Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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6

Die Straße wand sich zwischen Felsstürzen, wo die Bauern hie und da vier, fünf Meter kreidigen Grund gewonnen hatten, der mit alten Olivenbäumen bestanden war. Leise knirschte unter den Schritten des Abbés der Sand. Traf ein wärmeres Wehen sein Antlitz, hob er manchmal die Augen vom Buch, um ausfindig zu machen, woher diese Liebkosung käme; aber sein Blick blieb verschleiert, streifte, ohne zu sehen, über den Horizont hin, über die verbogenen Linien dieser Passionslandschaft, die dürr und sonnenohnmächtig lag in der Hingestrecktheit einer glühenden und unfruchtbaren Frau. Er zog den Hut tiefer in die Stirne, um den lauen Lüften zu entgehen, nahm seine Lektüre wieder auf; wobei seine Sutane im Staub hinter ihm eine kleine Wolke aufwirbelte, die dicht über dem Boden zog.

»Guten Tag, Herr Pfarrer,« sagte ein vorübergehender Bauer. Hackenschläge den Feldflächen entlang scheuchten ihn aus seiner Sammlung. Er wandte den Kopf und sah in den Weinspalieren große knochige Greise, die ihn grüßten. Die Leute aus dem Artaud trieben mit der Erde Unzucht, wie Bruder Archangias sagte. Hinter dem Blätterwerk wurden schweißtriefende Stirnen sichtbar, keuchende Leiber richteten sich langsam auf,– ein heißes Bemühen um Befruchtung, das er mit seinem stillen Schreiten tiefsten Unwissens durchwandelte. Keinerlei Erregung der großen Liebesarbeit, die die Pracht des Morgens erfüllte, rührte sein Fleisch.

»Holla! Packan, man frißt die Leute doch nicht!« rief lustig eine kräftige Stimme, und suchte den Hund zu beschwichtigen.

Der Abbé Mouret hob den Kopf. »Sie sind es, Fortunat,« sagte der Abbé und trat an den Rand des Feldes, auf dem der junge Bauer arbeitete. »Gerade wollte ich mit Ihnen reden.« Fortunat stand im gleichen Alter wie der Priester. Ein stattlicher Bursche war er, dickfellig und dreist, gerade damit beschäftigt, ein Stück steiniger Heide urbar zu machen.

»Um was handelt es sich, Herr Pfarrer?« fragte er.

»Es handelt sich um das, was sich zwischen Rosalie und Ihnen zugetragen hat,« gab der Priester zur Antwort. Fortunat mußte lachen. Er fand es sehr merkwürdig, daß ein Geistlicher sich um so etwas kümmerte. »Gewiß, doch,« murmelte er. »Sie wollte es ja gern. Gezwungen habe ich sie zu nichts. Um so schlimmer, wenn der Vater Bambousse sie mir nicht geben will. Sie haben selbst gesehen, wie sein Hund mich eben beißen wollte, er hetzt ihn auf mich.«

Der Abbé Mouret wollte weiterreden, als der alte Artaud, Brichet genannt, dessen er erst jetzt ansichtig wurde, aus dem Schatten eines Busches auftauchte, hinter dem er mit seiner Frau beim Essen saß. Er war klein, altersdürr und von bescheidenem Gebaren. »Sicher hat man Ihnen Lügengeschichten erzählt, Herr Pfarrer,« rief er. »Der Junge will ja gern die Rosalie heiraten. Die Kinder sind miteinander gegangen. Niemand kann dafür. Andere haben's ebenso wie sie gemacht und lebten darum später nicht weniger ehrbar zusammen. Die Angelegenheit hängt von uns nicht ab. Mit Bambousse müssen sie sprechen. Er will nichts von uns wissen, weil er Geld hat.«

»Gewiß, zu arm sind wir,« jammerte die Mutter, eine große, weinerliche Frau, die nun ihrerseits erschien. »Wir besitzen nichts als dieses Stückchen Land, auf das der Teufel Steine hageln läßt, so wahr ich hier stehe; davon leben können wir nicht. Ohne Sie, Herr Pfarrer, wäre das Dasein nicht auszuhalten.«

Mutter Brichet war die einzige Betschwester des Dorfes. Nach der Kommunion strich sie um die Pfarrei, weil sie wußte, daß die Teusin ihr immer ein paar Brote aufhob vom letzten Backtag. Manchmal sogar zog sie mit einem von Desiderata geschenkten Huhn oder Kaninchen ab.

»Ärgernisse ohne Ende,« nahm der Priester den Faden wieder auf. »Die Hochzeit muß so schnell als möglich stattfinden.«

»Aber sofort, wenn's den anderen recht ist,« sagte die Alte, sehr beunruhigt, der Geschenke wegen. »Nicht wahr, Brichet, wir sind keine so schlechten Christen, daß wir dem Herrn Pfarrer zuwider sein wollen.« Fortunat grinste. »Ich will gleich,« erklärte er, »und die Rosalie auch... Ich habe sie gestern getroffen, hinter der Mühle. Wir sind gar nicht böse miteinander, im Gegenteil. Wir sind stehengeblieben und haben Spaß gemacht...« Der Abbé Mouret fiel ihm in die Rede:

»Es ist gut, ich will mit dem Vater reden. Er ist da drüben bei den Oliven, glaube ich.« Der Priester entfernte sich, da fragte ihn die Mutter Brichet nach dem Verbleib ihres jüngeren Sohnes Vinzenz, der seit früh unterwegs sei, um die Messe zu bedienen. Der Bengel habe die Ermahnungen des Herrn Pfarrers arg nötig. Und sie begleitete den Priester einige hundert Schritt, klagte über ihr Elend, den Mangel an Kartoffeln, über den Frost, der die Oliven zugrunde richtete, über die Hitze, die die spärliche Ernte versengte. Sie verließ ihn mit der Versicherung, ihr Sohn Fortunat spreche morgens und abends seine Gebete.

Packan überholte jetzt den Abbé Mouret. Plötzlich, an einer Straßenbiegung, lief er querfeldein. Der Abbé mußte einen schmalen Weg einschlagen, der einen Hügel hinauf führte. Er war bei den Olivettes, dem fruchtbarsten Gebiet der Gegend, wo Artaud, Bambousse genannt, Bürgermeister der Gemeinde, mehrere Kornfelder, Oliven und Weinberge besaß. Der Hund sprang an einem großen braunen Mädchen empor, die beim Anblick des Priesters breit lächelte.

»Ist Ihr Vater hier in der Nähe, Rosalie?« sprach der Priester sie an.

»Da, gleich nebenan,« sagte sie, die Hand ausstreckend und lächelte immerfort.

Dann trat sie vom Feldstreifen, den sie jätete und ging vor ihm her. Ihre noch wenig vorgeschrittene Schwangerschaft machte sich nur in einer stärkeren Rundung der Hüften bemerkbar. Sie hatte den stark wiegenden Gang hart arbeitender Frauen, ihr Nacken war gerötet und die schwarzen Haare wuchsen mähnendicht. Sie trug keine Kopfbedeckung in der Sonne. Ihre grün angelaufenen Hände rochen nach den Kräutern, die sie ausgerissen hatte.

»Vater,« rief sie, »der Herr Pfarrer will mit dir reden.« Und frech, kaum nach ihm sich umwendend, hielt ihr dreistes Lächeln voll Schamlosigkeit und Verstocktheit stand. Bambousse, rundköpfig, fett und schwitzend, ließ seine Arbeit im Stich und ging fröhlich auf den Abbé zu.

»Wetten könnte ich, Sie wollen mit mir von der Ausbesserung der Kirche sprechen,« sagte er, sich die Erde von den Händen klopfend. »Unmöglich, Herr Pfarrer, da ist nichts zu machen. Die Gemeinde hat keinen Pfennig ... Wenn der liebe Gott Mörtel und Dachziegeln liefert, stellen wir die Maurer.«

Diese Witzelei eines ungläubigen Bauern brachte ihn unbändig zum Lachen. Er schlug sich auf die Schenkel, hustete und erstickte fast.

»Nicht wegen der Kirche komme ich,« antwortete der Abbé Mouret. »Ich wollte mit Ihnen über Ihre Tochter Rosalie sprechen...«

»Rosalie? Was hat die Ihnen denn getan?« fragte Bambousse blinzelnd. Unverfroren ließ das Bauernmädchen ihre Blicke über den jungen Priester wandern, von den weißen Händen bis zu dem mädchenhaften Hals, der Versuch war spaßhaft, ihn zum Erröten zu bringen. Er aber sagte geradeaus mit unbewegtem Gesicht, als redete er von Dingen, die ihn nichts angingen: »Sie wissen, was ich sagen will, Vater Bambousse. In anderen Umständen ist sie. Sie muß heiraten.«

»Ach, darum,« murrte der Alte spöttisch. »Danke für die Bestellung, Herr Pfarrer. Die Brichets schicken Sie wohl, nicht wahr? Die Mutter Brichet kommt zur Messe, und Sie helfen ihr ein bißchen, ihren Sohn unterzubringen; versteht sich. ... Aber ich mache da nicht mit. Das Geschäft lockt mich nicht, Punktum!«

Der erstaunte Priester erklärte ihm, das Ärgernis müsse beseitigt werden, er müsse dem Fortunat verzeihen, da der sein Unrecht ja gut machen wolle; zu guter Letzt, daß die Ehre seiner Tochter eine sofortige Heirat fordere.

»Ta, ta, ta, warum so viele Worte,« fing Bambousse kopfschüttelnd wieder an. »Ich behalte meine Tochter, verstehen Sie. Das alles ist mir gleich... Ein Bettler, der Fortunat. Keine zwei Heller. Das wäre bequem, wenn es genügte, mit einem Mädchen zu gehen, um es zu heiraten. Wahrhaftig! Dann gäbe es bei den Jungen nichts mehr als Hochzeit vom Morgen bis zum Abend ... Gott sei Dank! brauch' ich mir keine Sorge zu machen wegen Rosalie! Jedermann weiß, was ihr zugestoßen ist; davon wird sie weder krumm noch bucklig, und sie kann heiraten, wen sie sich aussucht in der Gegend.«

»Aber, das Kind?« unterbrach der Priester.

»Das Kind! Ist es etwa schon da? Vielleicht kommt es nie... Und wenn sie ein Kleines kriegt, kann man immer noch sehen.« Als Rosalie merkte, welche Wendung das Vorhaben des Pfarrers nahm, hielt sie es für geraten, die Fäuste in die Augen zu drücken und Jammerlaute von sich zu geben. Sie ließ sich sogar auf die Erde fallen und zeigte ihre blauen Strümpfe bis übers Knie.

»Wirst du schweigen, Hündin!« brüllte der plötzlich in Wut versetzte Vater.

Und er bedachte sie mit gemeinen Ausdrücken, die sie unter ihren vorgehaltenen Fäusten zum Lachen brachten.

»Find' ich dich mit deinem Kerl, so bind' ich euch zusammen und bring' euch so vor die Leute ... Willst du wohl still sein? Warte, ich will dich lehren!«

Er nahm eine Erdscholle und warf sie heftig nach ihr aus einer Entfernung von vier Schritten. Das Erdstück traf auf ihren Haarknoten, bröckelte ihr in den Halsausschnitt und bedeckte sie mit Staub. Betäubt sprang sie mit einem Satz in die Höhe und lief davon, den Kopf mit den Händen schützend. Aber Bambousse hatte noch Zeit, sie mit zwei weiteren Erdstücken zu treffen: das eine streifte sie nur an der linken Schulter; das andere prallte ihr gerade aufs Rückgrat, mit solcher Kraft, daß sie in die Knie brach.

»Bambousse!« schrie der Priester auf und entriß ihm eine Handvoll Steine, die er gerade aufgerafft hatte.

»Lassen Sie mich nur machen, Herr Pfarrer,« sagte der Bauer. »Es war weiche Erde. Ich hätte die Steine nach ihr werfen sollen ...

Man merkt, daß Sie von Mädels nichts wissen, die können schon was vertragen. Wenn ich die da in unseren Brunnen tunkte, ihr die Knochen mit Knüttelhieben zerschlüge, sie würde deshalb nicht weniger zu ihren Schmutzereien laufen! Aber ich passe ihr auf, und erwisch' ich sie!... Sie sind nun alle mal so.«

Er begann sich zu trösten und nahm einen Schluck Wein aus einer großen umflochtenen Flasche, die auf dem heißen Boden lag. Dann, mit seinem alten Gelächter:

»Hätte ich ein Glas, Herr Pfarrer, böte ich Ihnen gerne etwas an.«

»Was ist also mit der Heirat? ...« fragte der Priester.

»Nein, damit ist es nichts, ausgelacht würde ich ... Rosalie ist ein tüchtiges Frauenzimmer. Sehen Sie, wie ein Mann kann sie arbeiten. Am Tag, wo sie geht, werde ich einen Knecht mieten müssen ...

Nach der Ernte kann man weiter darüber sprechen. Außerdem will ich nicht bestohlen werden. Gleiches zu Gleichen, nicht wahr?«

Der Priester hielt sich noch eine gute halbe Stunde damit auf, Bambousse zu ermahnen, ihm von Gott zu reden, und ihm alle Rücksichten, die die Lage forderte, klarzulegen. Der Alte hatte sich wieder an die Arbeit gemacht. Er zuckte die Achsel, machte Witze und wurde immer eigensinniger. Zu guter Letzt schrie er: »Schließlich, wenn Sie einen Sack Korn von mir wollten, würden Sie mich doch bezahlen ... Warum soll ich meine Tochter umsonst geben!«

Entmutigt ging der Abbé Mouret. Als er den Weg abwärts stieg, erblickte er Rosalie, die sich unter einem Olivenbaum mit Packan balgte, der ihr das Gesicht ableckte, worüber sie lachen mußte. Sie sagte zu dem Hund, mit fliegenden Röcken und unter lebhaftem Gezappel:

»Du kitzelst mich, großes Biest. Hör auf!« Dann, als sie den Priester sah, gab sie sich Mühe rot zu werden, strich ihre Kleider zurecht und heulte wieder los. Er versuchte sie zu trösten und versprach, ihrem Vater nochmals zuzureden, fügte hinzu, »daß sie bis auf weiteres folgsam sein und den Verkehr mit Fortunat aufgeben müsse, um ihre Sünde nicht noch zu erschweren.«

»Oh, jetzt,« flüsterte sie mit ihrem kecken Lächeln, »ist es ja ganz gleich, wo es doch mal so weit ist.«

Er verstand nicht und malte ihr die Hölle, in der die schlimmen Frauen brennen. Dann ließ er sie, seine Pflicht war getan, und verfiel wieder in die Seelenheiterkeit, die es ihm ermöglichte, ohne Erregung mitten durch den Sudel der Fleischlichkeit zu wandeln.


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