Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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II.
Hipparchia an Leukonoe

Ganz gewiß, ehrwürdige Leukonoe, hattest du weder beschwörender Formeln, noch herzgewinnender Beweggründe nötig, um mein Verlangen, dem gütigsten Vater, so viel in meinem Vermögen steht, immer gefällig zu sein, zu Gunsten des Antrags, den du mir in seinem Namen getan hast, in Bewegung zu setzen.

Wäre die Rede von etwas, wobei es nur auf das Opfer eines Vergnügens oder Vorteils, einer Laune oder Leidenschaft, ankäme: so dürfte ich mich beklagen, wenn du nur einen Augenblick zweifeln könntest, daß deine Hipparchia immer dazu bereit sei.

Aber bei einer Sache, wo das Schicksal meines ganzen Lebens, oder vielmehr, wo das Einzige, was dem Leben einen Wert in meinen Augen gibt, auf dem Spiele steht, daß ich bei einer solchen Sache mit meiner innersten Seele zu Rat gehe, und vor allem auf die Stimme horche, die, nach meiner Überzeugung, aller Göttersprüche heiligster ist, wirst du selbst nicht mißbilligen: und in dieser Rücksicht ist es glücklich für mich, daß ich bereits über die Jahre der ersten Jugend hinaus bin, wo man eben so leicht Gefahr läuft, durch schüchterne Nachgiebigkeit oder zärtliche Gefälligkeit gegen andere, als durch eigene Unerfahrenheit, Leichtsinn oder ungezügelte Leidenschaften, zu Schritten verleitet zu werden, auf welche öfters die bitterste Reue folgt.

Ich bin gewiß, mein Vater würde die angetragene Verbindung nicht wünschen, wenn es ihm auch nur zweifelhaft schiene, ob er mein Glück dadurch befördern werde. Tausend andere Mädchen würden sich vielleicht selig preisen, wenn die Wahl des alten Chabrias auf sie gefallen wäre. O warum mußte sie gerade auf die einzige fallen, die weder Sinn noch Herz für ein Gut hat, um welches so viele andere sie beneiden würden!

Mein Vater liebt seine Tochter; aber – Adrastea verzeihe mir, wenn ich ihm unrecht tue! – er sieht in seiner Tochter nicht sie selbst; er sieht nur das geliebte Bild seiner Artemidora in ihr. Die sanfte, genügsame, den Pflichten der Gattin, der Mutter, der Hausfrau allein lebende Artemidora, die einst aus bloßem Gehorsam gegen ihre Eltern die Seinige geworden war, und ihn doch so glücklich gemacht hatte, wäre vermutlich für jeden andern, den ihr Vater für sie ausgewählt hätte, eben dieselbe gewesen: der Mann, mit welchem sie sich unglücklich gefühlt hätte, müßte eines so liebenswürdigen Weibes gänzlich unwürdig gewesen sein. Warum sollte nun mein Vater von ihrer und seiner Tochter nicht dasselbe erwarten dürfen? Was könnte sie an dem Jüngling, der ihr angetragen wird, auszustellen haben? Er ist schön, reich und von edelem Hause; er hat sich bereits die gute Meinung seiner Mitbürger erworben; das Haupt der Republik spricht gut von ihm: er ist sogar bereit, die reizende Lycänion mit der Unbekannten zu vertauschen, die sein Vater für ihn ausgesucht hat. Was kann ein gutes Mädchen mehr verlangen? Welche Attische Tochter würde nicht stolz darauf sein, das Weib eines solchen Mannes zu werden?

Aber, beste Leukonoe, ist es meine Schuld, wenn ich unter Tausenden auch die einzige wäre, die, von allen diesen Vorzügen wenig gerührt, noch mehr verlangte? die einzige, die sich nicht entschließen könnte, sich diesem oder irgend einem andern Manne aufzuopfern? Daß mein Vater kein solches Opfer von mir fordern wird, dafür bürgt mir sein feierlich gegebnes Wort. Oder war es etwa bloß Anwandelung einer zärtlichen Laune gegen ein begünstigtes Kind, dessen Bitten er in einem schwachen Augenblick nicht zu widerstehen vermochte? Wehe mir, wenn ich dies von meinem edeln Vater denken könnte! Nein! Er erkannte die Rechtmäßigkeit meiner Bitte, und bewilligte sie, weil er die väterliche Gewalt nicht mißbrauchen wollte. Er wußte, daß bei der Wahl eines Gatten das Glück meines Lebens, nicht das seinige, auf dem Spiel stehe, und daß Ihm kein anderes Recht dabei zukomme, als meine Wahl zu leiten, nicht mir die seinige aufzudringen; mich zurückzuhalten, wenn das unerfahrne Mädchen, von ihren Augen oder einem andern blinden Trieb verführt, sich unbedachtsam ins Unglück stürzen wollte, nicht sie zu zwingen, gegen ihr eigenes Gefühl sich glücklich genug zu glauben, wenn sie es in seiner Meinung sei. So dachte mein gütiger Vater, als er mir die Freiheit zugestand, den Mann, mit welchem, und für welchen ich leben und sterben sollte, selbst zu wählen. Ob ich jemals in den Fall kommen werde, von dieser Freiheit zu wählen Gebrauch zu machen, wissen die Götter: da sie aber auch das Recht zu verwerfen in sich schließt, so wünschte ich allen weitern Bewerbungen durch die Versicherung zuvorzukommen, daß ich unter allen unsern Jünglingen keinen kenne, dessen Gattin ich zu sein wünschen möchte.

Nachdem ich mich einmal so freimütig herausgelassen habe, sei es mir erlaubt, noch weiter zu gehen, und ohne Zurückhaltung zu erklären: daß ich den Gedanken hasse, mich in das Gynäceon irgend eines Mannes zu einem Webstuhl, einem Spinnrocken und einem Dutzend Mägden einsperren zu lassen, um unter einer ehrenvollen Benennung im Grunde weder mehr noch weniger als die gesetzmäßige Beischläferin eines Gebieters zu sein, der mir, in den ersten zwei oder drei Monaten, mit einer Zudringlichkeit, die ich für Liebe nehmen müßte, das Recht abgekauft zu haben glauben würde, mich, mein ganzes übriges Leben durch, der Unterhaltung mit mir selbst, der Kinderstube, und den Geschäften einer Oberschaffnerin seines Hauses zu überlassen, unbekümmert, ob die Erfüllung dieser Pflichten zu Befriedigung meiner wesentlichsten Triebe hinreichend sei oder nicht. Unsre griechischen Männer sind, nach dem Beispiel der morgenländischen, seit undenklichen Zeiten gewohnt, den einzigen Vorzug, den die Natur ihnen vor uns zugeteilt hat, die Stärke ihrer Knochen und Sehnen, zu unsrer Unterdrückung zu mißbrauchen, und uns in Schranken einzuzwängen, worin die Entwicklung unsrer edelsten Kräfte beinahe unmöglich ist. Wie? hat Prometheus den göttlichen Funken nicht auch in unsre Brust gesenkt? Oder hat er (wie der Dichter Simonides fabelt) unsre Seelen von Katzen, Hunden, Affen, Schweinen und andern Tieren gestohlenDieses dem schönen Geschlecht wenig schmeichelnde Dichterwerkchen hat sich bis auf unsre Zeit erhalten, und ist das 17te der Überbleibsel, welche Brunck unter der Rubrik Simonides dem 1sten Teil seiner Analecta vet. poët. graec. einverleibt hat. ? – Halte mich nicht für so unverständig, liebe Leukonoe, daß ich die Verdienste der Frauen, die sich auf eine kluge und edle Ausübung ihrer häuslichen Pflichten einschränken, verkenne, oder zu verkleinern suchen sollte. Gewiß sind sie dadurch sehr achtenswürdige Bestandteile des Gemeinwesens: es sei nun, daß ihre Anlagen wirklich nicht weiter reichen, oder daß sie sich freiwillig einer Art von Beschäftigung widmen, wodurch sie den Ihrigen am nützlichsten zu sein glauben. Ich verehre die Letztern nach dem Grade von Tugend, der zu einer solchen Selbstverleugnung erfordert wird. Wenn aber ein weibliches Wesen Trieb und Kraft in sich fühlt, weiter zu gehen; wenn eine Seele in ihm erwacht, die sich den Seelen der edelsten unter den Männern nahe genug verwandt fühlt, um, wie sie, nach geistiger Schönheit und geistigen Genüssen, nach einer höhern Vollkommenheit, kurz nach dem Glück zu trachten, dessen diejenigen teilhaft werden, die sich über die Nebel des Wahns und der Leidenschaften in das Element der Wahrheit und Freiheit erhoben haben: wie sollt es da Pflicht für die arme aufstrebende Psyche sein, sich, gleich einem von spielenden Kindern gefangenen und an einem Faden zu ihrer Belustigung hin und her flatternden Schmetterling, von Amorn oder Hymenäus an eine unzerreißbare Kette legen, oder, wie die Psyche des Milesischen Märchens,Welches aus dem goldnen Esel des Apulejus in alle Europäischen Sprachen übersetzt und allgemein bekannt ist. zu niedrigen Sklavenarbeiten und qualvollen Entbehrungen verdammen zu lassen?

Ich kann und will es nicht länger verhehlen, daß ich eines dieser lüftigen Wesen bin, und es mir ganz und gar nicht zuträglich fühle, lebenslänglich zu Mägden und Nachbarinnen in einen wohlvergitterten Frauenzwinger, wie in einen zierlichen Wachtelnschlag, eingeschlossen zu werden.

Was willst du also? wirst du mich fragen: was für Anschläge und Aussichten kannst du wohl haben, einem Schicksal zu entgehen, dem sich alle andere ehrliche Mädchen in Griechenland immer willig unterworfen haben? – Ich muß gestehen, liebe Tante, meine Aussichten sind nicht sehr tröstlich. Vierundzwanzig Jahre sind ein hübsches Alter für ein junges Mädchen, und ich hätte sehr unrecht gehabt, so lange zu warten, wenn das, was ich dadurch entbehrte, einen Wert in meinen Augen hätte. Das schlimmste indessen, was ich bei meiner Denkart über diesen Punkt zu befürchten habe, wäre, lebenslänglich zu bleiben was ich bin. Es ist nicht was ich wünsche; muß es aber sein, so werde ich mich darein zu finden wissen. Doch gebe ich noch nicht alle Hoffnung auf, über lang oder kurz, durch Vermittlung meines guten Genius, an einen Mann zu geraten, der für mich taugt: einen Mann, der es nicht unter seiner Würde hält, eine Verbindung auf gleiche Vorteile mit mir einzugehen, und was ich ihm an Schönheit und Vermögen zubringe, mir durch die Schönheit seines Gemüts und die Schätze seines Geistes zu ersetzen. Schmeichle ich mir zu viel, liebes Mütterchen, wenn ich eines solchen Mannes wert zu sein glaube? Das wäre traurig für mich! denn gewiß, es fehlt mir nicht an gutem Willen, das meinige zu Erfüllung des löblichen Wunsches beizutragen, der meinem guten Vater so sehr am Herzen zu liegen scheint. Nur bitte ich mir nicht zuzumuten, daß ich zu einem so ernsthaften Geschäft mit einem unsrer edlen, schönen, und reichen jungen Herren in Gesellschaft trete. Das ist nun einmal, wofern nicht irgend eine unnatürliche Verwandlung mit mir vorgeht, schlechterdings unmöglich.

Den 9ten Thargelion.


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