Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Weite Welt!

Als die Sonne aufging, schlief der Fluß fast ein, und die Lachse tauchten tiefer, wo der Grund sacht abfiel und die Strömung stärker ging.

Laikan, der einige Längen vorausschwimmt, staunt über die fremde Welt. Lang schon hat er riesiges Gras gesehen, das auf dem Grund steht; aber wann er aufwärts äugt, gewahrt er, daß die Büschel dieses Grases im 107 Winde wehen. Das ist ganz neu, denn das Gras seiner Welt hat auf dem Bachgrund mit der Strömung und mit seinen schönen Flossen gespielt; wenn er im Vorüberfahren in den Wald dieser Halme hineinschaut, glotzen ihn aus dem Dunkel fremde Gesichter an, die ihm nie begegnet sind; und es sind selten freundliche; nur neugierige, oft gleichgültige und auch feindselige Mienen. Er beneidet diese Leute nicht, die in solchem Dunkel leben müssen, wo das Wasser selten fröhlich ist; auch ist ihm nicht geheuer in ihrer Nähe, und er eilt vorüber.

Gegen die Mitte des Flusses ist der Grund noch kiesig und nimmt gerne das Licht auf. Dahin wendet der Lachs jetzt, und die anderen folgen. Sie sind ängstlich, und das Band zeigt kaum Lücken.

Jetzt stutzt Laikan; denn plötzlich kommen Wellen, breite und sehr schwere Wellen ihm entgegen. Das ist so neu, daß er umdreht, und mit einmal ist aus dem silbernen Band eine sich tummelnde Herde geworden. Eine Weile treiben es die Lachse so, unschlüssig und völlig fremd sich fühlend. Dann tauchen sie und werden so die unheimliche Gegenströmung überwinden.

Die Gegenwellen hören in der größeren Tiefe auf, und das wimmelnde Band zieht, bald geordnet, sehr tief, und alle sind erstaunt, daß sie nicht mehr vorwärts getragen werden, daß der Zug des Wassers hinter ihnen zurückbleibt, und sie also nun nicht nur steuern, sondern auch rudern müssen. Zudem wird es wärmer, das Wasser hat anderen Geruch und kommt weniger herrisch und hart in die Kiemen. 108

Aber das nicht allein verwirrt die jungen Pilger, die noch keine Stunde ohne Widerstand oder Hilfe ihres Elementes gelebt haben, und denen die höchste Daseinslust aus dieser Beschaffenheit ihrer Welt kommt.

Was sie ganz besonders seltsam anrührt ist, daß sie plötzlich unter den kleinen Fettflossen keinen vertrauten Grund mehr haben; denn sie spielen gerne mit wehendem Bachgras, dunklem Tang und feinem Kies. Ganz allmählich, sie haben gar nicht darauf geachtet, ist es schwarz unter ihnen, und Laikan, der die Beschaffenheit des Bodens mit der Schnauze untersuchen wollte, ist vor ihren Augen ins Bodenlose verschwunden. Die Verwandten sahen nur da und dort ein Aufblitzen im schwarzen Ungrund; aber Gott weiß, wer das ist.

Nach geraumer Weile kommt er ganz woanders her, hat aufgequollene Augen und atmet schwer. Natürlich! Der tapfere Bursch geriet in Gegenden, in denen für Leute seiner Sippe die Luft zu dünn ist und das Wasser an die Flanken drückt, daß einem das Leben ausgeht. Ufer gibt es nirgends mehr, und die Welt ist zum Erschrecken verändert.

Eins aber bringt Laikan aus der Tiefe mit: die Kenntnis, daß da weiter unten, durchaus nicht so tief, daß die Augen quellen, aber doch so weit unter dem Tag, daß es halbdunkel und heimeliger ist: daß dort das Wasser immer noch einen sanften Zug hat. Wohin es will, ist gleichgültig! So viel sagt ihm seine Seele, daß alles Gezogenwerden, aller Wille und Drang seines Elements vom Meere kommt, im Meere endigen wird.

Jetzt sinkt das silberne Band in die graue Stille 109 hinab und folgt dem sanft ziehenden Weiser, der manchmal nicht zu merken ist. Dann sind die Wanderer ratlos und suchen ihn in Höhen und Tiefen, bis er eines Tages nicht mehr zu finden ist. Aber da haben sie sich an die Gleichgültigkeit dieser weiten Welt gewöhnt, und ihnen kommt die Weisung aus ihrer Seele, die ein Teil ist der Millionen Seelen ihres Geschlechts, dessen sehnsüchtige Unrast magische Wege gebahnt hat durch Jahrtausende, über das schwäbische Meer, von Rhein zu Rhein, ins ewige Meer. Und als die Lachse dies gefühlt haben, rasten sie tagelang im weicheren Wasser und brauchen viel Zeit zu dieser Ruderreise.

Manche Abenteuer gab es zu bestehen, bis sie wieder in strömendes Wasser kamen, und fremd bleibt ihnen das Leben in dieser weiten Welt, die ihre Seelen mit der Ahnung des Meeres erfüllt. Lang hat es gedauert, ehe sie begriffen haben, daß ihre Straße uferlos geworden ist; und um so strenger halten sie sich an den feinen Zug, den ihr geheimer Sinn wahrnimmt, wann andere Fischleute, die in uferlosen Breiten sich tummeln, davon gar nichts spüren, weil die keine Meerpilger sind.

Tief staunen die Lachse, als eines föhnigen Herbstabends das Wasser unter ihnen in Bewegung gerät und eine ungeheuere Schar großer, blausilberner Leute langsam und unaufhaltsam aus der schwarzen Tiefe aufsteigt.

Aber noch ehe die versprengten Wanderer sich wieder zusammenfinden, sind die Blaufelchen über sie hinweggetaucht. Hoch und höher geht die Fahrt, und Laikan gewahrt, daß die es nun treiben wie die Gründlinge und wahrscheinlich den Himmel anspringen werden. Er 110 erinnert sich an deren tolle Hochzeit im kleinen und rauschenden Bach. Über den Köpfen der Lachse klatscht das Wasser, und im Mondlicht blitzen die aufschnellenden silbernen Leiber. Dann wird es trüb, und süßer Laich sinkt langsam herab.

Darauf haben die Meerpilger gewartet, als sie die lustvolle Witterung der Blaufelchen spürten. Sie werden satt, und das ist ihnen jetzt besser als Pirsch und Jagd, wozu sie weder Zeit noch Begierde haben.

Von überall, aus Tiefe und Höhe, von allen Seiten her kommen Feinschmecker, denn weithin ist das Wasser voll Witterung und fetter Atzung. Unaufhörlich sinkt dieser Überfluß zu Grunde, und es ist ein Lärm und Getümmel in allen Schichten des Elements, daß die großen Räuber in den schwärzeren Regionen aufmerksam werden und dann mühelose und ergiebige Jagd haben.

Tage und Nächte dauert das Fest der blauen Leute. Dann sinken sie müde und in zerstreuten Trüpplein tiefer, den sinkenden Eiern nach, bis in jene große Tiefe, die ihre Welt ist; wo Totenstille, kaltes Wasser und tiefes Dunkel herrschen; wo es vergnüglich ist, um geborstenen Fels zu rudern und in versteinten Wäldern Krebse und seltsame Larven, die nie den Tag sehen, zu jagen; und wo aus den Milliarden Eiern gewiß einige Tausende junger Blaufelchen schlüpfen werden, die dann große Mühe haben und viel Glück brauchen, es so weit zu bringen, daß auch sie in föhnigen Herbstnächten leidenschaftliche Hochzeiten feiern können.

Aber wenn dieses Untertauchen der Ermüdeten beginnt, sind die Lachse weit fort. Im Schreck vor den großen 111 Räubern sind sie davongefahren, und als Laikan sich wieder an die Spitze der Wanderer stellt, fehlen mehrere.

Jetzt haben sie den halben See durchschwommen, und es werden Wochen vergehen, ehe sie in ihre Wanderstraße wieder einbiegen. Stärker wird der Drang zum Meere.

 


 << zurück weiter >>