Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Der Blitz

Mählich hebt der Meeresgrund sich unter ihnen. Riesige und braunschwarze Schlammwüsten dehnen sich ins Unsichtige hin. Die beiden Wanderer fahren in mäßiger Höhe über dieser Einöde. Eigentlich ist das nicht die Landschaft des Aals, der Löcher liebt. Aber jährlich um die Laichzeit wird er unruhig, und es zieht ihn zu Gegenden, wo er vor langen Jahren seine Hochzeiten gefeiert hat. Denn finstere Löcher sind keine Liebesorte für Leute seiner Sippe. Panzerkerle und Krabben mögen das so halten. Er liebt die weichen, tiefen Schlammbetten, von denen herrliche und nahrhafte Wolken aufsteigen. Sie erinnern ihn an den tiefen und langen Schlaf, den er in den Schlammbänken des süßen Stromes jährlich gehalten hat, und der ihn, seit er im Meere lebt, nur mehr kurz, immer kürzer überfällt, und den er jetzt nicht mehr 273 im weichen Schlammbett tut. Höchstens daß er sich in die hinterste Schluft seiner Tuffhöhle zurückzieht und aus gläsernen Augen wochenlang vor sich hinstarrt.

Seine Kinder schlüpfen in diesen weichen und tiefen Schlammbetten aus den Eiern, wo sie sich gut verbergen können und, ohne viel Wesens zu machen, sich herrlich mästen, bis eines Tages ein lauter Ruf ihrer Seele sie aufbrechen heißt. Dann kommen, gewiesen durch magische Weiser, von überallher die fingerlangen Aalkinder und ziehen in riesigen Schwärmen, dicht wie die Heringe und durchsichtig wie das Meer selber, unbekannte und ihren Seelen doch seit Jahrtausenden bekannte Straßen, durch Verfolgung und Fährnisse, zwischen Räubern und Mördern; und gelangen eines Tages in die Ausmündung süßer Wässer, die sie hinanklettern und jetzt ihrem größten Feinde, dem Menschen, begegnen. Und welche von den Millionen dieser durchsichtigen und vertrauensvoll und mutig wandernden Aalkinder am Leben bleiben, werden nach Jahren, groß gewachsen, schwarz gehäutet und klug, in rauhen und finsteren Sturmnächten den Ruf des Meeres vernehmen und gehorsam, in schönen Windungen sich schlängelnd, an die Stätte ihrer Geburt zurückwandern. Oh, Heimkehr und Sehnsucht und großer Gehorsam alles Irdischen!

Sie sind noch nicht lange ausgeschlüpft, die winzigen Aalkinder. Aber dieser Alte ihrer Sippe weiß um ihr ausgesetztes und schwankes Dasein und hat die Witterung. Tagelang mästet der schwarze Aal sich, und auch Laikan schmecken die glashellen Würmchen sehr gut. Der riesige Aal hat Liebe und Hochzeiten lange überstanden 274 und weit hinter sich gelassen. Aber von der Lebenskraft der Enkel zehrt er sein Alter hin. Seltsame und unergründliche Welt des Kindermords!

Verführt durch diesen sonderbaren Feinschmecker, treibt Laikan sich allzu nahe über dem Schlammgrund herum. Aber das Meer ist auch in Schlamm und Sand noch unergründlich und geheimnisvoll, und man ist seiner Liste und Vergewaltigungen nirgends sicher. Es weist jedem seinen Platz an, und man hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn man anderen Leuten, die jahrtausendealte Rechte haben, in ihre Bezirke gerät.

Plötzlich tut Laikan einen entsetzten Stoß nach vorwärts; dann liegt er schief und treibt steuerlos. Er kann 275 sich nicht rühren und hat doch keine Schmerzen. Er sieht alles und hört, daß die schlängelnden Ruder des Aals herankommen, aber er kann sich nicht bewegen. Er atmet heftig, mit offener Säge, und treibt in einem langsamen und weiten Kreis.

Vor dem Aal nehmen kleinere Kerle, die an Ruder und Flanken Laikans zu kosten begannen, zuerst Reißaus. Sie halten ihn im Herschlängeln für einen seiner mörderischen Vettern, die mit großen Sägen durch die Welt fahren, in Löchern hausen und vorbeikommende Leute entzweibeißen. Aber als sie sehen, daß er nicht der Seeaal ist, ho, da ist ihnen die Furcht gleich vergangen. Ein guter Kerl! Natürlich! Wenn man ein sanftes und bescheidenes Maul hat, ist man ein guter Kerl. Aber seinem Schwanz weichen sie aufmerksam aus.

Mählich kommt Laikan zum Gebrauch seiner Ruder und richtet sich auf. Aber immer legt es ihn wie im Schwindel auf die Seite.

»Ja, so ist das!« sagt der Aal, der neben dem Treibenden verhält.

»Was ist so?« fragt der Lachs, dem die Welt noch immer taumelt.

»Der flache Kerl mit dem Tod im Leib und im Schwanz. Ich habe Vettern, die auch solche Sachen treiben. Ich kann sie nicht leiden.« – Wahrscheinlich ist der schwarze Aal neidisch auf die Zitteraale, die ein Leben ohne Verfolgung im tiefsten Frieden haben, weil ihnen alles Lebendige weit aus dem Weg rudert.

»Der Rochen elektrisiert Laikan«

Der Zitterrochen hat, nachdem er Laikan den Tod versetzte, gewartet, ob der Getroffene herabtaumeln wird. 276 Aus listigen schwarzgrünen Augen, die er auf dem flachen Kopf oben trägt, starrt er dem Lachs nach. Es fällt ihm nicht ein, vom Boden sich aufzuheben. Wozu, wenn die Erschlagenen selber vor die Säge kommen? Auch meint er, daß der Fischmann wahrscheinlich zu groß ist für seine Säge. Wozu streift der Kerl mit der Bauchflosse über seine schönen Flossenflügel? Ruhe will diese Rochenfrau haben, denn sie hat kleine Rochenkinder unter ihrem flachen, riesig daliegenden schwarzen Leib. Ein Glück für den Lachs, daß er nicht das Rückgrat dieser Tödlichen streifte. Er triebe bauchoberwärts hin und wäre lange von anderen Fischleuten zerrissen. Denn es ist dem Rochen eine Wollust, die tödliche Spannung in seinem Leib loszulassen. Ja, diese Spannung ist zuzeiten, wenn Seltsames im Wasser, auf Grund, in der oberen Luft, mit Sonne, Mond und Gestirn sich begibt und voll Geheimnis für alle erschaffenen Leute und für ihn selbst und vielleicht auch für den Menschen ist, so groß; so groß ist zuzeiten die Spannung seines rätselhaften Leibes oder auch seiner wilden Seele, daß er den Blitz durch das leere Wasser hinschickt und fern hinziehende Fischleute auf die Seite legt.

Unter dem Leib der Rochenfrau kommen jetzt fünf Rochenkinder hervor, und in dem wölkenden Schlamm fliegen sie gleich Meervögeln mit langsamen und weiten Flügelschlägen, die wie Segel sich bauschen, umher. Die Mutter schaut ihnen stolz und besorgt auch nach. Die Kleinen haben nur winzige Tödlein zu verschicken, und wenn auch gewöhnliche Fischleute mit ihnen nichts zu tun haben wollen und sich nicht die Schnauzen verschlagen 277 lassen, so könnten doch Mordkerle um die Wege sein. Und die sind immer um die Wege.

Ein Delphin fährt vorüber und gewahrt die Kinderstube. Der fürchtet die lächerlichen Schläge dieser nahrhaften Rochenjungen keineswegs. Zwei verschluckt er. Aber wie er den anderen nachfahren will, sieht er die schwarzen Flügel der riesigen Rochenmutter sich aufheben. Wildfunkelnd wuchtet sie aufwärts, fährt mit gebauschten Segeln den Kindern nach und schnappt nach ihnen. Zwei hat sie im Maul geborgen und geht auf Grund. Das dritte flattert von selber abwärts. Peitschend ist der Delphin abgezogen. Ein fernwirkender Schlag des erbosten Rochen hat ihm den Appetit verdorben.

Dann ruht der riesige schwarze Leib, aus schwarzen Augen starrend, flach und reglos über dem schlammigen Grund, und die Kinder halten sich versteckt, bis Hunger und Jagdlust sie wieder aufwärts treiben. Bald aber werden sie es lernen, sich im Schlick einzugraben; und wenn sie erst einen genug tödlichen Tod in sich fühlen, dann fahren sie in die Welt und leben ihr eigenes, flaches, träges und vergnügtes Leben.

 


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