Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Beim Menschen

Dann tut er einen tiefen Atemzug und ist wieder bei sich. Das heiße Gefühl um den Leib hat er nicht mehr und kann sich frei bewegen. Aber er ist noch so erschreckt von dem rätselhaften und schauerlichen Erlebnis, daß er reglos auf Grund kauert; kaum wagt er es, ein wenig die Armflossen zu fächern, um sich frische Luft zuzuführen. Denn die Luft ist hier nicht gut, und das Wasser scheint ihm unlustig; es bewegt sich nicht, es hat keine Strömung, und weil die Sonne darauf scheint, ist es schwül in ihm.

Zwar der Grund, auf dem er kauert, ist ihm vertraut. So hat er oben in der Heimat ausgesehen, kiesig und blitzend; aber es krabbelt recht wenig auf ihm, und wegen eines Wasserflohs sich zu verraten, scheint ihm, trotzdem er hungrig ist, zu gewagt. Ein grenzenloses Mißtrauen gegen die Welt erfüllt ihn bis in die Schwanzknorpel; es fällt ihm nicht ein, sich am Tage noch zu rühren; er hat zu viel Mißgeschick erlebt, und wäre nicht 61 der kühle Sinn der Mutter Lachs in ihm: er hätte vielleicht ein grämliches und unwirsches Wesen angenommen.

Daß er unbeweglich kauert, verdrießt einige seiner Mitbewohner. Als man ihn in den Teich gebracht hatte, waren aus der Reuse noch ein paar Bachleute geplanscht. Ein Verwandter, zwei kleinere Forellen und sogar ein paar Gründlinge, die damals zu erschöpft waren, um der Talfahrt ihrer Sippe weiter zu folgen, und die – weiß Gott, durch welches Wunder – noch nicht aufgefressen waren. Andere hat er noch nicht gewahrt, weil sich alle nach der aufregenden Jagd zu verbergen suchten. Die er sah, trieben es wie er selbst: sie kauerten und starrten, hungerten und mißtrauten der Welt, und fühlten sich in feindseliger Fremde.

Aber andere Mitbewohner gibt es, die hier offenbar zu Hause sind; wenigstens benehmen sie sich danach. Sie scheinen alle Winkel zu kennen, fürchten sich bucht vor dunklen Gruben, spielen Fangemann um große Steine und springen, wenn sie sehr lustig werden, aus dem Wasser. Mögen sie! Der junge Lachs ist froh, daß er nicht mehr so arglos ist. Aber von der munteren Schar der Elritzen, die sonst recht klug und vorsichtig sind, hieße es zuviel verlangt, im Mai, wann sie hochzeitlich gestimmt sind, so sittsam sich zu benehmen wie ein stolzer Abkömmling des großen Meeres. Sie kümmern sich auch gar nicht um den Kauernden, und ihm ist das recht.

Ein anderer hingegen kümmert sich um ihn, und dabei wird dem tapferen Burschen unbehaglich. Solch bösartige Larve hat er noch nicht gesehen. Vorsichtig erst und in Entfernung kommt er vorüber und umkreist den Lachs 62 ein paarmal. Größer ist er nicht, aber immerhin: wenn einer einen Kopf hat, an dem fast nichts ist als Säge, und dahinter zwei eiskalte wilde Augen, trotzdem er noch sehr jung ist und also ein Nestgesicht haben müßte; wenn einer ein Ruder besitzt, das größer ist als andere Wasserleute in solcher Jugend eins führen: dann muß der ein kühner und gefährlicher Geselle sein, und es ist vielleicht gut, ihm auszuweichen. Der Lachs äugt von der Seite und läßt den anderen nicht aus dem Gesicht. Jetzt stellt der sich plötzlich vor den Burschen hin und funkelt ihn an. Der Lachs funkelt zurück, obwohl die Säge ihn schreckt; das zeigt er aber nicht, bläht die Kiemen und steift die Schwanzflosse zum Schwert. Der andere kennt das und überlegt. Den Stoß des Lachses fürchtet er nicht und dessen Säge erst recht nicht; aber schlucken kann er ihn noch nicht, weil der zu groß ist; auch hat die Rückenflosse harte Strahlen. Was also tun? Nichts! Abwarten und schnell wachsen! Dann wiederkommen! – Damit zieht der junge Hecht davon, und der Lachs rüstet seine Drohung ab; aber jetzt ist ihm wohler.

Der Hunger verleidet endlich das Kauern. Wo andere Leute vergnügt sich tummeln, kann die Welt nicht ganz schlecht sein. Vorsichtig hebt er sich auf, und weil es gegen Abend geht, fühlt er sich sicherer; er fürchtet keine gleitenden Schatten um diese Stunde. Nach seiner Art pirscht er zuerst das Ufer ab und findet es gewohnt, überhängend, mit Moos und Gras bewachsen. Aber das Gras schmeckt welk, und er merkt auch gleich, daß da viele Mäuler herumgewühlt haben; es ist recht wenig zu finden. So gibt er das einstweilen auf und rudert der Mitte 63 zu. Auch hier ist keine Strömung, die doch seine Lust war, seit er lebt; das Wasser ist schal und macht keine Freude, wann es durch die Kiemen geht. Er gewahrt einen Haufen großer Steine, die von der Feuchtigkeit schwarz geworden sind, und zwischen denen es Löcher und dunkle Höhlen gibt. Nein, für Höhlen und Löcher dankt er; der große Haarkerl hat ihm die Freude daran genommen. Aber nahe den Steinen ist das Wasser frischer und atmet sich kühler; das tut ihm wohl, und er beschließt, hier seinen Dösplatz zu behalten. Anderen seiner Mitbewohner geht dies ebenso, und daher kommt es, daß um die Sonnenstunden die größeren Leute an dem Steinhaufen herumstehen, aus dessen Mitte ein kleiner Springbrunnen stäubt. Die kleineren möchten ja auch gerne, aber sie wagen es nicht.

Nur die liebestollen Elritzen kümmern sich nicht um die schweigsame Gruppe der Edelleute am Springbrunnen. Übermütig schwärmen sie dichtgedrängt in ihrer Welt herum; und wenn sie vor lauter Lebenslust hoch aufschnellen und die zierlichen Leiber durcheinanderwimmeln, dann blitzen die roten Brustlätze mit den silbernen Flanken um die Wette, und die gleißende, vom klugen Köpfchen bis zur Schwanzflosse gezogene Goldlinie schmückt sie hochzeitlich.

Ja, und da gewahrt der Lachs auch die beiden verlassenen Gründlinge mitten unter den Elritzen. Im Gefühl ihrer Vereinsamung haben sie sich unter die Schar der Hochzeiter gemacht; und weil man sie als harmlose und gutmütige Leute kennt, läßt man sie gewähren. Wie sie eben in tollem Wirbel vorbeischießen, reizt Erinnerung 64 und Witterung den Lachs; er bricht in die Schar ein und packt einen der Gründlinge am Schwanz. Aber als er ihn herumschleudern will, ist schon der Hecht da und entreißt ihm die Beute. Das hat er noch nicht erlebt und steht starr vor Staunen. Aber der Hecht funkelt ihn nur böse an, dreht ihm den Rücken und würgt den Gründling hinunter. Da verlegt der Lachs seinen Standplatz auf die andere Seite.

Dort steht der schwächliche Verwandte und ist sehr ängstlich, denn rechts und links von ihm haben sich seine Vettern, die beiden Forellen, aufgestellt, und der Lachs kennt ihnen am Gesicht an, daß sie gerne möchten; aber sie gönnen sich gegenseitig den Schwächlichen nicht. Auch wagt keine von beiden zu beginnen, denn viel größer und stärker sind sie schließlich nicht, und wer weiß, ob der Verwandte sich nicht tapfer wehrt. Der aber ist so verschüchtert, daß er, obgleich ihn sehr hungert, nicht wagt, ein wenig die Steine nach Tang und kleinen Schnecken abzusuchen. Er äugt nur furchtsam, und wann er eine Bewegung tut, machen die Vettern gleich auch eine, die er kennt und die ihn entsetzt.

Als der stärkere Bursch um die Ecke kommt, gehen die Forellen zögernd davon, nicht ohne ihn gehässig anzuschauen; da wagt es auch der andere, seine Stellung ein wenig zu verändern. Aber das war falsche Annahme; denn wie er ein paar Längen rudert, gewahrt er den Kopf des großen Bruders, der sehr hungrig ist, nahe an seinen Kiemen. Er rudert schneller; der andere rudert mit; er taucht; der andere taucht mit; immer verzweifelter rudert der Schwächliche; leicht folgt der Lachs. Jetzt 65 werden die anderen Leute aufmerksam. Die Forellen folgen funkelnden Blicks; der Hecht ist plötzlich an der anderen Flanke des Gehetzten. Als die schreckliche Jagd um eine Ecke biegt, steht plötzlich ein ungeschlachter, buckeliger, rotäugiger Kerl vor dem Schwächlichen, reißt eine schreckliche Säge auf und schlägt sie ihm hinter die Kiemen. Den um sich schlagenden Leib fallen die anderen an, und bald ist ein wilder und zuckender Knäuel, der sich im Wasser hin und her schiebt. Aus großen Augen starren die Elritzen von ferne und kosten die Witterung von Blut und Gedärm. Das reizt den Rotäugigen, der nie satt ist, und er fährt unter die Schwärmenden.

Der Barsch schluckt den Schwächlichen

Oh, er bringt Leben in den Teich, der wilde und 66 hartherzige Barsch! Er ist nicht größer als der Hecht, eher kleiner; aber er hat von allen Fischleuten die schärfsten Lanzen auf dem Rücken, und die machen ihn furchtlos und unverschämt. Wenn er die Mitbewohner aus blutroten Augen anfunkelt, zittern die bis in die Schwanzknorpel, und wenn er nicht gerade sehr satt ist, zittern sie nicht lang. Sie fürchten schon den Schatten seines Buckels, wenn der über den Kies gleitet, und es ist immer ein respektbedingter Bannkreis um ihn. Er selbst hat vor nichts Respekt, höchstens daß der Hecht ihm zuwider ist; nicht aus Furcht! Gott bewahre! Aber längst hat er bemerkt, daß der ebenso unerschrocken und immer hungrig ist, und er sorgt sich um die Zukunft, denn die Elritzenschar wird täglich dünner. Er nimmt sich vor, rasch zu wachsen, damit er dem Kerl mit dem flachen Schädel ankann. Das nämliche denkt auch der Hecht, wann er, unter dünnem Wasser liegend, seinen schwärzlichen Rücken von der Sonne bescheinen läßt, was er durch viele Stunden des Tages tut. Die beiden weichen sich tunlichst aus, und je älter sie werden, um so grimmiger beginnen sie einander zu hassen.

Die Tage gehen einförmig hin, weil keine Strömung Zeitvertreib schafft, und weil man überall an Ufer stößt. Wie Mutter Lachs es vorausgesagt hat, kommt über ihren Sohn eine große Unrast, und die Elritzen schmecken ihm nicht mehr. Öfter sind wieder die gleitenden Schatten aufs Wasser gefallen; aber weil die anderen Fischleute sich davor nicht fürchten, im Gegenteil, den Schatten zusteuern, hat auch der Lachs die Scheu abgelegt.

Er gewahrte, daß, sobald ein Schatten aufs Wasser 67 fiel – und das geschah meist gegen Abend, und der Schatten reichte wie der eines Baumes fast in die Mitte des Teichs, und ein kleinerer war immer dabei, der sehr unruhig war –, daß dann ein heller Ton mit dem Schatten kam. Sobald dieser Ton ins Wasser drang, zogen alle Fischleute, auch wenn an trüben Tagen kein Schatten ihn begleitete, ihm nach ans Ufer.

Heut, da ihn die Unrast sehr plagt und ihm alles gleichgültiger ist als sonst, zieht auch der kleine Lachs dem Ton nach und findet sich, nahe dem Ufer, mitten in der Schar Elritzen, die ihre Köpfe fast aus dem Wasser recken, einander auf den Rücken springen und sich gebärden wie die Gründlinge. In einiger Entfernung stehen die Forellen und äugen gespannt; von der anderen Seite her funkeln die hellen Augen des Hechts. Der rotäugige Höckermann zieht allein und unwirsch in der Mitte des Teichs herum; seine Ungeselligkeit ärgert sich über die Versammlung, und er ist überaus mißtrauisch. Die Glocke, mit der der Mensch die Fischleute ans Ufer lockt, und der sie alles Gute glauben, rührt ihn nicht.

Jetzt fällt eine tote Maus unter die Elritzen, die auseinanderfahren, sofort aber wieder zusammenlaufen und den Kadaver anpacken. Die Edelleute wenden sich weg; die Witterung ekelt sie, die nur an zuckendem Sterben Freude haben. Dem Barsch kommt der Knäuel um die Maus gelegen; er braucht sich nicht anzustrengen; er fährt nur hinein und wird satt.

Der Hecht macht das ebenso. Aber die beiden Forellen wissen, daß mit dem Ton noch andere Leckerbissen kommen, die dem Hecht zu gering sind, die sie 68 aber im Bach oft fanden, und die hier rar sind. Sie balgen sich um einen fetten Regenwurm, und dabei blitzen ihre roten Male wunderschön aus dem Wasser.

Der Lachs sieht zum erstenmal den Menschen; und weil der helle Ton mit dem Menschen kommt und auch für ihn Würmer und Larven bringt, weicht er nicht aus. Wann aber dann die Menschenstimme durchs Wasser geht und plötzlich, ganz nahe am Spiegel, ein kleines Menschengesicht erscheint, schnellt er erschreckt zurück und fürchtet, daß Steine und Sand folgen werden. Weil es aber stets ruhig bleibt und das kleine Menschenantlitz über dem Wasserspiegel ihm schon vertraut ist, kehrt er wieder um und freut sich über Würmer und andere Leckerbissen. Er ist so vertraut mit dem Menschen geworden, daß er eines Tages einen besonders fetten Wurm aus der Kinderhand nimmt, die sich schon öfter in seine Welt hinunterbegeben hat. Anfangs stob er in großem Schreck davon, als vor seinen Augen das Wasser sich teilte und etwas nie Gesehenes plötzlich vor ihm stillhielt, daran ein langer Wurm hing. Aber der Wurm zappelte so aufgeregt, daß dem kleinen Lachs öd im Magen wurde. Trotzdem wagte er nicht, danach zu beißen. Er erinnerte sich recht gut, daß Regenwürmer, die man nicht selbst aus dem Bachgrund oder Uferwänden grub, tückisch sein können; daß man an ihnen hängenbleiben und nach ihrem Willen geheimnisvoll und schrecklich aus dem Dasein gerissen werden kann. Als er aber sehen muß, wie die eine der beiden Forellen – die andere ist seit zwei Tagen nicht mehr da; wahrscheinlich lebt sie nicht mehr; der Hecht hatte eines Nachts einen 69 unförmlich dicken Bauch – verwegen und tollkühn den Wurm aus der Menschenhand reißt, da ärgert er sich über seine Zaghaftigkeit und nimmt sich vor, gleichfalls Würmer aus der Menschenhand zu kosten.

 


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