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Wenn die Qualen seiner Zeit

Wenn die Qualen seiner Zeit
An dem Dichter schneller gleiten,
Seid nicht allzuschnell bereit:
Dauer und Tiefe zu bestreiten.

Flüchtet er in seiner Seele
Brunnen, um dort auszuruhn,
Glaubt nicht, daß ihn minder quäle,
Weil ihm keine Wahl zu tun.

Weil ihn nicht der Taten Flügel
Über alles Niedre tragen,
Ach sein Fuß in keinem Bügel –
Dichter mag kein Dichtpferd jagen,

Wenn die Welt in Krämpfen schreit.
Aber immer muß er fragen:
Ist zu jauchzen, ist zu klagen
Deine Zeit mit dir bereit?

Und er sieht sich volkverstoßen,
Und er sieht im Kampf den Krampf
Einer Herde; einer großen
Erderschüttrung Schwefeldampf.

Was ihm war wie heilig Stürmen
Einer Geistflut übers Meer,
Wie ein Jauchzen von den Türmen,
Wie ein Ruf der Toten her,

Die aus einem Jenseitslande
Seinem Volk die Fackeln brachten –
Ach zu keinem heilgen Brande
Sie der Herde Herz entfachten.

Kampf ist Krampf. Oh schlimm Erkennen!
Krieg ist Sieg wohl übern Feind.
Doch dann wird die Herde rennen
Andrem Ziel zu, als gemeint

Fast wie schulderfüllt der Dichter
(Als man ihn zuhause ließ).
Als er sah der Ausziehnden Gesichter,
Stand er vor verschloßnem Paradies.

Sieht er nun Gesichter, hört er
Munde sprechen, oh erschrickt er,
Und wie ein Verstörter blickt er,
Wie ein in die Welt Verschickter.

Ist das, ist das, was ich wähnte,
Als sei's mit dem Volk geschehn?
Was ich suchte, was ich sehnte,
Muß nun ewig untergehn.

Also taucht in seiner Seele
Brunnen tief der Dichter ein –
Dort zu suchen, was ihn quäle,
Dort zu finden Eins allein:

Ob auf der Jahrtausendbrücke
Steh' ein Standbild seinem Volke,
Oder ob die Abendwolke
Schon von Nacht her drohend drücke.

Da ich deinen Mittag träumte,
Sank die Sonn schon tief herab?
Leuchtkranz, der dich, Volk, umsäumte,
Warns die Fackeln um dein Grab?

Träumt ich meinen Traum schon länger
Als zum späten Abendrot?
War ich nicht dein Mittagssänger?
Wars dein Tod schon? Und war das denn meine Not?


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