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Gottfried Keller
Herr Stoßenwolf von Gevaudan,
      
 Der Bischof, sitzt bei Tische;
      
 Er bietet seinen Gästen an
      
 Die allerschönsten Fische.
Das Haupt des Ebers stellt sich dar
      
 Untadelig geraten;
      
 Dann aber folgen, Paar auf Paar,
      
 Absonderliche Braten.
Zwei Hasen kommen ohne Kopf
      
 Auf Silber angefahren,
      
 Marmotten sind im güldnen Topf,
      
 Doch schwanzlos zu gewahren.
Dem Birkhuhn fehlt ein Flügel hier,
      
 Ein Schenkel dort dem Hahne;
      
 Mit arg zerzauster Federzier
      
 Schaun traurig die Fasane.
Dem jungen Reh ist das Genick
      
 Verdreht und ganz zerschmissen,
      
 Und wie mit Klau'n ein gutes Stück
      
 Vom Ziemer weggerissen.
Doch alles ist mit feiner Kunst
      
 Bereitet nach der Sitte;
      
 Der König Heinrich schlürft den Dunst,
      
 Vom Frankenreich der Dritte.
 Er schlürft und ißt sich schweigend satt;
      
 Doch als er nun gegessen,
      
 Ruft er: »Ich glaub, der Teufel hat
      
 Vor uns zu Tisch gesessen!«
Der Bischof lacht: »Vergebung, Sire!
      
 So schlimm ist's nicht beschaffen!
      
 Nur meine Jäger naschen mir
      
 Von allem, was sie raffen!
Die Adler sind's im Bergrevier;
      
 An jenen Felsenkronen
      
 Hängt Horst an Horst, wo dienstbar mir
      
 Die wilden Vögel wohnen.
Bei jedem Nest klebt an der Wand
      
 In Ritzen still ein Bauer,
      
 Mit einem Knüppel in der Hand,
      
 Und hält sich auf der Lauer.
Ist dann das Wildbret eingetan
      
 Vom alten Adlerpaare,
      
 So macht sich jener flugs daran,
      
 Sobald nur fort die Aare.
Er kapert von dem blutgen Stein
      
 Das Beste mir zuhanden;
      
 Zuweilen fällt ein Bäuerlein
      
 Sich freilich auch zuschanden.
Damit die Brut nicht flügge wird,
      
 Schließt man sie fest am Felsen,
      
 Bis sich ein neu Geschlecht gebiert
      
 Mit nackten Hungerhälsen;
Und rastlos fliegen ab und zu
      
 Die alten um die Nahrung.
      
 So üben wir in aller Ruh
      
 Des Nutzens kluge Wahrung.«
 Da schreit der König Sausewind
      
 Und schlägt sich an die Hüften:
      
 »Hie zeigt es sich, was Pfaffen sind!
      
 Wir schinden nur das Menschenkind,
      
 Doch sie den Aar in Lüften!«