverkaufen, ah Madame! – wirft einer jungen Frau, die nachdenklich und still vor seiner Bude steht, den Skunks um, – guter Gott, guter Gott, steht Ihr Aimant nicht hinter Ihnen, der Sie adorabel findet –?
Da streift die Frau halb verlegen, halb unwillig, den Pelz ab, geht schnell davon. Und in schwerer Entrüstung der Händler:
»Madame! wenn Sie nicht von heute sind, dann habe ich Sie gewiß bei Louis XIV. gesehen.« In diesem Augenblicke rauscht Madame Rachel vorüber, sagt etwas spitz:
»Sie ist eine Deutsche.«
Aber drüben – was wird drüben? Zu langer Kette entrollt sich der Train der guten Hausfrauen längs den Butter- und Eierständen hin. Die Körbe stülpen sie um. O'reint les l'yards! Und ein Klumpen fliegt, ein weißweich sahniger, und noch einer, noch – O'reint les l'yards! Auf der Erde schwappt's, quillt und schwillt und gar nicht appetitlich. Die Gesichter sind im wilden Zorn Zerrissen, Arme fuchteln, Stimmen schnattern, wettern, zetern in tosenden Wortkaskaden. Die Händler rufen Alarm und packen ihre Siebensachen ein; Polizei! Polizei! winken und wüten die Pelz- und Porzellanhändler, und da verschwindet um eine stille Ecke jemand, und das war die Polizei.
Da die nachdenkliche Frau nun an den Fleischstand »Zur blonden Minnett« tritt, steht plötzlich Madame Rachel mit fliegendem Mantel neben ihr, zerknittert in hinreißender Liebenswürdigkeit ihr Gesicht und sagt:
»Meine Liebe, Sie dürfen nicht kaufen.«
Die Frau macht verwunderte Augen, sagt sehr im Respekt vor der hervorragenden Frau: »Ich glaubte – ich dachte –« und dann fast trotzig: »ich muß doch für meine Kinder kochen.« Dann hebt Madame Rachel die gespreizte Hand, zählt an den Fingern:
»Kochen Sie Suppen, meine Liebe, soupe à la reine, à l'oignon, au lait, und Fisch, meine Liebe, sehr viel Fisch, außerordentlich viel Fisch. Ihr guter Theophile kann Ihnen mal etwas von Brüssel mitbringen. Sie wollten etwas sagen; sagen Sie lieber nichts, Sie haben doch ein Geschäft, nicht wahr, kleine Frau – eh bien?« Und lächelt sehr, sehr liebenswürdig und läßt die Frau in großer Wirrnis stehen, denn nun weiß die Frau nicht, ob in dem Lächeln wirklich ein Pantherzahn blitzte.
Aber die Menge schöpft sie auf wie eine Schneeflocke, und nun ist sie eingeschluckt von dem treibenden Strom, gedrängt, geschoben in die ansteigende Straße hinein, ein Gefährt rollt von dort her, – oh, der Kujon, der grüne Händler Manasse, der mit seinen Eiern, teuer wie Marzipankellen! oh Manasse! Da steht Manasse, der grüne Händler, steil in seiner hochräderigen Karre, ruckt die Zügel an, wirft den Gaul herum, schrill linkt die Schellenschnur am Kummet und Galopp, Galopp rast er zurück. Die Körbe hüpfen. Hinter ihm die Phalanx der guten Hausfrauen. – – –
Leer der Markt. Die Sonne blitzt herab und macht alles blendend hell, und da steht die stille erschöpfte Frau wie in einem ausgeräumten weiten Saal, in dem wie in eiliger Flucht kunterbunt eine große Unordnung zusammengeworfen wurde. Und sieht sich sehr allein. Aber da stapft der Polizist heran, fürchterlich stapft er. »Madame, Ihren Namen, wenn's gefällig ist?« Sie sieht sich um und sieht ihn an, sie möchte, daß jetzt jemand käm und dem Polizeimann ins Gesicht lachte, denn sie, ach wahrhaftig, sie ist sehr bestürzt, sie steht wie verlaufen in einem großen unbekannten Wald.
»Was habe ich denn – ich habe doch nichts damit zu schaffen.«
»Sehr wohl, Madame,« sagt gentil der Polizist, »sagen Sie mir Ihren Namen, und dann habe ich auch nichts mehr mit Ihnen zu schaffen.« Er stellt seinen Bleistift aufs Notizbuch, wartet. Dann macht die Frau ihr Gesicht hart und mutig, spricht:
»Ich bin die Frau des Theophile Servais.«
»Tiens, tiens, die kleine Allemande,« schreibt.
»Also die kleine Allemande. Von dem Theophile, der jetzt noch in Brüssel konditioniert, hein? Aber Sie haben das Geschäft in Courcelles-Centre, nicht wahr, an der Pumpe, nicht wahr? Soso, also die kleine Deutsche? – Merci Madame.«
Sie sieht ihm beklommen nach. Sie sagen das alle: die Deutsche. Als ob sie nun unter vielen, vielen andern allein ständ – abseits. Und man würde ihr zunicken, höflich, aber gewiß, o sehr höflich.
Da geht sie schnell und flüchtend.
Ein paar Buben haben sich angesammelt, stoßen die Mützen in den Nacken, rauchen Zigaretten und spucken aus. Altklug und schlaff die bleichen Verbrechergesichtchen.
»Die Frau da, hein? sie spricht französisch wie ein Neger vom Kino.«
»Ja, sacredieu, sie ist Wohl eine Vlamsche, sacredieu.«
»Daß dich ein Esel Gevatter heißt! sie ist die Mutter von dem prächtigen Hyacinth und der dummen Lea. Wißt Ihr, sie verbietet ihm, Zigaretten zu rauchen. Es müßte nicht meine Mutter sein!« Haïe, nein sacredieu!« sagen sie alle.«
Dann ist die Frau des Theophile Servais an der Pumpe und in dem altgiebligen, aber hellgestrichenen Häuschen mit dem einen niedern Schaufenster und dem starren Puppenkopf darin, ganz starr mit gläsernen Augen. »Putzgeschäft zur Pumpe St. Marie.«
Hyacinth sitzt auf der weißlackierten Theke, hält in der Kittelschürze ein Kaninchen, rapportiert schon, als noch die Frau im engen Hausflur ist: »Niemand dagewesen, nur die alte Rebekka hat sich eine Tasse Mehl geborgt.«
Da ist's ihm sehr merkwürdig, daß die Frau ihm nichts zu sagen hat, nicht einmal »Mausemännchen«, sondern eiligst in die Stube hinterm Lädchen tritt, eine so enge Stube, ein Tisch, ein Sofa, ein Schreibtisch darin. An dem Schreibtisch sitzt die Frau, stöbert einen Briefbogen heraus, kritzelt, kritzelt, »lieber Theophile« kritzelt sie.
»Mère!« ruft Hyacinth in vorwurfsvollem Erstaunen. Du hast noch deinen Hut auf.«
Kritzelt, kritzelt, es ist ihr eine große Erleichterung, es ist nun abgewälzt auf die Schultern des lieben Theophile, und der Theophile, nun man kennt doch den Theophile, er wird furchtbar räsonnieren, dem Polizeimann eine dicke Frechheit schicken, ihm das Protokoll vor die Füße zu werfen, am Samstag wird er das, am Samstag, wenn er kommt. Oder schreibt's ihm gar schon, aber sicher, aber gewiß. – So, und nun ist sie befreit, klebt den Brief zu, ist ganz heiter.
»Mausemännchen, die Mutter wird mal noch schnell zum Briefkasten laufen.«
»Aber mère!« ruft Hyacinth ihr nach. Du liest mir ja nicht die Adresse vor.«
»An Papa!« sagt sie im Weitereilen, »an Papa.« Da zieht Hyacinth sein Kaninchen bei den Ohren hoch, spricht:;
»Hör mal, Canaille, die mère schreibt zu oft, sie ärgert den petit papa, sie weiß doch, daß der petit papa, sagen wird: Laß mich mit dem Tarlata.«
Weit auf klinkt dann die Ladentüre und das Licht durch den ganzen Raum verfinstert sich, denn Madame Orphise Blaque ist, wie gesagt, eine behäbige und stattliche Frau, die gewiß nicht durch ein Nadelöhr ins Himmelreich eingehen wird. Sie küßt den Knaben geräuschvoll auf beide Wangen, macht mit ihrer Stimme ein großes Getöse.
»Ah voilà, der liebe scharmante Dudu! Was hast du denn da? O, ein Hase!«
»Pardon, Madame, ein Kaninchen. Nehmen Sie Platz, Madame.«
»Nun sag mir mal, wo hast du deine Mutter? Du bist doch lieb, eh? Aber wie kommst du denn zu einem Hasen?«
»Ein Kaninchen, Madame. Da kommt die mère.«
»Ah, Madame Theophile, guten Tag, guten Tag! Ich bleibe schon sitzen, nicht wahr? Ich bin von dem Tarlata müde wie ein Droschkengaul und naß wie eine Suppe. Man hat uns mit der Feuerspritze davongetrieben. Ja, und Sie Ärmste hat der Narr von Polizeimann notiert. Kommen Sie mal her, Sie arme, kleine Fliege, Sie werden für 5 Frank gestraft, aber wir gute Hausfrauen verpflichten uns, jedes Strafmandat für die gute Sache gemeinschaftlich zu bezahlen. Madame Lilique wird also eine Kollekte machen.«
»Madame Lilique wird eine Kollekte machen. Wollen Sie sich nicht setzen? Chou! hole deiner Mutter einen Stuhl und setze deinen Hasen ein bißchen in die Ecke.«
Hyacinth stößt seine Mutter an: »Sie begreift nicht, daß es kein Hase ist.«
Dann kommt die Frau schon mit dem Stuhl zurück. Madame Orphise lacht geschüttelt:
» Tiens, also es ist kein Hase? – Und nun hören Sie, Liebste, wie Sie sich zu verhalten haben. Solange die Preise unverschämt sind, dürfen Sie weder Fleisch, noch Eier, noch Butter kaufen.«
»Aber, bitte, was koche ich denn?« schafft sich die Frau des Theophile Luft.
»Fischsuppen –.«
»Ich kann doch nicht immer –«, hält zaghaft inne, da Madame Orphise grenzenlos imponierend ist. Madame hebt ein bißchen drohend den Finger. »Liebste! Sie müssen mal schon etwas aushalten lernen, Sie müssen parieren lernen! Parteidisziplin. Unsere Männer sind ja alle mehr oder weniger Sozis, und die sollen nun sehen, daß die guten Hausfrauen durch einen Handstreich mehr fertig bringen, als durch ellenlanges Geschwätz im Parlament.«
Die Ladentüre klinkt auf. Ein Schulmädchen kauft sehr, sehr rotes Band.
»Oh zum Cortège!« nickt ihm Madame zu, nickt noch, als es hinaus ist, lächelt mit materialischem Wohlwollen der Frau zu. »Sie wissen, wir machen einen Cortège. Wir demonstrieren. Binden Sie sich also Ihren roten Schlips, Liebste, und finden Sie sich morgen ¼ vor drei Uhr am Stadthause ein.«
Der Frau fallen die Augen weit auf. Da nickte noch Madame: »Ja Liebste.« Da sagt die Frau schnell und erschrocken:
»Das kann ich nicht.«
» Mais, aber gewiß können Sie das, Liebste, Sie setzen Ihren scharmanten Jungen wieder auf die Theke und lassen ihn achtgeben, c'est tout.«
»Ich – will das nicht.« Ist jäh still, denn nun wird Madame Orphise –, aber nein, Madame Orphise spricht unvermindert aimabel:
»Fliege, liebe Fliege, wir machen keinen tollen Embarras, wir kämpfen um unsere Existenz.«
Sagt die liebe kleine Blonde, sagt's scheu und erschrocken: »Ich bin anderer Ansicht.«
»Ah!«
»Ja.«
»Ah, Liebste, welches ist Ihre scharmante Ansicht?«
»Ich werde niemals in einem Cortège demonstrieren, Madame.« Da streicht Madame ihr flüchtig übers Haar.
Es ist blond. – »Sie heißen doch Gretchen?«
»Anne, Madame.«
» Mais, mais, mais, Sie müßten Gretchen heißen, Sie famose kleine Blonde.«
»Ich weiß nicht –.«
»Nein, Sie wissen nichts, wahrhaftig, Liebste. Sie müßten ein bißchen bei uns heimisch werden.« Und da das Gesicht der Frau in jähem Herzen aufschnellt, vollendet sie mit Nachdruck, klopft aber vom Ärmel ein Stäubchen ab, ja und so überaus nebensächlich: »Sie sind doch eine Deutsche.«
Warum zuckt die Frau? die Frau zuckt. Es springt wie Nadelstiche auf sie, als wär's ihr Pein, als wär's ihr Schmach! Ja, klingt's denn so? Sie hört's in allen Worten, sie sieht's in allen Blicken. Blicke so fremd, Worte so fremd. Sie die Fremde unter Fremden. Ja, ach Gott, sie fühlt's doch, sie kann hier nicht heimisch werden. Sie sagen's ihr lieb und süß und lächelnd: die Fremde! Aber sie fühlt's wie Steinwürfe. Es macht sie nervös, es macht sie sehr nervös.
Sie sagt, von verhaltener Erregung gestoßen: »Ja, ich bin eine Deutsche!« Und da fällt ihr der grenzenlose Druck vom Herzen, und sie atmet frei.
Madame macht lächelnd ein gentiles Kopfwiegen, steht ruhig und ohne Eile auf, stellt korrekt den Stuhl an die Theke, sagt:
»Sie haben ein Geschäft, Liebste.– – Eh bien, wir führen scharfe Kontrolle. Auf Wiedersehen, kleine Frau, ¼ vor 3 Uhr beim Rendezvous am Stadthause.« Klopft Hyacinth auf die Wange: » Sala, chou, ich hätte wahrhaftig geschworen, es wäre ein Kaninchen.« Macht breit die Türe auf, so daß die Schelle wie eine Sturmglocke läutet, ihr Kleid schlappt um den Pfosten.
Im Lädchen zurück bleibt der Schall ihrer Worte. Madame, Sie haben ein Geschäft! – Will sie – drohen? Madame Orphise ist doch ehrenwert, sie wird keinen brutalen Zwang ausüben, nein, das wird sie wirklich nicht. Da irrt noch der Schall der Worte aus den Ecken und sagt: Sie wird es.
» Mère!« ruft Hyacinth, »hast noch den Hut auf.«
Ach Gott, sie will ja nicht acht Tage Suppe und Fisch essen, sie will gewiß dem guten Theophile zumuten, daß er allwöchentlich das Quantum Eier und Butter von Brüssel aus mitbringt, ja, das alles will sie, aber im Zug mit dem roten Schlips – nein, nein, nein, ach Himmel, nein, sie würde vor Herzklopfen diese Nacht sterben, sie würde mit niedergeschlagenen Augen und schamrot in den Reihen einhergehen, sie würde an ihre Kinder denken und davonlaufen, also nein, so etwas, so etwas kann ihr auch der Theophile nicht zumuten. Und da sie nun an Theophile denkt, steht sie von großer Angst überschüttet. Wenn der Theophile nun doch mal andrer Ansicht wäre –! Nein! sagt sie laut und fest, aber stürzt an den Schreibtisch.
» Mère!« ruft Hyacinth, »hast noch den Hut auf.«
Sie schreibt, sie kritzelt. Eine Karte hinter dem Briefe her. So! jetzt weiß der Theophile Bescheid. Sie ist beruhigt, ist erleichtert. Behagt's ihm nicht, dem Theophile, und wünscht er, daß sie anders handelt, so mag er depeschieren. Jetzt reist Karte und Brief nach Brüssel, jetzt nimmt sie ihren Jungen samt Kaninchen auf den Schoß, preßt ihn zärtlich, wühlt ihr Gesicht in sein Haar und drückt heiß und schnell einen Kuß hinein, ganz scheu und benommen und so, als müßt sie's verstecken, die scheuinnige Zärtlichkeit ihres stillen Herzens. Der Junge sitzt steif, er empfindet Küsse wie heimlich zugesteckte Süßigkeiten, die man ohne Freude hinnimmt. Da die Frau ihn so sieht, lächelt sie in einem Ungeheuern innern Wohlsein. Ihr Knabe! Lea wird ihr auf den Schoß springen und das Schnutchen spitzen und ›Küsseküßchen‹ bitten.
Mein Mädchen! sagt der Vater Theophile.
Dann ist der Lärm aus dem Tag fort, und in den Glashütten blitzen schon die Lichter auf. Der Knabe ruckt auf dem Schoß der Mutter auf; ein Geräusch im Flur, ein scharfhelles Stimmchen, dazwischen ein schürfender Schritt. Hyacinth zwängt sich aus dem Arm der Frau. O, man soll den Jung nicht auf dem Schoße sehen. »Sachte! Sachte!« grämelt im Flur eine alte Stimme, steht dann in der Türe die magere gebückte und hüstelnde Rebekka, läßt ein feinkleines Trippelchen hereinlaufen, nickt und sagt: »Jetzt ist's ausgedreht wie ein Harlekin, bei mir hat's nicht schwätzen wollen.«
Lea krallt sich an die Schürze der Frau, will an ihr hinauf, die gelben Locken baumeln ihr wie Zäpfchen um das runde Milchgesichtchen. Stößt die Schultern hoch und kichert schnippisch: » Pas mère? ich kann doch nicht mit ihr spielen, sie ist zu alt, pas mère?«
Rebekka sagt sehr alt: »Freilich, freilich, Kätzchen, aber warte, bis meine Philine mal kommt«, reißt den dünnen Mund breit, Mädääm, Theophile hat Ihnen doch wohl geschrieben, daß Philine im Maison Hirsch zum ›Gelbstern‹ avanciert ist. Oder sollte Theophile –,« unterbricht sich, da sie die junge Frau ein bißchen nervös und verstört sieht, »doch keine triste Nachricht, Mädääm?«
»Rebekka,« sagt die Frau hastig, »Sie wissen, daß Madame Orphise bei mir war – was wissen Sie noch?« Rebekka sieht mit leeren Blicken geradeaus.
»Was soll ich wissen? Die guten Hausfrauen werden Ihre Budike unter Observation nehmen, mehr kann ich nicht wissen.«
Die Frau schiebt das Trippelchen beiseite, steht auf und hängt Hut und Mantel in den Wandschrank. »Da ich jetzt meinem Manne alles geschrieben habe –« Hält inne, denn Rebekka meckert ihr unangenehmes Lachen.
»Verlassen Sie sich nicht auf den Theophile.«
»Aber gewiß verlasse ich mich auf meinen Mann.«
»Wir kennen ihn ja ein bißchen länger wie Mädääm, nun denn: gute Nacht, Mädääm, au revoir, mein Kätzchen.«
Trippelchen knittert hinter ihr das Näschen, ruft's pfiffig und heimlich: » Au revoir, Mädääm!«
Die Frau steht noch an der Türe des Wandschranks. Was spricht denn die alte Rebekka? Wir kennen ihn ja. Meint sie die Philine, meint sie die? Freilich, die Philine, o man weiß doch, die Philine hätte sich von dem Theophile heimführen lassen, wenn er gewollt hätte. Geht nun und zündet das Licht an. Hantiert in der Küche und hört die Kinder in der Stube spielen. Jetzt kommen ihre Gedanken nicht von Philine fort. Im Maison Hirsch nahm man das als abgemacht. Philine und Theophile werden einmal Hochzeit machen. Sie fuhren gemeinsam nach Hause, sie kamen gemeinsam, aber sicher, aber warum auch nicht? Sie hatten gleiche Fahrt, sie wohnten Haus an Haus. Und die alte Rebekka hatte schon Geschwätz gemacht; sie wollte das Geschäft, irgendein Geschäft für die beiden in Courcelles besorgen, und so konnten sie noch ein paar Jährchen im Maison Hirsch mitsammen arbeiten, sich ein Sümmchen sparen, o es ging alles glatt – bis die Deutsche ins Maison Hirsch kam, die Probiermamsell mit den verschleierten Augen, ein Dingelchen, das wie ein ausgewachsenes Kind im Leben steht, ja und auf so was fallen die Männer herein. Der Theophil hält plötzlich darauf, daß sie in der Maison Hirsch wissen, er habe Philine kein Heiratsversprechen gemacht und Philine lacht: Nein, Gott bewahre! ich lasse mich nicht nach Courcelles an die Heringstonne tragen. So war denn nur die alte Rebekka, die mit verkrümmter Knochenfaust heimlich nach dem Hause an der Pumpe hindrohte und das mißgünstige Leuchten in den unruhigem Blicken hatte. Ah ça, man wird mal sehen, wie weit sie hier kommt, die Allemande!
Da löscht die Allemande alle Lichter im Hause und will sorglos schlafen, denn der Theophile hatte nun ihre Karte und muß wissen, was da zu machen ist. In die schmale weiße Schreiberhand des Theophile hat sie nun ihre große Sorge gelegt und schläft die Wangen rot, wie da auch ihre Kindlein liegen, lächelnd in den Visionen ihrer Träume.
Am Morgen tippt Rebekka ans Hoffenster. O, Frau Anne, der Cortège werde großartig, es habe sich keine, bitte, keine gute Hausfrau von Courcelles-Centre bis Courcelles-Motte ausgeschlossen. Dann geht die Frau unruhig im Hause und sieht nach der Uhr und wartet auf die Post und denkt, mit dem Mittagszug könnte eine Nachricht von Brüssel kommen. Am Mittag hört man schon die Bergmannsmusik am Vereinslokal. Um 2 Uhr strömen die Menschen auf die Straße. Um halb 3 sind alle Häuser leer und ein verworrener Lärm wirrt vom Stadthause her. Um 3 Uhr ist die Frau furchtbar böse auf den Theophile und um 1/4 nach 3 Uhr ist sie von heißer Angst überschüttet und geht im Hause, als wäre sie da verirrt, und denkt, wenn der Theophile depeschiert hätte: ›Du mußt zum Cortège‹ so wäre sie gegangen, weil ja nun jetzt eine so große unheimliche Angst über sie kommt.
Hyacinth wirft die Türe auf: » Mère, Sie kommen!« Frau Anne stellt Lea, das Trippelchen, auf die Theke, rückt den Vorhang am Schaufenster ein wenig beiseite, und sie lugen hinter dem Puppenkopf heraus, der starr und unbeweglich bleibt und der kein Sorgen und Erschrecken im Gesichte hat, wie nun die Frau Anna hinter ihm. Ein so ganz hölzerner Puppenkopf, der in Belgien oder Deutschland stehen kann und immer derselbe und heimisch ist. Ich, was stört sie denn der Puppenkopf! Biegt da nicht schon der Zug vom langen Markt aus in die Straße ein? Die Musik schmettert. Mit gellen feindseligen Stimmen schmettert sie und die dicke Trommel ruft Alarm, und die Becken klirren wie gewetzte Schwerter. Näher kommt das, feierlich stumm, und nur die aufrührerische Musik hats Wort. Dann wird die Spitze des Zuges im Schaufenster sichtbar. Die Fahne schwenkt, zwei Reihen Bläser. Die Backen quellen. Trum, Trum die dicke Trommel. Trab, trab hinter ihr her eine Deputation Ehrenmänner, an ihren Hüten die weißen Zettel: »Die guten Hausfrauen machen's.« Dann eine Stange. An der Stange ein Bücking. Darunter ein Plakat: Eßt Fisch!
Tripp tripp die Frauen, erste Reihe Vorstand: Madame Orphise Blaque, Rachel Hique, Lilique de Coq. Rote aufrührerische Bänder um die vollen Blusen. Ihre Blicke fallen wie Dolche in das Schaufenster. Da tritt Frau Anne hinter dem Puppenkopfe weg und stellt sich in den Hintergrund des Bodens. Endlos der Zug. Frauen, Frauen, Hüte, Federn, Blumen, Schirme – es fehlt keine, weder von Courcelles-Centre noch von Courcelles-Motte. Die Musik wird wie ein tolles Gelächter. Die Stimmen tosen wider's Haus: Eßt Fisch! Eßt Fisch!
Da weicht Frau Anne bis in die Stube zurück. Ihre Kinder jauchzen dem Zuge nach. Und liegt die Straße leer und ausgestorben und auch das Haus wie ausgeräumt und bängliche Stille nach dem Lärm. Als seien nun stumme Menschen hereingekommen und hockten in allen Ecken, und die Einsamkeit sei nun so überaus traurig. Oder als seien die dolchenden Blicke der Madame Orphise, Rachel, Lilique wie Funken ins verlassene Haus gefallen. Aufgejagt ist die Frau, tritt vors Haus, möchte Menschen sehen. Rebekka steht in der Türe in harrender Neugier, und drüben über der Straße lugen sie in den Fensterchen hinterhältlich und mit verkniffenem Lächeln. Frau Anne sieht sich verlegen um, will der Rebekka ein Wort sagen, doch verschwindet diese erschreckt aus der Türe. Was ist denn nur, guter Gott, was ist's denn? Huscht ins Haus zurück und steht vor der Uhr. Sie zürnt. Theophile hätte ein Wort schicken müssen. Und nun meint sie, alle Last müsse sie dem Theophile abwälzen, und denkt dann, daß sie ruhig sein kann. Morgen wird Lea wieder ihre Morgenvisite bei Rebekka machen, und wenn Rebekka sie zurückbringt, muß sie Rede stehen. Also morgen. Aber Trippelchen kommt postwendend wieder zurück, kaut an einem Apfel und sagt, Mädääm hätte keine Zeit. Da wartet Frau Anne an der Hoftüre, wartet lange, und als Rebekka zum Abfluß kommt mit dem Spüleimer, tritt sie hervor, gute Rebekka, was denn nun sei! Scht! macht die Alte, und die Frau Anne möge sich nicht gerad so verwundert stellen, sie habe doch die Folgen gewußt. – Guter Gott, welche Folgen?
Die Alte stellt den Eimer nieder, reibt die verknöcherten Hände.
»Pardon, wie oft hat's heut bei Ihnen geschellt?«
Nimmt den Eimer auf und schürft weiter. Spricht, ehe sie ins Haus tritt, noch zu der Frau zurück: »Da Sie nun im Boykott stehen –.« Ins Haus zurück flüchtet die Frau. Sie mag die Alte nicht mehr hören, mag sie nicht mehr sehen. Die mißgünstige Alte. Glaubt die jetzt, daß sie wie eine Marie Magdalena im Hause heult? O nein, o gewiß nicht, allenfalls singt sie. – Nein, nicht singen. Es ist doch nun so, es ist hier wie in einem Trauerhause. Die Schelle klingt nicht mehr, seit gestern nicht. Oder hört sie etwas? Klingt die Schelle. Hyacinth kommt herein.
»Warst du das?« fragt verstört die Frau.
»Ja, mère.«
Als sie am Tische sitzen und essen, springt dann plötzlich die Frau auf.
»Es hat doch geschellt.«
»Nein, mère,« sagen die Kinder. Dann sitzt sie still und ißt nicht mehr. Und denkt in Trost und Angst, daß am Samstag der Theophile kommt.
Am Samstag fällt der Schatten des Theophile ins Schaufenster. Die Kinder lauern schon im Gang. Heute und immer so. Der Papa wird hereinkommen und rufen: »Hat jemand meine Mäuschen gesehen? Oh, oh, wo stecken sie denn?« Und dann springen zwei Mäuschen ihm auf den Rücken, husch aus dem Versteck, und er schleppt sie in die Stube, und es wird ein Lärm und Lachen und Krähen und Jauchzen. Und Hyacinth klettert an ihm hinauf, stiehlt ihm den Hut, oh, strippt er ihm die Haare ins Gesicht, die dunklen, glänzenden Haare, die dem Theophile Servais auf die Stirne fallen, dann ist das glänzend Schwarze auf seiner gelblichen Haut wie Kohle auf ägyptischem Marmor, und so hübsch exotisch ist das, und wenn nicht das Exotische gewesen wäre, wer weiß, ob Frau Anne –. Denn Frau Anne sitzt jetzt da, furchtbar still und beklommen und denkt nicht, daß sie zu den Dreien gehört, die da juchheidi am Boden wälzen und Küsse schmatzen, Küsse wie Regenschauer. Lachen und Küssen. Theophiles Vaterliebe lärmt in Küssen, küßt die Gesichtchen, die Händchen, die strampelnden Beine – uff! und nun kommt die maman an die Reihe, die arme maman, die grün wie ein erfrorener Apfel sitzt, oh, komm her, süße, kleine maman! Spitzt den Mund, auf dem das schwarze Bärtchen kokett hingewachsen ist, nippt drei, vier, fünf Küsse, ist wieder bei den Kindern, denn Hyacinth muß zeigen, was sein Kaninchen gelernt hat. Wenn es springt, muß der petit papa sich totlachen, der petit papa kann sich so hübsch totlachen.
Da tönt die Stimme der Frau todernst: »Theo, ich hab mit dir zu reden.«
» Bien, bien, rede nur, Liebchen. – Junge, Junge, nicht so! Deine Dressur ist wild, ich werde dich zum Kongo schicken.« Und zu der Frau hinüber: »Ja, denk mal, der Notar Noir geht auf drei Jahre zum Kongo, macht da großartige Einnahmen. Eh, was meinst du?« Hebt Hyacinth samt dem Kaninchen hoch, » unser Notar muß auch mal zum Kongo.«
»Werde ich Notar?« brüllt Hyacinth, denn er will Menageriebesitzer werden. Da nimmt ihn der Mann aufs Knie und langt auch Lea zu sich herauf. Er preßt sie lieb, er sieht in verzückter Vaterliebe auf sie herab.
»Ja, das wirst du, mein Großer, mein Stolzer, mein Einziger. Notar! Und wenn ich mir das Rauchen abgewöhnen müßte und sogar das Essen. Du sollst mir nicht in der Maison Hirsch krumm und alt werden, du mein Stolzer, Einziger! Notar, weißt du, Notar!« Preßt ihn, daß er wütend aufschreit.
»Werd ich auch Notar?« fragte Lea.
»Du? O du! Du wirst etwas so Schönes, so Heiliges – du wirst einen Menschen einmal so, so, so glücklich machen. Aber das muß ein Mensch sein, den ich heute schon suche, weil ich ihn so überaus lange suchen muß, damit ich weiß, ob er wert ist, daß meine Lea ihn so, so, so glücklich macht.« Er bricht ab, er lächelt, aber seine Augen blinken feucht. Sein Herz liegt auf der Zunge. Seine Rührung fließt über, wenn er davon spricht, welche Zukunft er seinen Kindern bauen will.
Steil sitzt die Frau. Da er nun so spricht, hört sie, daß er französisch spricht. Die Kinder horchen mit offenem Mäulchen, sehen starr zu ihm auf. Mit der mère reden sie deutsch, mit dem petit papa französisch. Dann sitzt die Frau noch und sieht diese Drei von ihr fortschwimmen, weiter, immer weiter. – Sie schreckt auf, sie sagt's jetzt dunkel und hart:
»Ich habe mit dir zu reden.«
Dann läßt er die Kinder, kommt zu ihr, will sie umarmen. Sie wehrt ab. Die Worte stoßen ihr heraus.
»Du hast nicht geschrieben.«
»Kleine Frau, es war zu spät.«
»Dann mußtest du depeschieren.«
»Um solche Bagatelle?«
»Es ist keine Bagatelle, Theo.«
Nun nimmt er sie, wie er die Kinder nahm, lächelt heimlich.
»Ah, du Dummchen, hat man wieder große Sorgen, die man dem armen Theophile abladen muß? Und der arme Theophile hat schon so viel an seinen zu schleppen. Denk mal, wenn nun der arme Theophile auch grämeln wollte, was ihm Widerwärtiges diese Woche zugestoßen ist.«
»Es ist keine Bagatelle,« wiederholt sie starr und ruhig.
» Bon also, nehmen wir an, ich hätte depeschiert: ›Geh zum Cortège‹;, so war es dir nicht recht, oder ich hätte depeschiert: ›Geh nicht zum Cortège, dann war es vielleicht unser Schaden. Eh bien, so dachte ich, Frauchen muß selber wissen, was da zu tun ist.«
Sagt sie dann kleinlaut: »Kann man so klar urteilen, wenn die Lage schief ist?«
»Ist sie schief?« Wahrhaftig ja, wie sie in Sorge ist!
»Küß mich nicht.«
»Was ist's also, Anne?«
»Wir stehen im Boykott.«
»So ist das?!«
Er steht auf, geht von ihr weg. Hyacinth hat dem Kaninchen Papas Hut aufgesetzt, da drängt ihn der Papa weg. Die Kinder verstummen. Nach einer Weile sagt Theophile:
»Es waren doch ehrenwerte und angesehene Damen in dem Cortège.«
Sie sitzt stumm und sieht ihn an. Da steht er vor ihr still, fragt kurz:
»War es dir denn so schlimm, mit dem Cortège zu gehen?«
»In Deutschland demonstrieren nur – Weiber.«
»Du bist aber nun in Belgien, Anne.«
»Die Ansichten ändern nicht.«
Er spricht's schnell und so, als sei das nun immer in seinen Gedanken gewesen.
»Ja, du bist nicht geändert.«
Ihre Blicke flacken auf. Sie leuchten eine stolze, trotzige Freude:
»Ja, ich bin immer deutsch geblieben!«
Er geht von ihr fort, geht hastig von der Stube in den Laden und von dorther wieder in die Stube.
»Den Luxus deiner deutschen Ansichten bezahlen wir nun teuer.«
In heftigem, dumpfem Schmerze erwidert sie:
»Das ist nun so, ich bin deutsch geblieben.«
»Das ist schwerfällig, scheint mir.«
»Man tut nicht anders, als man kann.«
»Dann hättest du es deiner Kinder wegen tun müssen.«
Wie Hammerschläge fällt's auf sie und jagt ihr das Herzklopfen auf.
»Sag mir das nicht, Theo, du darfst mir das nicht sagen!«
Er lehnt am Schreibtisch, dreht erregt sein Schnurrbärtchen: »Ich muß dir das sagen, Anne, denn das, was deine schwerfällige Ansicht nun heraufbeschworen hat, kann der Ruin unseres Geschäftes sein. Kunden sind Vögel auf der Hecke. Einmal verscheucht, sammeln sie sich da nicht mehr an. Und was dann? Dann wirst du hier mit deinen deutschen Ansichten und dem leeren Kochtopf sitzen! Eine belgische Frau tut so was nicht, die reitet keine Prinzipien, sondern wahrt klug ihren Vorteil. Die weiß mit dem Tag zu leben!«
Da ist Frau Anne langsam aufgestanden, steht so da und sagt:
»Die belgische Frau, meinst du, vielleicht meinst du die – Philine.«
»Meinetwegen auch,« macht er achselzuckend, und läuft wieder auf und ab. Da geht sie ihm nach und hinter ihm steht sie und spricht tonlos:
»Die deutsche Frau wird dir vielleicht einmal zeigen, was sie für ihre Kinder tun kann.«
Er steht wie eingestoßen. Es überfällt ihn wie eine dumpfe Warnung und Ankündigung. Und da gleitet sie an ihm herab, er spürt ihr zuckendes Gesicht auf seiner Hand, und leise weint sie darauf:
»Warte du – sie wird dir's einmal beweisen, die deutsche Frau.«
Er bückt sich nach ihr hinunter, will sie nehmen, da ist sie auf und hinaus. Man hört in der Küche ihr stilles Schaffen.
Er wirft sich aufs Sofa. Der Ärger quält ihn mehr als der Zorn. Er kommt aus der Fron einer Woche heim und will Freude haben. Sie soll sie ihm nicht vergällen. Sitzt, und die Kinder kauern scheu, und der Abend wallt herein, macht die kleine Stube eng und dicht. Aus dem Laden her strähnt ein Lichtschimmer. Heftig springt Theophile Servais auf, löscht die Lampe im Laden. Kommt kein Käufer, braucht auch kein Licht zu brennen. Man soll draußen nicht wissen, daß man hier auf Centimesstücke wartet. Hat er's nötig? Er braucht sich keine Vorschriften machen zu lassen, er braucht sich von Madame Orphise und Rachel und Lilique den Brotkorb nicht höher hängen zu lassen, er braucht sich auch sein Weib nicht verdrießen zu lassen, o, aber sicher nicht – er will ihr ja wahrhaftig nicht recht geben, gewiß nicht, sie muß sich ändern, sie muß aus der deutschen Haut, sie soll nicht mehr mit den Kindern deutsch sprechen, sie soll endgültig, endgültig in das neue Milieu – –. Sitzt wieder auf dem Sofa nieder, stützt sich auf die Knie. Da zwängt sich zwischen seinen Knien das Trippelchen hindurch, ihr Lockenköpfchen gleitet wie ein weicher Federbausch in seine Hände. Er packt zu, hebt's hoch, küßt es und sagt in plötzlich überströmendem, warmem Rausch: »Da bring's der Maman, da!« und küßt's noch auf den Mund.
Da steht schon die Frau mit der Lampe in der Türe, will den Tisch zurechtmachen. Der helle Lichtschein fällt auf den Mann, der verkümmern muß, wenn er den Frohsinn nicht um sich hat. Wenn er mit gefurchter Stirne sitzt, macht es ihn alt. Und man sieht's dann, daß die gelbe Haut wahrhaftig nicht exotisch ist, daß sie von der Krankheit zurückgeblieben ist, die er da einmal vor seiner Heirat hatte, und man meinte, die blonde deutsche Anna könnte noch ein Jahr oder zwei in der Maison Hirsch Probiermamsell bleiben, ehe sie Madame Anne werde.
Das sieht und das denkt die Frau und die Wallung innigen Mitleids stößt sie zu ihm. Sie preßt seinen Kopf an ihre Brust, sie drückt ihren bebenden Mund in sein schönes Haar, das sie liebt wie das Fremde an ihm. Möchte er so das Fremde an ihr lieben!
Er schüttet seine kosende Zärtlichkeit über sie aus, sagt, sie sei ein bißchen nervös, ein bißchen schwer, Frauchen soll lieb und leicht sein, ja und nun wollten sie zu Abend die feine Chartreuse trinken, die er mitgebracht, und der Teufel soll Madame Orphise u. Co. holen. Seine Worte sind nicht kräftig, man kann nicht seine stolze Hoffnung darauf bauen. Aber entzückend zärtlich. So ist sie getröstet und nicht beruhigt. Sie ist neben ihm, sie ist noch stumm an ihm. Der Abend webt um sie stille Gedanken.
Unter dem Schreibtisch heraus dringt unterdrücktes Schluchzen. Man kümmert sich nicht um Trippelchen. Warum kümmert man sich nicht um Trippelchen? Trippelchen langweilt sich schrecklich, schrecklich, schrecklich. »O!« lacht Theophile Frau Anne an, » amoureuse als hätten wir keine Kinder! Denk mal an, wir haben unsere Kinder vergessen.« Und als sei das nun so überaus unauffaßbar. Fort, liebe Maman! Neckt das hellaufweinende Trippelchen: »O, o, pleurs fort!«
Da weint Trippelchen nicht mehr. Es fällt ihr nicht ein, lauter zu weinen.
»Du weinst nicht mehr?« fragte Papa. »O wie schade!« Und auch Hyacinth: » Pleurs fort, pleurs fort!«
»Nein,« sagt Frau Anne, »es wird nicht mehr weinen.«
Dann bauscht der Abend seine Schleier ums Haus und um Vater, Mutter und liebe Kinder. Aber er hat heimliche Augen der Angst.
In der Nacht möchte die Frau sich aufmachen und einen guten, prächtigen Entschluß ausführen. Sie macht sich auf in der Nacht. Sie sitzt stumm-einsam in der tiefen Nacht im Lädchen drunten, stichelt, nadelt, probiert, studiert, morgen in der Frühe muß auf dem Puppenkopf ein Hut sitzen, der die Scharen ans Fenster lockt, der sie zwingt! Sie hat doch ihr Renommee.
Und der quälende, heimliche, fröstelnde Gedanke trieb sie auf in der Nacht: Die Zeit ist, da ihre Kundschaft für die Wintersaison kauft.
Sie hat doch ihre Kundschaft. Wenn sie kommt –. Sie muß kommen, lieber Gott, sie muß ja kommen.
Und stichelt und nadelt und fädelt.
Am Morgen thront der Hut wie ein Baldachin. In dem starren Puppengesicht scheint ein kokettes Lächeln zu gaukeln.
Da reist Theophile Servais ab. Sie drücken sich fest die Hände. Sie küssen sich. Sie sagen: Die Winterkundschaft wird kommen.
Denkt eine an Putz und Tand in diesen Zeiten? O, die guten Hausfrauen nicht. Die guten Hausfrauen sind jetzt mehr auf der Straße als im Hause. Sie müssen kontrollieren. Da kontrollieren sie entsetzlich, denn an der Pumpe klinkt keine Schelle mehr. Doch schreibt Frau Anne zuversichtlich dem Theophile, die Sperre könne nicht mehr lange dauern, es würden schon Anzeichen bemerkbar, daß die Händler und Metzger sich fügen, die Preise fallen lassen. Und der liebe Theophile möge eine Kleinigkeit an Geld schicken, selbstverständlich nur, solange die Sperre dauere.
Die Sperre dauert nicht mehr, aber Frau Anne schreibt noch Briefe an den lieben Theophile, sie schreibt zuversichtlich. Metzger und Händler gefügig. Ehre den guten Hausfrauen! Die Ladenschelle klingt wieder. Ab und zu. Aber es wird schon peu à peu in den alten Zustand kommen. Bis sie in den alten Zustand gekommen sei, möge der liebe Theophile eine Kleinigkeit an Geld schicken. –
Dann schreibt sie bloß: Ich kann nicht an den Fingerspitzen essen.
Dann schreibt sie nicht mehr. Denn es ist abgemacht, daß Theophile regelmäßig Geld schickt. Er kommt nicht mehr jeden Samstag, sie müssen sparen.
Ja, wie gesagt, Käufer sind Vögel auf der Hecke. Und die Winterkundschaft?
Die alte Rebekka geht mit schmunzelndem Munde, sie geht zu Madame Orphise. Mädääm, soundso sei das, sie habe da noch die Tochter Philomene, habe in Modes und diesen schönen Siebensachen ihre Lehrjahre beendet und komme nun sich etablieren, sei ein Kind der Heimat, keine Fremde, arbeitet nach Pariser Modellen, kein made in Germany –. Hustet, macht dunkliche Winke, stellt den alten Mund zu merkwürdigen Grimassen und sagt, sie habe im übrigen nichts gesagt.
Und an einem Sonntag morgen prunkt etwas am Fensterchen unterm Dach. Die Leute bleiben stehen. Etwas Wunderbares. Kein Kopf im Königreich paßt hinein. Madame Orphise sagt: »Der Hut ist wie ein Gedicht.«
Frau Anne steht in der grauen Frühe auf, als die Straße noch leer ist. Steht und höhnt stumm zu dem wunder-wunderbaren Hut hinauf. Als hänge droben der abgeschlagene Kopf der Madame Orphise, und Frau Anne und die Spatzen dürften darauf pfeifen.
Ein gräßlicher Hut! Sie lacht, lacht, geht ins Haus. Drinnen weint sie.
In Brüssel wäscht der Regen die Häuser. Die Stadt liegt im Herbste melancholisch und herrlich. Der Nebel wallt um die stolzen Fassaden wie graue Schleier um traurige Gesichter. Aber Maison Hirsch wagt in grandioser Wohlhabenheit, und die Konfektion hängt in behaglichen Räumen. Ah, und man ist im großen Embarras. Die Wintersaison. Weihnacht wirft den Titanenschatten kostspieliger Feierstimmung voraus. Deutsche Kundschaft vorwiegend. Wer nicht in Paris kaufen kann, kauft gewiß in Brüssel. Klein-Paris. Ehre allen Deutschen! Der Chef sagt: »Schade, schade,« klopft Theophile Servais auf die Schulter, »wahrhaftig schade, daß Sie uns die scharmante Deutsche abgeheiratet haben, Sie Erzfilou. Wieviel Kinder haben Sie denn? Zwei? Tiens, tiens, sehr praktisch, Sie wollen sich wohl, so peu à peu hinaufmillionären. Na also schade um unsern ›Blaustern‹, deutsche Kundschaft fragt konsequent nach ihr.«
Theophile Servais stapft durchs Lokal, er stapft, er hat eine jähe Wut. Hinter dem Ständer mit den Staubmänteln hält er an. Der imposante ›Gelbstern‹ dreht sich ihm erwartungsvoll zu. Probierdame. Normiert die Größe 44 Taillennummer, 110 Hüftenmaß. Die auf ihrer Figur gearbeitete Konfektion trägt den Stern mit gelbem Garn: Gelbstern Philine, Stern erster Größe.
»Ein unverantwortliches Geschwätz!« wirft Theophile ihr mit einem Seitenblick auf den davongehenden Chef zu. »Ich millionäre mich hinauf! Mit dem Gehalt! Teufel! ich bin jetzt so weit, zu erwägen, ob ich mir eine Zahnbürste kaufen darf.«
Gelbstern dreht aus den Mänteln heraus, stützt die rundlichen Hände in die gepreßte Taille, balanziert auf Absätzen Louis XV. ihre imposante Körperlichkeit.
Ah ça, Sie haben's jetzt ein bißchen schwer, lieber Freund. Die kleine Frau macht Dummheiten, hein?«
Er stößt die Hände in die Taschen, reckt auf.
»Was wollen Sie mit meiner Frau, Philine? Meine Frau war korrekt.« Mit dem feistgespannten ›Dreiviertelarm‹ reckt Gelbstern über seine Schulter, klappt ihm eins in den Nacken, lächelt schillernd:
»Sie war nicht korrekt, mein nobler Theophile.«
Er geht heftig zwei Schritte, verdüstert sein Gesicht, lehnt an den Ständer. Dann steht Gelbstern noch lächelnd und mit verschränkten Armen vor ihm.
»Sie hätte die Jakobinermütze aufstülpen müssen, wenn man's forderte. Das Geschäft voran, Gott und die Welt hintennach. Mais, das Dingelchen war schon als unser Blaustern herzhaft zimperlich. Apropos, mit der 40-Zentimeter-Taillennummer ist's doch jetzt ex. Sie wächst, wie ich höre, in das halbe Meter Büstenweite, uff! Die Ärmste, ist sie nicht unglücklich?«
»Schwätzen Sie nicht dumm, Philine, meine Frau ist sehr glücklich.«
Rotstern mit dem Embonpoint der Bierbrauersgattin schnauft vorüber.
» Mais, mais, gewiß ist sie glücklich; wenn die Modelle jetzt vom Büstenfabrikanten bezogen werden, ist's mit unserer Gloire auch ex.«
»Immerhin besser in Chance, als mit ganzer Familie auf ein powres Salär,« ruft ihr Gelbstern großartig nach. Und zu Theophile: »Ja, mein Freund, mit Ihren 300 Fr. Salär machen Sie aus Ihrem Hyacinth keinen Notar.«
»Parbleu, ich etabliere mich.«
»O, womit denn, Lieber? mit 0, 0?« nickt sie ihm lächelnd zu. »Ich muß zur Anprobe. Der Konfektionär, das Kamel, läßt schon zum fünften Male umstecken.« Sie steigt zum Atelier hinauf, er eilt hastig hinter ihr her und ins Kontor. Die Heizung brummt. Der Staub riecht. Aus dem Lichthof dämmert ein unfreundliches Licht. Er wirft das Einrichtungsbuch aufs Stehpult, schlägt auf, starrt auf Zahlen. Zu Säulchen ragen sie auf, jäh, steil, goldene Säulen, die Paläste tragen. Seine Hand baut sie auf. Goldene Säulen, 10 000, 12 000, 12 400, 18 000 ... Goldene Bauklötze. Und seine Hand reiht sie. Ein schönes Geschäft, ein wachsames, wenn seine Hand fehlgleitet – sie darf nicht fehlgleiten. Man zählt 300 Fr. in diese Hand und fordert, daß sie goldene Säulen baut und nicht fehlgleitet ... Ei was, fehlgleitet! Darf man eben nicht. Punkt! – Ist ja 'ne kolossale Verantwortung. – 'ne geniale Verantwortung. Ja ja, jawohl. Es gehört doch 'was dazu. Sprit! Man muß Baumeister, Architekt – na ja, so 'was sein. Man baut. Alles in strahlenden Gold. In vermessenem Gold. Himmelhoch, himmelhoch und höher und dehnt sich und wächst und wächst, knitterkrause Zahlenreihen, grinsende Teufelchen, eins über dem andern, eins auf dem Kopfe des andern, gestülpt, geschüttelt, ein goldsirrendes Gewühl an den Schlangenleibern der Zahlenkolonnen hinauf, wächst und wächst, schlägt die Triumphbogen des jubelnden Goldes in die Äonen –. Ja, und er baut das ...
Die Türe huscht auf. Gelbstern lugt herein. Da ruckt sein Gesicht über die Schulter, das Lächeln unsinniger Träume gaukelt noch darin. Und in Hast:
»Ich denke sehr kindisch, wissen Sie, was ich denke? Ich denke, daß ich Baumeister bin, baue goldene Säulen für das Dach der Maison Hirsch. Und sehen Sie, mit der einen Hand. Es fehlt nicht viel, und sie könnte abgleiten, sie könnte fehlrutschen, so daß die Säule sich verschiebt, nicht wahr, sie könnte das doch? Und wenn die Säulen wanken –
»Dann stürzt das Dach der Maison Hirsch ein, ja.«
»Ja, wahrhaftig,« sagt er wie in dumpfem Schrecken.
Gelbstern kommt langsam auf ihn zu, schiebt ihre Hand auf seine Schulter.
»Darum darf eben die Hand nicht fehlgleiten.«
Er krümmt wie ein Haken vornüber, die Blicke genagelt auf das Buch. Er lächelt noch.
»So peinlich baut man doch nicht, Philine. Man kann eine Farce hineinbauen und merkt's nicht einmal. Versteht sich. Man kann das.«
Und als ob sie Widerspruch erheben. »Man kann über ein Manko hinwegrechnen und es zudecken mit Zahlen. Man kann das. Man häkelt wie in einem zerrissenen Netz die Maschen zusammen, und niemand findet mehr die schadhafte Stelle. Man kann das. O, ich versichere Sie, Philine, es sitzt manch einer auf dem Drehbock des Kontors, der ein schlauer Netzflicker ist, bis er brüchig wird und mit gutem Auskommen gehen kann. Und ich sage Ihnen, gerade diese, gerade diese sind die genialsten Menschen, Brotstützen des Kontors. Man muß genial sein, um das zu tun –. Ein Lebenlang –. Und man merkt's nicht. Die Dummen machen das nicht, können das nicht, die Machination ist einfach, aber schwierig, jawohl, so haben wir sie in der Hand, den ganzen goldenen Bau –.« Hält jäh inne. Was redet er? Redet er irr? Was ist denn nun? Gelbstern sagt ruhig: »Aber die Maison Hirsch kann unbesorgt sein, ein Dummer baut es ja, nicht wahr, Theophile?«
Er steht noch wie wachgerüttelt, seine Hand fällt schlaff auf das Buch, sein Kopf erhoben im Horchen, als sei da noch der Nachhall eines drohenden Wortes. Muß seine Stimme klar husten, da er sagt:
»Ich spreche ridiküles Zeug. – Sie wünschen, Philine? Ich denke, Sie wünschen etwas.«
»Einen Fakturenblock, bitte sehr. Und, hören Sie, Sie wollen sich etablieren, vraiment?«
Ein jähes Lauern im Hinterhalte ihrer Stimme. Theophile stöbert in den Regalen nach dem Fakturenblock, spricht zerhackte Worte:
»Parbleu, wer von uns Kaufleuten zielt nicht auf diesen Endzweck hin? Unsere Zukunft ist unsicher wie die eines Hausknechts. Nach zwanzigjähriger Kondition kann uns jede Schwankung der Konjunktur auf die Boulevards schieben. Bis über die Höhe des Lebens hinaus in fremdem Brot gestanden, und dann ist Energie und Elastizität zu neuer Anpassung kaput. Dann sind wir rückgratlose Menschen – der Konfektionston bringt so was fertig – unfähig zur Gründung einer eigenen Existenz.«
»Und darum wollen Sie –.«
»Ich will mir eigenen Boden unter die Füße schaffen, solange ich noch nicht verbraucht bin.«
Er reicht ihr den Fakturenblock. Sie nimmt ihn bedächtig, wiegt ihn in der gewölbten Hand.
»Ja, Sie werden dergleichen tun müssen. Haben Sie Nachricht von der lieben kleinen Anne?«
Er dreht sich nach dem Pult, rückt das Buch. Seine Stimme tiefer Verheiserung:
»Nein.«
» Tiens, tiens, ich glaubte doch, daß ein Brief –.« Sie kommt schnell ans Pult. »Theophile, ich habe auch Nachrichten bekommen. Meine Schwester, die Philomène, etabliert sich in Courcelles-Centre, der Anfang ist gut –.«
Er steht über dem Pult gebückt, seine Stimme kommt weit, ganz weit:
»Warum sprechen Sie nicht weiter?«
Da spricht sie. Da hört er noch zu, und sie spricht längst nicht mehr. Schritte hallen vor der Türe, der Stift poltert herein, legt einen Brief aufs Pult und geht wieder fort. Es wird eng und still, und da fallen Philinens laute Worte auf ihn.
»Sie hat Ihren Spleen, sie will sich eigenen Boden unter die Füße schaffen.«
Auf dem Pult knittert, knistert das Kuvert, rutscht geknüllt ab, raschelt zu Boden.
Theophile Servais liest: »Ich kann das Geschäft nicht weiter halten, ich setze zu. Komm' unbedingt am Samstag.«
Er dreht sich um. Ist er denn allein? Warum läßt man ihn allein? Er müßte doch jetzt einen Menschen haben –. Er fühlt doch – Schmerzen –.
Schiebt sich auf dem Drehbock, stößt sich aufrecht. Sitzt da starr. Nur die Hand tastet nervös an den Rockknöpfen hinauf. Der stumme Kampf tobt. Sein Gesicht wie eine Totenmaske. Der unheimliche Schmerz bohrt.
Dann klappen die festgebissenen Lippen zurück, der Atem fließt erlösend aus. Was war das? Wie ein blutsaugendes Tier sprang's auf ihn. Er rückt ans Pult. Jetzt will er arbeiten. Schiebt den Brief weg. Solch ein armer Brief, der auf goldenen Zahlen liegt. Theophile Servais, Architekt! baue, baue. Und wenn das goldene Dach des Maison Hirsch sich über dir wölbt –. Ah, du kleiner Handlanger, lieber Theophile. Lieber Theophile, baue, baue!
Die schlaffe Hand liegt wieder auf den Zahlen, die Finger krümmen sich ein –. Als müßten sie raffen. Gold raffen. Haufenweise –. Es liegt doch da ...
Baumeister Theopbile raffe!
Philine! Ist sie noch da? Es sind wohl viele Menschen da? Er hascht nach der Feder, tippt die Zahlen an, 8000, 4500, 1000 ... höher hinauf die goldene Kolonne, 9000, 12 400, 2000 – flink die Masche im Netz, hier, hier, 9000, 12 400, 2000 – hier, hier, hier, hier 9000 – flink – – 12 400, 2000, – die Masche im Netz, du Narr! Er lacht erstickt. Es sind wahrhaftig viele Menschen da, sie machen Geschrei, sie fallen über ihn: du Narr! Narr! Narr! Er will auf. Da fühlt er sich ans Pult gedrückt wie genagelt. Die vielen, vielen Menschen. Das Marktgeschrei. Sie stoßen seinen Kopf nieder, sein Atem röchelt über das Buch, daß die Blätter rispeln, 9000, 12 400, 2000 –.
Hier!
Sitzt still, todstill. Das Geschrei flüchtet hinaus. Hinter ihm bleibt einer stehen, flüstert –. Der Mörtel rieselt in der Wand. Die Stille ist furchtbar. Und das Flüstern –.
Dann kriecht Theophile Servais auf, gebuckelt wie eine schleichende Katze, langt nach den Kontoheften in den Regalen ...
Sieht um sich, ob da hinter ihm noch einer steht, springt an die Türe, schließt. Steht und hält den Atem. Sein Mund klafft auf.
Dann geht er langsam ans Pult.
Die Regenschwaden fallen in die Scheiben. Eine tiefe, tiefe Traurigkeit wallt in den Raum.
Dann ist Theophile Servais ruhig und stark. Er wischt den Schweiß von der Stirne, sucht in den Rocktaschen nach Zigaretten.
Da klopft es.
Er huckt ein wie unter einem Schlag, sein Gesicht zerreißt, gehauchte Schreie, glasende Notblicke, steif tastende Arme, torkelt, würgt gräßlich gehauchte Schreie: wer ist da? wer ist da? klammert sich, klettert am Fenster hinauf, reißt es auf, er wird springen, er wird abspringen –. Da gähnt die Tiefe des Lichthofes. – »Wer da?«
Der Stift antwortet. Geworfen hängt der Mann übers Fenster, ruft den da draußen hohl an:
»Ihr sollt mich nicht stören.«
Da fällt der Abend in die große Traurigkeit. Aber die nassen Straßen flammen hell, und man sieht die müden Gesichter in der schlaftrunkenen Welt.
Als der Theophile Servais durchs Lokal kommt, steht Gelbstern bei Grünstern und Weißstern. Und alle Sterne sagen, der Theophile Servais werde sehr gelb und – enfin – sehr interessant.
Als der Theophile Servais heimkommt und sagt: »Ah Salut, Anne!« da kann Frau Anne nicht von ihrem Stuhle auf, spricht in bänglichem Erstaunen: »Du siehst sehr gelb aus, Theo.«
»– aber interessant,« vervollständigt er. »Eine japanische Haut, also modern. Unsere Probierdamen bis 48-Zentimeter-Taille entzücken sich.«
Frau Anne ist still neben ihm, sucht seine Hand scheu und bedrückt.
»Du brauchst nicht froh zu sein, armer Theo.«
Da holt er sie und die Kinder mit lauter Zärtlichkeit in die Arme. Aber gewiß ist er froh. Maison Hirsch ist mal honnet gewesen, zahlt ihm jetzt Prämien aus. Aber Diskretion, äußerste Diskretion. Man braucht die Ansprüche des übrigen Personals nicht mobil zu machen. Maison Hirsch erkennt, wie gesagt, endlich seine Arbeitsleistung an. Aber Anne, Anne, Diskretion!
Ihre Blicke stehen noch in todangstvoller Starrheit auf ihm.
»Wenn Maison Hirsch dir jetzt mal Urlaub –.« Er geht ärgerlich von ihr fort. Sie soll keinen Schwof reden. Jetzt muß er auf seinem Posten bleiben. Sagt's ihr fast roh:
»Du sollst froh sein, aber du bist's nicht!«
Da geht sie erschüttert. Er ruft ihr in die Küche nach, sie sei absolut zu tragisch, sie soll doch leichter sein. Doch springen die Kinder an ihn und sagen, daß sie froh sind. Die Frau kommt dann heran und schlägt ein Ei in Kognak und sagt gepreßt, er soll das nehmen.
»Ich bin nicht krank,« lehnt er heftig ab; »sei du froh, aber du bist's nicht.«
Da sinkt sie in großer Erschütterung an ihn.
»Nein, ich bin nicht froh!« In jäher Stille sitzen sie alle. Die Frau kämpft ihre Tränen zurück, aber da fährt der Mann in ergrimmtem Lachen los:
» Pleurs fort, pleurs fort! Es ist ja zum Totlachen. Ich bringe, was euch froh machen soll –.«
»Ja, o ja!« faßt sich die Frau, streicht ihr Haar zurück, streichelt ihm die erregt zitternde Hand. »Ich bin wahrhaftig nicht gescheit. Aber nimm das, gelt, nimm das,« hält ihm die Tasse an den Mund, »du mußt das nehmen.«
Er nimmt die Tasse, winkt heimlich der Frau, zieht am Ohrläppchen ihren Kopf zu sich her, flüstert:
»Willst du mal das Köfferchen beiseite nehmen –.« Er hat da etwas gebracht, etwas – na, sie möge, wie gesagt, das Köfferchen mal abseits nehmen. Und als sie im Laden verschwindet und die Kinder um ihn stehen und in seine Tasse gucken, führt er sie von einem Mündchen zum andern, und sie lecken und sie schlecken. Derweil die Frau in unsagbarer Rührung und heißer Freude vor den blitzenden Siebensachen des Köfferchens sitzt. Weihnachtssachen! Er will ihr Weihnacht machen, deutsche Weihnacht! Sie hat die langen Jahre darauf warten müssen. Lange Jahre in der Fremde ohne Weihnacht. Und nun soll der strahlende Baum werden, und Weihnacht! Weihnacht, deutsche, selige, fröhliche Weihnacht! O lieber, lieber Mann! Und zu ihm hin und entlastet sich in tieffrohem Aufjauchzen. Sie möchte jetzt, daß er still bei ihr sitzt und all das Glückliche über sie ausstrahlen lasse. Aber er hastet auf, er ist von lauter Hast getrieben. Er erzählt und baut Pläne. Man wird jetzt den Leuten von Courcelles zeigen, daß man sich von ihnen kein Horn auf die Nase setzen läßt. Er wird das Geschäft verkaufen und sich in Brüssel zu etablieren versuchen. Er wird Kundschaft bereisen für einen billigen Spezialartikel auf eigene Rechnung, auch Kommissionen für andere Firmen übernehmen, wird Gelegenheiten und Konjunkturen ausnutzen, er will eigenen Boden unter die Füße bekommen, will nicht mehr für andere goldene Zahlen bauen – Hält jäh inne und sagt, daß er müde sei, daß er sich umkleiden wolle. Im Davongehen sagt er noch: »Und in Brüssel ist auch ein besseres Fortkommen für unsere Kinder. Wenn Hyacinth mal das Collège besucht –.« Nickt bedeutsam und schließt schnell die Türe. In der Stube bleibt der Nachhall seiner Worte zurück. Laute, aufgepeitschte Worte, die unruhig machen. Wenn die Frau still und mahnend um ihn sein will, wird er gereizt und unwirsch. Dann denkt sie, wie sie ihn pflegen will, wenn sie nun nach Brüssel gehen. Der arme Mann, der mit den Blutstropfen seiner Kraft die Zukunft seiner Kinder bauen will. Da nimmt die Frau die Kinder, sieht sie lange und innig an. Ob sie je wissen werden, wieviel er für sie tat? Und ist bedrückt, daß sie so wenig, ach Gott, so herzlich wenig tun kann. – Wenn nun die herbstdämmerigen Tage werden, sitzt Frau Anne, und an ihrem Schoß lehnen die Kindlein. Erzählt von der deutschen Weihnacht. Ein Baum wächst tief im Schnee. Flöckchen tanzen um ihn wie Sterne, viele, viele blitzblanke Sternchen, die in den Lüften gaukeln zur Nacht, da das Kindlein geboren ist im Stalle. Und in jedem der vielvielen blitzblank wirbelnden Sterne hängt ein Glöckchen bimbimbim. Und das klingt und singt und wirbelt in den Lüften zur heiligen Nacht und fällt auf das Bäumchen nieder und bleibt da hängen. Über und über voll Sterne, das Bäumchen blitzt und leuchtet tief in der verschneiten Welt. Und dann steigt Christkind hernieder aus den Wolken und trägt das glitzernde, klingende Bäumchen aus deutschen Landen her vors Fenster in Courcelles-Centre an der Pumpe. Ja, und wenn's dann zur heiligen Nacht vor dem Fenster in Courcelles-Centre an der Pumpe macht: klinglingling! dann steht das Christkind da und hats Bäumchen –
»– und bringt was mit,« sagt Hyacinth.
»Und bringt was mit,« nickt Frau Anne mit geheimnisvollen Zeichen.
»Was?« hauchen die Kinder in strahlender Neugier.
»St!« raunt Frau Anne, »man darf das nicht wissen.«
»St!« raunt auch die Stimme durchs Haus. »St!« Und in der Glut im Ofen: »St!« Und aus den dunklen Ecken und Verstecken »St! St!« Als ob da jemand umging, ganz heimlich.
Da wollen sie das liebe Lied vom armen kleinen Jesulein singen. Da läßt die Frau die Kinder singen und singt nicht mit. Und geht getrieben im Hause umher, als müsse sie da etwas suchen. Vielleicht die dumpfraunende Stimme da irgendwo ... Und als sie droben in der Schlafstube ist, schellt es drunten. Nicht frisch und hell, sondern als werde die Türe schwach und zögernd aufgedrückt. Und jemand komme gebückt herein. Und sitze da nieder. Da, auf den schnell hingeschobenen Stuhl. Sie ruft hinab, wer das sei. Die Kinder geben keine Antwort. Hören Sie nicht? Sie will noch rufen, ist aber geworfen die Treppe hinunter in die Stube.
Da sitzt jemand, der wahrscheinlich gebückt und stumm zur Türe hereinkam – sitzt da auf dem hingeschobenen Stuhle an der Türe. Die Kinder in scheuem Erschrockensein weit von ihm, stehen und starren.
Da tritt die Frau schnell herein.
»Theo!?«
Er macht eine abwehrende Armbewegung nach ihr. »Ich bin krank – mein früheres Leiden –.«
Sie ist schon bei ihm. Die Angstschreie würgt sie hinunter, sie gellen in sie hinein, hämmern sie todruhig.
»Komm zu Bett.«
Auf Fußspitzen schleichen die Kinder nach.
Als er liegt, löst sich das Krampfzerren in seinem Gesicht. Im Behagen des plötzlichen Wohlseins spricht er:
»Das kam mir plötzlich, so arg schlimm kam's, da sagte ich dem Chef, daß ich wegen dem Geschäft hierher müßte. Ich sagte nicht, daß ich krank sei.«
Sie spricht ihm in stiller Erschütterung nach: »Du sagtest nicht, daß du krank bist.«
Er schreit fast heraus: »Nein! Ich bleib doch bloß über Sonntag –.«
»Ich will dir die Kinder holen,« sagt sie gut.
Trippelchen sagt, sie muß zu Papa ins Bett. Hyacinth steht neben dem Bette auf dem Stuhl, fragt:
»Wohin ist die mère?«
»Ah, im Haus irgendwo, mein kleiner Alter.«
»Nein, Papa, sie ist fort.«
Trippelchen deckt ihm mit beiden Händen die Augen zu: »Schlaf mal ein.« Macht ihre Stimme fein: »Klinglingling, Christkind ist da, wach auf, wach auf, cher petit papa.«
Dann knarrt in das feine Läuten der Kinderstimme die Türe und Frau Anne kommt herein und dicht ans Bett.
»Lieber Theo, ich denke, der Doktor Tirlo muß kommen und da mal sehen, –.«
»Niemals!« Die plötzliche Erregung wirft ihn im Bette auf. »Niemals! Ich darf – ich mag keinen Arzt.« »Da ist er schon,« sagt gefaßt die Frau, denn der Doktor Tirlo stapft etwas grob durch die Türe, macht keine Umstände, sagt: Kinder raus!
Als die Uhr in der Stube die volle Stunde im Nachmittag schlägt, wäscht Doktor Tirlo sich die Hände. Hat die Manschetten abgestrippt und neben sich auf den Waschtisch gestülpt, spricht zwischendurch. » Eh bien also keine Sache von Belang. Vor acht Jahren haben Sie dasselbe gehabt, nicht wahr?« stülpt die Manschetten an. »Nun, heute haben Sie's wieder, c'est tout.« Langt Theophile eine Zigarette hin. »Können Sie machen.« Die Frau sieht ihn an von heller Freude übergossen. »Man hat ihn damals mit Leinsamenkompressen –.« »Machen wir nicht mehr.« Steht jetzt breit vor dem Bette, die Hände auf dem Rücken. »Wir schneiden jetzt ein bißchen und die Chose ist endgültig in Ordnung.« Niemand spricht mehr. Eine tote Stille drei Atemzüge lang. Mit stammelnder Zunge sagt wirr die Frau:
»Wenn wir doch noch mal – Leinsamen –.«
»Hat's geholfen? Nein. Also?«
Da krampft sich etwas an seinen Ärmel, die Hand des Mannes, er hebt sich an dem Arzt empor, haucht ihn mit gurgelnd erstickter Stimme an:
»Ich darf nicht – ich stehe auf, ich stehe auf! – Ich muß –!«
»Sie können ja nicht,« sagt Doktor Tirlo trocken, streift ihn ab, drückt ihn in die Kissen zurück. Da liegt der Mann still wie zerbrochen. »Sie können ja nicht.« Ohne Pathos, kalt und unerbittlich. Er hat nicht mehr den Willen, sich zu wehren. Es kümmert ihn nicht mehr, was sie noch sprechen.
»Wann?« fragt die Frau und es könnte fern, ganz fernher sein. Der Doktor sucht nach seinem Hut.
»Heute. Gleich. Warum denn warten? Bien, also stehen Sie auf und kommen zum Krankenhaus. Morgen legen wir Sie ein bißchen hin und in einer Viertelstunde ist's gemacht.« Schwenkt leicht den Hut »Madame, Monsieur«. Die Türe knarrt zu.
Frau Anne steht im Zimmer wie da irgendwo hineingestellt und als müsse man nun kommen, um sie abzurufen. So fremd und unglaublich kommt das Plötzliche über sie. Dann schreckt sie vom Bette her das dumpfgezischte Lachen. Als sie dahineilt, sieht sie des Mannes starre bohrende Blicke auf sich.
»Du scheinst sehr gefaßt.«
Da setzt sie sich. Wie niedergestoßen von der großen Last, die er immer auf sie geworfen. Was will er denn nun von ihr? Daß sie wie ein tobendes Kind ihr Leid hinausschreien, selbstsüchtig, fassungslos ihn mit lamentablen Zärtlichkeiten überschütten soll? Und vielleicht denkt er, so wie die Frau seines Landes es tun würde – –. Ach Gott, ist er so leer, daß ihn das Äußerliche füllen muß! Wendet langsam ihr Gesicht nach ihm. Da sieht sie ihn mit geschlossenen Augen liegen. Der schmale Kopf, das schwarze Bärtchen in dem fahlgelben Gesicht. – das fremde Blut – es ist nun doch so: über das heimliche, versteckte, böslauernde Fremde sind sie nie hinausgekommen. Ihre Hand tastet nach seiner Stirne, bleibt da liegen in warmer Innigkeit. Und langsam und schwer sinkt ihr Gesicht darauf. Einmal, nur einmal ihm zeigen zu können, was ihre Seele vermag. Die Seele der Fremden.
Er liegt stumm und hört ihr Flüstern.
Als die Uhr in der Stube die volle Stunde im Abend schlägt, ist das Bett leer.
Als das Licht in der Stube noch in der Nacht brennt, tippt die alte Rebekka ans Fenster. Da weiß Frau Anne, daß die alte Rebekka wach geblieben ist. Warum ist die alte Rebekka wach geblieben?
»Meiner Treu, er hat sich vielleicht ein bißchen überhoben, der arme Theophile.«
Warum und wieso? Die Alte dreht die Blicke, macht ein barmherziges und wissendes Gesicht. Ja, guter Gott, er hat in letzter Zeit Auslagen gemacht, der Theophile, er hat noble Weine getrunken, er hat auch der Philine mal ein Souper regaliert, ja, und so wie der Theophile immer gern generös war –. Da sagt Frau Anne, daß sie sehr müde sei.
Am Mittag ist das geschehen. Doktor Tirlo sagt: gut.
Dann darf Theophile Servais die Frau sehen, doch nicht die Kinder. Er sagt: »Ich habe so große Sehnsucht nach ihnen.«
Am Sonntag soll er sie sehen. Am Sonntag sagt er: »Ich will sie nicht sehen.« Die Hast in ihm erstickt ihn. Er sagt der Frau, daß sie zur Maison Hirsch reisen und melden soll, er sei auf eine Woche verhindert – durch irgend etwas – sie soll was ersinnen – nicht, daß er krank ist –.
Sagt die Frau still: »Die alte Rebekka weiß es.«
Er liegt jäh stumm und ist von Zittern geschüttelt. In tiefer Mutlosigkeit erschlafft sein Gesicht.
»Man kann dir doch für eine Zeit einen Vertreter stellen.«
Da liegt er noch stumm.
Als die Frau dann heim muß zu den Kindern, hält er sie.
»Was sagt die Rebekka?«
Sie denkt nun, daß sie ihm das sagen muß.
»Sie meint, du hast dich überhoben, durch noble Auslagen –.« Nein, nein, sie wird die Zähne zusammenbeißen und ihm das nicht sagen. Sein Gesicht wird düster und fahl.
»Ich mußte das –.« Packt sie jäh, »ich mußte das! Ich mußte trinken!« Lallt ein schwaches schmerzhaftes Lachen, macht abwehrende Bewegungen, man soll ihn still, ganz still lassen. Da beugt sich die Frau leise über ihn, küßt seine fahle Hand, geht auf Fußspitzen hinaus.
Als die Frau an ihr Haus kommt, hallen die singenden Kinderstimmen der Stube:
Christkindlein klingelingeling
Christkindlein kling.
Auf dem Tische liegt ein Brief der Maison Hirsch. Sie fragen an, ob die Erkrankung ernstlich sei, sie müßten dann einen Vertreter suchen.
Den Brief legt Frau Anne auf den Tisch zurück, geht ihrer Arbeit nach. Doch kommt sie an dem Briefe vorbei, so hat sie ein heimliches Erschrecken. Da legt sie ihn in die Schublade. Und geht gejagt im Haus. Sie fürchtet sich, an den Brief zu denken. Sie weiß nicht warum. Sie fühlt nur, daß der Brief wie eine Wolke auf's Haus fiel.
Dann schreibt sie der Maison Hirsch, daß ihr Mann ernstlich krank sei. Zerreißt den Brief der Maison Hirsch und denkt, daß sie nun ruhig ist.
Klinglingling singen die Kindlein im Haus.
Da steht ein Gesicht in den Scheiben, nickt, winkt der Frau. Sie möge mal herauskommen. Die Frau bleibt inmitten der Stube stehen. Es ist ihr, sie müsse da in der Stube bleiben, sie dürfe keinen Schritt hinausgehen, denn draußen harre etwas. Was? Etwas, das grau und hämisch und entsetzlich aussieht, wie die alte Rebekka. Ach Gott, ach Gott, jetzt ist eine so große Furcht in ihr, ungewiß und hinterhältisch, lieber Gott, was ist denn nur?
» Mère,« fragt Hyacinth, und stellt sich in ihren Weg, » fliegts denn, das Christkind?«
»Wart'.« Schiebt ihn beiseite. »Ich bin gleich wieder da,« möchte sie sagen, aber da schreckt ihr etwas in die Worte. Als könne sie nicht sagen: »bin gleich wieder da,« als müsse sie Abschied nehmen, und das alles sei sehr, sehr verändert, wenn sie nun wiederkomme.
Draußen wartet Rebekka.
Ihr Mund zerkaut raspelnde Worte. Als sie geendet hat, steht noch die Frau, sieht starr die Alte an, wartet noch, wartet, alte Rebekka, was redet sie denn?
Sagt die Alte unwirsch: »Die Philine schreibt mir doch, daß der Haftbefehl schon erlassen ist. Meiner Treu, ich meine es gut.«
»Nein,« sagt da die Frau in kindhafter Hilflosigkeit, »nein, nicht wahr?!« Und in leisem, verängstigtem Wimmern: »Warum könnt' man den Theophile denn verhaften? –« Sieht da in das sehr verwunderte Gesicht Rebekkas, sagt kein Wort mehr und tastet hinein zu ihren Kindern.
»Ja, mère, fliegts denn, das Christkind?« beharrt noch Hyacinth. Ein Frostzittern schüttelt sie bis in die Zähne hinauf. Ja, ja, nickt sie, lächelt verzerrt, wischt hastig die rollenden Tränen aus dem Gesicht, ja, ja, das Christkind fliegt, ja, o ja. Lacht gell auf, ja, ja! Reißt den Knaben empor, preßt ihn, stößt ihn an sich, ihr Gesicht in seinem Haar, ja, o ja, das Christkind fliegt! das Christkind fliegt!! Lacht, lacht, lacht ein wahnsinniges Weinen. Bricht mit dem Knaben zusammen. Langgestreckt auf dem Boden, das Kind neben ihr. In tödlichem Erschrecken schluchzen die Kinder ersticktes Angstrufen.
Und weinen in die Nacht.
Im Schoße der Frau schlafen sie ein. Der Morgen dämmert in grauer Verdrossenheit und hat keine Farben. Die Geräusche erwachen fern.
Die Atemzüge der Kinder wehen an die Brust der Frau. Was er tat, der Mann, für diese tat er's.
Langsam, weich hebt sie die Kinder empor, trägt sie in die Kammer. Sie lallen schlaftrunkene Rufe: Mère ... Papa ... Und schlafen weiter. Für diese tat ers.
So will auch sie für diese tun. ...
Sie kleidet sich sorgfältig an. Sitzt vor der Wanduhr und wartet. Als sie neun Uhr voll schlägt, steht die Frau auf und geht. Das Tor zum Krankenhaus ist offen. Sie will den Theophile Servais sehen.
Er hört ihre Stimme im Korridor und öffnete schon die Türe. Er ist freudig, er sagt, daß er demnächst entlassen wird. Da drückt sie die Türe zu, fest zu, sieht sich im Zimmer um.
»Es kommt doch niemand?«
»Der Doktor Tirlo, um zehn Uhr.«
»Eine halbe Stunde,« flüstert sie, nimmt ihn beim Arm, drängt ihn weiter. »Ich muß dir da 'was sagen, eine halbe Stunde ist kurz, sei du jetzt stark, in einer halben Stunde muß das gemacht sein, sei du stark! –«
Da fragt er in ihr atemstoßendes Sprechen: »Was hast du zu sagen?«
Sie steht vor ihm, sie sieht ihn an, sie greift nach seiner schlaffhängenden Hand.
» Du weißt es.«
Er krampft sich gewaltsam auf, steht und wankt nicht. »Ich weiß nichts!«
Sie sieht ihn noch an. In ihr Gesicht fließt das heiße Mitleid, sie drückt seine Hand fester, sie sagt's ihm gut und wissend und fest:
»Du tatst es doch für die Kinder.«
Er will sich noch wehren, da nimmt die absolute Gewißheit ihrer Worte ihm den Willen dazu. Klar, unerbittlich wie die Wahrheit steht sie vor ihm. Ihre Hand hält ihn, stützt ihn, die feste Hand, der eiserne Druck, er darf nicht wanken! Die Minuten jagen. Sie berichtet schnell, was geschehen. Was nun geschehen muß! Fliehen, ehe der Haftbefehl da ist. Fliehen? Wie kann er? Man entläßt ihn nicht, er ist noch krank. »Ich muß mit Doktor Tirlo sprechen,« flüsterte sie, raunt sie, hastet sie, »zwei Stunden muß er dir freigeben. In zwei Stunden muß das geschehen sein. Die französische Grenze – Seht! Kommt er nicht?«
»Ich bin noch elend, ich werde nicht weiter kommen,« knirscht er stöhnend.
Da sagt sie etwas. Etwas Fürchterliches sagt sie. » Du mußt!«
Und dann ist die große blitzhafte Klarheit in ihr: sie denkt nicht an den Mann! Sie denkt an die Kinder! An ihre Ehre!
Und daß sie beide nun das Große und Kühne um der Kinder willen wagen müssen.
Jetzt sitzen sie nebeneinander und warten. Die Uhr schlägt zehn und sie warten.
Sie läßt seine Hand, denn Schritte nahen der Türe.
Sie steht auf. Doktor Tirlo stapft herein, sieht verwundert auf. Da bleibt sie neben dem Manne wie angewurzelt, wirft hastige Worte, überstürzt sich, macht heitere Miene, sagt, sie wolle mit dem Manne, der nun genese, ein bißchen zur Weihnacht einkaufen, zwei Stunden, Herr Doktor, wenn sie bitten darf, zwei Stunden. Spricht noch so, spricht in Hast und Notsorge, bis sie dann beklommen und still und atemlos harrt, denn Doktor Tirlo hört zu, schweigt, schweigt lange, sagt dann kurz: »Ich werde Ihnen Bescheid sagen lassen, Madame.« Sein Blick bohrt nach ihr, nach dem Manne hin. Dann untersucht er eingehend. Dann geht er ohne ein weiteres Wort. Man hört seine Schritte im Gang. Er ruft einen Herrn an. Eine Tür wird geöffnet, geschlossen. Stille. Zwei Menschen in der Todeinsamkeit der Krankenzelle atmen nicht mehr.
Die Männer eifern im leisen Gespräch: »Der Haftbefehl ist da, wir dürfen den Mann nicht freilassen.«
»Fluchtgefahr ausgeschlossen. Die Wunde ist noch nicht ausgeheilt.«
»Wenn wir bürgen können?«
»Wir können es.«
»Bin also dafür, lassen wir den armen Kerl noch 'n bißchen für seine Kinder sorgen.«
Man schickt den Wärter, man läßt sagen: Zwei Stunden, nicht länger.
»Zwei Stunden, nicht länger,« wiederholt die Frau. Faßt dem Mann unterm Arm. Als sie durch den Gang schürfen, denken sie angstvoll, daß einer an der Haustüre steht und den Arm nach ihnen reckt. Als sie in der Luft draußen stehen, ist der Mann wie betäubt. Da preßt sie seine Hand, ihre wilde Energie stößt in ihn. Als sie durch die Straßen gehen, fürchten sie, daß alle Leute wissen, was sie nun tun wollen. Dann stehen sie vor dem Hause.
»Bleib' im Hausflur,« flüstert sie, drückt die Haustüre halb zurück, damit er in der verschatteten Ecke stehe. Haucht noch erstickte Worte: »Es ist besser, du siehst die Kinder nicht.« Und ist leise fort. Sie wird ihm den Überzieher und Geld bringen, sie wird ihm einiges in die Taschen packen –
Der Mann in der verschatteten Ecke. Die Schultern hoch gezogen. Sein Atem verhalten. Draußen geht ein Mensch vorüber und pfeift. Ein Luftzug bewegt die Türe, sie knarrt. Der Tag leuchtet fahl. Kommt da jemand? – Nein. Der Wind raschelt. Im Nebenhause hallen Stimmen. Es kommt doch jemand –. Wenn jemand kommt –. Barmherziger Gott! wenn jemand kommt, er springt ihm an den Hals, er wird ihn morden, er ist ein Dieb, jetzt wird er ein Mörder, wenn jemand kommt! Ein Geräusch. Wo? Im Haus? Ja. Droben. Ein Stimmchen, ein dünnes. Helles Plappern, kindfroh einfältig und süß. Der Mann krampft die Hände, fest krampft er sie, krampft auch die Lippen aufeinander, fest krampft er sie. Er will hier stehen, er muß.
Droben rafft die Frau aus dem Schranke, will eilig hinaus. Da drückt der Mann die Kammertüre auf. Sieht die Kinder spielend im Bette.
»Ich kann nicht!« brüllt er auf, stürzt herein, wirft sich übers Bett, fängt die Kinder mit pressenden Armen auf, küßt ihre Händchen, ihr Gesicht, stöhnt verzweifelt.
»Komm!« drängt die Frau fast hart, packt ihn am Arm. Da hängt er in bitterlichem Schluchzen über dem Bett, weint mutlos, kraftlos, elend, zerschlagen.
»Komm!« sagt die Frau, zwingt ihn, führt ihn hinaus.
» Pleurs fort!« ruft Trippelchen.
Die Türen klappern im Haus.
Dann hört man nichts mehr. Dann ist das Haus tot.
Die Sonne flammt auf. Ein peinvoll fahles Gelb über dem traurigen Land.
Sie wandern durchs traurige Land. Auf versteckten Wegen schleichen sie. Auf der nächsten kleinen Station wird er den Zug nehmen. Sie wird warten am Wald. Er wird bei dem Onkel in Frankreich sich versteckt halten. Man wird dann sehen, was zu tun ist.
»Kannst du noch weiter?« fragt die Frau.
»Wie weit ist noch der Weg?«
»Wenn wir etwas niedersitzen könnten.«
»Der Zug geht 12,52.«
»Gehen wir weiter.«
Sie gehen. Er läßt ihren Arm los, er wird dann freier und vielleicht schneller gehen. Bellt da ein Hund? Es scheint fast. Die Landstraße läuft weit. Der Hund kommt daher in rasenden Sprüngen. Ob sie den Hund kennt? Sie sehen sich in jähem Entsetzen an. Der Hund des Metzgers Marmotte. Ein Schatten fern im Dunst. Wenn der Metzger Marmotte jetzt daherkommt –
»Kannst du über den Graben springen?« keucht die Frau. Er nickt, sie zieht ihn nach sich, er springt, dann fällt er nieder. Der Hund kommt in Sprüngen.
»Steh auf! Komm!« fleht sie ihn an. Er kann nicht, er haucht gräßliche Worte der Angst, des Entsetzens. Da schleift sie ihn den Abhang hinunter in den Wiesengrund, der tief im Tale über Weidplätze führt. Droben bellt der Hund. Schritte stapfen vorüber. Da eilt der Hund nach.
»Komm!« sagt wieder die Frau. Es fällt wie Peitschenschläge auf ihn. Er geht gebückt. Er schürft die Beine nach.
»Du kannst nicht mehr; ich will dich tragen.«
»Nein, nein.«
Sie stützt ihn unterm Arm. Sie weist nach der dunklen Höhe jenseits der Weiden. Der Wald! Er nickt und geht. Leise ächzt er.
»Ich will dich tragen,« ist das Wispern der Frau an seinem Gesicht.
»Nein, nein!« Da bricht er zusammen.
Sie ist über ihm. Sie ruft ihn an.
»Ich kann nicht mehr,« klagt er schlaff.
Da sagt's die Frau unerbittlich, in Verzweiflung und Wahnsinn sagt sie es:
»Du mußt!«
Zwängt ihre Arme unter ihn, zwingt ihn auf. Er wehrt sich nicht mehr. Sie lädt ihn auf den Rücken, sie knickt ein unter der Last, schwankt. Und hoch auf ist sie wieder. Sie will es! Sie muß es! Das Blut staut in ihrem Gesichte. Schwer und schlaff liegt der Mann auf ihr. Sie geht schweigend. Aber ihre Gedanken lohen Worte gläubiger Inbrunst. Gott mein Gott, hilf, Gott, mach mich stark, lieber Gott, barmherziger Gott – für die Kinder ...
»Theo!« ruft sie leise. Horcht. Horcht entsetzt. Atmet er? Theo!
Da drückt er ihre Schulter, aber antwortet nicht. Sie geht. Sie schwankt. Der gefrorene Boden klafft trocken. Es geht sich schwer. Gott, lieber Gott, barmherziger Gott ...
Dann steht der Wald gewaltig und feierlich da.
»Der Wald!« ruft sie über die Schulter zurück.
Da spürt sie, daß er den Kopf hebt. Sie steht still, läßt ihn niedergleiten.
»Wie ist dir jetzt?«
»Ich habe Schmerzen, aber ich werde den Weg machen können.«
Sie pressen sich die Hände. Sie sagen nichts mehr. Sie denken nicht mehr an sich.
Dann geht er langsam weiter. Sie steht am Wald, bis er untertaucht zwischen den Bäumen der Landstraße. Sie wird noch warten, bis der Zug an den Wiesen vorüberfährt. Vielleicht wird der Mann noch grüßen. Fern wogt der Dampf. Der Zug schnauft durchs Wiesengelände. Da winkt von weitem die Frau. Der Mann sitzt starr und unbeweglich am Fenster.
Die Bremsen knirschen. Der Zug rast in die Station ein. Da sitzt noch der starre Mann am Fenster. Als sie die Türe öffnen, fällt er um.
Sie tragen den fremden toten Mann in die Leichenschaukammer der Stadt. Und die Zeitungen erzählen davon.
* * *
Als das Christkind leise aus deutschen Landen dahinflog vor das Haus in Courcelles-Centre an der Pumpe, da kauerten die zwei Kindlein verschüchtert hinterm Ofen. Sie sahen eine junge Frau mit weißem Haar hereinkommen.