Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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XXXIV.
Melanippe an Hipparchia

Ich bin so glücklich, liebste Hipparchia, das Vergnügen, so du mir durch dein Briefchen gemacht hast, mit einer Neuigkeit bezahlen zu können, die dir gewiß nicht gleichgültig sein wird. Hättest du dir wohl eingebildet, daß es dem Krates so leicht gelingen würde, sich sogar bei deiner Tante Leukonoe, die vor kurzem noch so heftig gegen ihn eingenommen war, in Achtung zu setzen? Und in was für eine Achtung! Ich glaube wahrhaftig, sie heiratete ihn selbst, wenn er sich nur einige Mühe um sie geben wollte.

Eine gute Freundin meiner Mutter, namens Timothea, eine Thebanerin, die vor geraumer Zeit nach Athen geheiratet hat, ist eine weitläufige Verwandte von Krates. Diese Frau fand unlängst Gelegenheit, deiner Tante einen nicht unbedeutenden Dienst zu leisten. Seitdem sehen sie sich auf einen ziemlich vertraulichen Fuß, und so fügte sichs, daß Leukonoe mit unserm Freund zufällig bei seiner Landsmännin zusammen traf. Der Mann muß einen Zaubervogel bei sich tragen. Die Tante, die ihn noch nie gesehen hatte, ließ sich wohl nichts weniger beigehen, als daß es Krates sein könnte. Er gefiel ihr; und da die Rede auf die alte und neue Zeit fiel, und er glücklicher Weise in der Laune war, ein Paar ältliche Damen angenehm zu unterhalten: ermangelte er nicht, einen strengen Tadel auf die heutige Erziehung der Töchter zu legen, und die gute alte Zeit selig zu preisen, wo eine Tochter desto besser erzogen war, je weniger sie gesehen, gehört, und gefragt hatte. Mehr brauchte es nicht, wie du siehst, um der guten Tante die höchste Meinung von dem Verstand und Charakter des Mannes zu geben, der so goldne Worte sprach. Aber du kannst dir auch vorstellen, wie verlegen sie war, als sie nach seiner Entfernung vernahm, daß es Krates gewesen sei. Indessen hatte doch Timothea keine sehr schwere Arbeit, ihr die Vorurteile vollends zu benehmen, welche sie aus den verstümmelten Nachrichten und schiefen Urteilen, die in einer Stadt wie Athen von Anekdotenkrämern und müßigen Strohköpfen über ausgezeichnete Personen herumgetragen werden, allzuleichtgläubig aufgelesen hatte.

Unter andern erfuhr sie auch zu ihrer großen Beruhigung, daß Krates, als er den größten Teil seines Erbguts unter seine entfernten Verwandten ausgeteilt, sich eine ziemlich beträchtliche Summe (zwanzig Talente, wenn ich nicht irre) teils für seine eigenen Bedürfnisse, teils auf den Fall, wenn er sich verehlichen sollte und Kinder zu erziehen hätte, vorbehalten habe. »Diese Vorsicht«, sagte Leukonoe, »beweist, daß der Mann, wiewohl er ein Sonderling von einer ganz eigenen Art sein muß, doch bei weitem so unklug nicht ist, als böse Zungen ihm nachsagen. Aber was macht er denn mit den Zinsen seines Kapitals, da er, wie für gewiß gesagt wird, von drei Obolen des Tags lebt, und auf diesem Fuß kaum vier- bis fünfhundert Drachmen jährlich gebrauchen kann?« Timothea erwiderte: sie zweifle sehr, daß er große Schätze sammle. Er sei ein sehr gutherziger Mann, und sie wisse von sichrer Hand, daß er in geheim arme Bürger oder Fremdlinge mit kleinen Summen, ohne Zinsen und ohne auf Wiederzahlung zu rechnen, unterstütze, aber nicht wolle daß es bekannt werde. Auch das fand die Tante ein wenig sonderlich: doch meinte sie, es werde sich schon geben, wenn der Mann für Weib und Kinder zu sorgen haben werde.

Alles dies, Hipparchia, habe ich aus Timotheas eigenem Munde. Du siehst daraus, wie fleißig dein guter Genius für dich arbeitet; und da nun auch Leukonoe so viel als gewonnen ist, da dein Vater sich augenscheinlich auf deine Seite neigt, und dein Bruder sich mit unermüdetem Eifer für dich verwendet: so müßt es nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn dein Liebeshandel, einer der sonderlichsten die je erhört wurden, nicht in kurzem zu einer fröhlichen Entknotigung gelangen sollte.

Die drei Küsse, für welche du den Euthyphron, nach der Zahl der Grazien, auf meine Rosenlippen angewiesen hast, sind richtig bezahlt worden: aber der ungenügsame Mensch bestand darauf, er könne mir aus seinem Homer beweisen, daß der Grazien wenigstens vier sein müßten; und da ich gerade keine Zeit hatte, die Sache zu untersuchen, so mußt ich mich, um seiner los zu werden, schon auch zum vierten bequemen, den du mir gut zu schreiben nicht vergessen wirst.

Den 27sten Metageition.


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