Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.
Melanippe an Hipparchia

Dank sei der jungfräulichen ÄdoÄdo, die Schamhaftigkeit, hatte zu Athen einen öffentlichen Altar. und dem Uranischen Amor, daß du den Schleier endlich abgelegt hast, durch welchen ich verlor, ohne daß du dabei gewannst; was der Fall mit allen Schleiern und Hüllen ist, sie mögen nun einen schönen Leib oder eine schöne Seele bedecken. Von nun an wirst du dich deiner Melanippe zeigen, wie Aphrodite sich ihren Grazien zeigt. Du wirst sie durch diese Traulichkeit glücklicher machen; und sollte auch an dem schönen Ganzen irgend ein unbedeutendes Fleckchen oder ein zufälliges Hitzblätterchen zu sehen sein, so wird das Auge der Liebe es entweder nicht gewahr werden, oder einen kleinen Reiz mehr entdeckt zu haben glauben.

Zur Belohnung der Aufrichtigkeit, womit du deine vorige Zurückhaltung so schön vergütet hast, eile ich nun, dir ein paar von Euthyphron aufgehaschte Neuigkeiten mitzuteilen, die dir nicht gleichgültig sein werden. Die erste weniger bedeutende ist, daß Leotychus unter seinen Vertrauten von seiner Verbindung mit der Tochter des Lamprokles, als von einer sehr weit entfernten und wahrscheinlich nie zu Stande kommenden Sache spricht. Es wäre zwar zwischen beiden Familie die Rede davon gewesen, und die Dame, die den letzten Tagen ihrer Rosenzeit nahe sei, scheine, nachdem sie mehrere nicht verächtliche Freier abgewiesen, nicht abgeneigt, mit ihm vorlieb zu nehmen, besitze aber, aufrichtig zu reden, nicht Reize genug, um ihn in das Netz zu locken, das man seiner Freiheit gestellt habe; und was der Armseligkeiten mehr sind, womit der hoffärtige Mensch sich vor der Schmach, unter den Abgewiesenen die Oberstelle zu erhalten, in Zeiten zu verwahren sucht. Du siehst, er verdient beinah unsern Dank, daß er so eifrig für dich arbeitet, und dir die Mühe, seiner mit guter Art los zu werden, so dienstfertig erleichtert.

Noch angenehmer wird dir sein zu vernehmen, daß der weise Krates über die plötzliche Verschwindung seiner jungen Zuhörer von Sunium nichts weniger als gleichgültig ist – wiewohl ich für meinen Teil (dank meiner Unscheinbarkeit, wenn ich neben dir stehe) gar nicht in Betrachtung komme. Denn die Rede ist immer nur von dem schönen Hipparchides. Er hat sich schon mehrmals bei meinem Vetter Euthyphron (der viel bei ihm gilt) erkundiget, ob er nicht wisse, was aus dem jungen Menschen aus Sunium mit den großen schwarzen Augen geworden sein könne, der sich seit einiger Zeit mit einem andern seines Alters so häufig unter seinen Zuhörern eingefunden, und sich durch seine ganz besondere Aufmerksamkeit ausgezeichnet habe. Er selbst habe sich (sagt er) die große Liebe des Sokrates zu schönen Knaben, besonders zu dem Wildfang und Wüstling Alcibiades, nie recht erklären können: aber wie ein tugendhafter Mann eine heilige Liebe zu diesem Knaben fühlen könne, sei ihm sehr begreiflich. So viel Freiheit des Geistes, mit so viel Bewußtsein innerer Kraft, wie aus den seelenvollen Augen des jungen Hipparchides spreche, mit einer so zarten, man möchte fast sagen, jungfräulich schüchternen Bescheidenheit vereinigt, habe er noch an keinem andern Jüngling wahrgenommen.

Was sagst du dazu, junger Hipparchides? Wächst dir das Herz nicht zusehends, indem du diese goldnen Worte liesest? Fürchtest du noch, die größte der Schwierigkeiten, die du zu besiegen hast, bei dem Manne zu finden, der einen so feinen Sinn für jungfräuliche Schüchternheit hat? Aber das ist noch nicht alles. Ein paar Tage darauf sagte er zu Euthyphron, er sei von ungefähr auf einen Fischer von Sunium gestoßen, der ihn versichert habe, er kenne alle Einwohner seiner kleinen Vaterstadt, aber unter Jungen und Alten kenne er weder einen Hipparchides noch Melampus. Krates scheine darüber nicht wenig betroffen zu sein und zu vermuten, daß unter diesen Namen irgend ein sonderbares Geheimnis stecke, dessen Grund und Beschaffenheit er nicht zu erraten vermöge. Indessen fährt er fort, so oft er meinen Anverwandten sieht, sich zu erkundigen, ob er den jungen Hipparchides nirgends wieder gesehen habe. Ziehe nun die Folgen selbst, die aus diesem allem hervorgehen. So viel dünkt mich wenigstens augenscheinlich, daß der bartlose Knabe Hipparchides mit seinen großen seelenvollen Augen und seiner jungfräulichen Sittsamkeit einen Grund gelegt hat, worauf die schöne Hipparchia, mit einem mäßigen Aufwand der letztern, ziemlich sicher fortbauen könnte.

Den 9ten Skirrophorion.


 << zurück weiter >>