Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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XXX.
Metrokles an Hipparchia

Ihr seid ein Paar so seltsame Sterbliche, du und dein Geliebter, daß ich die Stirn sehr hoch tragen werde, wenn ich Verstand genug habe, euch mitten durch alle die Schwierigkeiten, die ihr euch selbst erschafft, und die euch von andern gemacht werden, am Ende doch noch zusammen zu bringen.

Der Weg, der uns immer weiter von unserm Ziele zu entfernen scheint, ist zuweilen der nächste. Diesem Erfahrungssatz zufolge habe ich mir einen Plan gemacht, wie ich mich gegen Krates zu benehmen gedenke. Ich spreche ihm gar nicht mehr von dir, stelle mich, als ob ich den traurigen Ernst nicht bemerke, der gewöhnlich über seinen Augenbraunen hängt, und überhaupt, als ob ihr meines Wissens in gar keinem Verhältnis zu einander ständet. Ungeachtet der großen Gewalt, die er über sich selber hat, sehe ich doch, daß ihn diese Art von Sorglosigkeit, die ich ihm zeige, zuweilen verlegen macht. Was unsern Vater betrifft, so scheint er die Vereitlung des Heiratsprojekts, die ihm der alte Chabrias selbst angekündiget hat, ziemlich gleichgültig aufzunehmen. Hingegen merke ich sehr gut, daß ihm die Trennung von dir mit jedem Tage unangenehmer wird. Er scheint bloß darauf zu warten, daß du ihn um deine Zurückberufung bittest. Zuweilen dünkt mich, er lege mirs ganz nahe, daß ich von dir zu reden anfangen sollte: aber ich beobachte auch gegen ihn die nämliche Maßregel wie gegen Krates, und verspreche mir davon denselben Erfolg.

Inzwischen, liebe Schwester, ist mir ein Anschlag, den ich schon einige Tage mit mir herum trug, über alle Erwartung gelungen. Ich habe es nämlich durch die dritte Hand so eingeleitet, daß Lamprokles bei einem großen Fest, welches einer seiner Freunde dem Demetrius gab, die Bekanntschaft des Krates machte, welcher ebenfalls dazu gebeten war. Zu gutem Glück waren beide einander von Person gleich unbekannt. Ich sage zu gutem Glück: denn wofern Krates unsern Vater gekannt hätte, würde er, aus bloßer Furcht in den Verdacht zu geraten, als ob er aus einer geheimen Absicht nach seinem Beifall trachte, sein Möglichstes getan haben, ihm nicht zu gefallen. Da die Gesellschaft sehr zahlreich war, so fügte sichs, daß Lamprokles einen Platz bekam, wo er von Krates nicht bemerkt wurde. Dieser überließ sich nun, ohne den mindesten Zwang, der Stimmung, in welche ihn die gute Gesellschaft, die Gegenwart des Demetrius, der ihn schätzt, und der zufällige Gang der Unterhaltung setzte, und war den ganzen Abend so lebhaft, so geistreich, so unerschöpflich an Einfällen, mit einem Wort so liebenswürdig, als du ihn schwerlich jemals gesehen hast. Dies wirkte, wie du dir vorstellen kannst, da du den Vater kennst, der, trotz der Rinde, womit ihn seine landwirtliche Lebensart überzogen hat, nichts weniger als ohne Sinn und Empfänglichkeit für die Eigenschaften und Talente ist, welche Krates bei diesem Anlaß in ihrem vollen Glanze spielen ließ. Der Erfolg war, daß, als die Gesellschaft nach der Tafel sich in kleine Gruppen verteilte, Lamprokles und Krates unvermerkt zusammentrafen, in ein ziemlich langes Gespräch gerieten, und so viel Geschmack an einander fanden, daß Krates, bevor er noch wußte, daß er mit Hipparchiens Vater sprach, diesem schon das Wort gegeben hatte, daß er ihn auf seinem Landgut am Pentelikus besuchen wollte.

Alles dies vernahm ich heute aus des Vaters eigenem Munde. Ich ließ diese Gelegenheit nicht entschlüpfen, ihm in einer umständlichen und offenherzigen Erzählung zu entdecken, daß ich den Krates schon vor drei bis vier Jahren zu Korinth gekannt, und es hauptsächlich seinem Umgang und seiner für mich gefaßten Freundschaft zu danken hätte, wenn ein besserer Mensch aus mir geworden sei, als meine frühere Jugend versprochen habe.

Du siehst, welche günstige Gelegenheit mir dies gab, unsern Vater mit dem Charakter deines Freundes genauer bekannt zu machen, und die Vorurteile vollends zu zerstreuen, die ihm gegen einen Mann, der so unendlich viel mehr ist als er scheint, von Leukonoe und andern beigebracht worden waren. –

»Man muß gestehen«, sagte er, »daß der Mensch ein Sonderling ist; aber das waren Sokrates und Plato auch; mein ehemaliger Freund Phocion war es nicht weniger – und desto besser! Ich hatte mir einen sauren, runzlichten, stolzen und bissigen Cyniker vorgestellt, und finde, daß man sich keinen angenehmern Gesellschafter wünschen kann; und da er überdies noch ein so rechtschaffener Mann ist, so begreife ich nicht, was die Leute gegen ihn haben können; denn an seinem schlichten Aufzug wird sich doch kein vernünftiger Mensch stoßen.« – Es fiel mir eben nicht schwer, ihm dies begreiflich zu machen: er wurde still und nachdenklich; ich bin gewiß, daß er in diesem Augenblick bei dir zu Marathon war, und mit sich selbst überlegte, ob es möglich sei, deinen Wünschen nachzugeben. Es schien sogar, als ob so etwas schon auf seinen Lippen schwebte: aber er hielt es zurück, und trug mir bloß auf, daß ich meinen Freund nochmals in seinem Namen nach unserm Pentelikeion einladen sollte.

Ich entledigte mich dieses Auftrags gegen Krates, ohne ein Wort von meinem Eignen hinzuzusetzen, oder ihm meine Freude darüber anders als in meinen Augen zu zeigen, wo es mir freilich nicht wohl möglich war, sie zu verbergen. Er hingegen erneuerte mir seine bereits gegebene Zusage mit einer Miene, worin der scharfsichtigste Seelenspäher schwerlich eine Spur von Gemütsbewegung hätte entdecken können: nur in seinem Ton war etwas, das er weniger in seiner Gewalt hatte, und das mir verriet, was in seinem Gemüte vorging.

Ich bin im Begriff nach dem Gut abzugehen, um einige Vorkehrungen zum Empfang des Vaters zu treffen, welcher den Rest des Sommers und den Herbst da zuzubringen gedenkt. Leukonoe bleibt zurück, um die Aufsicht über das Haus in der Stadt zu führen. Lebe wohl, Schwester. Du siehst, die Aussicht erweitert sich, und wir nähern uns unvermerkt dem Ziel unsrer Wünsche.

Den 28sten Hekatombäon.


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