Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6

Eines Morgens endlich gelangte er mit ihrer Hilfe die Treppe hinunter; sie glättete die Gräser vor ihm mit dem Fuß und bahnte ihm einen Weg durch die wilden Rosengehänge, deren biegsame Zweige die letzten Stufen versperrten. Dann drangen sie langsam ein in den Rosenwald. Das Gehölz bildete sich aus hochstämmig großen Rosenbäumen, die Blätterwölbungen ausspannten wie Baumkronen, aus mächtigen Rosengebüschen, wie Dickicht junger Eichen. Einstmals hatte sich hier eine bewunderungswürdige Rosensammlung befunden.

Aber seitdem der Blumengarten sich selbst überlassen blieb, hatte alles wachsen können, wie es wollte, waldartiges Dickicht war entstanden, ein Wald aus Rosen, der die Wege überwucherte, alles mit wilden Schößlingen überschwemmte; die verschiedenen Arten verwuchsen zu solcher Wirrnis, daß Rosen aller Farben und Düfte aus den gleichen Stämmen aufzublühen schienen. Schlingrosen übermoosten teppichweich den Boden, während Kletterrosen andere Rosenstöcke umschlangen, wie zähes Efeugerank; grüne Raketen stiegen und ließen beim leisesten Hauch Blumenblätter herniederregnen. Inmitten des Wäldchens hatten sich natürliche Alleen gebildet, schmale Stege, breite Pfade, bezaubernd verwachsene Wege, auf denen man duftig umschattet ging. So gelangte man zu Kreuzwegen, Lichtungen, Lauben kleiner roter Rosen, zwischen Wänden, die mit gelben Rosen überschüttet waren. In manchen durchsonnten Ecken leuchtete es auf wie von seidenen Stoffen, grün und bunt durchwirktem Brokat; in manchen Schattenwinkeln lag Alkovenheimlichkeit, ein Liebesduft, die sanfte Wärme eines Straußes, der am Busen einer Frau sich bettete. Ein Flüstern ging durch die Rosen, und aus den nesterreichen Hecken hob sich Gesang.

»Wir müssen achtgeben,« sagte Albine, als sie das Gehölz betraten, »ich habe mich schon einmal verirrt. Die Sonne war schon gesunken, als ich mir endlich einen Pfad durch die Rosen gebahnt hatte; bei jedem Schritt hefteten sie sich an mich.«

Aber kaum waren sie einige Minuten unterwegs, da wollte sich der gänzlich ermattete Sergius schon hinsetzen.

Er streckte sich hin und schlief fest ein. Albine blieb gedankenvoll ihm zur Seite sitzen. Sie befanden sich am Ausgang eines Weges, der bis zum Rande einer Lichtung führte. Sehr weit zog sich der Weg hin, sonnenbestreift, am anderen Ende stand er gegen den Himmel offen, der sich blau gegen das enge Rund der Öffnung preßte. Andere kleine Wege durchhöhlten kreuz und quer das Grün. Die Lichtung wurde von stufenweise angeordneten Rosenstöcken gebildet, die sich erhoben in einer solchen Wirrnis von Zweigen, einem solchen Schwall dornenbewehrter, geschmeidiger Ranken, sodaß dichtes Blattgehänge luftig sich heftete und von einem Busch zum anderen flatternde Zeltplanen spannte. In dies spitzenzart verästelte Gewühl drang der Tag nur durch kaum wahrnehmbare Maschen, azuren siebte sich das Licht zu ungreifbar kreisendem Sonnenstaub. Und aus der Überwölbung hingen wie Kronleuchter, Zweigausläufer, große Sträuße von grünschlanken Ranken gehalten, Blumenmassen sanken bis zur Erde nieder, entlang an irgendeiner Lücke in der Überlaubung, die niedergebrochen, wie abgerissene Draperieen schleifte. Albine betrachtete den schlafenden Sergius. In einem Zustand so schwerer körperlicher Erschöpfung hatte sie ihn noch nie gesehen, matt lagen die Hände auf dem Rasen, das Gesicht war wie leblos. Tot war er so für sie, küssen könnte sie ihn, kam ihr in den Sinn, ohne daß er auch nur das Geringste davon gemerkt hätte. Und in trüber Zerstreutheit begann sie mit müßiger Hand die ihr erreichbaren Rosen zu entblättern. Ihr zu Häupten hingen riesige Blumengarben, die Scheitel, Haarknoten, Nacken und Ohren mit Rosen umgaben, ihr um die Schultern einen Rosenmantel warfen. Höher griffen ihre Finger und ließen Rosen regnen, zartgroße Blumenblätter, weich gerundet in kaum geröteter Reine jungfräulichen Busens. Die Rosen deckten schon wie lebendig flockender Schnee ihre im Gras gekreuzten Füße. Bis zu den Knien stiegen ihr die Rosen, überschütteten den Rock, hüllten sie ein bis zu den Hüften; nur drei verwehte Rosenblätter, ihrem Mieder angeflogen, am Busenansatz, sahen aus wie drei Fleckchen ihrer eigenen bezaubernden Nacktheit.

»O du Siebenschläfer!« murmelte sie gelangweilt, nahm Hände voll Rosenblätter auf und warf sie Sergius ins Gesicht, um ihn aufzuwecken. Schlafschwer blieb er liegen. Mund und Augen verschwanden unter Rosen. Das brachte Albine zum Lachen, sie beugte sich vor und küßte ihn herzhaft auf beide Augen, auf den Mund, wollte im Küssen die Rosenblätter fortblasen; die Blumen blieben aber an ihren Lippen haften, da mußte sie noch lauter lachen, in hellem Vergnügen über dies Küssen durch die Blumen. Sergius hatte sich langsam aufgerichtet. Er betrachtete sie in tiefstem Erstaunen, es war, als erschreckte ihn ihre Anwesenheit. Er fragte sie: »Wer bist du, woher kommst du, was tust du hier bei mir?«

Ihr Lächeln verging nicht, denn sie war voller Freude über sein Erwachen. Da schien ihm eine Erinnerung zu kommen, er begann wieder mit einer glücklich vertrauten Bewegung.

»Ich weiß, meine Liebe bist du, du bist Fleisch von meinem Fleisch, du wartest, daß ich dich in die Arme nehme, damit wir eins werden... Mir träumte von dir. In meiner Brust warst du, und ich gab dir mein Blut, meine Kraft, mein Mark. Es tat gar nicht weh. Du nahmst mir die Hälfte meines Herzens, so sanftmütig, daß es mir eine Lust war, mich so zu zerreißen. Das Beste und Schönste in mir hätte ich dir gern geopfert. Hättest du alles an dich genommen, ich hätte dir Dank dafür gewußt ... Als du aus mir heraustratest, bin ich erwacht. Aus den Augen, dem Mund bist du mir entwichen, ich habe es genau gefühlt. Duftend, weich und so zärtlich lieb warst du, daß dein eigenstes Beben mich erwachen ließ.« Albine lauschte in Entzücken seinen Worten, er sah sie endlich, endlich also kam er wirklich zur Welt, gesundete. Ihre ausgestreckten Hände baten ihn, weiter zu reden:

»Wie habe ich ohne dich leben können?« sagte er leise. »Aber das war ja auch kein Leben, ich dämmerte dahin wie ein Tier... Und jetzt gehörst du mir! Und bist mein anderes Selbst! Hör' mich an, nie darfst du mich verlassen, denn du bist mein Atem, das Leben würdest du mir rauben, gingest du von mir. Wir werden ineinander aufgehen, du wirst in mir sein, ich in dir. Verließe ich dich eines Tages, will ich verflucht sein und mein Leib soll dorren, wie ein unnötiges und schlimmes Kraut.« Er ergriff ihre Hände und sagte ein um das andere Mal, mit vor Bewunderung zitternder Stimme: »Wie schön bist du!«

Albines Haut schimmerte milchweiß in der niederstäubenden Sonne, wenig nur vom Tageswiderschein übergoldet. Von dem Rosenregen, der sich um sie, über sie ergossen hatte, war sie rosig überhaucht. Ihr blondes Haar, das der Kamm fast nicht zu bändigen vermochte, umwebte sie mit dem Aureolenglanz sinkenden Gestirns, hüllte ihren Nacken in ungeordnet letztes Flammenzüngeln. Sie trug ein weißes Kleid, in dem sie nackt erschien, so sehr war es zu ihrer Haut geworden, ließ Arme, Busen und Knie erkennen. Sie versteckte sie nicht, ihre unschuldige Haut, blumenhaft, ohne Scham erblüht, würzig, rein, duftend. Wie sie so lag, war sie nicht sehr groß, in schlangenhafter Geschmeidigkeit, in zierlicher Weichheit spielten die Linien, weiteten sich wollüstig in der Anmut eines reifenden, doch noch kindlich regsamen Körpers.

Ihr längliches Gesicht mit der schmalen Stirne, dem etwas großen Mund, war ganz überströmt von der fröhlichzärtlichen Lebendigkeit ihrer blauen Augen. Und doch sah sie ernsthaft aus, mit den klaren Wangen, dem festen Kinn, war so selbstverständlich schön, wie die Bäume schön sind.

»Und wie ich dich liebe!« sagte Sergius, und zog sie an sich.

Sie lagen sich in den Armen, hielten sich fest umschlungen. Doch küßten sie sich nicht. Hüfte an Hüfte lehnten sie die Wangen aneinander, stumm, einig und bezaubert in inniger Gemeinsamkeit. Um sie blühten die Rosen. Ein lachendes Blühen war es, rot, rosig und weiß, liebesdurchtollt. Lebendurchflutete Blumen taten ihre Nacktheit auf, wie üppige Mieder, denen Brüste köstlich entquellen. Da waren gelbe Rosen, deren Blätter übergoldet waren wie die Haut von Barbarenweibern, strohfarbige Rosen, zitronen-, sonnenfarbene, Rosen aller Schattierungen, von Gluthimmeln ambragelb behauchter Nacken. Dann erzarteten die Tönungen, matte Teerosen in feuchter Entzückung wiesen schamhafte Verborgenheiten, geheim Fleischliches, das sich nicht zeigen darf, in seidiger Zartheit, leicht von Adernetzen überblaut. Dann kam das rosige Leben zur Entfaltung: weißrosa, kaum etwas glanzüberfirnist, schneeiges Weiß jungfräulichen Fußes, der zögernd in Quellwasser taucht; blasses Rosa, verschwiegener als das warme Weiß eines heimlich erspähten Knies, als das Aufleuchten jungen Armes im weiten Ärmel; frisches Rosa, Blut unter Seide, nackte Schultern, nackte Hüften, die ganze Nacktheit der Frau, lichtumkost; lebhaftes Rosa, Blumenknospen der Brust, halbgeöffnete Lippenblüten, denen duftlauer Atem entströmt. Und die Kletterrosen, die großen, weiß überrieselten Rosenstämme überkleideten all dies Rosa, alle Nacktheit mit der Spitzenflut ihrer Blütentrauben, der Unschuld ihrer musselinenen Leichte; während da und dort weinhefenfarbene, fast schwarze, blutende Rosen in dieser brautreine Leidenschaftswunden aufrissen. Hochzeitlichkeit des duftenden Gehölzes, die Maienunschuld leitet zu Juli- und Augustfruchtbarkeiten; unwissend erster Kuß, wie ein Strauß, gepflückt am Hochzeitsmorgen. Sogar die Moosrosen am Boden, im wollig hochgeschlossenen Gewand, erwarteten Liebe. Den sonnenbestrahlten Weg entlang streckten Gesichter sich vor und riefen die vorüberstreifenden Winde an. Unterm ausgespannten Zelt der Lichtung war aller Art Lächeln zu sehen, nicht eine Entfaltung glich der anderen. Alle Rosen liebten ihrem eigenen Wesen gemäß. Die einen ließen sich nur dazu herbei, ihre Knospe halb aufzutun, verschämt und mit errötendem Herzen, andere dagegen knitterten keuchend ihre Hüllen weit auf, tödlich ihrem Leib ergeben. Kleine, flinke, lustige gab es, die sich aufreihten mit Bänderhauben, sehr volle mit überüppigen Reizen, der Fülle schwerer Sultaninen; dirnenhaft unverschämte in gefallsüchtigem Sichgehenlassen, die puderfahle Blätter spreiteten. Anständige mit bürgerlich züchtigem Ausschnitt; aristokratische von geschmeidiger Eleganz, erfinderisch in Enthüllungen erlaubter Eigenart. Die kelchhaft sich entfaltenden Rosen boten ihren Duft wie im köstlichen Kristall; den urnenförmig geschweiften entrann er tropfenweise, kohlrunde Rosen atmeten ihn aus in regelmäßigen Atemzügen schlafender Blumen; die Rosenknospen preßten ihre Blätter zusammen und gaben nichts aus als unbestimmt seufzende Jungfräulichkeit.

»Ich liebe dich, ich liebe dich,« wiederholte Sergius mit leiser Stimme.

Auch Albine war eine große, blasse, am Morgen erblühte Rose. Mit weißen Füßen, rosigen Knien und Armen, erblondetem Nacken, entzückend geäderter, süßfeuchter Brust. Sie duftete gut, bot Lippen, deren Korallenkelch erst schwacher Duft entströmte. Und Sergius atmete sie ein, schloß sie an seine Brust.

»Oh,« sagte sie, »du tust mir nicht weh, nimm mich nur ganz und gar.«

Sergius blieb im Bann ihres wie Vogelsang trillernden Lachens.

»Wie du singen kannst,« sagte er; »nie hörte ich ein so süßes Lied ... Du bist meine Freude...«

Da lachte sie in noch perlenderen Läufen kleiner, spitziger Flötentöne, die sich langsam verloren in tiefen Lauten. Ein Lachen war es, das nicht enden wollte; tiefes Gurren, musikalisches Klingen, sieghaft die Lust des Erwachens feiernd. Alles lachte in diesem Lachen einer zu Schönheit und Liebe erwachenden Frau; die Rosen, der duftende Wald, das ganze Paradeis. Bis zu dieser Stunde hatte dem großen Garten ein Reiz gefehlt, eine begnadete Stimme, die lebendiger Freudenlaut der Bäume, Wässer und Sonne gewesen wäre. Jetzt war dem großen Garten die Zaubergabe des Lachens verliehen.

»Wie alt bist du?« fragte Albine, nachdem ihr Getriller in zart ersterbendem Ton verhallt war.

»Sechsundzwanzig Jahre werde ich alt,« erwiderte Sergius. Sie verwunderte sich. Wirklich! Er war sechsundzwanzig Jahre alt! Er selbst war ganz erstaunt über diese Antwort, die ihm so leicht über die Lippen kam, denn es war ihm zumute, als sei er kaum einen Tag alt, kaum seit einer Stunde geboren.

»Und du, wie alt bist du?« fragte er nun Albine.

»Ich bin sechzehn!«

Wieder begann sie zu lachen, sie war ganz durchbebt, wiederholte ihr Alter, sang es heraus. Sie lachte darüber, daß sie erst sechzehnjährig war, ein wasserklar rieselndes Lachen, rhythmisches Stimmerzittern. Sergius betrachtete sie ganz nah, in verwundertem Entzücken, über dieses mit lachendem Leben überglänzte Kinderantlitz. Er erkannte sie kaum wieder, mit den Grübchen in den Wangen, den rosigen Lippen, den Augen wie blauer, sternaufleuchtender Himmel. Als sie sich zurückwarf, lehnte sie ihr lachend geschwelltes Kinn ihm wärmend an die Schulter. Er streckte die Hand aus und schien halb unbewußt ihr im Nacken etwas zu suchen.

»Was willst du denn,« fragte sie. Da kam ihr die Erinnerung, und sie rief:

»Meinen Kamm willst du, du willst meinen Kamm!« Sie gab ihn ihm, ließ die schweren Flechten ihres Haarknotens fallen. Wie das Entfalten eines goldenen Mantels war es. Dicht hüllten ihre Haare bis zu den Flanken sie ein, einzelne Locken, die ihr auf die Brust fielen, vollendeten die königliche Zier. Sergius entfuhr ein leiser Schrei bei diesem plötzlichen Aufflammen. Jede Locke küßte er, verbrannte sich die Lippen an den Sonnenuntergangsstrahlen.

Albine aber entschädigte sich jetzt für ihr langes Schweigen. Sie redete, fragte, und konnte kein Aufhören finden.

»Ach, wie du mich gequält hast! Nicht mehr vorhanden war ich für dich; unnütz und untätig verbrachte ich die Tage, verzweifelt über meine Unfähigkeit... Und in den ersten Tagen hatte ich dir doch Linderung schaffen können; du sahst mich, sprachst mit mir... entsinnst du dich nicht mehr, wie du im Bett lagst und an meiner Schulter einschliefst, murmeltest, daß ich dich beruhigte!«

»Nein,« sagte Sergius, »nein, ich erinnere mich nicht... Nie hatte ich dich noch gesehen, jetzt sehe ich dich zum ersten Male, schön, strahlend, unvergeßlich.«

Ungeduldig widersprach sie und klatschte in die Hände.

»Und mein Kamm? Weißt du nicht mehr, wie ich dir meinen Kamm gab, um Ruhe zu haben, als du noch ganz kindisch warst? Sogar vorhin hast du nach ihm gesucht.«

»Nein, ich weiß nicht mehr... Wie feingesponnene Seide sind deine Haare. Nie noch hab ich dein Haar geküßt.«

Sie wurde böse, gab genaue Einzelheiten an, beschrieb ihm Genesungstage im blauüberwölbten Zimmer. Schließlich legte er ihr lachend die Hand auf den Mund und sagte mit matter Unruhe:

»Nein, schweig doch, ich weiß nichts mehr und will auch nichts mehr davon wissen ... Gerade bin ich aufgewacht und finde dich hier, rosengeschmückt. Das genügt mir.« Und er nahm sie wieder in die Arme lange Zeit und murmelte wie im Traum.

»Vielleicht habe ich schon gelebt. Vor langer, sehr langer Zeit... In einem schmerzhaften Traum liebte ich dich. Du hattest deine kindliche Miene, dein längliches Gesicht, die blauen Augen. Aber deine Haare waren sorgfältig unter einem Tuch versteckt; und ich wagte nicht, dies Tuch fortzuschieben, weil mir dein Haar Furcht einflößte, und weil ich dann hätte sterben müssen ... Jetzt sind deine Haare mir so lieb, wie dein ganzes Wesen. Sie bewahren deinen Duft, lassen deine ganze Schönheit mir weich durch die Finger rieseln. Wenn ich sie küsse, mein Gesicht so in ihnen vergrabe, trink' ich dein Leben.« Er drehte sich die langen Locken um die Hände, preßte sie an die Lippen, als wollte er ihnen alles Blut Albines entziehen. Nach einem kurzen Schweigen fuhr er fort:

»Es ist seltsam, bevor man geboren wird, träumt man zu sein... Irgendwo lag ich unter der Erde und fror. Über mir hörte ich das Außenleben sich regen. Aber ich hielt mir verzweifelt die Ohren zu, kannte nichts als meine finstere Höhle, kostete in ihr schauerliche Freuden und machte nicht einmal den Versuch, die lastende Erde mir von der Brust zu schütteln... Wo war ich denn? Wer hat mich endlich an das Licht gezogen?« Er strengte sein Gedächtnis an. Albine war in heller Sorge, er könnte die Erinnerung wiederfinden. Lächelnd nahm sie ihr Haar und wand es dem jungen Mann um den Hals, ihn so an sich zu fesseln. Diese Spielerei riß ihn aus seinem Grübeln.

»Du hast recht,« sagte er, »ich bin dein, und alles übrige ist gleichgültig ... Nicht wahr, du hast mich aus der Erde gegraben? Ich lag wohl unter diesem Garten. Was ich vernahm, war das Geräusch deiner Schritte auf dem Kies. Du suchtest nach mir, brachtest mir Vogelsang, Nelkenduft und Sonnenschein ... Und es war mir zumut, als müßtest du mich am Ende finden. Siehst du, lange schon wartete ich auf dich. Aber ich konnte nicht hoffen, daß du dich mir ohne deinen Schleier schenken würdest, und mit gelösten Haaren, den schlimmen Haaren, die jetzt so sanftmütig geworden sind.« Er zog sie an sich, bettete sie auf seine Knie und lehnte das Gesicht an das ihre.

»Reden wir nicht mehr. Für immer sind wir allein. Wir lieben uns.«

In unschuldiger Umarmung verweilten sie noch lange in süßem Vergessen. Die Sonne stieg, heißer stäubte der Tau von den Zweigen nieder.

Die gelben, weißen und blaßroten Rosen wurden zu einer Ausstrahlung ihrer Freude, einer Form ihres Lächelns. Sicherlich sprangen die Knospen auf in ihrer Nähe. Rosen krönten sie und umschlangen ihre Glieder. Und so durchdringend war der Rosenduft, so erfüllt war er von liebender Zärtlichkeit, daß er der Duft ihres eigenen Wesens zu sein schien.

Sergius wollte Albines Haar ordnen. Er wühlte in liebenswürdiger Ungeschicklichkeit mit beiden Händen in ihren Haaren und steckte den Kamm schief in den aufgetürmten Wust. Indessen stand ihr diese seltsame Haartracht ausnehmend gut. Dann erhob er sich, streckte die Hände nach ihr und griff sie um die Hüften, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein.

Das stille Lächeln blieb ihnen, und so schritten sie über den Rasen davon.


 << zurück weiter >>