Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Laikan

Das Wort auf dem sehr kleinen Metallring heißt: Laikan; und die Jahreszahl ist 1900. Von solcher Menschenweisheit, die Namen gibt, um etwas sich anzueignen, und die die Fülle der Zeit mit vier Zahlen teilen muß, um ihrer selbst stets gewiß zu sein und wie weit sie es gebracht hat: von solcher Weisheit weiß der kleine Lachs nichts. Darum kann er auch nicht stolz darauf sein, einen Namen zu tragen, der uralt ist und verschollenen Klang hat; verschollen wie das edle Volk, das die melodische Sprache redete, die in dem arglosen, staunenden, zu 75 jeglicher Bereitschaft sich auftuenden Vokal: a selig ist; in der die Wundmale des Menschengeistes sanft entbrannten; verschollen, ehe es den Sinn seines Daseins erfassen und erfüllen konnte; verströmend seine heldische Seele in unbändiger Lebensfülle; im noch ungeschichtlichen östlichen Raum ein herrisches, hochgewölbtes Auge aufschlagend, das nach stolzem und überschwenglichem Blick über eine morgendlich aufstrahlende Welt bricht, unter fremdem Himmel, unter irrendem Gestirn, hingestreckt, gefällt, inmitten noch der königlichen Gebärde, ein Zepter zu erheben über fremde, schönere Erde.

»Salmo« auch konnte der Mensch den kleinen Burschen nennen, und der hätte stolz sein müssen auf diesen Namen, den die hoffärtigste und herrscherlichste, die männlichste und wahrlich keuscheste Sprache gebildet hat; die Sprache, die nie ihre ragende Haltung verliert und zu Weichheit, zu Möglichkeit, zu Tändelei sich herabläßt; in der cor, das Herz, kaum anderen Sinn und Klang gewinnt, als er ernsthaft den Eingeweiden zuerkannt wird; es sei denn, um seiner steten Bereitschaft willen, durchstoßen zu werden, zur Wahrung und Mehrung: den Ruhm des Imperiums, Roms. – Salmo hätte der kleine Lachs heißen können!

Aber: Laikan, den Springer, wie das Volk der Goten die Ahnen des Bürschchens genannt hat, wenn sie sie in der Nord- und Ostsee, in den Flüssen Skandinaviens und in den Seen der masurischen Ebenen vor mehr als zweitausend Jahren fingen: Laikan gefiel dem Menschen besser. Das klang geheimnisvoller, melodischer. Ja, als der Mensch überlegte, welchen Namen er dem Reif einritzen 76 solle, schien es ihm, als töne in der lichten Silbe das Aufgischten des springenden Lachses, und sein Niederstürzen ins Element wieder, in der dunklen Endsilbe; als zöge er in dem frohen: Laik, liebend mit dem Frühling ins Gebirge, und fließe müde und ein wenig traurig in der hallenden Endsilbe stromabwärts in die Verheißung und Erfüllung des Meeres. –

Der kleine Laikan erträgt verängstigt und unwillig den Ring. In verbissenem Trotz atmet er die moderige Luft in dem verschlammten Steingehäus. Wenn eine frische Welle je hereinkommt, zieht er sich gleich vor ihr zurück. Sein Mißtrauen gegen alles, was von draußen kommt, ist grenzenlos.

Als es in der Welt über dem Teich wieder dämmerig wird, rührt sich etwas im Schlamm unter ihm, daß er erschreckt hinter einen Stein fährt. Dann gewahrt er eine, die sich aus dem Schlamm aufhebt. Zuerst hält er sie für eine Gründlingsfrau und wird gleich hungrig; aber dann sieht er, daß die einen Bart hat. Wahrhaftig: sechs große Bartstoppeln hängen ihr um das Maul und sehen aus, als ob sie sechs kleine Würmer zur Hälfte verschluckt hätte.

Die Bartgrundel hat geschlafen. Das tut sie meistens bei Tag, und hat sich dazu eine Höhle ausgesucht, in die ihr durch einen Spalt klares, frisches Wasser vom Springbrunnen hereinkommt. Lange hat sie danach gesucht. Im Teich draußen ist es ihr nicht geheuer, seit sie dem Rotäugigen und dem Hecht dort einmal begegnet ist. Sie hat gleich erkannt, daß es ein Entrinnen in dieser abgegrenzten Welt nicht gibt und lebt seither in der Höhle, 77 aus der sie sich nur entfernt, wenn ein Gewitter droht; dann wird sie sehr unruhig und strebt nach der Oberfläche; an solchen Tagen vergißt sie auf Hecht und Barsch. Sie ist sehr verdrießlich, daß das Geschick sie aus dem rauschenden Bach in dieses öde Einerlei gebracht hat, und fristet sich so hin; aber Freude am Leben hat sie recht wenig mehr. Auch ist es Mai, und da hat sie immer einen Mann, mehrere Männer, viele Männer gehabt, und darum fühlt sie sich in ihrer Vereinsamung unglücklich.

Laikan sieht sie aufsteigen und den kleinen Kopf aus dem Wasser recken. Heut ist es gewitterig, und sie hat kurzen Atem. Die Bartstoppeln tropfen ein wenig, und die Grundel atmet tief das tödliche Element.

Dann taucht sie wieder, und jetzt fährt die Luft in kleinen Blasen aus ihrem Darm heraus, daß es im Wasser und über dem Wasser leise gluckst. Sie wiederholt das noch einmal und noch einmal; dann läßt sie sich wohlig von Stein zu Stein herabgleiten und liegt und glotzt; ja, sie glotzt plötzlich sehr aufmerksam, denn auf dem vorletzten Stein hat sie eine Larve krabbeln gesehen. Laikan staunt über die Behendigkeit dieser Frau. Dann sieht er nichts mehr als Schlamm und gepeitschtes Wasser; die Grundel ist im modrigen Gewölk verschwunden. Den Lachs reizt solches rücksichtslose Treiben; die moderige Luft nimmt ihm fast den Atem. Jetzt gewahrt er die Bärtige aus der Wolke fahren und behaglich unter einem Steinvorsprung sich lagern.

»Machst du das immer so?« fährt Laikan sie an.

Sie gewahrt jetzt erst den Lachs und erschrickt 78 ungeheuer. Sie glotzt steif und schweigt; gleich aber hat sie überlegt, daß der Lachs ihr unter dem Stein nichts anhaben kann, weil der zu flach über dem Grund liegt. Damit beruhigt sie sich, und die Anwesenheit des Lachses steigert ihre Verdrossenheit.

»Mach dich fort, Raubritter!« keift sie zurück. »Ich fische und fresse im trüben. Wenn es nicht trüb ist, mache ich's trüb; das ist mein gutes Recht und paßt mir und schmeckt mir. Wenn ich nach Schlamm rieche, ist das besser, als nach Mensch zu riechen wie du. Ich habe es lange gerochen, und mich graust. Geh weg! Mir wird übel, wenn ich dich rieche!«

Laikan ist tief erschrocken, daß er nach Mensch riecht. Er ist so betroffen, daß er hastig aus dem dunklen Gang hinausrudert. Ihm ist, daß er vor sich selber davon müßte.

Gegen Morgen begegnet er dem Buckligen, hinter dem der Hecht gemächlich zieht. Laikan weicht ihnen aus; aber das war nicht notwendig. Die beiden Leute machen einen Bogen um ihn, und der Hecht äugt scheu von der Seite; er wittert das Fremdartige. Auch sind beide von eigenen Angelegenheiten in Anspruch genommen.

In der Nacht hat der Barsch einen Angriff auf den Hecht unternommen. Es ist ihm plötzlich gewesen, als ob er größer sei als jener. Wahrscheinlich aber hat er nur größeren Hunger gehabt und hat nicht mit der Kraft des flachstirnigen Räubers gerechnet, der ihm die harte Schwanzflosse übers Gesicht peitschte, blitzgeschwind untertauchte und den Rotäugigen in die Afterflosse biß. Davon hatte der Barsch anfänglich Schmerzen und war 79 im Rudern ungeschickt; dann hing ihm gegen Morgen etwas aus der Wunde. Witterung von Blut und rohem Fleisch war um ihn her. Dieser Witterung zog der Hecht gespannt und ausdauernd nach, und duldete nicht, daß der Barsch seinem schmerzenden Leib ein wenig Ruhe unterm Springbrunnen ließ.

Gegen Mittag, als es im Wasser schwül wurde und Laikan nach einem guten Morgenimbiß unter den Elritzen sich auf seinem gewohnten Dösplatz befand, sah er den Barsch, abgehetzt und schwer atmend, sich unter den Springbrunnen stellen. Er gewahrte, daß die roten Augen nicht mehr wild glotzten; sie traten fast aus den Höhlen, so gewaltsam atmete der Gejagte, und sie hatten einen hilflosen und flüchtigen Blick.

Laikan war froh, daß es an dem war mit dem Buckligen; denn seit er den Menschenring trug, fühlte er sich nicht mehr so mutig. Zwar schien der Reif seit gestern abend schon leichter und nicht mehr so eng; immerhin aber: er war noch nicht so ganz bei sich selbst und frei, und etwas in ihm würde vielleicht immer mit dem Ringe wesen und fremd in ihm bleiben, ihn herausheben aus seiner Sippe.

Der Hecht umkreiste den Rotäugigen in einiger Entfernung; er duldete jetzt dessen Aufenthalt unterm Springbrunnen, denn jetzt wußte er gewiß, daß der ihm nicht mehr entging. Der Barsch wußte das schon viel länger und wartete ohne Hoffnung. Die Elritzen rauschten vorüber und verhielten plötzlich in der kranken Witterung; dann taten sie sich zu kleinen Schwärmen zusammen und trieben in vorsichtiger Nähe des Hechtes 80 umher, der ihrer nicht achtete, und dessen Kreise um den Buckligen enger und wilder wurden.

Die Forelle stand abseits und äugte; sie wußte, was kommen würde.

Es kommt ganz plötzlich. Der Hecht hat sich vor dem Barsch aufgestellt und ihn eine Weile aus weißgrünen Augen angefunkelt. Dann geht er, fast erstarrt in Gier und Sprungbereitschaft, unmerklich rudernd ein wenig nach rückwärts. Der schwerkranke Buckelige weiß, daß es jetzt gleich vorüber sein wird, und tut eine hilflose, schwache Bewegung mit dem Ruder; die aber löst drüben den Sprung. Peitschend und zischend schießt der Hecht vorwärts; schrecklich tut die Säge sich auf; das aber sieht der Rotäugige nicht mehr. Köpflings ist er dem Hecht in den Rachen gestürzt; Kiemen und Buckel sind in ihm verschwunden. Aber der Bauch und die Wunde mit der aufreizenden Witterung sind noch da. Die Forelle hat es lang gewußt, daß der Hecht den Barsch nicht einfach würgen kann, wie sie es mit den Elritzen tut; daß er dazu Zeit braucht; und sie ist zur Stelle.

Den halbverschluckten Barsch im Maul, zieht der Hecht davon und ist jetzt wehrlos wie ein Gründling. Der Rotäugige schlägt in Atem und Todesnot schwach mit dem Ruder und ist noch wehrloser als der Hecht. Darüber herrscht Freude im Teich. Die Forelle hat Festtag. Stück um Stück reißt sie aus den Seiten des Barsches; in der blutigen Witterung balgen sich die Elritzen um Schuppen und Gedärm. Der gierige und jappende Knäuel zieht mit dem Hecht her, der auf einmal nicht mehr mit gutem Behagen an dem Barsch würgt. 81

Laikan, der der Witterung in größerem Abstand folgt, sieht den Hecht plötzlich wilde Zickzacksprünge tun, sieht ihn tauchen und wieder emporschießen. Jetzt folgt nur mehr die Forelle, und auch die in Entfernung, denn das Ruder des Hechts ist gefährlich. Aber die Forelle weiß, was noch kommt und hat Zeit.

Der Lachs erkennt jetzt, daß der Hecht den Buckeligen gerne wieder los wäre und daß er, rückwärts rudernd, ihn ausspeien möchte. Laikan weiß das aus Erfahrung, wann er etwas Neues gekostet hat, das dann anders schmeckte, als es aussah.

Dann sieht er, daß das Schlingen schwächer wird, und daß der Hecht ohne Grund plötzlich nach oben geht. Es ist aber gegen jedes Herkommen, mit einer Beute im Maul aufzusteigen, wo es hell ist und neidische Leute zur Stelle sind. Nicht einmal die Elritzen, die es doch immer mit der Oberfläche haben, tun das. Verwundert rudert der Lachs näher. Der Hecht taumelt ein wenig und liegt dann schief; die Kiemen hat er wie im Krampf weit aufgefächert, und darunter tobt der Blutstrom durchs rote Geäder; er schnaubt und würgt, und seine Augen sind leer vor entsetzlicher Angst. Immer schwächer rudert er und treibt, weil er seitlings liegt, im Kreis. Das kennt Laikan, und die Forelle kennt das und die Elritzen: wenn einer im Kreis treibt, dann Gott befohlen! Auch wenn er die größte Säge und die schrecklichsten Stacheln hat!

Dann ist ein gieriger und wilder Knäuel zuckender und springender Fischleiber um den Hecht, der an der Rache des Rotäugigen langsam und qualvoll stirbt. Die furchtbaren Stacheln über der Rückenflosse des Barsches haben 82 den Hecht von innen erdolcht. Aus dem Sterbenden reißt die Forelle zuerst die Flossen, dann Stück um Stück des lebendigen Fleisches. Der Lachs tut ein gleiches, und an der Leiche des halbverschlungenen Barsches sättigen sich die Elritzen.

Als der Mensch gegen Abend an den Teich kommt, weiß er gleich, was sich begeben hat, und sieht, daß immer noch Leben ist in den Augen des Hechts, der von den Elritzen unter großem Lärm an der Oberfläche hin und her gezerrt wird. Den Menschen schaudert vor dem Gesetz, das solche Qual der Kreatur verhängt, und er fühlt geheime Mitschuld.

Satt und träge kauert die Forelle in der Mitte am Springbrunnen, indes Laikan rastlos das Ufer abstreicht. Heute überhören die Fischleute die Glocke des Menschen.

 


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