Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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V.
Hipparchia an Melanippe

Meine Base ist noch auf ihrem Gute, und ich habe diesen Morgen eine Unterredung mit meinem Vater gehabt, die mich von einem großen Teil der Unruhe, in welche mich dein letztes Briefchen setzte, erleichtert hat. Sie verhalf mir zu drei wichtigen Entdeckungen: die erste, daß unser Geheimnis bis itzt noch nicht verraten ist; die zweite, daß meine Verbindung mit dem Sohne des Chabrias meinem Vater bei weitem nicht so sehr am Herzen liegt, als Leukonoe mich glauben machen wollte; die dritte, daß sie selbst und die Mutter des Leotychus Hermotima, ihre vertrauteste Freundin, die wahren Stifterinnen der vorgeschlagenen Ehe sind, und (wie ich nicht zweifle) diese dem Manne, jene dem Schwager so lange in den Ohren gelegen, bis beide für ihren Plan gewonnen wurden. Dies habe ich wenigstens, mit Hülfe meines Dämonions, aus einigen meinem Vater entfallenen Worten herausgebracht, und es sieht meiner guten, vielgeschäftigen, und für ihr Leben gern Heiraten stiftenden Tante zu ähnlich, als daß ich nicht recht geraten haben sollte. Dies gibt uns nun auch Licht über die drei Kundschafterinnen, von welchen Myrto dir geschrieben hat. Leukonoe führt, seit dem Tode meiner Mutter, eine Art von Oberaufsicht über meines Vaters Hauswesen, und hat, in der löblichen Absicht, – von allen, auch den unbedeutendsten, Dingen, die in einem großen Hause wie das unsrige vorfallen, aufs genaueste unterrichtet zu sein, – zwei oder drei von unsern Sklavinnen durch kleine Geschenke und anscheinende Vertraulichkeit dermaßen an sich gezogen, daß die Dirnen sich zu allem, was sie will, gebrauchen lassen. Vermutlich ist ihr etwas zu Ohren gekommen, das sie auf den Argwohn gebracht hat, es stecke ein Geheimnis hinter meinen öftern Besuchen bei der Blumenhändlerin, und sie wird nicht ruhen, bis sie es ausgegattert hat. Vielleicht habe ich ihr wohl selbst durch ein voreiliges Wort, das ich in meinem Briefe an sie fallen ließ, einen Verdacht gegen mich gegeben. Ich werde nun desto mehr auf meiner Hut sein, und da sie List gegen mich gebraucht, warum sollte ich Bedenken tragen, mich zu meiner Notwehr ihrer eigenen Waffen zu bedienen?

Ich täusche mich vielleicht, aber mir ist, als sage mir eine geheime Ahnung, daß mein Schicksal am Punkt ist, auf die eine oder andere Art zur Entscheidung zu kommen. Das dringendste ist, Zeit zu gewinnen, und den leidigen Freier, den mir Leukonoe aufzwingen will, so lange abzuhalten, als nur immer möglich sein wird. Dies nötigt mich, meiner Gemütsart Gewalt anzutun, und mich so gegen sie zu erklären, daß sie die Hoffnung, mich noch zu gewinnen, nicht ganz aufgeben kann. – Würde unser Lehrer dies gut heißen? – Ich fürchte, nein! Aber wie soll ich mir in einem solchen Gedräng anders helfen? Mein Vater ist die Güte selbst gegen mich; aber eben dies vermehrt die Schwierigkeiten meiner Lage; denn desto mehr muß ich mich hüten ihm nicht zu mißfallen. Ich habe mich zu einer Zusammenkunft mit Leotychus verstehen müssen, die vermutlich auf dem Landhause meiner Tante veranstaltet werden soll. Wie sie ablaufen wird, soll dir sogleich berichtet werden. Ich gedenke, mich sehr altklug aufzuführen, und dem Feinde keine Blöße zu geben, das versprech ich dir.

Den 15ten Thargelion.

Erkundige dich doch unter der Hand, ob es unserm Philosophen nicht ein wenig auffällt, daß er seine jungen Zuhörer Melampus und Hipparchides seit sieben ganzen Tagen weder im CynosargesCynosarges ist der bekannte Name eines der athenischen Gymnasien, d. i. zum Unterricht der Jugend in allerlei Leibesübungen eingerichteten öffentlichen Gebäude und Plätze, wo Antisthenes, Diogenes, Krates, und andre Sokratiker von der strengern Observanz (die unter dem Abernamen Cyniker, besonders in viel spätern Zeiten, durch unwürdige Glieder ihres ehrwürdigen Ordens in einen ziemlich zweideutigen Ruf gesetzt wurden) sich öfters aufzuhalten und zu lehren pflegten., noch unter den Platanen am Ilyssus gesehen hat?


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