Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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XXVII.
Metrokles an Hipparchia

Freue dich mit mir, liebe Schwester! Die Götter haben deinen Metrokles, nach einer Wanderschaft von zwei vollen Jahren, glücklich wieder in das väterliche Haus zurückgeführt. Welch ein Augenblick das war, da mir, auf dem Verdeck sitzenden und mit unverwandten gierigen Augen nach meinem geliebten Ithaka hinstarrenden, auf einmal der ehrwürdige Cekropische Fels mit dem schimmernden Parthenon auf der Stirne wieder sichtbar wurde! In meinem Leben werd ich nichts mehr fühlen, was diesem überströmenden Wonnegefühl gleicht. – Ich habe viel erwandert, viel Großes und Wunderbares gesehen, aber eine Stadt, die mit unserm schönen Athen zu vergleichen wäre, gibt es auf dem ganzen Erdboden nicht. Doch davon künftig, wenn wir, Alle wieder vereinigt, im häuslichen Kreise unter dem prächtigen Ahorn unsers Vorhofs sitzen, und ich in eurer Mitte, eben so geschwätzig, aber weniger lügenhaft als Odysseus, euch die Abenteuer meiner Herumirrungen erzählen werde.

Als ich unserm Hause mit raschen Schritten zueilte, wie freute ich mich, meine Hipparchia, nach einer so langen Trennung dein liebes Angesicht wieder zu sehen! Ich hatte, um euch nicht gar zu unversehens zu überraschen, meinen Dromo vorangeschickt, und hoffte, du würdest die erste sein, die mir aus der Tür des väterlichen Hauses mit offnen Armen entgegen flöge. Ich fand mich übel getäuscht. »Wo ist Hipparchia?« rief ich mit ängstlich klopfendem Herzen, und erfuhr nun nach und nach – alles, was mir deine Abwesenheit begreiflich machen sollte. Aber wie wirst du dich wundern, wenn ich dir sage, daß ich (den einzigen Umstand deiner Verweisung nach dem Marathonischen Gut ausgenommen) von deiner Geschichte bereits so gut und noch besser unterrichtet war, als der Vater und die Tante?

Du vermutest ohne Zweifel, ich werde einen Zauberspiegel oder einen magischen Ring, der mir die Geister unterwürfig macht, von meinen Reisen mitgebracht haben? Das nicht, Schwesterchen! Laß dir sagen, wie es damit ganz natürlich zuging. Ich brachte (wie du weißt) vor meiner Reise drei Jahre zu Korinth zu. Dort lernte ich deinen Freund Krates kennen, gesellte mich zu seinen Schülern, gewann seine Zuneigung, ward ein ganz andrer Mensch durch ihn als wie du mich vorher kanntest, und faßte dafür auch eine Liebe zu ihm, die nur mit meinem Leben erlöschen wird. Als ich auf meiner Rückreise von Syrakus nach Korinth kam, war mein erstes, dem Philosophen Krates nachzufragen. Ich erfuhr von dem neunzigjährigen Diogenes (der seit mehrern Jahren bei seinem edeln Freund Xeniades lebt und in diesem Hause wie ein guter Genius angesehen und geehrt wird), daß er seit geraumer Zeit nach Athen gezogen sei. Wie der ziemlich schwach gewordene Greis sich endlich meiner Person und der ehemaligen Zuneigung seines Freundes zu mir wieder erinnerte, trug er kein Bedenken, mir Alles, was ihm von deinem Verhältnis zu demselben bekannt war, zu entdecken, und mir sogar die von Krates erhaltenen Briefe mitzuteilen. Ich weiß also Alles, liebe Schwester, und ich kann dir nicht ausdrücken, wie glücklich mich der Gedanke macht, daß du das Band werden sollst, das den Mann, den ich vor Allen ehre, an unser Haus knüpfen wird. Die Schwierigkeiten, die uns noch im Wege stehen, wegzuräumen, soll nun meine Sache sein! Unsre Base Melanippe, deine Vertraute, die seit kurzem wieder hier ist, sagt mir, du zweifeltest noch, ob Krates dich liebe. Über diesen Punkt, gutes Mädchen, lege nur immerhin dein Herz zur Ruhe. Krates ist zwar keiner schwindlichten Leidenschaft fähig; aber die Art von Liebe, die er für dich fühlt, ist die einzige, die dieses Namens wert ist. Sie wird ihn weder Torheiten noch Verbrechen um deinetwillen begehen machen; aber, dies allein ausgenommen, ist nichts, was er nicht dir zulieb zu tun oder zu leiden fähig wäre. Kurz, du wirst Ursache finden, dich für die glücklichste der Weiber zu halten, wenn du die Seinige wirst. Indessen darf ich dir nicht verbergen, daß er noch keinen Begriff davon zu haben scheint, daß eine solche Verbindung zwischen euch unter die möglichen Dinge gehöre; und ich fürchte sehr, wofern der Antrag nicht unmittelbar von unserm Vater selbst an ihn gelangt, wird er nie glauben, daß Lamprokles ihm seine Tochter mit gutem Willen gebe. Von diesem Punkt sind wir freilich noch weit entfernt; aber Geduld, Zeit und Beharrlichkeit haben schon manches zu Stande gebracht, was niemand für möglich gehalten hätte.

Die Tante ist sehr unzufrieden mit dir. Der Vater scheint es weniger zu sein; doch hat er bisher, so oft ich deiner erwähnte, die Rede sogleich auf etwas anders gelenkt. Gegen Krates scheint er mir nicht ohne Vorurteile zu sein; sie werden aber einer ganz andern Meinung Platz machen, wenn ich ihm erst (was nächstens geschehen soll) umständlich entdeckt haben werde, wie viel wir beide, ich um meiner selbst, er um seines Sohnes willen, diesem Krates schuldig sind.

Das erste und nötigste, was ich zu unternehmen hatte, schien mir, die Sache mit Leotychus auf eine gute Art abzutun. Wir kamen deswegen zusammen, und du brauchtest eben nicht eitler zu sein als die meisten deines Geschlechts, um dich ein wenig beleidigt zu finden, daß es mir so wenig Mühe kostete, dich von diesem Beschwerlichen zu befreien. Er sagte anfangs viel Schmeichelhaftes über deine seltnen Eigenschaften, setzte aber hinzu: er höre, daß du noch keine Lust habest, dich ins ehliche Joch spannen zu lassen, und er höre es mit desto größerm Vergnügen, weil dies gerade sein Fall auch sei. Er liebe seine Freiheit noch zu sehr, als daß er sie selbst einer Hipparchia aufzuopfern versucht sein könnte. Auch habe er es bereits bei seinem Vater so weit gebracht, daß von der vorgeschlagenen Verbindung keine Rede mehr sein werde, wofern wir über diesen Punkt mit ihnen gleicher Meinung wären. Ich versicherte ihn dessen mit Mund und Hand, nicht ohne das verbindlichste Bedauren, daß ich der Ehre, einen Leotychus zum Bruder zu erhalten, entsagen müßte; und so trennten wir uns, dem Anschein nach, als die besten Freunde von der Welt, und haben uns seitdem – nicht wieder gesehen. Von dieser Seite kannst du also ruhig sein, Schwesterchen.

Der junge Euthyphron dringt darauf, daß ich mich seiner eben so frei bedienen soll, wie du und Melanippe bisher getan habt. Er ist ein sehr wackerer junger Mensch, und unserm Freund eifrig ergeben. Um jedoch seinen guten Willen nicht zu mißbrauchen, schicke ich meinen Dromo mit diesem Brief an dich. Sobald ich dir etwas angenehmes zu berichten habe, soll ein zweiter folgen. Ich schließe diesem ein Briefchen von Krates bei. Er schickte mirs diesen Morgen, von etlichen Zeilen an mich selbst begleitet, aus welchen ich vermute, daß du dich an dem Inhalt nicht sonderlich ergetzen wirst. Ich fürchte, er findet eine seltsame Art von Vergnügen darin, sich selbst und dich zu peinigen. Will er etwan eure Liebe dadurch, wie Gold durch Feuer, läutern? Was auch die Absicht sein mag, laß dichs nicht kümmern! Daß er dich wie seine Augen liebt, ist gewiß, und daran kannst du dir, deucht mich, vor der Hand genügen lassen.

Den 15ten Hekatombäon.


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