Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Geschwister

Leicht vergehen ihm die Tage. Eines Abends, er ist schon beinahe satt, nascht er am fächelnden Moos der Felswand. Er hat sich eine genaue Art angewöhnt, um kein Pflänzchen unbetastet zu lassen. Er beginnt ganz oben an der Seite, wo das Wasser hereinkommt; dort stellt er sich hin und pirscht, indem er kleine Bewegungen mit seinem Steuer macht und die Strömung mit den Armflossen ausnutzt, langsam die Wand im Kreise ab; 20 dann taucht er um Kopfeshöhe tiefer und wiederholt die Pirsch; und so immer tiefer, bis er auf Grund kommt; dann steigt er auf, und das Spiel beginnt von neuem.

Gegen Morgen schreckt er auf. Etwas hat ihn gestoßen, ist aber nicht zu sehen, denn noch herrscht tiefe Finsternis. Er schnellt zurück an die Mooswand. Rückenfreiheit! lehrt ihn etwas im Gemüt. Dann geht er sacht zum Grund und ist dem fächelnden Moos dankbar, daß es ihn halb versteckt. Er wartet auf den Tag, und er hat ein Gefühl von Furcht und Neugier.

Dann wird das Wasser graugrün und halbsichtig. Da gewahrt er einen über sich im drehenden Strudel, der so aussieht wie er selbst. Und weiter drüben, wo der helle Spalt ist, noch einen und noch einen. Die drei treiben es verschieden. Sie scheinen mißtrauisch, denn keiner taucht tiefer als höchstens zur halben Wand, und es sieht aus, als ob sie fort wollten. Nur der, der nicht taucht, geht im Kreis mit dem Wasser, als ob ihm alles gleichgültig wäre, und jetzt gewahrt der Versteckte, daß der halb auf der Seite liegt, daß ihm Maul und Kiemen viel zu weit offensteht, und wie verzweifelt er atmet.

So etwas hat er noch nicht erlebt. Langsam rudert er aus der Mooswand und steigt in vorsichtigem Kreis aufwärts. Die anderen haben ihn gleich bemerkt. Erschrocken stürmen sie hin und her, tauchen, und kommen pfeilschnell wieder empor. Aber als sie sehen, daß er nicht dergleichen tut, und gar, wie er am lichten Spalt vorbeirudert, sein Kleid mit der dunklen Verbrämung gewahren, erkennen sie ihn als ihres Bluts und starren unbeweglich aus großen Augen. 21

Er hat sie lange als Genossen erkannt und alle Furcht abgelegt. Er kreist um den Verletzten, der, klein und schmächtig, verzweifelt um sein Leben kämpft. Er muß großes Unglück gehabt haben. Wahrscheinlich hat stürzendes Eis und Gestein ihn gequetscht; sein Rückgrat ist verkrümmt, und er kann die Schwanzflosse nicht gebrauchen; er rudert nur schwach mit den Armflossen. Die drei haben sich vor dem Unglücklichen versammelt und starren ihn an. Jetzt gewahren sie, daß die halbe Seite abgeschuppt ist, und daß er am Bauch eine große Wunde hat, die von scharfen Zähnen herrührt. Das macht sie nachdenklich, und sie betrachten den immer schwächer Atmenden näher. Jetzt dreht ihn die Strömung am großen und tapferen Burschen vorbei, so nahe, daß ein herabhängendes Därmchen dessen Maul berührt. Da ist schon wieder Wut und Hunger in ihm, und er schnappt zu. Entsetzt bäumt der Verletzte sich, aber davon wird es schlimmer; denn jetzt hängen auch die beiden anderen an ihm. Sie zerren und stoßen ihn im Tümpel herum, und als der barmherzige Tod ihn auf den Rücken legt, erkennt er noch, wer ihn so grausam martert.

Aber mit dem strömenden Wasser ist der Geruch von Blut und Gier in die Welt außerhalb des Tümpels gekommen und hat dort einen grauen, rotgefleckten Räuber in Aufregung gebracht.

Die drei achten nicht auf das grimmige Antlitz, das plötzlich über den Spalt lugt. Entsetzt fahren sie auseinander, als die Forelle über den Stein springt. Mit blitzendem Stoß ist sie auf den nächsten gestürzt, hat ihn am Schwanz gepackt; dann schleudert sie ihn mit einem 22 gewaltigen Ruck ihres fürchterlichen Kopfes herum, daß er vor Schmerz und Todesangst gar nicht zu Bewußtsein kommt, was nun werden soll, und mit seinen Augen plötzlich dem funkelnden Blick des Räubers gegenüber ist; aber dann ist's auch vorbei. Köpflings würgt ihn die Forelle und sinkt langsam zu Grund; denn längst hat sie erkannt, daß der auf dem Rücken Treibende ihr nicht mehr entkommt, und genießt einstweilen das schwächer werdende Zucken in ihrem Bauch.

Der Tapfere und der andere sind in furchtbarem Entsetzen davongefahren. In stürmender Flucht stürzen sie bachabwärts, über Strudel und Gestein, durch Gebraus und Gischt, und halten erschöpft in seichtem Wasser unter 23 einem Erlenast, der, dunkel und halb ins Wasser hängend, sie beschirmt.

Dort ruhen sie aus und fühlen sich sicher; denn hierherein springt kein Räuber, und es ist weise, daß der Bach seichte Ufer hat, an denen kleine Burschen wachsen dürfen, ohne von scharfen Zähnen am Schwanz gepackt zu werden.

 


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