Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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VII.
Hipparchia an Leukonoe

Wenn mir in meinem letzten Brief ein Wort entfahren wäre, beste Leukonoe, wodurch ich mein Pflichtgefühl gegen dich und meinen geliebten Vater in ein zweideutiges Licht gesetzt hätte, so verzeih einer unfreiwilligen Lebhaftigkeit, und sei versichert, daß ich lieber auf alle Glückseligkeit Verzicht tun, als die Befriedigung irgend eines meiner Wünsche mit der Unzufriedenheit des ehrwürdigen Greises erkaufen wollte, dem ich Leben, Erziehung und Wohltaten ohne Zahl zu danken habe. Und wahrlich nie war ich weniger fähig, ihn nur mit einem Gedanken zu beleidigen, als seitdem er die Güte gehabt hat, mir in einer Unterredung über den Gegenstand deiner Briefe sein wahrhaft väterliches Herz aufzuschließen, und mich aufs stärkste zu überzeugen, daß meine Wohlfahrt das einzige Ziel seiner Wünsche ist. Er versicherte mich, er habe seinem Freunde nicht verhalten, daß er mir schon von langem her sein Wort gegeben, meiner Neigung in der Wahl eines Gatten keinen Zwang anzutun. Indessen habe er ihm doch auch nicht alle Hoffnung benommen, daß sein Sohn durch seine ausgezeichneten Vorzüge bei näherer Bekanntschaft einen günstigern Eindruck auf mich machen könnte, als alle, deren Bewerbungen ich bisher abgelehnt; und Chabrias habe sich mit dieser Hoffnung ziemlich zufrieden bezeigt. »Vor der Hand«, fuhr mein Vater fort, »verlange ich weiter nichts von dir, als daß du dich nicht voreilig gegen Leotychus entscheidest, den ich schätze, und der in Athen allgemeinen Beifall findet. Ich werde dir auf eine schickliche Art Gelegenheit verschaffen, ihn zu sprechen, und durch dich selbst kennen zu lernen. Zwei oder drei solche Zusammenkünfte werden dazu hinreichend sein; und wenn du mir alsdann auch nur Einen haltbaren Grund einer Abneigung vor dieser Heirat geben kannst, so soll nicht weiter davon die Rede sein.«

Was für ein Herz müßte das meinige sein, wenn so viel Güte, so viel Herablassung mir nicht den Wunsch abdränge, daß ich den Sohn deiner Freundin mit deinen Augen möchte ansehen, und, wenn auch nicht alles, doch das Wesentlichste bei ihm finden können, was der Mann besitzen muß, mit welchem ich mich in einem so furchtbaren Verhältnis nicht unglücklich fühlen soll. Denn furchtbar muß es doch wahrscheinlich jeder nicht ganz unbesonnenen Jungfrau sein, die, weder vom Zauber der Liebe geblendet sich in ihrem Netze verfängt, noch von der Gewalt eines blinden Triebs, den ich nicht kenne, in die Arme eines Mannes geworfen wird. – Glaube mir, verehrte Leukonoe, auch der warme Anteil, den Du an dieser Sache nimmst, ist mir nichts weniger als gleichgültig. Indessen kann ich mich vor der Hand zu nichts verbindlich machen. Alles, was ich dir verspreche, ist, daß ich viel guten Willen, ein Paar helle Augen, und einen ruhigen Sinn zur Zusammenkunft mit dem schönen Leotychus mitbringen will.

Übrigens sehe ich nicht, warum es nicht eben so möglich wäre, daß, wenn wir einander in der Nähe besehen, ich ihm, als er mir mißfiele; und wenn jenes der Fall sein sollte, wär es nicht billig oder wenigstens gütig gewesen, meiner kleinen Eigenliebe eine solche Demütigung zu ersparen?

Noch Eins, liebe Tante, muß ich mir mit deiner Erlaubnis vom Herzen wegschaffen. Vermutlich hast du mir nur einen heilsamen Schrecken einjagen wollen, indem du mir das Beispiel der schönen Lais zu Gemüte führst, die von eben denselben Grundsätzen über die Rechte unsers Geschlechts ausging, wie ich, aber zu einem schlechten Ende von ihnen geführt wurde. Wirklich entsetzte ich mich selbst ein wenig über diese Ähnlichkeit, als mir unlängst die Abschrift eines Briefes in die Hände fiel, den der berühmte Aristipp, über seine Zusammenkunft mit der schönen Lais zu Ägina, geschrieben haben soll. Aber ich erholte mich bald wieder von meinem Schrecken: denn, trotz der Ähnlichkeit unsrer Grundsätze, waltet ein mächtiger Unterschied zwischen ihr und deiner Hipparchia vor, den du übersehen zu haben scheinst. Diese Grundsätze führten nämlich die stolze und kalte Lais, die sich alle Männerherzen unterwerfen wollte, ohne ihr eigenes dabei aufs Spiel zu setzen, geraden Weges zum Hetärenstand: und eben dieselben Grundsätze werden hingegen die bescheidene und ziemlich warme Hipparchia, die sich an dem Herzen Eines Mannes begnügt, und das ihrige dafür zu geben bereit ist, dahin führen, daß sie entweder nahezu das Muster einer guten Hausfrau darstellen, oder als Jungfrau leben und sterben wird.

Den 16ten Thargelion.


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