Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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XXXVII.
Antwort des Krates

Auf meinen Knien, Hipparchia, bitte ich dich um Verzeihung, und wenn alle Ionier, Dorier und Achajer Zeugen davon wären. Du hast mich auf immer von allen meinen Zweifeln geheilt, den einzigen ausgenommen, ob ich je zu dem seligen Gefühl gelangen werde, eines Weibes wie du würdig zu sein. Verzeihe, daß ich für nötig hielt, dich auf eine Probe zu stellen, die du so schön bestanden hast, und laß mich über den Gegenstand unsrer beiden letzten Briefe nur noch ein Wort hinzutun. Auch dein Krates huldiget den Grazien nicht weniger, als jener Sokrates, den er sich seit manchen Jahren in seiner Lebensweise zum Vorbild genommen, ohne darum sklavisch in seine Fußstapfen zu treten. Die Grazien fliehen alles Gezwungene, Steifförmliche, und was sich von der Mittellinie zwischen dem Äußersten auf beiden Seiten allzuweit entfernt. Vom Wenigsten ohne Nachteil seiner Zufriedenheit und Würde leben zu können, ist eine Kunst, worin jeder edle Mensch sich geübt haben sollte, um die Unabhängigkeit und Reinheit seines Geistes und Charakters unter allen Umständen bewahren zu können: aber Torheit wär es, ohne andre Ursache als systematischen Stolz und Starrsinn, sich immer alles versagen zu wollen, was die Lebensweise des gebildeten Menschen vom ursprünglichen Zustand des rohen Menschentiers unterscheidet. Auch hierin, Hipparchia, sind wir unfehlbar Eines Sinnes. Du wirst nie aus den Augen verlieren, was der Gattin des Krates geziemt: Krates wird nie vergessen, was der Tochter des Lamprokles anständig ist.

Die Güte deines Vaters berechtigt mich zu einer Voraussetzung, wozu vor kurzem noch so wenig Anschein war, daß ich mir kaum erlauben durfte ihre Möglichkeit zu träumen. An einem der nächsten Tage wirst du dich mit eignen Augen überzeugen können, daß ich nicht zu entschuldigen wäre, wenn ich länger zweifelte, daß unsre Verbindung der Wunsch seines Herzens ist.

Den 4ten Boedromion.


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