Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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XXXI.
Metrokles an Hipparchia

Ich glaube, du hast wohl getan, liebe Schwester, daß du unsern Vater um die Erlaubnis batest, ihn im Pentelikeion zu besuchen. Ob du gleich noch keine Antwort erhalten hast, so merke ich doch, daß der lebhafte und naive Ausdruck deiner Liebe zu ihm seinem Herzen wohlgetan hat. Wir befinden uns schon zwei Dekaden hier, und Lamprokles, der auf diesem Gute beinahe nichts als seine eigenen Schöpfungen sieht, und es daher vorzüglich liebt, war in den ersten Tagen mit Entwerfung neuer Anlagen und Verbesserung der alten so angenehm beschäftigt, daß er den guten Krates ganz aus dem Gesicht verloren zu haben schien. Aber kaum hörte er einst, zufälliger Weise, einen unsrer Nachbarn dessen Namen nennen, so trug er mir sogleich auf, meinen Freund an sein Versprechen zu erinnern, und ihm zu sagen, daß er mit Ungeduld erwartet werde. Ich ritt also am folgenden Tage nach der Stadt, suchte unsern Mann lange vergebens auf, und fand ihn endlich, in einem einsamen wilden Busche hinter dem Turm des Timon,Des sogenannten Menschenhassers. auf dem bemoosten Stock einer alten Eiche sitzen. Es kostete mich Mühe, bis ich ihn überzeugte, daß mein Vater seinen Besuch in ganzem Ernst erwarte. Genug, es gelang mir endlich; wir machten uns am nächsten schönen Morgen auf den Weg, und Krates wurde mit der ganzen traulichen Herzlichkeit, die unserm guten Vater eigen ist, aufgenommen. Er mußte mehrere Tage bei uns bleiben, und erwarb sich in dieser kurzen Zeit durch den ungezwungenen Anteil, den er an den Beschäftigungen seines Wirtes nahm, durch seine Kenntnisse in diesem Fache, womit er ihn nicht wenig überraschte, kurz, durch die mancherlei neuen Seiten, von welchen er sich ihm zeigte, seine Achtung und Zuneigung in einem so hohen Grade, daß er beim Abschied förmlich versprechen mußte, in wenig Tagen wieder zu kommen, und den Rest der schönen Jahrszeit bei uns zuzubringen.

Ich eile dir dies alles zu berichten, um dadurch die sorglichen Gedanken auf einmal niederzuschlagen, welche du dir über das Stillschweigen des Vaters zu machen scheinst. Ich halt es vielmehr für eine gute Vorbedeutung, und vermute aus mehreren Anzeigen, daß er dich nächstens durch irgend etwas Angenehmes zu überraschen gesonnen ist.

Den 14ten Metageition. (August.)


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