Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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VIII.
Hipparchia an Melanippe

Die erste Zusammenkunft ist glücklich überstanden, liebe Melanippion, und die Hauptpersonen haben sich beide leidlich aus der Sache gezogen. Wenigstens hoffe ich dem schönen Leotychus keine Ursache gegeben zu haben, seine Tänzerin vor dem nächsten GamelionGamelion hieß zu Athen der Monat, dessen größter Teil in unsern Jänner fiel, und seinen Namen von den Hochzeiten (Gamelien) hatte, die in diesem Wintermonat am häufigsten zu sein pflegten. zu entlassen; und bis dahin ist mein Los entweder nach meinem eignen Sinn entschieden, oder – ich stehe vor nichts.

Die Szene war, wie ich vermutete, das Landgut meiner Tante, welches mit einem von den Besitztümern des reichen Chabrias unmittelbar zusammen grenzt. Man hatte mich darauf vorbereitet, daß Leotychus mich, in einiger Entfernung von der übrigen Gesellschaft, unter einer Gartenlaube wie von ungefähr überraschen würde. Er fand mich in einer von Menanders Komödien lesend. Er stellte sich betroffen, mich allein zu finden, und tat, als ob er sich aus Bescheidenheit sogleich entfernen wollte, blieb aber nichts desto weniger in einer zierlichen Stellung, die alle Grazien seiner Gestalt zusammen spielen ließ, wie eine zur Schau ausgestellte Bildsäule, vor mir stehen. Als eine solche schaute ich ihn denn auch mit weit offnen Augen an, und ergetzte mich an dem Ausdruck des stolzen Bewußtseins, womit seine großen funkelnden Augen, mehr sich selbst als mir, zu sagen schienen, daß kein armes Mädchenherz gegen eine Gestalt, wie die seinige, aushalten könne. Ich bin gewiß, die meinigen sagten ihm kein Wörtchen, das ihn in diesem süßen Wahn bestärkte. Unverblümt zu reden, sie sagten gar nichts; aber so etwas gewahr werden, wäre so viel gewesen, als voraus setzen daß es möglich sei. Er wurde also nichts davon gewahr, oder schrieb es dem dumpfen Erstaunen zu, in welches sein Anblick mich setzen müßte, und, um mir Zeit zu lassen wieder zu mir selbst zu kommen, sagte er mir viel Schönes über das unverhoffte, wiewohl lange gewünschte, Glück, mich so nahe zu sehen; während seine selbstgefällige Miene sich an meiner Statt die Antwort gab: »daß mein Vergnügen an dem überraschenden Anblick eines so vollkommnen Jünglings wenigstens eben so groß sei als das seinige.«

Nichts kann bequemer sein, als Zwiesprache mit einer Person zu halten, die sich das immer selbst sagt, was sie von uns zu hören wünscht. Ich antwortete ihm ich weiß nicht was; genug, es war so wenig, daß er es klüglich fallen ließ, um sich (wofern die Frage nicht zu unbescheiden sei) zu erkundigen, was für eine Leserei so glücklich gewesen, meine Aufmerksamkeit bei seinem Eintritt zu beschäftigen. Ich hatte das Buch neben mich auf die Bank gelegt, und stellte ihm frei, seine Neugier mit eigenen Augen zu befriedigen. Er bediente sich meiner Erlaubnis mit einem artigen Kompliment, und nahm, als er sah, daß es die Andria von Menander war, Gelegenheit von ihr, über diesen Dichter und seine Nebenbuhler einige nicht unfeine Bemerkungen zu machen. Um ein so unverfängliches Gespräch möglichst zu verlängern, verwickelte ich ihn in einen Streit über die Frage: ob Menander oder Philemon die Oberstelle unter den itztlebenden Komikern behaupte? Leotychus erklärte sich für die Grazie Menanders, ich stritt mit Zähnen und Klauen für die Stärke und den Reichtum Philemons. Darüber verging die Zeit; die Sonne war am Untergehen. Ich dankte meinem kaltblütigen Freier mit verbindlichem Lächeln für die angenehme Unterhaltung, und entließ ihn zufrieden mit sich selbst, und (wie meine Tante versichert) auch mit mir. Denn er sagte ihr, daß er den Mann glücklich preise, dem das Schicksal eine so geistvolle und gebildete Person wie deine Hipparchia zur ehlichen Beiliegerin bestimmt habe. Ich müßte mich sehr irren, wenn ihm viel mehr daran gelegen wäre dieser Glückliche zu sein, als mir selbst. Indessen, da er doch einmal seiner Familie zu Gefallen heiraten muß, so bin ich ihm, alles übrige gleich, so gut als eine andere, und, da er mich für sehr kalt halten muß, vielleicht darum nur desto anständiger. Es steht also noch immer mißlich genug um mich, meine Liebe. Aber wenn ich auch meinen Hals aus dieser Schlinge ziehe, wie wenig hab ich noch damit gewonnen?

Den 24sten Thargelion.


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