Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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3

Die Teusin löschte eilig die Kerzen. Aber sie mußte sich aufhalten mit dem Verjagen der Sperlinge. So fand sie, als sie das Meßbuch zur Sakristei zurücktrug, den Abbé Mouret nicht mehr vor; nach der Handwaschung hatte er die geweihten Gerätschaften aufgeräumt. Nun stand er schon im Eßzimmer und nahm als Frühmahlzeit eine Tasse Milch zu sich.

»Sie sollten wirklich Ihrer Schwester verbieten, Brot in die Kirche zu streuen,« sagte die Teuse beim Eintreten. »Im vergangenen Winter kam ihr zuerst dieser nette Einfall. Sie meinte, die Spatzen frören, und der liebe Gott könne sie recht gut füttern. Sie werden sehen, das Ende vom Liede wird sein, daß sie uns bei ihren Hühnern und Kaninchen schlafen läßt.«

»Dann frieren wir wenigstens nicht,« gab der junge Priester lustig zur Antwort. »Immer müssen Sie zanken, Teusin. Gönnen Sie doch unserer armen Desiderata die Liebe zu ihrem Getier. Andere Freuden kennt sie nicht, die liebe Einfalt.«

Die Dienerin pflanzte sich mitten im Zimmer auf.

»Oh, Sie!« begann sie wieder, »Ihnen wäre es gleich, wenn sogar Elstern in der Kirche nisteten. Sie haben für nichts Augen und finden alles vollkommen. Ihre Schwester kann froh sein, daß Sie sie aufgenommen haben beim Austritt aus dem Seminar. Vaterlos, Mutterlos. Ich möchte wissen, wer ihr erlauben würde, in Stall und Hof so herumzuwirtschaften, wie sie es tut!«

Dann geriet sie in Rührung und sagte sanfter:

»Das muß wahr sein, schade wär's, sie zu hindern. Sie ist ganz ohne Falsch, kaum wie ein Zehnjähriges, und doch ist sie eines der kräftigsten Mädchen hier herum. Wissen Sie, ich muß sie am Abend noch zu Bett bringen und ihr vor dem Einschlafen Geschichten erzählen wie einem kleinen Kindchen.« Der Abbé Mouret trank stehend seine Tasse aus, die Finger etwas gerötet von der Kühle des Eßzimmers, eines großen, mit Fliesen belegten Raumes, der grau gestrichen war, und als einzige Einrichtung Tische und Stühle enthielt. Die Teusin nahm eine Serviette fort, die sie über eine Tischecke gebreitet hatte zum Frühstück.

»Wäsche verbrauchen Sie wenig,« knurrte sie. »Man könnte meinen, Sie dürften sich nicht hinsetzen, Sie wären immer im Begriff fortzugehen ... Ach! Wenn Sie den Herrn Caffin gekannt hätten, den armen seligen Herrn Pfarrer, dessen Nachfolger Sie sind! Das war ein verwöhnter Mann! Dem wäre es nicht bekommen, wenn er stehend gegessen hätte ... Er war aus der Normandie, aus Canteleu wie ich. Oh, danken tue ich es ihm nicht, daß er mich in dieses Wolfsland gebracht hat. Guter Gott, wie haben wir uns gelangweilt in der ersten Zeit! Der arme Herr Pfarrer hat recht ärgerliche Geschichten erleben müssen bei uns ... Ei, Herr Mouret, haben Sie denn vergessen, Zucker in ihre Milch zu tun? Hier liegen ja die zwei Stücke.«

Der Priester stellte seine Tasse hin.

»Ja, mir scheint, ich hab's vergessen,« sagte er.

Achselzuckend sah die Teusin ihn an. Sie knüpfte eine Schwarzbrotschnitte in die Serviette, die gleichfalls auf dem Tische verblieben war. Als sie darauf sah, daß der Pfarrer sich zum Gehen anschickte, lief sie zu ihm hin, warf sich vor ihm auf die Kniee und rief:

»Halt, nicht einmal Ihre Schuhbänder sind gebunden; ich weiß nicht, wie Ihre Füße diesen Bauernschuhen Stand halten. Sie zartes Kerlchen sehen aus, als seien Sie nicht schlecht verwöhnt worden früher! ... Na, der Bischof wird wohl gewußt haben, was er tat, als er Ihnen die armseligste Pfarre des Departements gab.«

»Aber nein,« sagte der Priester, wiederum lächelnd, »ich selbst habe mir das Artaud ausgesucht ... Sie sind heute morgen arg griesgrämig, Teusin. Geht's uns denn nicht gut hier? Wir haben alles Notwendige und leben in paradiesischem Frieden.«

Da hielt sie an sich, mußte lachen und gab zur Antwort:

»Ein Heiliger sind Sie, Herr Pfarrer ... Kommen Sie und sehen Sie sich an, wie kräftig meine Lauge ist. Das ist besser, als wenn wir uns zanken.«

Er mußte ihr nachgeben, denn sie hätte ihn nicht fortgelassen, bevor er ihrer Lauge nicht Beifall spendete. So verließ er das Eßzimmer; im Gang stolperte er über Schuttgebröckel.

»Was bedeutet denn das?« fragte er.

»Nicht das geringste,« gab die Teusin zur Antwort mit beängstigender Miene. »Nur daß das Pfarrhaus zusammenfällt. Aber das macht Ihnen ja nichts aus; Sie haben alles, was Sie brauchen ... Ach Gott, an Rissen ist wahrlich kein Mangel; sehen Sie sich die Decke an. Ist sie noch nicht genügend gesprungen? Wenn wir nicht einen dieser Tage verschüttet werden, schulden wir unserem Schutzengel eine gehörige Kerze. Wenn es Ihnen recht ist, letzten Endes ... Gerade wie mit der Kirche. Vor zwei Jahren schon hätten die zerbrochenen Scheiben ersetzt werden müssen. Im Winter gefriert der liebe Gott. Außerdem kämen die spitzbübischen Spatzen dann nicht herein. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich sie eines schönen Tages eigenhändig mit Papier verkleben werde.«

»Ja, das ist ein Gedanke,« murmelte der Priester, »man könnte Papier einkleben ... Was die Mauern angeht, die sind fester, als man glaubt. In meinem Zimmer hat der Boden nur gerade am Fenster nachgegeben. Das Haus wird uns alle überleben.«

In dem kleinen Schuppen neben der Küche angelangt, begeisterte er sich über die ausgezeichnete Lauge, um der Teusin Vergnügen zu machen; sogar den Finger mußte er hineinstecken und schmecken. Darauf wurde die entzückte Alte mütterlich. Sie schimpfte nicht mehr, sondern lief nach einer Bürste mit den Worten:

»Sie wollen doch wohl nicht ausgehen mit Kotspritzern von gestern auf der Sutane! Hätten Sie sie abends herausgehängt, wäre sie sauber ... Sie ist noch gut, die Sutane. Aber heben Sie sie ordentlich auf, wenn Sie über Feld gehen – die Disteln zerreißen alles.« Und sie ließ ihn sich herumdrehen wie einen Jungen, bearbeitete ihn von Kopf bis zu den Füßen mit leidenschaftlichen Bürstenhieben.

»So, so, das genügt,« sagte er und ergriff die Flucht. »Sie geben auf Desiderata acht, nicht wahr? Ich will ihr sagen, daß ich ausgehe.«

In diesem Augenblick rief eine helle Stimme: »Sergius!«

Desiderata kam freudegerötet und ohne Hut angelaufen, ihre schwarzen Haare waren im Nacken zu mächtigem Knoten verschlungen, Hände und Arme bis zum Ellenbogen mit Unrat beschmiert. Sie säuberte ihr Federvieh. Als sie ihren Bruder, mit dem Brevier unter dem Arm, im Begriff sah, auszugehen, lachte sie noch lauter, hielt die Hände auf den Rücken, um ihn nicht anzurühren, und küßte ihn gerade auf den Mund.

»Nein, nein,« stammelte sie, »ich würde dich schmutzig machen ... Oh, was für ein Spaß! Wenn du wiederkommst, mußt du die Tiere ansehen.« Damit lief sie davon. Der Abbé Mouret sagte, um elf Uhr wäre er zum Essen zurück. Er war schon auf dem Wege, da rief ihm die Teusin, die ihn bis zur Schwelle begleitet hatte, noch letzte Ermahnungen nach.

»Vergessen Sie nicht, mit dem Bruder Archangias zu sprechen ... Gehen Sie auch bei den Brichets vorbei; die Frau war gestern da, immer wieder wegen der Heirat. Herr Pfarrer, hören Sie doch! Ich habe die Rosalie getroffen. Sie wünscht sich nichts Besseres, als den langen Fortunat zu heiraten, sie schon. Sprechen Sie mit dem alten Bambousse, vielleicht hört er auf Sie, jetzt ... und kommen Sie nicht erst um Mittag zurück, wie neulich. Um elf Uhr, nicht wahr? Aber der Priester sah sich nicht mehr um. Sie ging ins Haus zurück und sprach durch die Zähne:

»Als ob er auf mich hörte ... Das ist kaum sechsundzwanzig und will immer nach dem eignen Kopf handeln. Der Wahrheit die Ehre, was die Heiligkeit angeht, nimmt er es auf mit einem Sechzigjährigen; aber er kennt das Leben nicht, er weiß von nichts; für den Kleinen ist es nicht schwer, vernünftig zu sein wie ein Cherub.


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