Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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10

Unter schallendem Gelächter kam Desiderata näher.

»Da bist du ja! Da bist du ja!« rief sie. »Du spielst wohl Verstecken? Mehr als zehnmal habe ich, so laut ich konnte, deinen Namen gerufen ... Ich dachte, du seist nicht mehr da.«

Forschend und neugierig sah sie in alle Ecken. Sie ging sogar auf den Zehenspitzen bis zum Beichtstuhl, als beabsichtige sie, jemanden zu überraschen, der sich dort versteckte. Dann machte sie enttäuscht kehrt und sagte:

»Du bist also allein? Hast du denn geschlafen? Mit was belustigst du dich wohl so ganz allein im Dunkeln? Komm doch schnell, wir wollen uns zu Tisch setzen.«

Er strich sich mit den fieberheißen Händen über die Stirne, um die Gedanken fortzuwischen, die dort sicherlich aller Welt lesbar standen. Er versuchte mechanisch die Sutane wieder zuzuknöpfen, es kam ihm vor, als müsse sie aufgerissen und beschädigt sein, in schamloser Unordnung.

Dann folgte er seiner Schwester mit strengem Antlitz und ohne Erbeben, erstarrt im Priesterwillen, Kämpfe seines Fleisches unter der Würde seines Amtes zu verbergen. Desiderata bemerkte nicht das Geringste von seiner Erregung. Sie sagte nur beim Eintritt ins Eßzimmer:

»Ich hab' gut geschlafen; aber du hast zuviel geredet, du bist ganz blaß.«

Abends nach dem Essen kam Bruder Archangias, um sein Spielchen mit der Teusin zu machen. Er war an diesem Abend von ausgelassenster Lustigkeit. War der Bruder vergnügt, versetzte er der Teusin Fauststöße in die Rippen, und sie erwiderte diese mit schwungvollen Ohrfeigen. Sie gerieten dann so ins Lachen, daß die Wände zitterten. Die sonderbarsten Scherze erfand er dann, zerbrach mit der Nase flach aufgestellte Teller, wettete, er könne die Tür des Eßzimmers mit dem Hintern einstoßen, schmiß den ganzen Schnupftabak seiner Dose der alten Magd in den Kaffee oder stopfte ihr mitgebrachte Kiesel in den Kragenausschnitt, bis in die tiefsten Tiefen hinunter. Dieser Überschwang draller Vergnüglichkeit brach bei ihm ohne ersichtlichen Grund aus, mitten im gewohnheitsmäßigen Zürnen; öfter brachte irgendein Vorkommnis, das niemand sonst lustig gefunden hätte, wahrhafte Tobsuchtsanfälle lärmender Heiterkeit bei ihm hervor, er trampelte mit den Füßen, drehte sich um sich selber wie ein Kreisel und hielt sich den Bauch.

»Sie wollen mir also nicht sagen, warum sie vergnügt sind?« fragte die Teusin.

Er antwortete nicht, rittlings hatte er sich auf einen Stuhl gesetzt und trabte auf diese Art um den Tisch.

»Ja, ja, spielen Sie nur den Dummen,« begann sie wieder. »Himmel, wie einfältig Sie sich anstellen. Wenn der liebe Gott Sie so sehen kann, wird er seine Freude an Ihnen haben.«

Der Bruder hatte sich hintenüber fallen lassen, lag mit dem Rücken auf dem Boden und streckte die Beine in die Luft. Ohne aufzustehen, sagte er ernsthaft:

»Er sieht mich, er freut sich an mir. Er ist es, der mir befiehlt, lustig zu sein, bewilligt er mir eine Erholungsstunde, läutet er in meinem Gebein. Dann wälze ich mich und das ganze Paradies muß lachen.«

Er bewegte sich auf dem Rücken bis zur Mauer. Dann, sich im Nacken stützend, schlug er so hoch wie möglich auf der Mauer einen Wirbel mit den Absätzen. Die zurückfallende Sutane enthüllte sein schwarzes Beinkleid, das an den Knien mit Flecken aus grünem Tuch ausgebessert war. Er begann wieder:

»Herr Pfarrer, sehen Sie doch, wie hoch ich hinauf komme. Ich wette, Sie können das nicht. Los, lachen Sie ein bißchen. Es ist besser, sich auf dem Rücken zu wälzen, als sich die Haut eines Frauenzimmers zum Polster zu wünschen. Nicht wahr, Sie verstehen, was ich meine? Man ist wie ein Vieh eine kleine Weile, juckt sich das Fell und entlaust sich. Das beruhigt. Wenn ich mich kratze, bilde ich mir ein, Gottes Hund zu sein, und darum sag' ich, das ganze Paradies guckt zum Fenster 'raus und lacht über mich ... Sie dürfen auch lachen, Herr Pfarrer. Für die Heiligen und für Sie tue ich's. Da, ein Purzelbaum für den heiligen Joseph, einer für den heiligen Johannes, einen für St. Michael, für St. Markus und einen für St. Matthias ...«

Und er fuhr fort, Purzelbäume zu schlagen, rings um das ganze Zimmer, und einen ganzen Kranz von Heiligen herzusagen. Der Abbé Mouret, der, auf den Tisch gestützt, sein Schweigen nicht aufgab, mußte schließlich lächeln. Für gewöhnlich beunruhigten ihn die Heiterkeitsanfälle des Bruders. Als dieser gerade der Teusin in erreichbare Nähe kam, gab sie ihm einen Fußtritt.

»Na, spielen wir endlich?« sagte sie.

Bruder Archangias knurrte als Antwort. Auf allen Vieren kroch er der Teusin nach, er war der Wolf. Bei ihr angekommen, steckte er den Kopf unter ihre Röcke und biß sie ins rechte Knie.

»Wollen Sie das wohl lassen!« schrie sie auf. »Was fallen denn Ihnen jetzt für Schweinereien ein?«

»Mir?« prustete der Bruder, so erheitert von dieser Vorstellung, daß er eine zeitlang liegenblieb, ohne sich erheben zu können. »Schau, es würgt mich, nur weil ich von deinem Knie gekostet habe. Zu salzig ist es, dein Knie... Ich beiße die Frauen und dann speie ich sie aus, sieh so.«

Er duzte sie und spuckte ihr auf die Röcke. Als es ihm endlich gelang, sich aufzuraffen, schnaufte er eine Weile und rieb sich die Seiten. Vereinzelte Lachstöße erschütterten noch seinen Bauch, wie ein Wasserschlauch, den man leert, sah es aus.

»Wir wollen spielen ... Wenn ich lache, so geht das mich an. Sie geht der Grund gar nichts an, Teusin.«

Und der Kampf entbrannte mit fürchterlicher Hitze. Der Bruder schlug die Karten klatschend auf den Tisch. Rief er »Schlacht!«, zitterten die Scheiben. Die Teusin gewann. Sie hatte drei Asse und lauerte mit glänzenden Augen auf das vierte. Bruder Archangias gab sich unterschiedlichen Scherzhaftigkeiten hin. Er hob den Tisch, auf die Gefahr hin, die Lampe umzuwerfen, mogelte unverschämt und entschuldigte sich mit argen Schwindeleien, aus Witz, wie er dann hinterher erklärte. Plötzlich stimmte er die Vespergesänge an und sang mit der vollen Stimme des Vorsängers am Pult. Er hörte nicht mehr auf mit dem gräßlichen Gegröl, und um jeden Versbeginn zu unterstreichen, schlug er seine Karten in die flache linke Hand. Wenn seine Heiterkeit ihren Höhepunkt erreichte und ihm nichts mehr einfiel, wodurch er sie bekunden konnte, so sang er die Vespergesänge stundenlang. Die Teusin kannte dies und schrie in das Geblök herein, von dem das Eßzimmer widerhallte:

»Es ist nicht zum Aushalten! Schweigen Sie doch... Heute abend treiben Sie's zu toll!«

Da stimmte er sein Bußlied an. Der Abbé Mouret hatte sich ans Fenster gesetzt. Er schien nicht das geringste wahrzunehmen von den Vorgängen in seiner Umgebung. Bei der Mahlzeit hatte er wie gewöhnlich gegessen; es war ihm sogar gelungen, Desideratas endlose Fragen zu beantworten. Jetzt war er zu Ende mit seiner Kraft und ließ sich gehen. Zerschlagen und vernichtet fühlte er sich, und der entsetzliche Kampf in seinem Innern riß ihn hin und her. Er brachte es nicht einmal mehr fertig, aufzustehen und in sein Zimmer hinaufzugehen. Auch mußte er befürchten, wendete er sein Gesicht der Lampe zu, daß seine unaufhaltsam fließenden Tränen bemerkt würden. Er lehnte die Stirne an die Scheiben und sah hinaus in die Nacht. Nach und nach dämmerte er ein, schreckhafte Betäubung umfing ihn.

Bruder Archangias, immer noch psalmodierend, zwinkerte mit den Augen und deutete mit einer Kopfbewegung auf den versunkenen Priester.

»Was denn?« fragte die Teusin.

Der Bruder wiederholte seine Gebärde mit größerem Nachdruck.

»Verrenken Sie sich nur den Hals!« sagte die Magd. »Sprechen Sie doch, dann kann ich Sie verstehen... Halt, ein König. Desto bester, dann nehme ich Ihre Dame.«

Er legte seine Karten einen Augenblick nieder, beugte sich über den Tisch und blies ihr ins Gesicht:

»Das Frauenzimmer war da!«

»Ich weiß,« erwiderte sie, »ich habe sie gesehen, als sie mit dem Fräulein über den Hof ging.«

Er warf ihr einen schrecklichen Blick zu und schüttelte die Fäuste:

»Sie haben sie gesehen? Sie haben sie hereingelassen? Sie hätten mich rufen sollen, dann hätten wir sie zusammen an den Füßen aufgehängt in Ihrer Küche.«

Da begehrte sie auf, hielt aber an sich, um den Abbé Mouret nicht aufzuwecken.

»Das muß ich sagen,« überstürzte sie sich, »kommen Sie mir nur. Sie! Versuchen Sie es doch, jemand in meiner Küche aufzuhängen!... Natürlich hab' ich sie gesehen. Ja, ich hab' sogar den Rücken gekehrt, als sie nach der Unterweisung zum Herrn Pfarrer in die Kirche gegangen ist. Was sie dort getrieben haben, geht mich nichts an. Oder ist das meine Sache? Mußte ich denn' etwa nicht meine Bohnen auf's Feuer stellen? . .. Wenn jemand das Mädel nicht ausstehen kann, so bin ich es, in dem Augenblick aber, wo die Gesundheit des Herrn Pfarrers auf dem Spiel steht... Mag sie kommen zu jeder Tag- und Nachtzeit. Einsperren würd' ich sie zusammen, wenn sie's wollten.«

»Wenn Sie das tun, Teusin,« sagte der Bruder in kalter Wut, »erwürge ich Sie.«

Sie schlug eine Lache auf und duzte ihn nun ihrerseits.

»Red' doch keinen Unsinn, Kleiner! Du weißt ja nur zu gut, daß du mit Frauen genau so wenig anfangen kannst wie der Esel mit dem Vaterunser. Versuch es nur, mich zu erdrosseln, dann wirst du sehen, was ich mit dir tue. Sei brav, wir wollen die Partie zu Ende spielen. Sieh mal einer an, noch ein König!«

Mit der Karte in erhobener Hand, fuhr er fort zu schelten.

»Sie muß auf einem Weg gekommen sein, den nur der Teufel kennt, sonst hätte sie mir in die Arme laufen müssen. Gehe ich doch alle Nachmittage herauf zum Paradeis und halte Wache. Finde ich sie einmal zusammen, lasse ich die Dirne Bekanntschaft machen mit meinem Haselstecken, eigens für sie hab' ich ihn mir geschnitten ... In Zukunft werde ich auch auf die Kirche aufpassen.«

Er spielte aus und ließ sich einen Buben von der Teusin nehmen, dann warf er sich in seinen Stuhl zurück und fand sein lautes Lachen wieder. Ernstlich ärgern konnte er sich nicht an diesem Abend, er brummte:

»Wenn sie ihn auch erwischt hat, deshalb ist sie trotzdem auf die Nase gefallen. Das muß ich Ihnen doch noch erzählen, Teusin. Sie wissen, es regnete. Ich stand an der Schultüre, als ich sie von der Kirche herankommen sah. In ihrem stolzen Gehabe hielt sie sich ganz gerade, trotz des Platzregens. Und dann, hast du nicht gesehen, ist sie der Länge nach hingefallen, als sie auf der Straße ankam, die Erde muß da wohl schlüpferig gewesen sein. Gelacht hab' ich, gelacht! Ich hab' in die Hände geklascht! Als sie wieder aufrecht stand, blutete sie am Handgelenk. Acht Tage lang werde ich mich darüber freuen. Immer, wenn ich sie wieder so vor mir sehe an der Erde, kitzelt es mich im Hals und im Bauch, und ich muß laut heraus lachen.«

Und sich jetzt ganz seinem Spiel widmend, blies er die Wangen auf und sang das »De Profundis«. Und dann wieder von vorne an. Die Partie ging zu Ende bei diesen Klagegesängen, die er für Augenblicke anschwellen ließ, wie um sie besser auszukosten. Er verlor, ärgerte sich aber nicht im geringsten darüber. Als die Teusin ihn herausließ, nachdem sie den Abbé Mouret geweckt hatte, hörte man, wie er, in die Nacht hineinschreitend, mit Jubellauten den letzten Vers des Psalmes anstimmte: »Et ipse redimet Israel ex omnibus iniquitatibus ejus«.


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