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Conrad Ferdinand Meyer

Der Mönch von Bonifazio

»Korsen, löst des Portes Ketten! Jede Hoffnung ist verschwunden!
Nirgend weht ein rettend Segel! Gebt euch! Pfleget eure Wunden!

Genua, euer hats vergessen! Spähet aus von eurem Riffe!
Sucht im Meere! Schärft die Augen! Nirgend, nirgend Genuas Schiffe!

Eure Kinder hör ich wimmern, eure Fraun, die hungermatten,
Blicken hohl wie Nachtgespenster, und ihr selber wankt wie Schatten!«

Vom Verdeck des Schiffes rufts empor zu Bonifazios Walle
König Alfons milden Sinnes, aber droben schweigen alle.

Nimmer würden sich dem Dränger diese tapfern Korsen geben,
Galt es nur das eigne, galt es nicht der Knaben junges Leben!

Finster vor sich niederstarrend, treten flüsternd sie zusammen –
Eines Mönchs empörte Augen schießen Blitze, schleudern Flammen:

»Feige Hunde! Keine Korsen! In die Hölle der Verräter!«
»Schweige Mönch! Wir haben Herzen. Wir sind Gatten, wir sind Väter.«

Auf dem preisgegebnen Felsen kniet der Mönch in wildem Harme:
»Leihe, Gott, mir deine Hände! Gib mir deine starken Arme!

Heute komm ich Lohn zu fordern. Alles gab ich. Nichts geblieben
Ist mir außer meinem Felsen. Aber etwas muß ich lieben.

Gott, du kannst mit deinen Kräften eines Menschen Kräfte steigern!
Was du tatst für deine Juden, darfst du keinem Korsen weigern!

Genuas Schiffe will ich suchen! Will sie bei den Schnäbeln fassen!
Spannen will ich weite Segel und sie nicht ermatten lassen!«

Alle seine Muskeln schwellen, alle seine Pulse beben,
Schiffe durch das Meer zu schleppen, Segel aus der Flut zu heben.

Aufgesprungen, überwindend Raum und Zeit mit seinem Gotte,
Deutet er ins Meer gewaltig: »Dort! Ich sehe dort die Flotte!«

Aber keine Segel blicken aus des Meeres farb'ger Weite,
Unbevölkert flutet eine schrankenlose Wasserbreite.

Nur die Sonne wandert höher, ihre Strahlen brennen wärmer.
Nichts als Meer und nichts als Himmel. Alfons lächelt: »Armer Schwärmer!«

Dort! Am Saum des Meers das Pünktchen ... Sichtbar kaum ... Der zweit und dritte
Punkt und jetzt ein viert und fünfter und ein sechster in der Mitte!

Winde blasen, Wellen stoßen. Meer und Himmel sind im Bunde.
Segel, immer neue Segel steigen aus dem blauen Grunde.

Wende deine Schiffe, König! Sonst verlierst du Ruhm und Ehre!
Woge, Fürstin Genua, woge, du Beherrscherin der Meere!

Alle Glocken Bonifazios schlagen schlitternd an und stürmen,
Jubel wiegt sich in den Lüften über den zerschoss'nen Türmen.

Und der Mönch, der mit der Allmacht seinen ird'schen Arm bewehrte?
An der Erde liegt er sterbend, der von ihrem Hauch Verzehrte.


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