Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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XXI.
Melanippe an Hipparchia

Der alte Großoheim ist endlich auf immer schlafen gegangen, sein Schatten nach Attischem Gebrauch aufs vollständigste beruhigt worden, und meine Mutter in voller Arbeit, seine sämtliche Verlassenschaft in Besitz zu nehmen, und dann je eher je lieber nach Athen (außer welchem, wie sie sagt, kein Leben ist) zurückzukehren.

Unser Freund Euthyphron, dessen Anhänglichkeit an mich durch den Zuwachs von dreißig Talenten zu meinem künftigen Erbgut nicht vermindert worden ist, wird inzwischen immer auf der Straße sein unsern Briefwechsel zu befördern, und uns fleißig mit den Neuigkeiten zu versehen, an denen uns gelegen ist. Er hat sich zu diesem Ende einen Thracischen Klepper angeschafft, der dem Winde zu gleich lauft; und er scheint es dir nicht wenig Dank zu wissen, daß du ihm eine so schöne Gelegenheit gibst, sich um mich verdient zu machen.

Die Antwort, die du von unserm Philosophen bekommen hast, ist gerade wie ich sie von einem Mann erwartete, den sein einmal erwähltes System zum Selbstpeiniger verdammt. Sein Kopf und seine Hand durften dir keinen andern Rat geben: aber ich will meine ganze Erbschaft verloren haben, wenn sein Herz nicht jedes Wort, was er zu Gunsten des schönen Leotychus verliert, mit lautem Pochen Lügen straft. Aber beinahe eben so laut mußt ich, mit deiner Erlaubnis, über die Antwort lachen, die du ihm stehendes Fußes, im ersten Feuer deiner Dankbarkeit für seine guten Lehren, hast zukommen lassen. Wenn du glaubst, er werde alle die schönen Dinge, die du ihm geschrieben, im buchstäblichen Sinne nehmen, und den verliebten Verdruß nicht merken, der aus deinen Versicherungen und guten Vorsätzen, wie die bloße Haut aus dem durchlöcherten Mantel einer Bettlerin, hervorscheint, so betrügst du dich gewaltig, liebe Hipparchia: die Antwort, die dir Euthyphron morgen unfehlbar zu überbringen hat, wird meine dreiste Vorhersage rechtfertigen. Aber was das Ende von dem allem sein wird, so weit erstreckt sich meine Weissagungsgabe nicht. Doch bin ich nicht ohne Hoffnung, daß der Brief, den du deinem Vater zu lesen gegeben hast, etwas mehr als einen bloß vorübergehenden Eindruck auf ihn gemacht haben könnte. Der Umstand, daß er ihn zurück behalten hat, ist von guter Vorbedeutung. In der Tat, Liebe, wenn du ihm den Brief mit Vorbedacht hättest in die Hände spielen wollen, du hättest die erste Gelegenheit dazu mit keiner bessern Art ergreifen können.

Gegen deine Verweisung in die reizenden Gefilde von Marathon hab ich nichts einzuwenden, als die Entfernung von Acharnä, und ein geheimes Grauen vor deiner Nachbarin, der Diana zu Brauron. In ganzem Ernst, es kommt mich zuweilen eine Furcht an, du möchtest einmal in einer deiner heroischen Launen pfeilgerade nach dem Tempel der Göttin rennen, und ihr ewige Jungfrauschaft angeloben. Denn daß weder Artemis noch Isis es so übel mit dir meinen, dich in einen Jungen zu verwandeln, darauf kannst du dich verlassen. Mit der schönen Iphis war es ein ganz anderer Fall. Was hätte das arme Ding, heimlicher Weise von der Mutter als ein Junge aufgezogen, und vom Vater (dem ihr Geschlecht ein Geheimnis bleiben mußte) an das schönste Mädchen in ganz Kreta verheiratet, mit seiner geliebten Braut anfangen sollen, wenn die Götter sich ihrer nicht angenommen hätten? Vergiß nicht, was ich von dir selbst gelernt habe, daß es nicht erlaubt ist, einen Knoten durch Dazwischenkunft einer Gottheit zu zerhauen, so lange noch ein natürliches Mittel ihn zu entschlingen übrig ist.

Du siehest, liebes Schwesterchen, ich tue mein Bestes, dich mit meiner guten Laune anzustecken. Kurz und unverblümt von der Sache zu reden, ich habe, in Hoffnung eines glücklichen Ausgangs, dieser Tagen ein paar Dutzend prächtige Rosenstöcke in Töpfe gesetzt, die bis zum nächsten Gamelion voller Rosen für dich hangen sollen; und wenn die Unglücksprophetin Kassandra selbst käme, und mir Jammer und Not ankündigte, ich würde ihr, mit aller gebührenden Urbanität, die Tür weisen.

Den 3ten Hekatombäon. (Julius.)


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