Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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2

Am nächsten Tag war es vorbei mit dem schönen Wetter, es regnete. Sergius, neuerdings fiebernd, verbrachte einen Schmerzenstag, verzweiflungsvoll irrten seine Blicke über die Vorhänge, die nur ungewiß unterirdischen Schein einließen, aschengrau. Er vermochte den Stand der Sonne nicht mehr zu erraten, und suchte nach dem Schatten, den er früher gefürchtet, nach jenem hochgestreckten Zweig, der ihm jetzt, ertrunken in bleichen Regenstürzen, den Wald mitgerissen zu haben schien im Entschwinden. Gegen Abend, im leichten Fieberdelirium, rief er Albine schluchzend zu, die Sonne sei gestorben, er höre, wie der ganze Himmel, die ganze Erde den Tod der Sonne beweine. Wie ein Kind mußte sie ihn trösten, ihm die Sonne versprechen, ihm versichern, daß sie wiederkäme, daß sie sie ihm schenken wolle. Aber auch die Pflanzen beklagte er. Die Keime litten sicher in der Erde, sehnten sich ans Tageslicht zu steigen; sicher wären sie von den gleichen Schreckbildern verfolgt wie er, und träumten, sie kröchen in unterirdischen Gewölben, würden aufgehalten von Erdstürzen und kämpften wild, um ins Sonnenlicht zu gelangen. Und mit leiserer Stimme klagte er weiter, der Winter sei eine Erbkrankheit, er selbst müsse sterben, zu gleicher Zeit als die Erde, brächte der Frühling ihnen beiden keine Heilung.

Drei Tage noch blieb das Wetter abscheulich. Sturzbäche überschütteten die Bäume, rauschend, wie ein Ufer überschäumender Fluß. Windstöße heulten auf und prallten an die Fensterscheiben mit der Erbitterung aufgepeitschter Wogen. Sergius hatte gewünscht, Albine möchte die Läden fest verschließen. Das Lampenlicht vertrieb die Trübseligkeit der fahlschimmernden Vorhänge und ließ ihn das Grau des Himmels vergessen, das durch die kleinsten Spalten zu ihm dringen wollte, gleich erstickendem Staub. Er ließ sich in die Kissen zurückfallen, seine Arme waren abgezehrt, das Antlitz bleich; je mehr die Erde litt, um so schwächer wurde er.

In manchen Stunden tintenhafter Schwärze, wenn die Bäume krachend sich bogen und das Gras unter Regenstürzen erdwärts schleifte, wie Haare Ertrunkener, verging ihm sogar der Atem, und er verschied fast, selbst vom Sturm gebrochen. Beim ersten Hellerwerden dann, beim Sichtbarwerden des kleinsten Streifens Himmelsblau zwischen den Wolken, kam er wieder zu Atem und empfand das Beruhigtsein abtropfender Blätter, sich aufhellender Wege, der Felder, die letzte Feuchtigkeit einschlürfen. Auch Albine flehte nun um Sonne, zwanzigmal am Tage stand sie am Flurfenster und befragte den Himmel, freute sich der kleinsten Helligkeiten, sah sorgenvoll nach den dunkelgetürmten, kupfrig hagelschwangeren Wolkenmassen und befürchtete, irgendein zu schwarzes Gewölk möchte ihrem teuren Kranken den Tod bringen. Sie sprach davon, Doktor Pascal holen zu lassen. Sergius aber wollte nichts davon wissen, er sagte:

»Morgen wird Sonne hinter den Vorhängen scheinen, und das wird mich gesund machen.«

Eines Abends, als es ihm besonders schlecht ging, schob ihm Albine ihre Hand unter die Wange. Als die Hand ihm keine Erleichterung brachte, weinte sie über ihre Machtlosigkeit. Seit er zurückgefallen war in winterliches Dämmern, fühlte sie sich nicht mehr stark genug, ihn allein den Wahnbildern zu entreißen, mit denen er sich herumschlug. Der Frühling mußte sich ihr verbinden. Sie selbst fühlte sich matt, ihre Hände waren eisig kalt, ihr Atem ging kurz, kein Leben vermochte sie ihm einzuflößen. Stundenlang irrte sie in dem großen düsteren Zimmer auf und ab. Wenn sie am Spiegel vorüberkam, sah sie sich beschattet und glaubte, sie sei garstig. Da, eines Morgens, als sie die Kissen zurechtschob, ohne noch der geschwundenen Macht ihrer Hände zu vertrauen, war ihr, als kehre das Lächeln des ersten Tages zurück auf Sergius' Lippen, dessen Nacken sie zart mit den Fingerspitzen berührt hatte.

»Mach' die Läden auf,« murmelte er. Sie dachte, er spräche im Fieber; weil sie noch eine Stunde vorher durch das Treppenfenster nur Trauerwolken erspäht hatte.

»Schlafe,« sprach sie betrübt; »ich habe dir ja versprochen, dich zu wecken beim ersten Sonnenstrahl... Schlafe ein, die Sonne scheint nicht.«

»Doch, ich fühle sie, die Sonne scheint, öffne die Läden.«


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