Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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15

Die unbefleckte Empfängnis auf der Nußbaumkommode lächelte zärtlich mit schmalgewundenen, karmin gezeichneten Lippen. Sie war klein und ganz weiß. Ihr großer weißer Schleier, der vom Kopf bis zu den Füßen niederfiel, war mit kaum sichtlichen Goldstreifen gerandet.

In langen Falten umwogte ihr Gewand den geschlechtslosen Körper, war bis zum Hals geschlossen, ließ aber den anmutigen Hals frei. Nicht eine einzige Locke ihrer kastanienbraunen Haare kam zum Vorschein. Ihr Gesicht war rosig, helle blaue Augen sahen himmelwärts; rosige Hände faltete sie, Kinderhände, deren Spitzen in den Schleierfalten zu sehen waren über der blauen Schärpe die sich ihr um die Mitte wie zwei Flatterenden blauen Himmels wand. Keiner ihrer weiblichen Reize bot sich dem Blick, außer ihren Füßen, anbetungswürdig nackten Füßen, die über dem mystischen Rosenweg schwebten. Und auf den bloßen Füßen sproßten ihr goldene Blumen als eingeborenes Blühen ihres zweimal reinen Leibes.

»Standhafte, unerschütterliche Jungfrau, bitt' für mich!« entrang es sich verzweiflungsvoll dem Priester.

Diese Gestalt hier hatte ihn noch nie beunruhigt. Sie war noch nicht Mutter; ihre Arme hielten ihm Jesus nicht entgegen, ihr Umriß hatte nicht die Fruchtrunde. Nicht als Himmelskönigin erschien sie, die goldgekrönt, goldgekleidet gleich Erdenherrscherinnen niederstieg, siegreich getragen von cherubinischem Flug. Diese hier hatte ihn nie geschreckt, ihn nie angesprochen mit der Strenge einer allmächtigen Herrin, deren Anblick allein genügt, um die Stirnen in den Staub zu biegen. Er wagte es, sie zu betrachten, sie zu lieben, ohne fürchten zu müssen, gerührt zu werden durch die Welle ihrer kastanienbraunen Haare; nur ihre Füße konnten ihn rühren, ihre Liebesfüße, die wie ein Garten der Keuschheit erblühten, zu wunderbar, als daß er sich nachgegeben und sie mit Liebkosungen bedeckt hätte. Mit ihrem Lilienhauch durchduftete sie das Zimmer. Die Silberlilie war sie, gepflanzt in goldenes Gefäß, die unschätzbar reine, die ewig unversehrbare. Ihr weißer, enghüllender Schleier umgab nichts Menschliches mehr, nur eine jungfräuliche Flamme, die in immer gleichem Lichte brennt. Abends beim Zubettegehen, morgens beim Erwachen, stand sie vor ihm mit demselben verklärten Lächeln. Ohne irgendwelche Scheu ließ er vor ihr seine Kleider fallen, so wie vor seiner eigenen Schamhaftigkeit.

»Reinste Mutter, keuscheste Mutter, jungfräuliche Mutter, bitt' für mich!« stammelte er angstvoll, die Füße der Jungfrau umschmiegend, als hätte er hinter sich das hallende Rasen Albines vernommen.

»Du bist meine Zuflucht, die Quelle meiner Freuden, der Tempel meiner Vernunft, der Elfenbeinturm, der meine Reinheit umschließt. Ich befehle mich in deine unbemakelten Hände, ich flehe dich an, mich hinzunehmen, mich zu decken mit einem deiner Schleierflügel, mich zu verbergen in deiner Unschuld, hinter der geheiligten Schranke deiner Gewänder, auf daß der Atem fleischlicher Begier mich dort nicht ereile. Ich bin in Not nach dir, ich sterbe ohne dich, auf immer werde ich von dir gerissen sein, wenn du mich nicht umarmest in hilfreicher Umarmung, weit von hier, mitten in der glühenden Weiße deiner Wohnung. Sündlos empfangene Maria, laß mich hinschwinden unter der schneeigen Unberührtheit, die von allen deinen Gliedern träuft. Das reine Wunder der Ewigkeit bist du. Dein Stamm ist strahlentstanden wie ein Wunderbaum, den kein Samenkorn säte. Jesus, dein Sohn, ist aus dem Hauch Gottes hervorgegangen; du selbst wurdest geboren ohne Verunglimpfung des Leibes deiner Mutter, und mir ist zumut, als reichte diese Jungfräulichkeit zurück von Menschenalter zu Menschenalter, in einem unermeßlichen Unberührtsein von allem Fleischlichen. Oh! Leben, aufwachen, weit von der Schande der Sinnenwelt! Oh, sich mehren, Kinder in die Welt setzen ohne die Schrecken der Geschlechtlichkeit, einzig durch das Nahen küssenden Himmels.«

Dieser Verzweiflungsruf, dieser begierdefreie Aufschrei hatte den jungen Priester etwas beruhigt. In gänzlicher Weiße, den Blick himmelwärts gewandt, schien die Jungfrau sanfter noch zu lächeln aus ihrem schmalen, blaßroten Munde. Mit bewegter Stimme fuhr er fort:

»Ein Kind möchte ich wieder sein. Nie möchte ich etwas anderes sein dürfen, als ein in deinem Schatten wandelndes Kind, das beschattet von deiner Gewandung dahingeht. Als ich noch ganz klein war, faltete ich die Hände und sagte den Namen Maria. Mein Wiegenbett war weiß, mein Leib war weiß, all mein Denken war weiß. Ich sah dich deutlich, ich hörte dein Rufen, lächelnd ging ich auf dich zu über ausgestreute Rosenblätter. Anderes gab es nicht, ich dachte nicht, lebte gerade genügend, um eine Blume zu sein, zu deinen Füßen. Man sollte nicht heranwachsen. Dann hättest du um dich nichts als Blondköpfe, ein Kindervölkchen, das dich liebte mit reinen Händen, rosigen Lippen, zarten Gliedern, unbefleckt, wie einem Milchbad entstiegen. Man küßt auf der Wange eines Kindes seine Seele. Nur ein Kind vermag deinen Namen zu nennen, ohne ihn zu besudeln. Später verdirbt der Mund und riecht nach Leidenschaft. Ich selbst, der dich so innig liebt, der sich dir geschenkt hat, ich wage nicht, zu jeder Stunde dich anzurufen, weil ich nicht will, daß meine Männerunlauterkeit dich trifft. Ich habe gebetet, mein Fleisch kasteit, ich habe in deiner Hut geschlafen, keusch gelebt; und ich vergieße Tränen, weil ich sehe, daß ich der Welt noch nicht genugsam abgestorben bin, um dein Verlobter zu sein. O Maria, anbetungswürdige Jungfrau, warum bin ich nicht fünfjährig, warum blieb ich nicht das Kind, das seine Lippen auf dein Bildnis preßte! Auf dem Herzen wollte ich dich tragen, an meine Seite betten, wie eine Freundin küßte ich dich, wie eine gleichalterige Freundin. Ich hätte wie du ein gerades Kleid, einen kindlichen Schleier, die blaue Schärpe, die ganze Kindlichkeit, die dich zu einer großen Schwester macht. Ich würde nicht versuchen, deine Haare zu küssen, denn das Haar ist eine Nacktheit, die nicht betrachtet werden soll; aber deine bloßen Füße würde ich küssen, einen nach dem anderen, ganze Nichte lang, bis ich mit meinen Lippen die Goldrosen entblättert hätte, die mystischen Rosen unseres Geäders.«

Er schwieg und erwartete, daß die Jungfrau den blauen Blick senkte, mit dem Schleier ihm die Stirne rührte, aber sie hielt sich bis zum Hals dicht umschleiert, bis zu den Fingerspitzen, zu den Füßen, ganz dem Himmel gehörig, in der Aufgerichtetheit des Körpers, die sie schmächtig erscheinen ließ, ganz losgelöst vom Irdischen. –

»Sei gut,« fuhr er wilder fort, »mach mich wieder zum Kind, gütige Jungfrau, mächtige Jungfrau. Laß mich wieder fünf Jahre alt sein. Nimm mir meine Sinne, meine Männlichkeit. Laß ein Wunder das ganze, in mir emporgeschossene Mannestum fortschwemmen. Du beherrschst den Himmel, es ist dir ein Leichtes, mich niederzuschlagen, meine Glieder einzutrocknen, mich geschlechtlos, unfähig zum Bösen zu machen, und so kraftlos, daß ich ohne dich keinen Finger rühren kann. Unschuldig will ich sein, von jener Klarheit, die dir eigen ist, nichts Irdisches soll mich erbeben lassen. Ich will keinerlei Empfindung mehr haben, weder von meinen Nerven, noch von meinen Muskeln, noch vom Schlagen meines Herzens, dem Trieb meiner Begierden. Ich will eine Sache sein, ein weißer Stein zu deinen Füßen, dem du etwas Atem lassest, der sich nicht rührt von der Stelle, wo du ihn hingeschleudert hast, gehörlos, augenlos, zufrieden, unter deiner Ferse zu liegen mit den anderen Steinen, nicht an Unrat denken zu müssen. Oh, welche Seligkeit! Mühelos erreichte ich so mit einem Schlag die erträumte Vollkommenheit. Dann endlich könnte ich mich als dein wahrer Priester ausgeben. Ich wäre das, was meine Arbeit, meine Gebete, meine fünf Jahre langsamen Eindringens nicht aus mir machen konnten. Ja, ich verneine das Leben: ich sage, der Tod der Art sei vorzuziehen den unaufhörlichen Greueln, die sie verbreitet. Die Sünde besudelt alles. Der Gestank allgemeiner Unlauterkeit verdirbt die Liebe, durchgiftet das eheliche Gemach, die Wiege der Neugeborenen, ja, alles, bis zu den Blumen, die in der Sonne schmachten, bis zu den Bäumen, die ihre Knospen aufspringen lassen. Die Erde ist gebadet in diesen Sud, dessen kleinste Tropfen ausarten in schändliches Wachstum. Damit ich vollkommen werde, o Königin der Engel, Königin der Jungfrauen, erhöre mein Schreien, erhöre es! Gib, daß ich einer der Engel werde, die nur aus zwei Flügeln bestehen neben den Wangen; keinen Rumpf hätte ich mehr, keine Glieder, ich flöge zu dir, riefest du mich; ich wäre lediglich ein dir lobsingender Mund, ein fleckenloses Flügelpaar, das deine Himmelfahrten umfächelte. Oh, den Tod, den Tod, verehrungswürdige Jungfrau, gib mir den Tod! Ich liebte dich im Sterben meines Körpers, im Tod dessen, was sich mehren kann. Ich vollzöge mit dir die einzige Hochzeit, die mein Herz ersehnt. Ich stiege höher, immer höher, bis daß ich die Flamme erreicht hätte, da du glänzest. Ein großer Stern ist dort, eine riesige weiße Rose, deren jegliches Blatt mondhaft leuchtet, ein Silberthron, von dem du so feurige Unschuldsstrahlen versendest, daß der paradiesische Garten ganz allein erleuchtet wird von deinem Schleier. Alles Weiße ergießt sich über deine Füße, die Morgendämmerungen, der Schnee unerreichbarer Höhen, kaum erschlossene Lilien, Wasser unbekannter Quellen, Milch sonnenverschönter Pflanzen, das Lächeln der Jungfrauen, Seelen wiegengestorbener Kinder.

Also höbe ich mich auf zu deinen Lippen, wie ein zartes Flackern; ich dränge in dich ein, durch deinen leichtgeöffneten Mund, und die Verschmelzung vollzöge sich, unsere Freuden durchbebten die Erzengel. Oh, jungfräulich sein, sich jungfräulich lieben und inmitten süßester Liebkosung die jungfräuliche Weiße sich bewahren! Ganz Liebe zu sein, auf Schwanenfittichen gebettet, in einer Wolke von Reinheit, in den Armen einer Lichtgeliebten, deren Küsse Seelenfreuden sind!

Vollkommenheit, übermenschlicher Traum, knochenschütterndes Verlangen, Freuden, die mir den Himmel auftun! Oh, Maria, auserwähltes Gefäß, entmanne den Menschen in mir, mach mich zum Verschnittenen unter den Männern, damit du mir furchtlos auszuliefern vermagst den Schatz deiner Jungfräulichkeit!«

Und zähneklappernd, vom Fieber gebrochen, stürzte der Abbé Mouret besinnungslos nieder auf die Fliesen.


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