Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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10

Gegen sechs gab es ein plötzliches Erwachen.

Unter Gelächter wurden Türen aufgerissen und zugeworfen, und Desiderata kam zum Vorschein mit verwirrtem Haar und noch immer aufgekrempelten Ärmeln, sie rief:

»Sergius! Sergius!«

Als sie ihres Bruders im Garten ansichtig wurde, kam sie angelaufen und ließ sich eine kurze Zeit zu seinen Füßen nieder, sie bat:

»Komm doch, die Tiere ansehen!... Du hast meine Tiere noch nicht gesehen, komm doch. Wenn du wüßtest, wie sie jetzt hübsch sind.«

Lange ließ er sich bitten. Vor dem Viehhof scheute er sich etwas. Als er aber Tränen in Desideratas Augen aufsteigen sah, gab er nach. Sie warf sich ihm an den Hals mit der freudigen Plötzlichkeit eines jungen Hundes, lachte lauter als zuvor mit noch nassen Augen.

»Ach, du bist lieb,« stammelte sie und zog ihn mit sich davon. »Du mußt die Hühner sehen, die Kaninchen und Tauben, meine Enten, die frisches Wasser bekommen haben und meine Ziege, die nun ein ebenso sauberes Zimmer hat als ich... Du mußt wissen, ich habe drei Enten und zwei Truthennen. Komm schnell, alles sollst du sehen.«

Desiderata stand jetzt im zweiundzwanzigsten Jahre, sie war auf dem Land bei ihrer Amme aufgewachsen, einer Bäuerin von Sankt Eutrope.

Ihr Hirn beschwerte kein ernsthaftes Denken irgendwelcher Art, sie zog Lebenskräfte aus der reichen Scholle, aus der reinen Landluft, entwickelte sich nur körperlich und wurde zu einem schönen, frischen, weißen Tier mit rosigem Blut und fester Haut. Es war, als sei einer Rasseeselin die Gabe des Lachens verliehen. Trotzdem sie von morgens bis abends herumwirtschaftete, blieben ihr die Zartheit der Gelenke, die Schlankheit der Glieder, die ganze bürgerliche Rasseverfeinerung ihres jungfräulichen Leibes erhalten; daß sie ein Sondergeschöpf geworden schien, – ein Wesen, nicht junge Dame, nicht Bäuerin, ein erdgespeistes Mädchen, schulterbreit und engstirnig, wie eine junge Göttin.

Die Zuneigung zu den Tieren war eine Folge ihrer Geistesarmut. Wirklich wohl fühlte sie sich nur in ihrer Gesellschaft; sie verstand ihre Sprache besser als die der Menschen, und pflegte sie mit mütterlicher Hingebung. Folgerichtige Gedankengänge waren bei ihr durch Instinkt ersetzt, der sie auf die gleiche Stufe der Tiere stellte. Beim ersten Wehschrei, den sie ausstießen, erkannte sie ihr Übel. Leckerbissen erfand sie, auf die sie mit Gier sich stürzten. Mit einer einzigen Bewegung schlichtete sie ihre Streitereien, schien auf den ersten Blick ihre gutartige oder schlimme Verfassung zu erraten, wußte lange Geschichten zu erzählen mit so genauen Einzelheiten über die Wesensbeschaffenheit des kleinsten Kükens, daß die Leute aufs tiefste erstaunten, für die das eine kleine Küken vom anderen kleinen Küken nicht zu unterscheiden ist. Ihr Viehhof hatte sich auf diese Art zu einem ganzen Reich ausgeweitet, das sie als Alleinherrscherin regierte; ein Land von verwirrender Einteilung, erschüttert von Revolutionen, bevölkert von den verschiedenartigsten Geschöpfen, deren Lebenslauf ihr allein bekannt war. Diese Instinktsicherheit ging so weit, daß sie die tauben Eier einer Brut herausfand und die Anzahl der Jungen eines Wurfs Kaninchen vorhersagte.

Mit ihrem sechzehnten Jahre vollendete sich ihre Entwicklung. Desiderata litt in keiner Weise unter Schwindelanfällen und Übelkeiten, wie andere Mädchen. Sie bekam das Aussehen einer erwachsenen Frau, und das prächtige Erblühen ihres Fleisches sprengte die Kleider. Von da an eignete ihr die schwellend gerundete Büste und das feste Gliedergefüge eines antiken Bildwerkes, das ganze drängend tierhaft kräftige Wachstum. Es war, als ob sie der früchtigen Erde ihres Viehhofes verbunden sei und Lebenssäfte durch ihre weißen, kräftigen Beinsäulen emporstiegen. Keinerlei fleischliche Begierde entstand in dieser Fülle. Anhaltende Befriedigung gewann sie aus dem Gefühl, inmitten dieses Gewimmels zu leben. Zeugungsdünste entrauchten den sich paarenden Tieren und ihrer Mistschicht, hüllten sie ein und ließen sie die Freuden der Fruchtbarkeit genießen. Das Eierlegen der Hühner befriedigte sie. Sie trug ihre Stallhäsinnen zum Männchen, mit dem Gelächter eines schönen, gemütsruhigen Mädchens; sie empfand das Wohlbehagen einer Schwangeren beim Melken ihrer Ziege. Durch und durch gesund, unschuldig sog sie Leben, Wärme und Duft ein. Keinerlei neugierige Verdorbenheit gab ihr die Sorge um Fortpflanzung ein, angesichts der flügelschlagenden Hähne, der gebärenden Weibchen, des den engen Stall durchstinkenden Bockes. Sie bewahrte ihre schöne, tierhafte Ruhe, ihren klaren, gedankenlosen Blick und war glücklich, wenn ihre kleine Welt sich vermehrte, sie fühlte ein Wachsen ihres eigenen Leibes, befruchtet, so sehr verschmolzen mit all dieser Mütterlichkeit, daß sie zur Mutter aller wurde, wie die Mutter Natur selbst, deren nie erzitternden Fingern Zeugungsnaß enttropft.

Seit Desiderata sich im Artaud aufhielt, zogen ihr die Tage in vollster Glückseligkeit dahin. Der einzige Traum ihres Lebens ging in Erfüllung, der einzigste Wunsch, der sie gequält hatte in ihrem kindlichen Hindämmern. Sie besaß einen Winkel, den man gänzlich ihr überließ, wo sie nach Herzenslust Tiere aufziehen konnte. Von dort wich sie nicht mehr, sie führte selbst die Ställe für die Kaninchen auf, grub den Enten ihren Pfuhl, schleppte Heu und schlug Nägel ein und duldete keinerlei Hilfe. Die Teusin brauchte sich nur um ihre Säuberung zu kümmern. Der Wirtschaftshof lag hinter dem Kirchhof; öfters mußte Desiderata eine neugierige Henne, die über die Mauer geflattert war, auf den Gräbern einfangen. Am Hofende stand eine Scheune, in der sich der Kaninchenstall und das Hühnerhaus befanden; zur Rechten hatte die Ziege Unterkunft gefunden im kleinen Stall. Sonst lebten alle Tiere gemeinsam, die Kaninchen bei den Hühnern, die Gänse, Truthennen, Perlhühner und Tauben in brüderlichem Verein mit drei Katzen, die Ziege nahm ihr Fußbad neben den Enten. Als Desiderata an dem Lattenzaun, der diesem ganzen Treiben das Eindringen in die Küche verwehrte, in Sicht kam, begrüßte sie ohrenbetäubender Lärm.

»Oh! Hörst du sie,« sagte sie zu ihrem Bruder schon an der Eßzimmertüre. Als sie ihn hereingelassen hatte und die Schranke hinter ihm schloß, verschwand sie fast in dem Ansturm. Schnatternd und klappernd mit ihren Schnäbeln, zogen sie die Enten und Gänse an den Röcken; die gefräßigen Hühner hüpften nach ihren Händen unter heftigem Gepick, die Kaninchen schmiegten sich um ihre Füße und sprangen ihr an den Knien herauf, während drei Katzen ihre Schultern erkletterten und die Ziege aus dem Stallinnern blökte, weil sie nicht zu ihr hinkonnte.

»Laßt mich in Ruh', ihr Tiere,« rief sie, ganz durchschüttelt von frohem Gelächter und gekitzelt von der Berührung all der Federn, Pfoten und Schnäbel.

Aber sie tat nichts, um sich frei zu machen. Sie hätte sich fressen lassen, sagte sie, und süß war es ihr, dies Leben gegen sich prallen zu fühlen und in Flaumwärme gehüllt zu sein. Am Ende blieb nur eine der Katzen ihr eigensinnig auf dem Nacken liegen.

»Es ist Murr, mit den Sammetpfoten,« sagte sie.

Dann setzte sie stolz hinzu, ihrem Bruder den Hof zeigend:

»Sieh nur, wie sauber!«

Der Hof war in der Tat gekehrt, gescheuert und geharkt. Diesen trüben Wässern, der umgeschüttelten Streu entströmte ein so wildstarker Geruch, daß es dem Abbé Mouret den Atem verschlug. Der Mist war an die Kirchhofmauer zu einem ungeheuer rauchenden Haufen aufgeschichtet.

»Sieh, die Menge!« fuhr Desiderata fort und zerrte ihren Bruder in die beißenden Dämpfe. »Alles habe ich selbst hingetan, niemand hat mir geholfen ... Geh, es schmutzt nicht, reinigt sogar. Sieh dir meine Arme an.«

Sie streckte die Arme von sich, die sie nur in einem Wassereimer abgespült hatte, königliche Arme von vollendeter Rundung, erblüht wie weiße große Rosen aus dem Mist.

»Doch, doch,« murmelte der Priester. »Du hast ordentlich gearbeitet. Sehr hübsch nimmt es sich jetzt aus.«

Er ging auf die Holzschranke zu; aber sie vertrat ihm den Weg.

»Warte doch! Du mußt alles betrachten. Du ahnst ja nicht...«

Sie zog ihn in den Schuppen vor den Kaninchenstall.

»In allen Abteilungen sind Junge,« sagte sie, vor Entzücken in die Hände klatschend. Sodann erklärte sie ihm lang und breit die einzelnen Familienzusammenhänge. Er mußte sich hinkauern und die Nase an das Gitter drücken bei der Erörterung genauester Einzelheiten. Die Mütter mit den bebenden großen Ohren warfen seitlich schielende Blicke und saßen furchtgebannt. Der nächste Kasten zeigte eine pelzige Höhlung und davor eine lebendig geknäulte, schwärzlich unbestimmbare Masse, die hörbar Atem holte, wie ein einziges Geschöpf. Nebenan wagten die Jungen mit ihren großen Köpfen sich bis an den Rand des Käfigs. Noch weiter waren sie schon ganz kräftig, glichen jungen, beweglich-spürenden Ratten, die Rückseite mit den weißen Schwanzfleckchen besteckt. Voll spielerischer Kinderanmut waren sie, rannten an den Abteilungen entlang, Weiße mit Augen aus mattem Rubin, Schwarze mit Augen wie Jettknöpfe. In wilder Angst stoben sie plötzlich davon, jeder Sprung ließ die zarten, von ihren Ausscheidungen geröteten Läufe sehen. Dann setzten sie sich in einen Haufen zusammen, so dicht, daß die Köpfe nicht mehr zu sehen waren.

»Vor dir haben sie Furcht, mich kennen sie genau,« sagte Desiderata.

Sie lockte sie und zog aus ihrer Tasche einige Brotkrusten. Die jungen Kaninchen beruhigten sich und hoben sich eins nach dem anderen, schräg, mit gekräuselter Nase, am Gitter empor. Dort ließ sie sie ein wenig verbleiben, um ihrem Bruder das rosige Bauchfellchen zeigen zu können. Dann überließ sie dem Frechsten die Kruste. Daraufhin kam die ganze Bande angelaufen, sich stoßend und überkugelnd, aber ohne sich zu zanken, drei Junge bissen manchmal an der gleichen Kruste, einige flohen und duckten sich nach der Wand, um ungestört zu essen; im Hintergrund vernahm man immer noch das laute Atmen der Mütter, die mißtrauisch die Krusten verschmähten.

»Oh, die Leckermäuler!« rief Desiderata, »bis morgen möchten sie so weiterfuttern. Nachts kann man hören, wie sie an den übriggebliebenen Blättern knuspern.«

Der Priester hatte sich erhoben; sie aber wurde nicht müde, den Kleinen zuzulächeln.

»Betrachte dir das große da hinten, das ganz weiße mit den schwarzen Ohren, denk dir nur! Mohnblumen liebt es. Mit Sicherheit sucht es sie unter den anderen Pflanzen heraus. Neulich bekam es Koliken davon. Es ging ihm recht übel. Da nahm ich es, hielt es warm in meiner Tasche. Seit der Zeit ist es wohl und munter.«

Sie steckte die Finger durch die Maschen des Gitterwerkes und streichelte den Tierchen den Rücken.

»Wie Atlas,« fuhr sie fort. »Sie sind fürstlich gekleidet. Und eitel obendrein! Dies dort zum Beispiel putzt sich immerwährend. Mit seinen Pfoten ... Wenn du wüßtest, wie komisch sie sind! Ich sage nichts, aber ich bemerke ihre Bosheiten wohl. So haßte beispielsweise das graue Männchen, das uns ansieht, ein kleines Weibchen; ich mußte es absondern. Gräßliche Geschichten haben sich zwischen ihnen abgespielt. Zu lang wäre es, alles zu erzählen. Das letztemal, vermutlich, nachdem es das Weibchen mißhandelt hatte, was muß ich sehen, als ich böse ankam? Diesen Spitzbuben da, flach an den Boden geschmiegt und anscheinend verröchelnd. Er wollte mich glauben machen, er habe sich über das Weibchen zu beklagen ...«

Sie unterbrach sich, zum Kaninchen gewandt:

»Hör' nur gut zu, ein Lump bist du.«

Und zum Bruder sich umdrehend:

»Alles versteht er, was ich sage,« flüsterte sie mit einem Augenblinzeln.

Der Abbé Mouret hielt es nicht mehr aus in der Wärme, die vom Kaninchenstall ausging. Das unterm ausgerissenen Bauchhaar der Mütter wimmelnde Leben wehte so Starkes zu ihm hin, daß die Schläfen ihm davon klopften. Desiderata, wie berauscht nach und nach, wurde immer munterer, rosiger und körperlicher.

»Es ruft dich aber doch niemand!« rief sie, »es sieht immer aus, als ob du weglaufen wolltest. Und meine kleinen Küken! Von dieser Nacht sind sie.«

Sie nahm eine Handvoll Reis und warf sie vor sich hin. Die Glucke mit rufendem Gegacker kam würdig näher, gefolgt von der ganzen Kükenschar mit ihrem piepsenden Gezwitscher und dem schwanken Flügelschlag verirrter Vögel. Als sie dann mitten in den Reiskörnern standen, teilte die Mutter wütende Schnabelhiebe aus und warf die Körner umher, die sie zerbrach, während die Jungen eilig vor ihr herpickten. Voll entzückender Kindlichkeit waren sie, erst halbgefiedert, mit rundem Kopf und scharfen Äuglein wie Stahlspitzen. Der Schnabel saß ihnen so drollig und der Flaum so liebenswürdig gelupft, daß sie wie Zweisousspielzeuge anzusehen waren. Desiderata brach in vergnügtes Lachen aus bei ihrem Anblick.

»Lieblinge sind sie,« brachte sie hervor.

Zwei nahm sie, eines in jede Hand und bedeckte sie mit Küssen. Der Priester mußte sie von allen Seiten betrachten, während sie in aller Gemütsruhe sagte:

»Es ist gar nicht leicht, die Hähne herauszukennen. Ich irre mich aber nicht ... Das ist ein Hühnchen, und das ist auch ein Hühnchen.«

Sie setzte sie auf die Erde zurück. Die anderen Hennen kamen an, um den Reis zu vertilgen. Ein großer Hahn mit flammendem Gefieder folgte ihnen; er schritt hoch daher in majestätischer Umsichtigkeit.

»Alexander wird immer prächtiger,« sagte der Priester seiner Schwester zuliebe.

Der Hahn hieß Alexander. Er duckte den Kopf, breitete den Schweif und betrachtete glühenden Auges das junge Mädchen. Dann hielt er sich dicht an ihrem Rocksaum.

»Er hat mich sehr gerne,« sagte sie. »Von mir allein läßt er sich anfassen ... Ein tüchtiger Hahn ist er. Vierzehn Hennen hat er, und ich finde nie ein taubes Ei in der Brut, nicht wahr, Alexander?«

Sie hatte sich gebückt. Der Hahn entzog sich ihrer Liebkosung nicht. Man sah, wie das Blut ihm in den Kamm stieg. Mit schlagenden Flügeln und gestrecktem Hals stieß er einen langgezogenen Schrei aus, der aus stählerner Kehle zu kommen schien. Viermal krähte er; alle Hähne im Artaud antworteten von weither. Die erschreckte Miene ihres Bruders belustigte Desiderata höchlichst.

»Hoho, er zerreißt dir das Trommelfell,« sagte sie, »er hat eine ordentliche Stimme ... Aber ich versichere dir, bös ist er nicht. Die Hennen, die sind böse . .. Entsinnst du dich der großen Sprenkelhenne, die gelbe Eier legte? Vorgestern hat sie sich am Bein verletzt. Als die anderen das Blut sahen, waren sie wie toll. Alle liefen ihr nach, pickten nach ihr, wollten von ihrem Blute haben, so arg, daß ihr am Abend das Bein fast abgefressen war ... Ich fand sie mit dem Kopf hinter einem Stein, wie eine Blöde; ohne einen Laut ließ sie sich verschlingen.«

Die Gefräßigkeit der Hennen versetzte sie in heitere Stimmung. Friedvoll erzählte sie von anderen Greueltaten: junge Hühnchen waren in Stücke gehackt, die Eingeweide ihnen herausgerissen worden; sie hatte nichts mehr von ihnen gefunden als Hals und Flügel; ein Wurf junger Katzen wurde im Stall in wenigen Stunden vertilgt.

»Gäbe man ihnen einen Christenmenschen,« fuhr sie fort, »sie würden ihn schon klein kriegen ... Und widerstandsfähig gegen Schmerzen! Sie können ganz bequem leben mit einem gebrochenen Glied. Wenn sie noch so große Wunden haben, faustgroße Löcher im Körper, so schlingen sie ihre Suppe darum nicht weniger gierig. Deshalb hab' ich sie gern; ihr Fleisch verwächst in zwei Tagen, ihr Körper ist immer warm, als ob ihnen ein Sonnenvorrat unter den Federn steckte ... Wenn ich ihnen ein Fest bereiten will, verabfolge ich ihnen rohes Fleisch. Und erst Würmer, sieh nur, wie sie die mögen.«

Sie lief zum Misthaufen, suchte nach einem Wurm und nahm ihn ohne Widerwillen auf. Die Hühner warfen sich auf ihre Hände. Sie aber hielt den Wurm in die Höhe und machte sich über ihre Gefräßigkeit lustig. Schließlich ließ sie ihn fallen. Die Hühner stießen einander und machten sich über ihn her; dann enteilte ein Huhn, den Wurm im Schnabel, verfolgt von den anderen. Solcher Art wurde er erobert, verloren, zurückgewonnen, bis ein Huhn ihn mit einem heftigen Ruck verschlang. Da blieben alle plötzlich mit zurückgebogenem Hals stehen und warteten runden Auges auf einen weiteren Wurm. Desiderata, ganz beglückt, rief sie mit Namen und sagte ihnen Koseworte; der Abbé Mouret hingegen wich einige Schritte zurück vor der Heftigkeit dieses gefräßigen Lebens.

»Nein, lieber nicht,« sagte er zu seiner Schwester, die ihn ein Huhn, das sie mästete, heben lassen wollte. »Es ist mir unangenehm, lebende Tiere anzufassen.«

Er versuchte zu lächeln. Desiderata schalt ihn Hasenfuß.

»Nun, und meine Enten, Gänse, Truthühner! Was tätest du wohl, wenn du dich um die alle zu kümmern hättest? ... Enten, die sind dreckig. Hörst du, wie sie schnattern im Wasser! Und wenn sie tauchen, sieht man nichts mehr als kerzengerade ihren Schwanz. Auch die Gänse und Truthühner sind nicht leicht zu beaufsichtigen. Haha! Ist es nicht lustig, sie watscheln zu sehen, ganz weiß die einen, ganz schwarz die anderen, mit ihren langen Hälsen. Herren und Damen würde man sagen. Auch denen da, rat ich dir, keinen Finger anzuvertrauen. Mit einem einzigen Hieb würden sie ihn dir abbeißen ... Mir küssen sie die Finger, siehst du.«

Das Wort wurde ihr abgeschnitten durch ein Freudengemecker der Ziege, der es endlich gelungen war, die schlecht schließende Stalltüre aufzudrücken. Mit zwei Sprüngen war das Tier bei ihr, beugte die Vorderbeine und liebkoste sie mit den Hörnern. Der Priester fand ihr Aussehen teuflisch, mit dem Spitzbart und den schräg gestellten Augen. Desiderata aber nahm sie um den Hals, küßte sie auf die Stirn, tat, als ob sie davonlaufen wollte und sprach davon, sich von ihr Milch geben zu lassen. Sie täte das oft, bemerkte sie, wenn sie im Stall durstig würde, legte sie sich nieder und sog an den Eutern.

»Ei, voll von Milch,« fügte sie hinzu und hob die ungeheueren Euter des Tieres.

Der Abbé schlug die Augen nieder, als hätte man ihm eine Unanständigkeit gezeigt. Er entsann sich, im Kreuzgang von Sankt Saturnin zu Plassans eine Ziege als Wasserspeier gesehen zu haben, die mit einem Mönch Unzucht trieb. Die Ziegen mit dem Bocksgeruch, die dirnenhafte Launen und Lüste hatten und ihre hängenden Euter dem erstbesten boten, waren für ihn höllische, geilheitschweißende Kreaturen geblieben. Und er vermied, als er hinzutrat, die Berührung mit dem langen seidigen Behang des Tieres und hütete seine Sutane vor der Hörnernähe.

»Ach, geh nur, ich gebe dich frei,« sagte Desiderata, die sein wachsendes Unbehagen bemerkte. »Aber zuerst muß ich dir noch etwas zeigen ... Versprichst du, mich nicht auszuzanken? Ich habe dir nichts davon gesagt, weil du nicht gewollt hättest ... Wenn du wüßtest, wie froh ich bin!«

Sie begann zu schmeicheln, faltete die Hände und lehnte den Kopf an die Schulter des Bruders.

»Irgendeine neue Torheit,« murmelte dieser und konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.

»Ich darf, nicht wahr?« fing sie wieder an, mit freudeglänzenden Augen. »Du wirst nicht böse sein ... Es ist so wunderhübsch!«

Sie lief und öffnete eine niedere Türe unter dem Schuppen. Ein kleines Schwein hüpfte mit einem Satz in den Hof.

»Oh, der süße Engel!« sagte sie mit dem Ausdruck tiefster Seligkeit und sah ihm nach.

Das kleine Schwein war allerliebst, ganz rosig, der Rüssel blankgewaschen vom fettigen Spülwasser, mit dem Schmutzring, den ihm sein unablässiges Schlammwühlen in Augenhöhe zeichnete. Es trabte umher, stieß die Hühner auseinander und fraß eilends weg, was man ihnen hingeworfen hatte; der enge Hof war ganz ausgefüllt von seinen plötzlichen Wendungen. Seine Ohren flatterten ihm über die Augen, sein Rüssel grunzte erdwärts; auf seinen dünnen Beinen nahm es sich wie ein Tier auf Rädern aus. Und von rückwärts betrachtet, schien sein Schwanz das anbindende Fadenendchen zu sein.

»Dies Tier dulde ich hier nicht,« rief der Pfarrer geärgert aus.

»Sergius, bester Sergius,« bat Desiderata aufs neue, »sei nicht bös ... Sieh doch, wie unschuldig es ist, das liebe Kleinchen. Abwaschen will ich es und sehr sauber halten. Die Teusin hat es sich für mich schenken lassen. Man kann es jetzt nicht mehr zurückgeben ... Wie es dich ansieht; es wittert dich. Hab' keine Angst, es tut dir nichts.«

Sie unterbrach sich; ein Lachanfall verschlang das übrige.

Das kleine Schwein, verdutzt, war der Ziege zwischen die Beine gefahren und brachte sie zu Fall. Es nahm seinen Lauf wieder auf, schrie, wälzte sich und jagte den ganzen Hof in Angst.

Desiderata mußte ihm zur Beruhigung einen ganzen Kübel mit Spülwasser hinstellen. Daraufhin verschwand es bis zu den Ohren in der Terrine; es gurgelte und schnarchte, während über seine rosige Haut kurze Schauer liefen. Sein Schwänzchen hing ungeringelt.

Dem Abbé Mouret war es äußerst ekelhaft, dies Geplätscher im schmutzigen Wasser zu hören.

Seit er im Hof war, ging ihm der Atem aus, Hitze flog ihm über Hände, Brust und Gesicht. Nach und nach begann der Kopf ihm zu schwimmen. In verpestetem Hauch schlug ihm entgegen der lauliche Gestank der Kaninchen und Hühner, der unzüchtige Geruch der Ziege, die fettige Schalheit des Schweines. Wie eine mit Befruchtung geladene Luft war es, die zu schwer lastete auf seinen jungfräulichen Schultern. Desiderata erschien ihm größer, breiter in den Hüften; sie fuchtelte mit riesigen Armen und wirbelte in ihren Rockfalten vom Boden den starken Geruch auf, der ihm die Sinne vergehen ließ. Er fand gerade noch Zeit, die Lattentür zu öffnen. Seine Füße klebten am mistfeuchten Pflasterboden, so sehr, daß er sich zurückgehalten wähnte von einem Druck der Erde. Und plötzlich, ohne daß er sich dagegen zu wehren vermochte, kam ihm das Paradeis wieder in den Sinn mit seinen großen Bäumen, den schwarzen Schatten, dem kräftigen Duft.

»Jetzt wirst du ganz rot im Gesicht,« sagte Desiderata und kam ihm nach auf die andere Seite der Schranke. »Bist du nicht froh, alles gesehen zu haben? ... Hörst du sie rufen?«

Als die Tiere sie weggehen sahen, stießen sie sich an die Trennungswand unter kläglichem Wehgeschrei. Das kleine Schwein zumal gab ein langes, messerscharfes Gekreisch von sich.

Sie machte ihnen Verbeugungen, warf ihnen Kußhände zu und lachte darüber, sie in verliebtem Gedränge zu sehen. Dann schmiegte sie sich an ihren Bruder und begleitete ihn in den Garten.

»Eine Kuh möchte ich haben,« sagte sie ihm ins Ohr und wurde ganz rot. Er sah nach ihr hin und machte schon eine abwehrende Bewegung.

»Nein, nein, jetzt nicht,« fing sie lebhaft an. »Später werd' ich dir wieder davon sprechen. Platz wäre genug im Stall. Eine schöne weiße Kuh mit rötlichen Flecken. Du würdest staunen über die gute Milch, die wir dann hätten. Eine Ziege ist zu klein ... Und wenn erst die Kuh kalbt!«

Sie tanzte herum, klatschte in die Hände. Der Priester fand den Hof, den sie in ihren Röcken mit sich trug, in ihr wieder. So ließ er sie hinten im Garten auf der Erde, mitten in der Sonne vor einem Bienenstock, dessen Bienen, ohne sie zu stechen, wie Goldkugeln ihren Hals umsurrten, ihre bloßen Arme, ihre Haare.


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