Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Der Grüne

Gegen Morgen hört das Quarren der Frösche und Kröten, das die warmen und feuchten Nächte erfüllt, auf.

Laikan hat diese Leute gehört, ehe er einen von ihnen zu Gesicht bekam; und er war erschrocken, als er, eines Abends das Ufer entlang streichend, den dunklen und hallenden Laut gerade über seinem Kopf zum erstenmal vernahm. Er schoß davon und erwartete, verfolgt zu werden; denn solche Töne hatte der Mensch; und wenn der Mensch nächtens kam, war er vielleicht ein anderer als bei Tag. Immer war der Mensch ein anderer, und das blieb geheimnisvoll und schrecklich. 83

Aber es ereignete sich nichts, und als das Gequarre nicht aufhörte, vergaß er es und nahm seine ruhelose Wanderung wieder auf.

Im Mondlicht tanzt eine Motte; und weil sie öfter nahe an den Spiegel und vor die Säge des Lachses gerät, reizt sie den Ruhlosen. Er verhält und lauert; dann, als sie wieder herantanzt, schnellt er auf. Da saust es um seinen Kopf, er hört einen scharfen, dünnen Pfiff, fast wie von einem Haarkerl, und ein kleiner Schlag streift sein Gesicht. Die Motte ist nicht mehr da, und wann er aus dem Wasser lugt, sieht er die Fledermaus davonschaukeln. Bei Tag ist ihm das öfter begegnet, und er ist den Schwalben nicht gewogen. Daß aber nachts auch neidische Leute in der oberen Welt sich herumtreiben, hat er erst heut erfahren.

Dann geschah ein Plumps!

Fast vor seinen Augen hatte sich einer, der einem Nachtfalter vom Ufer aus nachgesprungen war, ins Wasser gestürzt. Laikan wich erschrocken zurück, denn das konnte ein Stein des Menschen sein. Aber im Mondlicht erkannte er, daß das Ding nicht auf Grund ging. Das interessierte ihn, er ruderte näher und bekam lebendige Witterung in den Gaumen.

Der Frosch hatte ihn nicht eräugt und tat ein paar Schwimmzüge, über die Laikan sehr staunte. Solche Flossen hatte er an keinem der Fischleute wahrgenommen, und es war vielleicht gefährlich, einen Stoß dieser Ruder zu bekommen.

Behaglich liegt der Frosch auf der mondbeglänzten Oberfläche, hat die Schenkel in die Tiefe hängen und 84 quakt einmal vor sich hin. Einen Augenblick entsetzt Laikan sich, daß dieser Mann zu seinen starken Rudern auch noch lärmen kann, fast wie der Mensch. Aber die Witterung ist aufreizend und schmeckt scharf nach bitterem und frischem Gras, das Laikan lang nicht mehr am Ufer gesehen hat.

Wieder quakt der Frosch und hört dabei nicht, daß hinter ihm das Wasser gepeitscht wird. Dann fühlt er plötzlich scharfe Schmerzen im Schenkel und wird abwärts gezogen. Mit allen Kräften stößt er sich vorwärts, aber das steigert nur den Schmerz, und der Lachs ist stärker. Schreien nutzt nichts, das hört er selber nicht mehr, denn er wird schon unter Wasser hingezerrt. Die großen, goldgeränderten Augen treten aus den Höhlen, und er wartet entsetzt auf das Kommende.

Laikan aber bestand dieses Abenteuer zum erstenmal und war ungeschickt. Er trieb es, als ob er einen Gründling gepackt hätte. Frösche kann man nicht im Wasser herumschleudern, um sie köpflings zu schlucken. Wenn einer vier Ruder hat, stemmt er sich sehr gut gegen ein solches Vorhaben; und da man ihn loslassen muß, damit er den Schwung tue, fördern vier stramme, fette und muskelstarke Beine rasch, und man hat das Nachsehen.

»So hat er arge Schmerzen und läßt das Bein hängen«

Laikan springt dem Davonstürzenden, der sich behend auf einen der mittleren Steine geschwungen hat, nach, als ob es einer Wasserjungfer gälte. Darüber würde der Frosch gelacht haben, wenn ihm nicht Haut und Fleisch in Fetzen vom Ruder hingen. So hat er arge Schmerzen und läßt das Bein vorsichtig hängen. Er quakt nicht mehr und bekommt kleine Augen. Aber er weiß, was für 85 eine zähe Heilhaut er hat, und beschließt, auf dem Stein still zu hocken, bis es Tag wird. Dann wird er entweder in eine dunkle und feuchte Spalte zwischen den Steinen schlüpfen oder, wenn er das Wasser sichtig genug hält, behutsam wieder ans Ufer rudern, wo man im Gras weicher sitzt und die Wunde leichter heilt; besonders wenn man sich an der schleimigen Haut eines Kameraden ein wenig fegt. Denn der Julisonne sich auszusetzen, und gar als Verwundeter, ist tödlich. Soviel weiß der Grüne, der solchen mühseligen Tod bei einem Verwandten gesehen hat, den eine Krähe auf einen Maulwurfhügel gezerrt hatte und verscheucht worden war, ehe sie den Halbtoten verschlucken konnte.

Daran erinnert er sich jetzt und blinzelt müde und verzagt nach dem Ufer hinüber. Wann er die dünnen Lider 86 über die goldrandigen schwarzen Augen zieht, sieht er deutlich seine kleine und schöne Welt, sein, ach, so vergnügliches Leben, das er bald verloren hätte. Fast hat er ein Gefühl wie im April, wann es im winterlichen Schlammbett warm zu werden begann und der schwere Geruch der Erde und sich reckender Wurzeln in seine Nase stieg, ihn sanft und unerbittlich weckte; bis er dann eines Morgens Schlaf und Schlamm aus den Augen rieb, der Druck der Erde wich und er, emporgehoben in den morgendlich schimmernden Spiegel, getroffen ward von den kühlen und dünnen Blitzen der ersten Sonne. Und diese ersten Tage, zwischen Schlaf und Wachen, zwischen Wärme und Kühle, ohne Hunger und Mühe, ohne Gewicht und Kraft, zwischen Strenge und Laschheit: ob, welch ein Glück war das: leben! Und ein wie größeres Glück war es: dem Tod entronnen zu sein!

Vom Ufer her scholl es behaglich und selbstzufrieden, und deutlich unterschied der Verwundete das dünnere und sanftere Quaken, das ihn vor Wochen unrastig und voll Haß gegen alle Männer seiner Sippe gemacht hatte; bis es ihm eines Abends gelungen war, die zierliche grüne Frau einzufangen, die er dann Tage und Nächte nicht mehr losließ. Er träumt in seinen Schmerzen von der Glückseligkeit, die er empfunden hatte, wann er mit ihr in lässigen Ruderschlägen durch grüne Schilfbüschel und schmiegende Algen gesteuert war, oder stundenlang auf der besternten Teichfläche geruht hatte; er erinnerte sich, wie vergnüglich es war, den Mairegen über sich rieseln zu lassen, und daß er vor dem Hagel mit ihr getaucht und an sein Winterversteck geraten war, aus dem ein 87 rasselnder Krebs böse und hinterlistig herausfuhr. Da hatte er vor Schreck losgelassen, und sie war davon; und weil er müde war, schwamm er nicht nach; und als sie am Morgen einander begegneten, war die Leidenschaft hin, und sie schluckte an einem Regenwurm. Das hatte sie in der geraumen Zeit ihrer Liebe nicht getan. Da bekam auch er vom Zusehen Hunger und entriß ihr die baumelnde Hälfte des Wurms. Dann begegneten sie sich immer fremder, und im Gras draußen verlor er sie ganz aus seinem Leben; nur das dünne Quaken erinnert ihn jetzt an sie.

Weil er von den Schmerzen matt ist und sich sehr allein fühlt, und weil der Hunger in der Nacht immer groß ist, zieht es ihn hinüber. Er ist erst vier Jahre alt und vergißt Gefahren leicht, wenn er hungrig ist. Ein paarmal versucht er, den verletzten Schenkel zu bewegen, aber der gehorcht nicht. Schließlich, wozu hat man noch drei Ruder? So verzweifelt ist seine Lage nicht, wie jenes Verwandten, dem der Mensch beide Schenkel weggeschnitten hatte, und der mit aufgequollenen, vor Schmerz glasigen Augen im Gras herumkroch, stürzte, sich aufrichtete, wieder hinfiel und dann an den großen Ameisen bitterlich hinstarb.

Oh, keineswegs! So schlimm ist es mit ihm nicht bestellt! In einigen Wochen wird er die alte Haut sowieso abstreifen, wird sie behaglich aufessen; und die neue Haut, die dann natürlich auch den zerbissenen Schenkel bedecken wird, ob, die wird er nächstens besser hüten!

Langsam läßt er sich hinabgleiten und vermeidet trotz großer Schmerzen jedes Geräusch. Atemlos und unbeweglich lauscht er und äugt aus vorquellenden Augen. 88 Nichts rührt sich, keine Welle droht Gefahr; die Fledermaus schaukelt behütlich und vergnügt über dem Wasser, auf dem groß und rund der Mond liegt; vom Ufer herüber ruft die Sippe.

Aber eine hat alles beobachtet, verborgen hinter einem moosgrünen Stein, eng an die rauhe Tuffschicht geschmiegt. Tagelang ist sie in der feuchten und dunklen Spalte gelegen und hat dort übellaunig ihre Haut gewechselt. Dann hat sie fest geschlafen und ist heut gegen Abend aufgewacht. Natürlich ist sie hungrig nach dem Fasten. Das Gequarr der Frösche geht ihr durch Gaumen und Magen, daß die Zunge wie von selber in der breiten Schnauze ein und aus fährt, über der böse, eiskalte Augen unbeweglich gradeaus starren.

Als der Mond kam, wollte sie über den Teich schwimmen, und wußte dann am Rand eine sanfte Böschung, über die man schön in die Froschwiese gelangen konnte. Aber da kam ja ein Grüner das Wasser her!

Sie mußte hart an sich halten, um den aufklimmenden Grünen nicht gleich zu fassen. Auf nacktem, scharfem Stein fährt eine reife und bejahrte Frau nicht zu. Sie kann sich blutig stoßen, sie kann das Gleichgewicht verlieren, kann mit dem Grünen abstürzen; dann müßte sie loslassen und würde dabei sich lauter benehmen, als das uralte Gesetz ihrer Sippe es erlaubt.

Wozu auch? Der Grüne hat sein Teil, und sie müßte doch diese Leute nicht kennen, die wegen jeder Fliege ihren Platz wechseln, und die, gar wenn sie krank sind, keinesfalls auf weithin sichtbaren Steinen hockenbleiben. Natürlich wird der Mann ins Wasser gehen! Hunger wird 89 er kriegen und der nächsten Motte nachhüpfen! Überdies rufen ihn die Seinen von allen Ufern, und er kann es allein nicht treiben; die Unrast verjagt ihn sicher! Warten wir also! Wir kennen doch diese Sängerknaben, wir heimlichen, schönen, weisen Frauen!

Der Grüne mußte sehr elend beisammen sein, daß er den seltsam lüsternen Geruch der neugewandeten Natter nicht spürte. Wahrscheinlich hatte er Wundfieber. Sie starrte in Sprungweite nur auf seinen breiten, grünen Rücken.

Aber dann begab es sich.

Die Sippen riefen, und im Osten ward es grau. Als der Plumps des Heimreisenden geschah, glitten die Ringe vom Stein und schwanden lautlos ins Wasser. Wie der Frosch den ersten mühseligen und schmerzhaften Schwimmzug tun will, gewahrt er am Grund den schlängelnden und furchtbaren Schatten; und das unbewegte gelbgefleckte Haupt, in dem die Augen starr nach ihm blicken, fährt erhoben übers Wasser her; im Mondschein sieht der Gehetzte die Zunge.

Er taucht und macht so gut es gehen will einen Haken, und hätte laut geschrien, so schmerzte das in Todesnot gebrochene Ruder. Aber es kommt nur Luft aus der Kehle, die in Blasen aufsteigt.

»Plötzlich hat der Frosch keine Hinterbeine mehr«

Es gibt keinen Lärm, wie wenn der Lachs das Wasser peitscht; es geht ganz lautlos zu. Aber plötzlich hat der Grüne die Hinterbeine nicht mehr; und dann steigen die harten Kiefer der Natter höher, den Leib herauf; dem Frosch ist, als würde er abwärts gezogen, obgleich sich alles an der Oberfläche des Teichs begibt; der Atem 90 stockt ihm vor Schmerz und schrecklicher Enge; wahrscheinlich hat er schon keinen Leib mehr, ist ihm; seine Augen sind weit aufgerissen, voll unsäglichen Schauders.

Aber auch Laikan hat den Plumps gehört; er befand sich auf der anderen Seite, ganz am Spiegel, in unrastiger Wanderung. 91

Jetzt läßt er die Pirsch und steuert den kürzesten Weg, quer durch den Teich. Von ferne gewahrt er, was sich begibt, und sieht die Natter dem Ufer zustreben.

Die fremde Frau ist ihm ein Niegesehenes, und einen Augenblick verhält er sichernd; aber dann erkennt er, daß ihre Säge beschäftigt ist und also ungefährlich. Pfeilschnell hat der schlanke Schatten ihren Weg abgeschnitten, und der Grüne, dessen Augen glasig und abwesend starren, gewahrt entsetzt den Kopf des Lachses vor sich.

Das dauert kaum einen Augenblick, dann fährt Laikan zu; und jetzt ist ein kleiner Strudel, der den Vollmond zerbricht und dem die Elritzen von ferne staunend und witternd zusehen; der beruhigt sich erst, wann die Ringelnatter in schönen Windungen dem Ufer zuschlängelt, im hocherhobenen Maul den abgebissenen Rumpf des Frosches schleppend. Hinter ihr in der köstlichen Witterung balgen die Elritzen sich.

Laikan hat den Kopf des Grünen längst verschlungen.

Als der Teich grau wird und das Land hinter dem versinkenden Mond hindunkelt, verstummt der Chor der feuchten Leute. Die schillernde Frau verdaut behaglich im Gras auf der saueren Froschwiese.

Seinen Wanderweg sucht der rastlose Lachs.

 


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