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Sein Kind.
Novelle von Edith Gräfin Salburg

1

Wie das sonderbar war, daß nun die Mutter fehlte in dem großen Kreis dieser Familie, deren jüngster Sohn erst sechs und deren älteste Tochter fünfzehn Jahre alt war. Diese Mutter, der leuchtende Mittelpunkt des engen und strengen Familienlebens, von der alle Farbe, alle Freude ausgegangen war, der gedrückten Menschen. Eine junge, hübsche und fröhliche Frau. Sie war ihnen nicht gestorben. Sie war fortgegangen. Im Mittag ihres Lebens, wo die inneren Flammen heißer aufglühen, war sie nach langen Kämpfen gegangen in ein ganz neues Dasein hinaus, in eine neue Ehe.

Von den Kindern hatte nur Martha, die älteste, genau gewußt, wie unglücklich diese Mutter durch Jahre in den engen Verhältnissen an der Seite des Vaters gewesen war, des strengen, äußerlich nüchternen, wortarmen Mannes, der die kleinen Lebensfreuden und Zierden nicht geben noch verstehen konnte. Sie aber glich einer reifenden Frucht, diese Frau, die gebieterisch durch welkendes Laub der Sonne entgegendrängt, einerlei, ob sie Blätter fallen macht in ihrem Drängen. Sie gehörte zu den gefährlich egoistischen Naturen, die übel erscheinen und denen man recht gibt in ihrem Unrecht – solange man in ihrem Banne steht.

Das hatte selbst der Vater endlich getan, der Gymnasiallehrer war, ein herber, harter Mensch der Form nach. Er rang sich jahrelang wund im Kampf um etwas. Vielleicht um die innere Wesenheit dieser Frau, die seinen Händen stets entglitten war. Er knechtete und drohte. Er warb in seiner Weise. Er siegte nicht. Die Jahre brachten nichts. Sie reifte nicht und wurde nie die Gefährtin an seiner Seite. Ein Kind unter ihren Kindern stand sie immer da. Sie fürchtete ihn, und es kam ihr nicht darauf an, ihn zu täuschen, damit ein Verdruß wegbleibe. Die Kinder lernten von ihr. Sie beteten sie an und bangten vor dem Vater, dessen Charakter klar und scharf umrissen sich niemals zu Kompromissen herabließ. Er fühlte die Frau zwischen sich und seiner Kinderwelt mit einer dumpfen, machtlosen Verzweiflung, der er in seiner Unbeholfenheit keine Worte zu leihen vermochte. Und in seinen Augen las sie nie. Ihr glänzender Blick schweifte immer nur hinaus, weg über die Enge ihres eigenen Lebens. Er suchte – ohne es zu wissen, suchte er. Es war keine, gar keine Befriedigung, keinerlei Erfüllung in ihrem Dasein, denn eine Frau kann oftmals Mutter werden, ohne auch nur einmal Mutter zu sein. Das alles entging den jungen Kindern natürlich, die mehr in der Schule als daheim lebten. Nur Martha, die dem Vater glich, spürte von früher Jugend an, unbewußt dem dunklen Drucke nach, im Vaterhause. Sie streckte sich, ein kümmerndes Pflänzchen, an kalter Wand der Sonne entgegen. Nicht jener Glut, die die Mutter suchte. Einem anderen sanft wärmenden, inneren Licht. Martha war nicht hübsch und nicht der Mutter Liebling. Sie hatte des Vaters schmales Charaktergesicht, seinen klaren Blick, sein zielbewußtes Wesen, die kleinste Lüge war ihr unmöglich. Dennoch hatte auch sie die Mutter angebetet. Kritiklos, beinahe scheu, bis zum letzten Tag.

Und als diese ging, wirklich ging, war es Martha gewesen, die ihr plötzlich noch an der Haustüre den Weg verstellte, die bettelte, schrie, die jammervoll weinend zusammenbrach. Beinahe über sie hinweg war die Frau aus der Türe gegangen – sie weinte auch, leidenschaftlich und heftig. Sie schluchzte: »Verzeih mir.« Aber sie ging.

2.

In der qualvollsten Angst um den Vater war Martha hinübergekommen über die ersten Stunden in dem totenstillen Haus. Die Kinder waren fort bei Verwandten. Sie sollten es erst später, erst allmählich erfahren, daß etwas fehlte von heute ab, in ihrer Jugend ... die Bedienung hatte man weggeschickt und erwartete neue, fremde Leute.

Vor dem Zimmer, in das sich der Lehrer eingeschlossen hatte, stand Martha, an die Türe gelehnt, in schrecklicher Furcht zitternd. Sie suchte sich auszumalen, was sie täte an seiner Stelle. In sein geheimstes Fühlen stahl sich das arme Kind, fiebernd vor Angst und Mitempfinden. Er würde sich nicht erschießen, weil er fromm war. Er hatte Kinder und Pflichten, die ließ er nicht. Sie ahnte auch, daß er sich selber entsetzlich anklagte ganz ohne Mitleid, selbstquälerisch, daß er den Schwerfälligkeiten und Härten der eigenen Natur zähneknirschend fluchte und daß er da noch verzweifelnd liebte, wo er nicht verzeihen konnte.

Das ahnte sie alles, sie, die selbst noch nichts erlebt hatte, die erst an der Pforte des Daseins stand.

Wie traurig ihr Frühling war! – Aber das kam ihr jetzt nicht zu Sinn, »Vater, mach' auf! Lieber, lieber Vater! – Ich bin es nur. Martha, – Vater, mach' auf.« Und da es still blieb – »Wir brauchen dich, Vater. Wir, die Kinder.« – –

Da öffnete er seine Tür. – Sie standen einander gegenüber, scheu und düster. Die Tochter wagte kein Wort. Der Vater fand lange keins. »Was willst du?« sagte er endlich. »Was gibt's? Was braucht ihr?«

Es war seine alte Art. Dies erlöste sie mal. Sie redeten ohne Überlegung von Geschäften, vom Alltag, von notwendigen Dingen. Wie es jetzt werden müßte im Haus. Martha fragte, der Lehrer gab seine Befehle. Er sah sie lange nicht an dabei. Auch auf die Stöße von Heften blickte er nicht, mit denen seine Hand mechanisch spielte.

In pedantischen Worten der alten Art redete er zu seiner Tochter, wie er sonst zu seiner Frau geredet hatte. »Das ist notwendig. – So mußt du es machen. – Um das bekümmere dich.« Seine Frau, sie war weder ordentlich noch fleißig gewesen, noch verständnisvoll für den Rahmen, in den ihr Geschick gebannt war.

Meist hatte sie kaum hingehört, besonders zuletzt – das war er gewohnt – hatte er endlich resigniert ertragen.

Aber jetzt – er bemerkte es plötzlich – sahen ihn zwei junge Augen mit brennendem Ernst und hingebendstem Wollen an. Braune Augen, wie die der Frau, nur verschleiert – und tiefer, viel tiefer. Ihm stockte das knappe Wort. Er atmete rasch, heftig, griff sich an die Stirne mit heißen Händen. Er wollte abbrechen. Aber sie ließ ihn nicht. Sie redete, fragte atemlos, an den Vater, den Lehrer und Führer appellierend, die Worte suchend und findend, die an sein Herz klopften, ihm hinüberhelfen wollten aus der Verzweiflung ins Leben zurück. – Sie riß ihn mit.

Nur ein Kind war sie, aber sein Kind. Es ward ihm offenbar in dieser Stunde. Liebe warb um ihn – Liebe lauschte ihm. Engelshände griffen nach ihm, seinen wankenden Schritt zu stützen.

Zum erstenmal empfand er es in den Tiefen seines wunden Herzens. Nicht unser, nicht ihr – mein Kind. Das Leben nimmt und – gibt.

3.

Dann lebten sie weiter und kein Tag ging hin, kein Fest ward gefeiert, an dem die Kinder nicht fragten: Wo ist die Mutter? Martha bekam es sehr schwer. Aus liebgewordenen Studien herausgerissen, wurde sie Hausfrau, Mutter, Erzieherin, für alles verantwortlich. Unbotmäßig bäumte sich die heimlich verzogene Schar auf gegen den neuen Ton im Hause und wollte sich lange der Schwester nicht fügen, die Frau war fort, aber ihr Wesen vibrierte in den Kindern nach. Vieles fehlte ihnen, mußte nachgeholt werden. – Sie erzogen Martha und Martha erzog sie. Oft war es ein zäher Kampf, den sie dem Vater erschwerte. Er stählte sie aber, er nahm ihr die zarte, fröhlich und träumerisch ahnungsvolle Jungmädchenzeit. Sie arbeitete – oft danklos – unberaten, blieb geistig zurück, erschöpfte sich körperlich, oft weinte sie. Sie sah den Vater mager und weiß werden. Seine Natur war so treu als schwer. Er kam nicht hinweg – niemals. Nach wie vor fühlte er, daß außer Martha die Kinder noch immer Kinder der Frau waren, nicht seine Kinder. Sie liebten die Frau, schrieben ihr, sehnten sich nach ihr.

Die Buben hatten es aus der Schule heimgebracht.

»Wir sind jetzt geschieden, die Mutter hat wieder geheiratet.«

»Wie komisch. Wann kommt sie zurück? Wann gehen wir zu ihr – sie besuchen?«

Es gab kein Aufgeben. Sie blieben die Kinder – sie blieb die Mutter – der Kontakt bestand. –

Sie lebte eine Tagereise weit, auf dem Gute ihres zweiten Mannes, angesehen und sehr heiter. Sie war sozial hinaufgekommen. Gutmütig war sie auch. Als die heißen Sommertage kamen und über der kleinen, schattenlosen Stadt brüteten, lud sie ihre Kinder erster Ehe alle zu sich aufs Land. Sie schrieb ihrem gewesenen Mann darüber, unbefangen, ein wenig flüchtig, als ob sie das Natürlichste von der Welt verlange. Auch jedem der Kinder schrieb sie. – Der Lehrer wurde leichenblaß, als er ihre Handschrift sah und schloß sich ein mit dem Briefe. – Es dämmerte schon, als er Martha zu sich rief.

»Eure Mutter ladet euch auf zwei Wochen ein. – Ihr könnt gehen,« sagte er heiser, ohne die Tochter anzusehen.

»Ich – möchte nicht, Vater!« »Du mußt mit – als Aufsicht. Es ist notwendig.«

»So lasse uns alle hier.« »Ich nehme ihnen nicht, was ihnen von ihrer Mutter noch blieb. Geht, ich will es.«

Er wandte sich dem Fenster zu und sah hinaus in die Nacht.

4.

Die Kinder arteten aus auf dem Gute. Das Leben war lustig, laut und doch leer. Martha hatte Heimweh nach den stillen Stuben. Ihr wurde der Besuch zur Qual. Der Mann, der Hausherr, erschien so jung neben der Mutter, und sie zum erstenmal verbraucht, unausgeglichen, fieberhaft.

Oberflächlich war alles, der Verkehr zwischen den Gatten, das Treiben im Hause, geregelt und geordnet nichts.

Die Mutter war lauter und auffallender geworden, sie tollte mit den Kindern, vergaß sie dann, fuhr fort – kam wieder, alles planlos, wie es ihr eben einfiel. Der Haushalt war groß und unordentlich.

Einmal fragte die Frau Martha spöttisch:

»Er wird wohl wieder heiraten, dein Vater? Aus Spießbürgerkreisen, das soll er nur. Und du, gehe dann fort, sonst verkommst du als alte Jungfer! Mir graut, wenn ich daran denke! hier und dort.«

Sie sagte es mit fiebrig glänzenden, harten Augen, und Martha überkam es, daß sie am Ende doch nicht glücklich sei.

Denn sie schien ruhelos und eifersüchtig. Ihr Mann fuhr viel fort, nahm keine Rückficht auf irgendwen.

Die Kinder kamen heim als wilde Bande. Martha atmete auf. Wie schön die Stille war. – Mit tiefem Eifer gab sie sich nun ganz ihren Pflichten hin, ein Ideal im Herzen, das sie die eigenen Anrechte ihrer Jugend ganz vergessen ließ. Sie warb um die Liebe der Kinder für den Vater. Sie ihm seelisch zu erobern, wurde ihr Traum. Und sie ging an dieses reine Liebeswerk mit einer Güte, Geduld und Zartheit, die endlich siegen mußte. Sie schuf des Vaters Bild in Liebe lebendig für diese kleinen und jungen Herzen um, zu dem, was es ihr war, die Mutter verstummte, man hörte nichts von ihr. Nichts störte die Harmonie des stillen Hauses, in dem ein schwerverkürzter Mann sich wie im Traume allmählich zum Mittelpunkt derer werden sah, für die er strebte.

Seine Knaben kamen zu ihm in ihrem Konflikte, seine Mädchen umwarben ihn mit Frohsinn und Zierlichkeit. Kein Geheimnis gab es mehr, die lauterste Aufrichtigkeit waltete. – Mit ihr kam Selbstbewußtsein und Sonnenschein. Und eine Weihnacht kam, da sagten die Knaben und Mädchen:

»Der Vater kann lachen. Er kann's! Man muß sich nur kümmern um ihn.«

5.

Wieder kam die Einladung auf das Gut. Die Kinder zogen; diesmal ohne Martha, die beim Vater blieb. Aber nach acht Tagen schrieb Georg, der Älteste, kategorisch: »Bitte, laßt uns abholen.« –

Was sehr erstaunlich war. Und als die junge Schar wieder einrückte, außerordentlich zärtlich für den Vater, verkündete Georg als Sprecher bissig: »Wißt ihr, es war doch nichts Rechtes mehr, seitdem dort ein neues Kind einpassiert ist. Das ist doch kein Geschwister, da muß man doch eine Grenze ziehen. Gelt? Und so eine geteilte Mutter? Nein!«

Er ging feierlich auf den Vater zu und schüttelte diesem, ohne erst zu fragen, die Rechte.

»Nein, klare Verhältnisse, du gehörst uns. Wir gehören zu dir.«


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