Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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16

Als Albine und Sergius aus glückseliger Betäubung erwachten, lächelten sie sich an. Von lichten Ländern kehrten sie zurück. Aus Höhen mußten sie niederwärts finden. Dankbar preßten sie sich die Hände, kamen langsam zur Besinnung und sagten:

»Ich liebe dich, Albine!«

»Sergius, ich liebe dich!« Und nie noch war den Worten »ich liebe dich« so wundersame Bedeutsamkeit zu eigen gewesen. Sie schlossen alles in sich ein, klärten alles. In zeitlos seliger Ruhe verblieben sie dort und umarmten sich immer wieder, vollkommen erlöst empfanden sie ihr Wesen. Freude an den Schöpfungsgewalten durchhellte sie, stellte sie den Muttermächten der Erde gleich, ließ sie selbst sich wie Erdkräfte empfinden. Auch lag in ihrem Glück die Gesichertheit der Gesetzeserfüllung, die tiefe Beruhigung am Schritt für Schritt logisch erreichten Ziele.

Sergius schloß sie wieder in starke Arme und sagte: »Sieh mich an, ich bin geheilt; du hast mir deine ganze Gesundheit geschenkt.«

Albine antwortete in innigster Hingebung:

»Nimm mich ganz, mein Leben gehört dir.«

Bis in die Lippen stieg ihnen Lebensfülle. Erst in Albines Besitz fand Sergius seine Männlichkeit, volle Muskelkraft, Herzensmut, jene letzte Gesundheit, die bis jetzt seinem unentwickelten Wesen gemangelt hatte. Jetzt erst empfand er sich vollständig. Seine Sinne hatten an Klarheit gewonnen, sein Verstand weitete sich. Es war, als sei er löwenhaft erwacht, überblickte königlich Land und freie Himmel. Er erhob sich, fest standen seine Füße auf dem Boden, glieder-stolz reckte sich sein Körper. Er zog Albine an den Händen in die Höhe. Sie wankte etwas, er mußte sie stützen. »Fürchte dich nicht,« sagte er, »du bist auf immer meine Geliebte.« Nun war sie die Dienende. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und sah ihn an, besorgt und dankbar. Würde er ihr das Geschehene verzeihen? Würde er ihr eines Tages nicht grollen, wegen der Anbetung dieser Stunde, die ihn zum Sklaven gemacht hatte? »Bist du mir nicht böse?« sagte sie demütig. Er lächelte, ordnete ihr das Haar und streichelte sie mit den Fingerspitzen, wie ein Kind. Sie fuhr fort: »Du wirst sehen, ich werde ganz bescheiden sein, du wirst meine Gegenwart kaum wahrnehmen, aber du mußt mir erlauben, dicht bei dir zu bleiben, nicht wahr? In deinen Armen, denn von dir muß ich erst wieder gehen lernen ... Es ist mir zumut in dieser Stunde, als könnte ich keinen Schritt mehr tun.«

Dann wurde sie sehr ernst.

»Immer mußt du mich liebhaben, dann werde ich dir gehorsam sein, mich bemühen um deine Freuden, alles aufgeben für dich, sogar meine geheimsten Wünsche.«

Sergius' Kräfte verdoppelten sich beim Anhören der demütig zärtlichen Stimme. Er befragte sie:

»Warum zitterst du? Was dürfte ich dir zum Vorwurf machen?«

Sie gab keine Antwort und betrachtete fast traurig den Baum, das zerwühlte Gras und Laub.

»Du großes Kind,« sprach er weiter, »du hast wohl Angst, daß ich für all dein Geben dir zürnen könnte? Was wir taten, kann doch keine Sünde sein; wir haben in Liebe einander angehört, wie wir eben einander angehören mußten. Ich möchte die Spuren deiner Füße küssen auf dem Weg hierher, genau wie ich deine Lippen küsse, die mich verführten, wie ich deine Brüste küsse, die die Heilung vollenden, einstmals begonnen, weißt du noch? Von deinen kühlen kleinen Händen.«

Sie schüttelte den Kopf, wandte die Augen und vermied es, den Baum noch länger anzusehen.

»Führ' mich fort,« sagte sie mit leiser Stimme. Sergius geleitete sie langsam weiter. Dankbar umfaßte er mit einem großen Blick noch einmal den Baum. Schweigen schattete über der Lichtung; wie Zusammenschauern einer beim Entkleiden überraschten Frau durchrieselte es die Blätter. Als sie beim Heraustreten aus dichtem Laub die Sonne wieder sahen, deren Glanz noch einen Himmelsstreif überhellte, beruhigten sie sich. Zumal Sergius, dem jedes Wesen, jede Pflanze neuen Sinn gewonnen zu haben schien. Um ihn neigte sich alles und huldigte seiner Liebe, der Garten war nur noch Hintergrund für Albines Schönheit, und im Liebeskuß seiner Beherrscher hatte er an Schönheit und Größe gewonnen.

Albines Freude aber blieb getrübt von Unruhe. In plötzlichem Erbeben brach ihr Lachen ab, und sie lauschte.

»Was ist dir?« fragte Sergius.

»Nichts,« erwiderte sie und sah scheu hinter sich. Sie wußten nicht, in welch verstecktem Teil des Gartens sie sich befanden. Für gewöhnlich war es ihnen Anlaß zu Lustigkeit, wenn sie nicht wußten, wohin die Laune sie geführt hatte. Diesmal aber überkam sie Unruhe und eigenartiges Unbehagen. Nach und nach beschleunigten sie ihre Schritte. Immer tiefer gerieten sie in ein Wirrsal von Gebüschen.

»Hast du nichts gehört?« sagte Albine ängstlich und blieb außer Atem stehen.

Und als er, angesteckt von ihrer offensichtlichen Beklommenheit, lauschte, fuhr sie fort:

»Überall in den Büschen höre ich Stimmen, wie von spottenden Leuten ... Da, klang es nicht wie Lachen aus jenem Baum? Und durch das Gras dort drüben ging es wie Geflüster, als mein Kleid darüber streifte.«

»Nein, nein,« sagte er beruhigend, »der Garten liebt uns. Fände er Worte, so wäre es nicht, um dich zu schrecken. Hast du das liebevolle Geflüster des Laubes vergessen? ... Deine Nerven sind erregt, Einbildungen quälen dich.«

Sie aber schüttelte den Kopf und flüsterte:

»Ich weiß wohl, der Garten ist unser Freund ... Dann bedeutet es, daß jemand eingedrungen ist. Glaub' mir, ich höre jemanden. Zu sehr durchbebt es mich. Ach, ich bitte dich inständig, führe mich fort, verstecke mich.«

Sie nahmen ihre Wanderung wieder auf, durchspähten das Unterholz und vermeinten hinter jedem Baumstamm Gesichter auftauchen zu sehen. Albine ließ sich nicht ausreden, Geräusch von Schritten käme ihnen nach von ferne.

»Verstecken wir uns, verstecken wir uns,« wiederholte sie in flehendem Ton. Sie errötete. Scham begann sich in ihr zu regen, eine Scham, die sie wie Krankheit befiel und die Unschuld ihrer bisher von keiner Blutwallung getrübten Haut befleckte. Es erschreckte Sergius, sie so in errötender Verwirrung zu sehen, mit schamhaften Wangen und tränenvollem Blick. Er wollte sie an sich ziehen, sie mit Liebkosungen beruhigen, sie aber wehrte ihm, bedeutete mit verzweiflungsvoller Gebärde, sie seien nicht mehr allein. Noch tiefer errötete sie, als ihr Blick sich senkte auf ihr gelöstes Kleid, das sie kaum mehr verhüllte, Arme, Brüste und Hals frei ließ. Ihre Schultern bebten unter verwirrten Haarsträhnen. Sie wollte einen Versuch machen, ihr Haar aufzustecken, fürchtete sich aber davor, ihren Nacken zu entblößen. Eine Astberührung, das leichte Anstreifen eines Insektenflügels, der mindeste Windhauch ließen sie jetzt erbeben, wie bei unlauterer Berührung unsichtbarer Hände.

»Beruhige dich,« bat Sergius. »Niemand ist da... Fieberrot bist du, ich bitte dich, laß uns etwas ausruhen.«

Nein, sie hätte kein Fieber, sie wollte gleich nach Hause, damit niemand sie sehen und über sie lachen könne. Sie beschleunigte ihre Schritte mehr und mehr, riß Laub von den Hecken, bedeckte ihre Blöße damit. Um ihr Haar wand sie Zweige eines Maulbeerbaumes; mit Windenranken umschlang sie ihre Arme und nestelte sie an den Handgelenken fest; Schneeballstengel fügten sich zur Halskette, die so lang herabwallte, daß ihre Brust sich in Blättern barg.

»Willst du zum Tanz gehen?« fragte Sergius, der sie zum Lachen bringen wollte.

Aber sie fuhr fort, Laub zu flücken und warf es ihm zu, mit ängstlich leiser Stimme sagte sie:

»Siehst du nicht, daß wir nackt sind?«

Nun begann auch er sich zu schämen und hing sich Blätter über die unzulänglichen Kleider.

Doch fanden sie keinen Ausweg aus den Büschen.

Am Ende eines Weges kamen sie plötzlich nicht weiter, ein hohes, graues, ernsthaftes Etwas stand vor ihnen. Die Mauer war es. »Komm, komm!« rief Albine.

Sie wollte ihn fortziehen. Keine zwanzig Schritte aber waren sie gegangen, da stießen sie wieder auf die Mauer, begannen in panischem Schrecken an ihr entlang zu laufen. Finster erstreckte sie sich, ohne Lichtspalt nach außen. Am Rande der Wiesen schien sie plötzlich einzustürzen. Eine Bresche öffnete sich als helles Fenster nach dem benachbarten Tal.

Dies mußte wohl die Mauerlücke sein, von der Albine einmal gesprochen hatte, jenes Loch, das sie angeblich mit Geröll und Dornenranken ausgefüllt hatte; auseinandergerissen lagen Dornenranken zerstreut umher wie zerschnittene Kordeln, Steine waren weit fortgeschleudert, die Lücke schien von irgendeiner zornigen Hand erweitert.


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