Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Die Reuse

Dann kam alles so, wie es dem kleinen Lachs von seiner Mutter gesagt worden war. Im November sprang er ein paarmal nach den weißen Dingern, die über dem Wasser tanzten und die er für Schmetterlinge hielt; aber 53 als er nichts davon in den Magen bekam, gab er es auf. Dann wurde das Wasser kälter, und eines Tages war es dunkler im Bach als sonst und stiller. Lange stand der kleine Bursch unbeweglich und äugte aufwärts; etwas hatte sich über das Wasser gelegt und reichte von einem Ufer zum anderen. Es war also von oben nichts mehr zu hoffen; man mußte wohl wieder an einer Schnelle Posten fassen, in deren Strudel Eßbares zusammengetrieben wurde; man mußte eifriger im Kies und an den Uferwänden graben, um nicht zu hungern, hungerte aber doch manchen Tag. Als dann die Sonne durchs Eis blitzt, erinnert sich der kleine Lachs, daß er diesen gleißenden Schein einmal erlebt und dabei den ersten Wasserfloh verschluckt hat. Jetzt wird ihm die fremdartige Beschaffenheit seines Baches vertraut, und er muß an Mutter Lachs denken.

Dann hatte er einmal einen großen Festtag. Das war im Februar. Oft schon haben ihm die Eier in der Nestmulde geschmeckt, die er leicht aus dünnem Sand herausgrub. An jenem Festtag standen dort plötzlich winzige Fischchen, die an Dottersäckchen hingen. Aber weil die sterbende Frau den Rand der Nestmulde mit ihrem gewaltigen Ruder zerstört hatte, war das Wasser dort nicht seicht genug, und die neugeborenen Söhne und Töchter der Mutter Lachs waren zu früh der Welt preisgegeben.

Oh, das gab einen herrlichen festlichen Schmaus für den großen Sohn der stolzen Frau; und er benahm sich wahrlich als kaltherziger Stiefbruder gegen das hilflose Geschlecht. Aber da er um keine Verwandtschaft weiß und nur die Pflicht hat, sich für die Meerfahrt zu rüsten, 54 und da er gewißlich nichts tut, als was im großen und erhabenen und furchtbaren Gesetz des Lebens vorgesehen ist, so fühlt er sich auch unschuldig an diesem brudermörderischen Tun. Wenn von dem diesjährigen Gelege der stolzen Frau ein oder das andere Kind ins Meer gelangt, so ist das ein Gotteswunder.

Dann hat der Bach die silberne Rüstung abgeworfen, wie Mutter Lachs es voraussagte. Das ging in gleicher Furchtbarkeit vonstatten wie eh und je und wie im vergangenen Frühling. Als der Bach unsichtig und störrisch wurde, suchte der tapfere Bursch, der nun auch klug geworden war, nicht mehr die Mitte der Strömung auf, sondern verbarg sich hinter einem mächtigen Stein, der aus dem Ufer ragte, und hinter dessen breitem Rücken er sich sicher fühlte vor herstürzendem Eis und prasselnden Ästen. Tümpel vermied er seit dem Angriff auf seine Schwanzflosse; drei Tage und drei Nächte hielt er stand; dann ging es über seine Kräfte, und er wurde abwärts geschwemmt. Weil aber der erste Sturm sich ausgetobt hatte und das Eis schon zerborsten war, hatte das keine so große Gefahr mehr; und da mit dem Frühlingstierkreis die Wanderlust an seine Seele rührt, überläßt er sich, ohne zu sträuben, der jachen Strömung, nur darauf bedacht, an keinen Stein geschleudert zu werden. Das gelingt ihm, weil er mit Armen und Ruder im tiefen und starken Zug des Wassers sich hält und so an den Steinen vorbeigerissen wird.

Weit ins Tal hinab läßt er sich treiben; einmal schmeckt das Wasser bitter und beizend, und er erinnert sich an die vorwitzige Fahrt im Sommer. Bald aber ist der 55 Geschmack wieder süß und gut. Dann wird es heller im Bach, und der starke Zug der Strömung gibt nach. Da hält er es für gescheiter, nicht weiterzureisen; auch ist er sehr hungrig und von der anstrengenden Arbeit des Steuerns erschöpft. Deshalb stellt er sich auch an keiner Schnelle auf; er will Ruhe haben und geht uferwärts. Dort hängen Erlenäste übers Wasser; die hat er von je geliebt. Der Bach ist hier friedlicher, als er ihn jemals kannte, und es gibt allerhand vom Ufergras abzufischen. Vieles ist ihm neu, und der Geschmack der Wasserflöhe und Würmer ist nicht so streng wie oben an der Nestmulde. Dann döst er viele Stunden, und als es Tag wird, schaut er sich um.

Oh, die Welt ist überall schön! Kies ist hier zwar keiner; selbst unterm Erlenast ist keine Seichte; aber er braucht keine Seichte mehr, im Gegenteil: es ist sehr vergnüglich, tiefer tauchen zu können. Erstens ist es dann ganz still; nur daß er manchmal Geplätscher von anderen Leuten, vielleicht von Verwandten hört; aber von droben, wo die Erle herkommt und wo der Tod in die Kiemen fährt, hört er keinen Laut mehr, wenn er auf Grund geht. Ach, und der Bachgrund ist hier wunderschön und geheimnisträchtig. Langes hellgrünes, mit der Strömung wehendes Moos, bedeckt ihn, und es ist gar nicht zu glauben, was alles in diesen Moosfächern krabbelt.

Einmal stört er einen schwarzen Käfer auf, der ebenso gut rudert wie er selbst; immer im Kreis, immer rundum dreht sich das putzige Kerlchen, hat kuriose Flossen und einen glänzenden steifen Rock an. Eine Weile schaut der Lachs verdutzt dem Taumelnden zu; dann schluckt er ihn 56 und hat das Gefühl, daß der im Magen noch rudert. Das gefällt ihm ausnehmend. Überhaupt gefällt ihm hier alles, und er vergißt, daß vielleicht bald das Meer rufen wird. Täglich macht er weite Ausflüge. Wann er aber dösen will, kehrt er unter die Erle zurück.

Die böse Ratte

Das hat eine sich gemerkt, der er lange schon gefiel. Unter dem Wurzelwerk der Erle hat sie ein großes Loch, 57 und von diesem Loch aus hat sie sich Gänge unter der Erde gegraben. Sie gehört zu den Mißtrauischen der Haarleute und hält es für klug, mehrere Ein- und Ausfallstore zu haben; sie hat ein schlechtes Gewissen. Eines dieser Tore mündet in den Bach, gerade unter dem überhängenden Ast und ganz nahe über dem Wasserspiegel. Von da aus beobachtet sie den kleinen Lachs seit einigen Tagen und erkannte, daß er ein verläßlicher Bursch war, der immer auf dem nämlichen Platz zu schlafen pflegte. Wenn man also ganz sacht vom Loch ins Wasser gleitet, kann man mit großer Sicherheit eine ausgezeichnete Mahlzeit ergattern.

Der Lachs seinerseits hat das Loch auch gewahrt; er hat sogar den unteren Rand nach Würmern abgefischt; denn Löcher, in denen kleine Haarkerle mit spitzen Nasen hausen, regen ihn nicht auf. Ja, er hat sich vorgenommen, mit der Spitzmaus anzubinden, wenn sie es wagen sollte. Denn daß seine Säge schon sehr scharf ist, das merkt er, wenn er Würmer teilt.

Als er eines Mittags im April, da die Sonne warm scheint, unterm Ast döst, findet die Haarige ihre Zeit für gekommen. Vorsichtig gleitet sie ins Wasser. Sie ist eine schon bejahrte Frau und in allen Künsten erfahren. Daß aber im gleichen Augenblick, als sie lautlos schwimmend hinter dem Ruder des Bürschchens auftaucht und zubeißen will, in Bachmitte eine dicke Fliege einfällt und der Lachs mit einem mächtigen Satz hinspringt: das konnte die Ratte nicht voraus wissen. Aber so viel hätte sie wissen müssen, daß ein so kluger Bursch, selbst wenn er döst, einfallende Fliegen stets gewahrt. 58

Ärgerlich schnaufend dreht die Ratte bei und planscht zornig pfeifend aufs Ufer. Das hört der Fliegenfänger und sieht sie gerade noch in die Röhre schlüpfen. Er staunt, daß der Haarkerl mit der spitzen Nase nun doch noch gewachsen ist, und nimmt sich vor, schwarzen Löchern aus dem Weg zu gehen; seinen Schlafplatz verlegt er weiter abwärts und weiter vom Ufer entfernt.

Dann wird es eines Tages an den Ufern lebendig. Tritte erschüttern die Ränder, und die breiten gleitenden geheimnisvollen Schatten fallen in den Bach. Der Lachs stürmt aufwärts, von Schrecken und Furcht gejagt.

Aber die Tritte dröhnen bachaufwärts, der Lärm dringt durchs Wasser; auch die Schatten gleiten herauf und sind so rasch, daß er wieder flüchtet. Jetzt aber klatschen Steine vor ihm ins Wasser; er wagt sich nicht weiter aufwärts. In einer Schnelle versteckt er sich, und das Herz klopft ihm schrecklich. Da prescht ein Stein an seinem Kopf vorbei und schießt auf Grund; neben ihm wieder einer und noch einer; die kommen vom Ufer herüber. das sieht er. Jetzt weiß er es, daß die Schatten ihn verfolgen. Das raubt ihm die Sicherheit, und er stürmt abwärts, hinter sich die klatschenden Steine und aufs Wasser prasselnden Sand, stampfende Tritte und die schrecklich schnell gleitenden Schatten.

Er kommt an die Stelle, wo er der Ratte entging; aber da ist kein Weg mehr. Eine schmale Rinne ist noch offen, durch die die Strömung reißend fährt. Einen Augenblick stutzt er, und Angst vor etwas Unbekanntem lähmt ihn beinahe. Dann gewahrt er Verwandte und Fremde, Gesichter, die er noch nicht sah, und Gestalten, 59 die ihm noch nicht im Bach begegnet sind. Alle schießen verstört hin und her und fürchten sich, den reißenden Weg zu wandern. Aber die Tritte stampfen näher, Steine preschen ins Wasser, Sand prasselt auf Rücken und Köpfe; eine Forelle treibt getroffen, seitlich liegend, durch den engen Strudel; jetzt sind auch die Schatten da, und ein nie gehörter Lärm, hohe und tiefe, wilde und fremde Laute dröhnen durchs Wasser. Da faßt der Lachs verzweifelnden Mut und fährt mit der reißenden Strömung 60 zwischen den Stauwänden durch; die anderen folgen, getrieben von den jagenden Menschen.

Dann ist es dunkel um ihn; er stößt an zuckende schnellende Leiber, findet keinen Weiterweg; wann er zurück will, pfählt ihn beinahe ein spitziger Ast. Die Luft wird schlecht, und plötzlich stößt sie tödlich in die Lungen wie damals; dann wird grelles Licht, daß die Augen schmerzen. Er fühlt seinen Leib heiß umfaßt und wird vor Entsetzen steif; dann weiß er nichts mehr.

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