Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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13

Wach stand Bruder Archangias auf der Bresche und hieb mit seinem Stock gegen die Steine unter greulichen Flüchen.

»Der Teufel soll ihnen die Schenkel knicken! Wie Hunde soll er sie den einen auf den Hintern des anderen nageln. An den Füßen soll er sie schleifen, mit der Nase in ihrem Unrat!«

Als er Albine erblickte, die den Priester vertrieb, hielt er verwundert einen Augenblick inne. Dann schlug er heftiger noch darauf los und lachte scheußlich auf.

»Gute Reise, Dirnenbrut! Mach, daß du zu deinen Wölfen zurückkommst, und treibe Unzucht mit ihnen ... Ach, ein Heiliger genügt dir wohl nicht? Dir tun kräftigere Flanken not. Eichen möchtest du haben! Willst du meinen Stock? Da hast du den strammen Burschen, der dir Genüge tun kann.«

Und aus aller Kraft warf er Albine den Stock nach in die Dämmerung. Dann grollte er, den Abbé Mouret ansehend:

»Ich wußte wohl, daß Sie da drinnen waren. Die Steine lagen anders ... Hören Sie zu, Herr Pfarrer, Ihre Sünde hat mich zu Ihrem Vorgesetzten gemacht. Gott redet zu Ihnen durch meinen Mund und sagt, die Hölle kennt keine genugsam schrecklichen Strafen für den in Fleischeslust lebenden Priester. Geruht er Ihnen zu verzeihen, ist seine Güte zu groß, denn er handelte so seiner eigenen Gerechtigkeit zuwider.«

Die beiden stiegen langsamen Schrittes zum Artaud hinab. Der Priester hatte den Mund nicht aufgetan. Nach und nach hob er den Kopf, das Zittern war vergangen. Als er in der Ferne im blaßvioletten Himmel des schwarzen Liniengestänges der Einsiedlerzypresse ansichtig wurde neben dem roten Fleck des Kirchendaches, lächelte er matt. In seine hellen Augen stieg eine stille Heiterkeit. Der Bruder indessen stieß von Zeit zu Zeit mit dem Fuß nach einem Stein. Dann drehte er sich um und sagte zu seinem Begleiter:

»Ist dies nun das letzte Mal? Als ich so alt war wie Sie, war ich von einem Dämon besessen, dann wurde es ihm langweilig, und er hat sich davongemacht. Meine Flanken sind tot, und ich kann ruhig leben ... Oh, ich wußte genau, daß Sie herkommen würden. Seit drei Monaten belauere ich Sie. Ich habe durch das Mauerloch in den Garten gesehen. Am liebsten hätte ich die Bäume abgehauen. Oft warf ich mit Steinen und war froh, wenn ich einen Zweig traf ... Ist es denn so außerordentlich, was man da drinnen zu kosten bekommt?«

Er hielt den Abbé Mouret in der Mitte der Straße an mit Augen, die von schrecklicher Eifersucht funkelten. Die geahnten Wonnen des Paradeis peinigten ihn. Seit Wochen hatte er sich auf der Schwelle gehalten und von weitem die verbotenen Freuden gewittert. Da der Abbé stumm blieb, setzte er grunzend seinen Weg weiter fort und brummte allerhand Zweideutigkeiten vor sich hin. Dann mit erhobener Stimme:

»Sehen Sie, wenn ein Priester tut, was Sie getan haben, so ist er für andere Priester ein Ärgernis ... Ich selbst fühlte mich nicht mehr keusch, wenn ich neben Ihnen ging. Sie rochen nach Unzucht ... Jetzt sind Sie wieder vernünftig. Sie brauchen nicht einmal zu beichten, ich weiß, Sie sind geschlagen. Der Himmel hat Ihre Flanken zerrüttet wie die der anderen. Um so besser, um so besser!«

Er klatschte frohlockend in die Hände. Der träumerisch dahinwandelnde Abbé hörte nicht auf ihn. Sein Lächeln hatte sich vertieft, und als der Bruder ihn an der Türe des Pfarrhauses verließ, umschritt er es und trat in die Kirche ein. Ganz grau lag sie, wie an jenem regnerischen Schreckensabend, da ihn die Versuchung so heftig ergriffen hatte. Arm und gefaßt stand sie, bar goldenen Glanzes, kein Sturmgetöse brauste vom Lande her. Feierliches Schweigen umgab sie, nur wie Wehen der Gnade durchzog es sie.

Vor dem großen Christus kniete der Priester, weinte Tränen, die wie ebenso viele Freuden seine Wangen überrannen und flüsterte:

»O mein Gott, unwahr ist es, daß du ohne Barmherzigkeit bist. Ich fühle, du hast mir schon vergeben, an deiner Gnade fühle ich es, die seit Stunden sich wieder in mich ergießt und in langsam sicherem Fluß das Heil mir wiederbringt. O mein Gott, zur Stunde, da ich dich verließ, hast du am wirksamsten mir deinen Schutz gewährt. Du verbargst dich vor mir, um mich besser vom Übel zu erlösen. Du hast meine Fleischlichkeit ihre Wege gehen lassen, um mich mit Unvermögen zu schlagen ... Und jetzt, o mein Gott, weiß ich, daß du auf immer mich mit deinem Zeichen besiegelt hast, dem fürchterlichen, wunderbaren Zeichen, das einen Mann der Schar der Männer entfremdet, dessen Mal unauslöschlich ist und später oder früher ausbricht an dem schuldbeladenen Körper. Du hast mich überwunden in Sünde und Versuchung, du hast mich heimgesucht mit deinen Flammen. Du hast beschlossen, alles in mir solle zerstört sein, auf daß du in Sicherheit in mich niederzusteigen vermöchtest. Ein leeres Haus bin ich, das dir Wohnung zu sein vermag . .. Sei gelobt, mein Gott.«

Stammelnd bog er sich in den Staub, die Kirche war siegreich; aufrecht erhob sie sich zu Häupten des Priesters mit ihren Altären, ihrer Kanzel, dem Beichtgestühl, ihren Kreuzen und Heiligenbildern. Die Welt war überwunden. Die Versuchung erlosch, wie ein Brand, der fortan erläßlich war zur Entsühnung dieses Körpers. Ein übermenschlicher Friede sank in ihn ein und ein letztesmal rief er:

»Dem Leben entäußert, außerhalb der Kreatur, der ganzen Welt, gehöre ich dir, o mein Gott, einzig dir allein, in Ewigkeit.«


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